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Das Judasgeld
Die Herbsttagung der Prager Nationalversammlung wurde heuer in einer außergewöhnlichen Weise eröffnet, für die die Geschichte dieses Hauses kein Vorbild kennt: fast sämtliche Regierungsmitglieder waren erschienen, die Logenplätze nahmen die Vertreter der Kirchen- und Religionsgemeinschaften ein und die Galerien waren bis auf den letzten Platz von über 200 Geistlichen aller Konfessionen gefüllt. Unter dem römisch-katholischen Klerus sah man den Prior des Maltheserordens, Prod. Skoda, und den Caritasdirektor P. Mira, die orthodoxe Kirche war durch ihren Exarchen Jelevferij vertreten, die tschechoslowakische Kirche durch ihren Patriarchen und den Prager Bischof, namens der evangelischen Bruderkirche erschien der durch sein Auftreten bei verschiedenen internationalen Kongressen bekanntgewordene Professor Hromadka, für die reformierte Kirche in der Slowakei ihr weltlicher Vertreter, ihr Generalsekretär und ein geistliches Mitglied des Organisationsausschusses, ferner Vertreter der israelitischen Kultusgemeinde und der Unitarier.
Beratungsgegenstand dieser Sitzung waren die beiden Regierungsentwürfe des Gesetzes über die „wirtschaftliche Sicherung der Kirchen“ durch den Staat, und des Gesetzes über die Errichtung eines Staatsamtes für kirchliche Angelegenheiten. Der Abgeordnete Havelka nahm die Gelegenheit wahr, „namens des ganzen arbeitenden Volkes den Tausenden Pfarrern, Kaplänen und Dechanten, den Geistlichen aller Konfessionen, die in schwersten Zeiten zu ihrem Volke standen und ihm auch heute, in den Jahren des frohen Aufbaues, treu bleiben“, den Dank auszusprechen. Nachdem beide Gesetze einstimmig angenommen worden waren, erhoben sich die Abgeordneten von ihren Sitzen und, den Logen der kirchlichen Würdenträger zugewandt, „unterstrichen sie ihre Zustimmung durch lang anhaltenden Applaus“.
Es muß also schon so gewesen sein, wie Justizminister Cepicka in seiner Parlamentsrede erklärte, daß dieser Tag „ein hoher Feiertag für Katholiken und Nichtkatholiken" war. In allen Teilen des Staates und in allen Kreisen der Bevölkerung herrscht, wie in den hierüber ausgegebenen offiziellen Berichten zu lesen ist, eitel Freude und Zufriedenheit.
Das bisherige Kongruagesetz, „ein Hohn auf alle berechtigten sozialen Forderungen der Geistlichkeit, wird nun durch eine großzügige Neuregelung ersetzt“, erklärte der Berichterstatter des Sozial- und Gesundheitsausschusses des Parlaments, und ein anderer Redner hob in der Debatte hervor, daß die Gehälter ab 1. November mindestens verdoppelt würden.
„Die erniedrigende Abhängigkeit der Geistlichen von ihren Patronatsherren hört nunmehr auf, ihre Einkünfte sind nicht mehr vom Reichtum der Pfarre, dem Mitleid der Gläubigen oder der Gunst der kirchlichen Vorgesetzten abhängig, die veralteten Rechts-vorschriften, die noch aus dem Zeitalter des Feudalismus herrühren und die freie Entfaltung und das harmonische Zusammenleben der Konfessionen verhinderten, sind aufgehoben, so erklärt das „Rudi privo“ zu den neuen Gesetzen.
Der Kommentator des Prager Rundfunks unterstreicht das bisher den alten Priestern zugefügte Unrecht, die, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, oft bis in ihr 70. und 80. Lebensjahr Dienst tun mußten, darüber hinaus ganz allgemein die ungerechte Behandlung der Priester im vergangenen bourgeoisen Regime.
Dr. Polansky, Ausschußmitglied der sogenannten „Katholischen Aktion“, hob in seinem Vortrag in Ostrau den bedeutenden Anteil der pseudo-„katholischen Aktion" am Zustandekommen der beiden Gesetze hervor und kündigte eine großangelegte Aufklärungskampagne über diese Gesetze in den Bezirks-, Orts- und Pfarrausschüssen an.
Selbst die hohe Geistlichkeit, die „ungeheure Latifundien“ besaß und deren Ein-künfte eine „märchenhafte Höhe“ erreichten, ist, wie P. Unger O. S. B. in einer in der kommunistischen Presse verbreiteten Darstellung über die finanzielle Lage des Klerus behauptet, plötzlich froh, daß sie durch die Bodenreform ihrer Sorgen mit ihrem Grundbesitz enthoben ist, der infolge der Unehrlichkeit der Verwalter kaum einen Ertrag abwarf oder auf den sie sogar aufzahlen mußte.
