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Der Hirte geschlagen, die Herde zerstreut

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In den letzten zwei bis drei Jahren waren in der Tschechoslowakei ausgesprochen kirchenfeindliche Maßnahmen seltener geworden. Nun aber mehren sich die Anzeichen, daß die Verfolgung der katholischen Kirche wieder zugenommen hat. — Wie die katholische Kirche in den böhmischen Ländern wirklich lebt, zeigt der erschütternde Originalbericht eines tschechischen Priesters, mit dessen Veröffentlichung die „Furche“ im heutigen Blatt beginnt. Die „Furche“

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In den letzten zwei bis drei Jahren waren in der Tschechoslowakei ausgesprochen kirchenfeindliche Maßnahmen seltener geworden. Nun aber mehren sich die Anzeichen, daß die Verfolgung der katholischen Kirche wieder zugenommen hat. — Wie die katholische Kirche in den böhmischen Ländern wirklich lebt, zeigt der erschütternde Originalbericht eines tschechischen Priesters, mit dessen Veröffentlichung die „Furche“ im heutigen Blatt beginnt. Die „Furche“

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„Ich werde den Hirten schlagen und die Herde zerstreuen.“ An dieses Wort muß man unwillkürlich denken, wenn man die Lage der katholischen Kirche in den böhmischen Ländern, d. i. in Böhmen, Mähren und Schlesien, betrachtet. Von den sechs böhmischen Bistümern — Prag, Olmütz, Königgrätz, Leitmeritz, Bud-weis, Brünn — sind fünf praktisch ohne Hirten. Der Erzbischof von Prag wurde ohne Gerichtsverfahren seiner Freiheit beraubt, der Bischof von Leitmeritz zu 25 Jahren Kerker verurteilt, die Bischöfe von Budweis und Brünn sind unbekannten Aufenthaltes, der Bischof von Königgrätz, Msgr. P i c h a, starb vor einiger Zeit. Das einzige Bistum, das noch einen regelrechten Ordinarius besitzt, ist das Erzbistum Olmütz. Allerdings ist auch Msgr. Dr. theol. et phil. Josef Karl Matocha in der Regierung seiner Diözese äußerst beschränkt. Er darf sein Palais nicht verlassen, und sein Generalvikar, Prälat G1 o-g a r, kann ihn nur einmal in der Woche besuchen und ihm das vorbereitete Material zur Unterschrift vorlegen. Bei allen Besprechungen des Generalvikars mit seinem Erzbischof ist ständig ein bevollmächtigter Vertreter der Regierung anwesend. Der Erzbischof durfte, mit Erlaubnis der Obrigkeit, nach der Installierung der Dekanate die neu ernannten Dekane empfangen, er empfing auch die Theologen, die sich entschlossen hatten, an die Prager theologische Fakultät (die sich in Leitmeritz befindet) zu studieren. Er gab auch Richtlinien für eine Neugestaltung der Karwoche sowie einen Aufruf zur Werbung für den Priesterberuf heraus So sieht die Regierung der Erzdiözese Olmütz durch ihren konfinierten Erzbischof aus. Ein Kommentar dazu ist überflüssig ...

An der Spitze der übrigen fünf Diözesen stehen V( sggeannte , i./,Kapi1te,lvjkare“. ....Die , tschechoslowakische Regierung vertrj.de Standpunkt, daß eine Diözese, deren Ordinarius konfiniert oder verhaftet ist, vakant sei und infolgedessen die Domkapitel das Recht haben, einen Kapitelvikar zu wählen. Auf Grund dieser Ansicht fanden tatsächlich in den „verwaisten“ Diözesen Wahlen der Kapitelvikare statt, die nun nach außenhin die Leitung der Diözesen innehaben.

Groß ist ihre Macht natürlich nicht, denn sie müssen sich nach dem richten, was ihnen das „Staatliche Amt für kirchliche Angelegenheiten“, das heute ein Teil des Unterrichtsministeriums ist, vorschreibt. In jedem Konsistorium hat dieses Amt ständige Bevollmächtigte, die laufend über die Situation in der Diözese informiert werden und diese Informationen natürlich weitergeben. Aber auch bei jedem Kreis-Nationalausschuß bzw. bei jedem Bezirks-Nationalausschuß bestehen sogenannte „kirchliche Sekretäre“, deren Aufgabe es ist, die gesamte Tätigkeit der Kirche zu überwachen und mit den Staatsinteressen in Einklang zu bringen. Diese Sekretäre besuchen regelmäßig einmal im Monat die Geistlichen in der Pfarre und erkundigen sich über alles mögliche, kontrollieren die Rechnungen und geben Richtlinien für das kirchliche Leben. Die meisten dieser Sekretäre sind geeichte Kommunisten und glaubenslos.

