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Randhemerkungen zur woche

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„UNVERBESSERLICHE DIEBE, Lügner, Spione; Saboteure, Lakaien der Westmächte; Räuber, Terroristen und Mörder; Gutsbesitzer, Kulaken, Kapitalisten.“ Das alte, seit Jahren übliche Register der Fluchnamen, mit denen das volksdemokratische System seine tatsächlichen beziehungsweise als solche angesprochenen Gegner zu Todfeinden stempelt. Die vernichtet, „liquidiert“ werden müssen. — Monoton fallen die Urteile, gemäß dem monotonen Einklang dieses Registers. Selten ein Wechsel in der Abstufung. Noch seltener ein neuer Name: ein solcher scheint nur auf, wenn ganz große Dinge hinter oder vor den Kulissen des Eisernen Vorhangs geschehen: so war es, als der Fluchname „Trotzkist“ aufkam, so, als das Verdammungswort „Titoist“ fiel. Das allerneueste Scheltwort vernahmen nun die erstaunten Wiener in diesen Tagen, in denen die Wiener Kommunisten zwei Wiener Arbeiter der Sabotage in einem USIA-Betrieb beschuldigten. Wahrlich, Lenin hätte es ich nicht träumen lassen — oder träumt er vielleicht doch schon von ihm in seinem steinernen Sarg, am Roten Platz in Moskau? So ganz unvorbereitet ist er ja nicht mehr, nachdem sein Todestag als Feiertag der Sowjetunion abgeschafft worden ist. Immerhin — so schnell hat er sich den Wandel wohl nicht vorgestellt: daß in seinem Reich, bereits 1951, „Leninist“ zum Schimpfwort, zum Kennzeichen eines todwürdigen Verbrechens werden würde. Wenn er es selbst nicht glauben sollte, muß er nur eine Wiener KP-Zeitung aufschlagen: da liest er es, schwarz auf weiß, und rot auf weiß: „Leninisten“ betreiben Sabotage in, sagen wir, volkseigenen Betrieben... Das sind allerdings diverse Änderungen, in diversen Zeiten. Das Diverse aber verstimmt: man will es in der roten Kirche nicht wahrhaben, daß die Zeiten sich geändert haben, seit Marx und Engels ihr Kommunistisches Manifest schrieben. Ein Fluch mehr also — den „Diversanten“. Dieses letztere Bannwort taucht zum erstenmal hochoffiziell auf, gleich neben den „unverbesserlichen Dieben, Terroristen und Mördern“ in der Antwort der „Prawda“ auf den Morrison-Artikel vom 1. August dieses Jahres. „Diversanten“, „von der Linie abweichende“ — Männer, Menschen, die anders denken, anders glauben, Christen, Trotzkisten, Titoisten, Leninisten (morgen vielleicht Maotsetungisten, Nehruisten, in Deutschland etwa Brecht-tisten, aber nein, Herr Brecht hat längst wieder zurückgefunden zur Linie). In seiner Verschwommenheit spricht dieses letzte Fluchwort „Leninisten“ eine deutlichere Sprache als so manches andere, überlaut schreiende, überlaut akzentuierende: immer größer wird die Zahl derer im Machtbereich des Eisernen Vorhangs, die „anders“ sind, anders denken. Ein, zwei, zehn Namen genügen nicht mehr für sie, sie zu fassen, also faßt man sie kurz zusammen, dieses Menschenmaterial, unter dem technischen Firmennamen: Diversanten. Ein Zeichen, wie schwierig es auch für das straffest geführte Menschenverwertungsunternehmen wird, die Menschheit in der Vielheit ihrer Erscheinungen über einen Leisten zu schlagen. *

DIE ZWEITE UND LETZTE PHASE DES MARSHALL-PLANS steht im Zeichen der beschleunigten Entwicklung der Verbrauchsgütererzeugung. Mit Nachdruck sollen dabei jene Prinzipien Anwendung finden, denen Amerika selbst zum großen Teil seine Wirtschaftsblüte verdankt: großer Umsatz bei verhältnismäßig niedrigen Gewinnen, damit verbunden Senkung der Erzeugungskosten und Erhöhung der technischen Produktivität, beides nicht zuletzt auch im Interesse der Arbeitnehmer und Verbraucher. Denn amerikanische Gewerkschaftskreise, deren Votum in Washington nicht unbeachtet geblieben ist, glauben festzustellen, daß der Segen der Marshall-Hilfe nicht überall in Europa tief genug in den Boden dringt, um auch die unteren Schichten zu befruchten. Gewiß, die Weite des amerikanischen Raumes, sein Reichtum an Rohstoffen, sein technischer Vorsprung gestatten die Anwendung mancher Mittel, die dem armen Europa unerreichbar sind. Die Grundsätze, von denen die zweite Etappe der Marshall-Hilfe getragen werden soll, sollten aber auch in der Alten Welt weitgehend beachtet werden. •

