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Randbemerkungen zur woche

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DAS SCHRECKGESPENST FÜR JEDEN ÖSTERREICHER: die Angst vor einem neuen Lohn- und Preisabkommen und seinen Sorgen — ist sie diesmal zu bannen? Vielleicht. Ein Diskussionsabend im Industriellenverband ist zwar gewiß kein Forum, in dem offizielle staatspolitische Entsclxei-dungen gefällt werden. Aber in der vergangenen Woche nahmen Minister und Gewerkschaftsführer an ihm teil. Und als der Wortführer der Industrie den Vorschlag machte, endlich den Auftrieb der Löhne und Preise zu stoppen und das Versprechen anfügte, die Industrie werde sich ihrerseits — wenn man ihr nicht Knüppel zwischen die Füße werfe — für die nächsten drei Monate aller Preiserhöhungen enthalten, kam das Gespräch plötzlich in Gang: Handel und Gewerbe versprachen, der Industrie zu folgen, der Finanzminister versicherte, von neuen Steuerbelastungen abzusehen, und bemerkte ungewöhnlicherweise — aber richtig —, daß die Konsumenten und ihr Mangel an Disziplin zu nicht geringem Grade an den Preisbewegungen schuld trügen, obioohl sie es viel/ach in der Hand hätten, die Preise zu bestimmen — und schließlich stand nach dem Landwirtschaftsminister auch noch ein maßgebender sozialistischer Gewerkschaftsführer auf und — er schloß sich den Ausführungen seiner Vorgänger an. Man hatte begriffen, daß mH der wirtschaftlichen Unrast, unter der wir seit Jahren leiden, endlich einmal Schluß gemacht werden muß — und wenn kurz darauf die Wirtschaftskommission, die ziuar ebenfalls keine offizielle Institution, wohl aber eine ziemlich mächtige ist, die Leitworte dieses Diskussionsabends aufnahm und weitergab, so war dies immerh'n die Fortsetzung eines fruchtbaren Anfangs. Vielleicht siegen diesmal Disziplin und gesunder Menschenverstand, vielleicht werfen wirklich einmal die kleinlicheren Gruppeninteressen gegenüber den Anliegen der Allgemeinheit zurückgestellt...

DAS PRIVILEGIUM MA1US und dl« Georgenberger Handfeste sind, wie die öffentlichkeit mit Befriedigung vernimmt, dem ehrwürdigen Schatz österreichischer Archivalien nicht entwendet worden. Sie weiß für die Schnelligkeit und Klarheit Dank, mit der ihre Befürchtungen zerstreut wurden. Vielleicht hat sie aber noch ein übriges erwartet: die Mitteilung nämlich, welche von den historischen Dokumenten erster Größenordnung, von denen gerade die Archive unseres Landes so erlesene Stücke bergen, nun tatsächlich aus der Liste der Bestände gestrichen werden müssen. Gewiß wäre eine Generalinventur eine Arbeit von kaum vorstellbarem Ausmaß. Aber die bereits publizierten Einzelheiten der Hauptanklage weisen auf einen verhältnismäßig eng umgrenzten Kreis wertvollster Unikate — die mit Silber und Goldsiegeln bewehrten Bullen. Hier wäre eine mutige und offene Bekanntgabe in kürzerer Frist ohne Zweifel möglich. Ja, sie hätte bereits erfolgen sollen. Die Schätze, die das Archivgebäude am Minoritenplatz birgt, gehören als Staatsgut allen Staatsbürgern. Und diese haben ein wohlbegründetes Recht, zu wissen, welchen Schaden sie erlitten haben und welche Maßnahmen für die Zukunft ins Auge geifaßt werden, damit sich hier — oder wo immer — nicht wieder eine frevelhafte Hand nach $en kulturellen und materiellen Gütern der Gemeinschaft ausstrecken kann.

VOR DER KANADISCHEN MISSION IN SALZBURG stauen sich die Menschen: Europamüde — Osterreichmüde. Nicht nur von Haus und Hof vertriebene Volksdeutsche, sondern Österreicher — Leute in nach menschlichem Ermessen fester und auskömmlicher Stellung. In der Liste der nach Kanada Abgereisten finden sich, wie gemeldet wird. 15 Ingenieure der VÖEST und 74 Mitglieder der Salzburger Polizei... Kanada ruft, und immer gab es Menschen mit so viel Initiative, daß sie bereit waren, Ozeane auf der Suche nach einem neuen Lebenskreis zu durchqueren. Aber offensichtlich gibt es solche Leute in Österreich nicht im Überfluß, sie haben für uns Liebhaberwert, und diese Schar von Tätigen und Strebsamen zu verlieren, ist eine schwere und vielleicht uneinbringliche Minderung an biologischer Substanz. Wären es durch lange vergebliche Arbeitssuche Verzweifelte, so ließe sich die Sache noch anders sehen, aber wir leben ja noch im Zeichen der Vollbeschäftigung. So liegt die Ursache tiefer, und man muß nur etwa einen aus der Neuen Welt heimgekehrten Austauschstudenten eingehender sprechen, um aus der noch frischen Gegensätzlichkeit Aufklärung zu schöpfen. Der aktive Teil der Jugend ist müde der bürokratischen Apparatur — während der passive an sfie Schreibtische flüchtet. Er ist müde der unentrinnbaren Parteieinschachtelungen, von denen die anderen profitieren. Müde auch der vielverzweigten Verzunftung, die die Konkurrenzunfähigen als staatlich geeichten Schild vor sich halten. Die Gefahr ist im Wachsen, daß aus dem offenen vollen Leben ein Naturschutzpark voll Verbotsund Warnungstafeln wird. Hundert Auswanderer im Tag nach Kanada allein — wie hoch würde diese Ziffer erst schnellen, wenn sich die Pforten zu den Vereinigten Staaten öffnen würden?