Am Rande sei nur hier bemerkt, daß die Situation in der Slowakei etwas besser ist; dort amtieren noch drei vom Papst eingesetzte Bischöfe mit begrenzter Bewegungsfreiheit. *

In den böhmischen Ländern sind nur noch zwei Weihbischöfe in Freiheit.

Der eine ist Msgr. E 11 s c h k n e r, der 1933 zum Weihbischof von Prag ernannt und geweiht wurde. Weihbischof Eltschkner nimmt vielfach in den böhmischen Ländern die Firmungen und die Weihe der Theologen zu Priestern vor. Er ist allerdings schon sehr alt und gebrechlich und muß z. B. bei den Firmungen bereits oft sitzen.

Der zweite Weihbischof ist Msgr. T o m a-S-e k, den 1950 Erzbischof Matocha von Olmütz trotz der strengen Bewachung zum Bischof weihen konnte. Kurz nach der Weihe aber wurde er gleich in ein Konzentrationskloster gebracht. Dort verblieb er ungefähr zwei Jahre und wurde erst nach der Versetzung in ein anderes Kloster wieder in Freiheit gesetzt. Er wurde darauf Administrator einer kleinen Pfarre bei Sternberg, wo er heute noch mit seiner alten Mutter lebt. Es gelang ihm, einen Katechismus, wenn auch in sehr beschränkter Auflage, herauszugeben, der allerdings von der staatlichen Zensur stark zusammengestrichen wurde. Sehr vorsichtig wird in diesem Katechismus über die Ehe und ihre für den Katholiken verpflichtende Form geschrieben. Von den Missionen und der Katholischen Aktion dagegen findet sich keine Erwähnung.

So ist der einzelne Priester in den böhmischen Ländern praktisch ohne Hirten. Ja, man kann fast sagen, jeder einzelne Priester ist sein eigener Bischof. Was dies für den Betreffenden an seelischen Spannungen und an Verantwortung bedeutet, kann nur der ermessen, der jemals in einer solchen Situation gewesen ist.

Anderseits soll auch ein Lichtpunkt in die-, sem dunklen Bild nicht unerwähnt bleiben. Zum Unterschied von anderen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang ist es in den böhmischen Ländern noch nie vorgekommen, daß ein vom

Papst ernannter Erzbischof oder Bischof offiziell nach Moskau fuhr, kommunistischen Größen bei einem Staatsempfang die Hand drücken mußte oder Aufrufe, die sehr nach Unterstützung des kommunistischen Regimes aussehen, unterschreiben mußte.

Große Teile der böhmischen Länder haben im 15. und 16. Jahrhundert ähnliche Zustände durchgemacht, wie wir sie heute erleben. Ab 1421 war durch rund 140 Jahre das Erzbistum Prag, das damals noch ganz Böhmen umfaßte, verwiist. Die Regierung führte in dieser Zeit d*s Prager Metropolitankapitel, das für diese heroische Tat der Treue vom Römischen Stuhl nebst anderen Privilegien den Titel „Semper fidelis“ erhielt. Der gleiche Titel könnte heute der überwiegenden Mehrheit des tschechischen Klerus verliehen werden. Denn vom tschechischen Klerus sind 90 Prozent ihrem Glauben und Rom absolut treu, rund acht Prozent sind sogenannte „patriotische Priester“, über die man auch nicht in Bausch und Bogen den Stab brechen kann, da sie oft mit üblen Methoden gezwungen wurden, sich der Vereinigung patriotischer Priester anzuschließen, und nur zwei Prozent der Priester sind „mauvais sujets“ (zu denen man auch den Minister Plojhar rechnen muß).