Tausende Telegramme, so meldet das Tschechoslowakische Preßbüro, gingen der Regierung aus allen Kreisen des Klerus und der Laien zu, in denen der Dank für die Neuregelung ausgedrückt wird. Am Vorabend der Gesetzwerdung hatte der Zentralaktionsausschuß der nationalen Front eine Versammlung der Geistlichen aller Konfessionen einberufen, die die Reden des Informationsministers, des Unterrichtsministers und des Gesundheitsministers mit stürmischem Beifall aufnahmen und in einem Telegramm an den Staatspräsidenten erklärten, im Geiste Alois Jiraseks gute Hirten des tschechischen und slowakischen Volkes sein zu wollen.
„Wir katholischen Priester“, so erklärte im Parlament Minister Plojhar, „begrüßen dieses Gesetz als gerechte Lösung der sozialen Frage, soweit sie uns Priester betrifft, im Geiste eines echten Christentums und eines echten Sozialismus". Ja selbst die Stimme des katholischen Bischofs von Leitmeritz, Msgr. Trochta, fehlt nicht unter den zustimmenden Erklärungen: „Nach Regelung der Stola- und Kirchensteuerfrage, von der Abstand genommen wurde, ist der Entwurf sicher geeignet, Ausgangspunkt für eine Einigung über alle bisher noch offenen Fragen zu bilden."
Im verfassungsrechtlichen Ausschuß des Parlaments — der sich ebenso wie der Kulturausschuß, der Finanzausschuß und der Sozialausschuß mit den Gesetzesvorlagen befaßte — erklärte der Abgeordnete Török, daß es während des zwanzigjährigen Bestandes der ersten Republik nicht gelang, Ordnung und Übereinstimmung in die kirchlichen Angelegenheiten zu bringen, was durch die beiden Gesetze erfolgte, und Verkehrsminister Petr erklärte auf einer Konferenz der Funktionäre der Volkspartei, daß „noch keine Regierung den Kirchenfragen gegenüber einen so freundlichen Standpunkt eingenommen habe wie die jetzige Regierung der Nationalen Front“.
„Erst diese wirtschaftliche Sicherung ermöglicht es den Kirchen, ihre Tätigkeit zu entfalten und der künftigen ruhigen Entwicklung des kirchlichen Lebens bei uns sorglos entgegenzublicken“, sagte Minister Cepiöka in seiner Pa’4smentsrede am 14. Oktober, und der Berichterstatter fügte hinzu, daß „erst die Regierung der Nationalen Front die Kirche von ihren unchristlichen materiellen Interessen befreit“ habe.
Wenn man freilich weiß, daß auch heute noch in der Tschechoslowakei alle anderen Kirchen zusammen nicht den vierten Teil der Gläubigen zählen, wie die katholische Kirche, die Sprecher der katholischen Kirche aber, die zu den neuen Gesetzen in der Öffentlichkeit Stellung nahmen, ihr entweder schon längst nicht mehr angehören oder aber im Lager der schismatischen „katholischen“ Aktion stehen, wie zum Beispiel der neuernannte Caritasdirektor P. Mara, wertn man weiß, daß Bischof Trochta seine jetzt zitierte Stellungnahme vor Monaten, in einem ganzanderen Stadium der Verhandlungen um die Entschädigung der Kirche abgegeben hat, dann wird das Bild der uneingeschränkten Zufriedenheit einigermaßen getrübt. Und man braucht auch nicht zwischen den Zeilen zu lesen, um sich auszumalen, wie sich die Gesetze in der Praxis auswirken werden; unumwunden erklärte Minister CepiCkat „Es wäre unverantwortlich, wenn für das Geld unseres Volkes Verrat an unseren nationalen und staatlichen Interessen geduldet würde.“ Man hatte also an maßgebender Stelle bereits vor dem Gesetzwerden des Vorschlages vergessen, daß die staatlichen Beiträge für den Personal- und Sachaufwand als Entschädigung für die Enteignung des Kirchenvermögens versprochen worden waren. Gleichfalls noch vor der Verwirklichung des Gesetzentwurfes wurde öffentlich erklärt, daß die Konkursausschreibung der freigewordenen katholischen Benefizien natürlich durch den Staat erfolgen wird, da der „empörende“ Zustand nicht länger geduldet werden könne, daß nach katholischem Kirchenrecht die Stellen des weiterhin in seinen Heimatdiözesen eingegliederten sudetendeutschen Seelsorgeklerus nur von Pfarrprovisoren verwaltet, aber bisher nicht neu besetzt wurden.
So war es nicht verwunderlich, wenn der Hauptredner in der Parlamentsdebatte, Justizminister Cepicka, sich eingehend mit der Haltung der katholischen Bischöfe befaßte, die als einzige nicht in die anbefohlenen Freudenkundgebungen einstimmten, sondern ihre entschiedene Ablehnung bekundeten. Sie haben sich durch die Drohungen nicht abschrecken lassen, mit denen die Machthaber nicht gespart haben, sie lassen sich auch durch ihre Versprechungen nicht verlocken. Für sie bleibt das angebotene, um nicht zu sagen, aufgenötigt Geld aus der Hand des Staates das, als was es einer der letzten Hirtenbriefe mit dem einzig passenden Ausdruck bezeichnet hat: Judasgeld.
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