DER SEIT LANGEM GEPLANTE „FRIE-DENSKONGRESS katholischer Priesterfand am Vorabend des Festes des heiligen Wenzel in Prag statt. Über 1500 Teilnehmer waren für ihn mobilisiert worden. Der Name des heiligen Wenzel fiel freilich nur ein einziges Mal, während von einem andern Gedenktag oft die Rede war, dem Jahrestag des Münchner Abkommens. Es war für jeden Teilnehmer eine Qual, die gleichen politischen Schlagworte, wie sie die KPC in ihren Versammlungen, der Verband der Friedenskämpfer in seinen Kundgebungen, die gesamte Presse und der Rundfunk pausenlos wiederholen nun auch hier auf dieser Priesterversammlung — der größten, die in Böhmen je stattfand — immer wieder vorgesetzt zu bekommen. Und immer wieder die gleichen Leute: Plojhar als der Einberufer, Plojhar zum Präsidenten des Kongresses gexoählt. zum Schluß Neuwahlen für den Friedensausschuß — und wieder wird Plojhar Vorsitzender! Auch die ausländischen Gäste — Abbe Boulier aus Frankreich, Dr. Beresztöczi aus Ungarn —

sind alfe Bekannte. Und gar erst der Vorrat an Redewendungen und Phrasen: seitdem die pseudo-katholische Aktion Ins Leben gerufen wurde, sind hier keine neuen Ideen mehr zu verzeichnen, um so eifriger und verzweifelter werden die alten wiederholt. Da ist zunächst der Vatikan an der Reihe: „Uns betrübt die Tatsache, daß die Politiker des Vatikans die Kriegspropaganda nicht nur nicht verurteilen, sondern dazu schweigen oder gar indirekt unterstützen“, heißt es in der Friedensresolution; „Und gerade als treue Söhne der Kirche schmerzt es uns, daß diese verbrecherische Politik vom Vatikan nicht verworfen, sondern sogar unterstützt wird“, lautet die entsprechende Formulierung im Begrüßungsschreiben an den katholischen Klerus der ganzen Welt. Punkt 2 ist die Mitarbeit des katholischen Priesters am eozialistischen Staatsaufbau. Eine Friedensmission des Priesterstandes sieht Professor Luka&ovii in der Gewinnung des Volkes für den Weg der Sozialisierung des Landes und für höhere wirtschaftliche Formen, die Kolchose. „Die Aufrichtung einer neuen, sozial gerechten Ordnung und die Umerziehung des Menschen erfordert opferfreudige und ehrliche, von Liebe und Begeisterung erfüllte Arbeiter. So die uns anvertrauten Seelen zu führen — das ist unsere zeitgemäßeste Hirtenaufgabe“, heißt es in der beschlossenen Resolution. Die übliche Versicherung der Loyalität gegenüber dem Staat — dem geliebten Herrn Präsidenten, der geliebten Regierung, dem teuren tschechoslowakischen Volk, wie Professor Lukaiovii sich ausdrückte — blieb nicht aus. — Erzbischof Beran ist aus seiner Residenz, aus seiner Diözese verbannt, drei Bischöfe leben hinter Kerkermauern, Bischof Hloucha von Bud-xveis siecht an einem schweren Leiden dahin, aber er darf nicht operiert werden, denn er hat ja den verlangten Eid nicht geleistet! Hunderte Priester steckte man ins Gefängnis, hunderte ins Arbeitslager, hunderte in die Kohlen- und Uranbergwerke. Die Orden sind liquidiert, der Religionsunterricht auf ein Minimum eingeschränkt — aber die „größte Priesterkundgebung, die es in diesem Lande je gab“, dankt dem verantwortlichen Mann für die gewährte volle Religionsfreiheit! Alle Klöster des Landes sind aufgelassen, das Kirchengut beschlagnahmt, die Kunstschätze der Kirche entzogen — aber der Friedenskongreß der „katholischen“ Priester dankt für die wirtschaftliche Sicherstellung der Kirche! In Tag- und Nachtschichten, wochentags wie sonntags, wird aus dem arbeitenden Volk das äußerste herausgeholt, die Ernte bei Scheinwerferlicht eingebracht, die russischen Stachanow-Narmen überboten, gleichzeitig die Lebensmittelzuteilung von Tag zu Tag verschlechtert — aber der Friedenskongreß der „katholischen“ Priester sieht es als seine zeitgemäßeste Hirtenaufgabe an, die Gläubigen für diese Ordnung und diesen Staat zu begeistern. Judas ist an der Arbeit, seine 30 Silberlinge abzudienen ...

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