„IMMER DAVON SPRECHEN, NIE DARAN DENKEN“ — dies war in Umkehrung eines Climenceau-Wortes bisnun beiläufig das Prinzip, nach dem die Frage der Verwaltungsreform, lies: Verwaltungsvereinfachung, in Österreich behandelt wurde. Dies hat sich mit dem 5. Lohn- und Preisabkommen sinnfällig geändert. Wohl wurde damals eingehend darüber beraten und eine leidliche Lösung dafür gefunden, ob die neuen und alten Bürden des Steuerzahlers von ihm auf der linken Schulter der direkten oder auf der rechten der indirekten Abgaben getragen werden sollten. Aber über die bisher bei solchen Anlässen

in einem achtungsvollen Optativ zitierte Verwaltungsreform erfolgte kein noch so unverbindliches Versprechen. Zu. einer Initiative über die Abstellung der Behördenhypertrophie, die jene Alt- und Neuauslagen zum großen Teil bedingte, fehlte es offenbar an Initiative. — Bald werden auf den beiden wappengeschmückten Masten vor dem Parlamentsgebäude die Fahnen hochgehen, zum Zeichen dessen, daß die gesetzgebende Körperschaft zur Herbstarbeit zusammengetreten ist. Möge sie sich recht bald mit einem konkreten Plan zur Reorganisation des gesamten öffentlichen Verwaltungsapparats, zu seiner Anpassung an die geschivächten Wirtschaftkräfte

unseres Landes befassen!

ZEITUNGSINSERATE ZEIGEN DIE WIRKLICHKEIT BESSER als manche Berichte — so etwa soll es einmal Henrik Ibsen gemeint haben. Der Leser volks-

demokratischer Zeitungen hat nur wenig Möglichkeit, Ibsens Äußerung auf Stichhaltigkeit zu prüfen und doch, selbst das Fehlen des Inseratenteiles allein ist schon vielsagend. Im heutigen Ungarn gibt es nun lediglich eine einzige Zeitung, die „Magyar Nemzet“, die — um den falschen Schein einer „Bürgerlichkeit“ zu wahren — einige hundert Annoncen täglich veröffentlicht. Da kann aber der Norwege seinen späten Triumph feiern. Im Zeichen des „rapid wachsenden Wohlstandes der Bevölkerung“ — Matthias Räkosi am 25. Februar 1951 — wird zunächst einmal alles zum Verkauf angeboten. Im wahrsten Sinne alles: vom Bosch-Kühlschrank bis zur Märklin-Eisen-bahn, von der Singer-Nähmaschine bis zum Personenkraftwagen, Kaffeehausmarmortische fehlen ebensowenig wie Weekendhäuser. Weitere Wirklichkeitsbilder im Ibsenschen Sinne: „Zu verkaufen ein Grammophon mit wunderbarem Ton und englische Sprachkurse auf Platten. Leninring Nr. 15“; „Berkel-Waage und Wurstschneidemaschine zu verkaufen“. Das größte Angebot ist auf dem Möbelmarkt zu bemerken. Diese werden in allen Stilrichtungen, wie „echt Maria Theresia, Kolonial, Barock. Louis XVI., Biedermeier“, feilgeboten. Aber nicht vielleicht Einzelstücke. So etwa: „Wunderschöne Barockmöbel, Recamier, Fauteuils, Küche, Garderobeschränke, versenkbare Singer-Nähmaschine, Frigidaire, Silberwaren, Services, Bilder, Bücher, Lüster, Bettwäsche. Wäsche sowie Männer- und Frauenbekleidung zu verkaufen. Telephon 186-192.“ Aber auch bescheidenere Haushalte werden „ausverkauft“: Schlafzimmer, Eßzimmer. „Wohnung wird aufgelassen“ — heißt es immer wieder. „Schreibtisch, Bücherregale mit Büchern werden billig vergeben.“ Für die Menschen bleibt, mitten in diesem Erdrutsch, auch auf der Inseratenseite kaum Platz. „Beamten-frau übernimmt Haushaltsarbeit bei Industriearbeiter gegen Verpflegung. Am liebsten auf dem Land.“ Ahnungsvolle Einblicke in die unzähligen Tragödien, die hinter jeder Zeile sich verbegen! Es gibt dabei freilich, wenn auch sehr, sehr sporadisch, Repräsentanten der „anderen Seite“: „Weibliche Lastkraftwagenchauffeure gesucht.“ Und: „Fünfziger, Arbeitender, möchte gut aussehende, demokratisch gesinnte Frau (vollschlank) heiraten.“ Was wird noch gesucht? Von „Privaten“ nichts mehr. Sie wollen — oder müssen — anscheinend unentwegt nur verkaufen. Gesucht werden bloß von einigen staatlichen Unternehmungen, im Namen einer alles überwuchernden staatlichen Bürokratie Büromöbel, Panzerschränke, ja sogar „gebrauchte Briefordner“. Und schließlich sind noch die Hyänen da. Sie kaufen Männerkleidung sowie Wäsche, Mäntel („kann auch fehlerhaft sein!“) und Pfandscheine. Der eine will „sensationelle“, der andere „wunderbare“ Preise zahlen. „Rufen Sie, ich komme! Kaufe Ihre Möbel, Ihren aufgelösten Haushalt.“ „Wenn Sie Ihre Möbel und ihren gesamten Haushalt gut verkaufen wollen, rufen Sie Guttmann. Telephon 493-051.“ Das mißfiel allmählich auch der Obrigkeit. Vor kurzem hat man daher überall das Satzglied: „u-\d ihren gesamten Haushalt“ gestrichen. Sensit ist alles wieder gut. Es hätte noch zu Kruchten kommen können...

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