Ueber die Kirche in den böhmischen Ländern gingen seit 1918 viele Stürme hinweg. Kurz nach dem ersten Weltkrieg begann eine der größten Abfallsbewegungen in der böhmischen Geschichte. Von rund sechs Millionen Tschechen traten mehr als eineinhalb Millionen aus der

katholischen Kirche aus, darunter auch mehr als 60 römisch-katholische Priester. Die Republik Masaryks war zumindest in den ersten eineinhalb Jahrzehnten ihres Bestandes der Kirche nicht freundlich gesinnt, sondern eher von kulturkämpferischem Geist besessen. In der Zeit der deutschen Okkupation gingen neue Stürme über die Kirche in den böhmischen Ländern hinweg. Viele Priester wanderten ins KZ (wie zum Beispiel der heutige Erzbischof Beran, aber auch Minister Plojhar), viele Priester wurden ermordet und hngerichtet (wie zum Beispiel Prälat Stanovsky, einer der Erzieher der Kinder Erzherzog Franz Ferdinands). Viele katholische Organisationen wurden aufgelöst, kirchliches Eigentum teilweise beschlagnahmt. Eine Reihe von Bistümern, wie Prag, Brünn und Budweis, waren durch Tod verwaist und mußten durch Kapitelvikare verwaltet werden.

Wer in diesen letzten vier Jahrzehnten katholischer Priester wurde, wurde es meist nicht aus Gründen der Versorgung oder der Bequemlichkeit, sondern aus Gründen echter Berufung. Die Früchte dieser harten Schule zeigen sich nun darin, daß die überwältigende Mehrheit der katholischen Geistlichen ihrem Glauben und ihrer Religion treu geblieben ist und treu bleiben wird. Wie das Volk diese Haltung zu schätzen weiß, . kann jeder Besucher der Tschechoslowakei an einem Sonntag beobachten: die Kirchen, in denen ein romtreuer Priester die Messe liest, sind überfüllt, während den Messen, die ein sogenannter patriotischer Priester oder ein übel beleumundeter Priester liest, nur wenige beiwohnen.

Die überwältigende Mehrheit der Priester wird, wie gesagt, nicht wankend werden, obwohl die Situation eines katholischen Priesters in der Tschechoslowakei äußerst schwer ist; er ! hat keine Bischöfe über sich, die ihn leiten und schützen, wohl aber einen Staat, der ihn dauernd bespitzelt, mit den unsinnigsten Forden rungen belastet, ständig schikaniert und'-ki-.det-Arbeit behindert. Die große Gefahr, in der sich der tschechische Klerus befindet, ist der absolut ungenügende Nachwuchs. In der Olmützer Erzdiözese starben z. B. 1957 36 Priester, welchem Verlust nur sechs Neupriester gegenüberstanden.

Heute gibt es in der gesamten Tschechoslowakei nur noch zwei Priesterseminare für den priesterlichen Nachwuchs: in Prag und Preßburg. Alle übrigen Seminare und theologischen Fakultäten sind geschlossen. Die Begründung für die Schließung der Fakr' täten und Seminare war, daß ein Mangel an Fachlehrkräften bestehe, eine viel zu geringe Hörerzahl vorhanden sei und in den beiden Hauptstädten Frag und Preßburg die Möglichkeit eines qualitativ besseren Studiums bestehe. Aber auch im traditionellen Prag konnte sich die Theologische Fakultät nicht halten, denn eines Tages erklärte das kommunistische Regime, daß die Gebäude der Fakultät und des Seminars durch die geringe Anzahl der Hörer viel zuwenig ausgenützt seien, und beschlagnahmten sie. Die Fakultät und das Seminar wurden nach I.eitmeritz verlegt, wobei die erstere den Titel „Prager Fakultät“ beibehielt.

Die Regelung der theologischen Studien wurde 1950 ohne Zustimmung der Kirche durchgeführt. Die Studienzeit wurde im Gegensatz zur römischen Studienordnung, die sechs Jahre vorschreibt, auf vier Jahre herabgesetzt, 1956 aber wieder auf fünf Jahre ausgedehnt. Wer in ein Seminar aufgenommen werden will, muß zuerst einen Fragebogen ausfüllen, der nichts anderes als eine politische Beichte des ganzen Lebenslaufes des Kandidaten darstellt. Unter anderem wird der Kandidat gefragt, ob er Verwandte im Ausland habe, ob er in irgendeiner kommunistischen Organisation tätig sei, ob er der Errichtung der Volksdemokratie ergeben sei und ähnliches. Es ist verständlich, daß viele, die sich zum Priestertum berufen fühlen, auf ein Studium an solchen Fakultäten verzichten und auf andere Zeiten warten. Dennoch hören die Priester nicht auf, unter den Ministranten und jungen Männern Interesse für den Priesterberuf zu wecken, damit selbst unter diesen erschwerten Umständen das Priestertum in den böhmischen Ländern nicht gänzlich verschwinde.

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