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Klimawechsel im Osten

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Die Kirche in Ländern mit atheistischer Staatsideologie („Zweite Welt“) entwickelt in den einzelnen Staaten sehr unterschiedliche Existenzformen. Von einer, JCirche im Sozialismus“ zu reden ist unmöglich. Zwar haben aUe diese Länder, imfreiwillig dem sowjetischen Beispiel folgend, mit dem Sozialismus auch eine seiner unumstößlichen Gnmdlagen, den Atheismus, zum staatlichen Gnmdprinzip erhoben. Aber aufgnmd kultureller, historischer und sozialer Unterschiede in den einzelnen sozialistischen Ländern hat der Staatsatheismus jeweils eine unterschiedliche Ausprägung erfahren.

Die offizielle Religionspolitik all dieser Länder weist ähnliche Grundzüge auf, die sich am Beispiel der sowjetischen Religions-

gesetzgebung von 1929/1975 orientieren. Kirchliches Leben soll danach auf eine Scheinexistenz reduziert werden, vielfach ist daher nur der Vollzug des, JCultus“, also des Gottesdienstes, der Messe beziehungsweise der Liturgie, erlaubt. Hingegen soll Gemeindeleben, wie wir es verstehen, unterbunden werden: religiöse Erziehung durch die Kirchen imd ihre Diener, kirchliche Bibliotheken, Kinder- und Jugendarbeit, Bibel-, Alten- imd andere karitativ-diakonische Arbeit sind (meist durch Gesetz) verboten.

Die Kontrolle und gegebenenfalls Steuerung der Kirche durch die Behörden erfolgt durch ein kompliziertes staatliches Genehmigungsverfahren, das bei der amtlichen Zulassung der Gemeinde (.Registrierung“) beginnt, über die Bestätigung (oder Ablehnung) des kirchenleitenden Laiengremiums (Kirchenpflege, Presbyterium und so weiter) und des Geistlichen bis hin zur direkten staatlichen Einflußnahme bei der Auswahl von Kandidaten für das geistliche Amt, für den Klosterdienst und bei der Besetzung von kirchenleitenden Stellen (Bischöfe) sowie bei Beschlüssen kirchenleitender Gremien reicht

In der DDR genießen die Kirchen Freiheiten, von denen sie in anderen sozialistischen Ländern nur träumen können. Die Kontrolle und Steuerung der Kirche durch den Staat ist hier eher vorsichtig, verdeckt, die Selbstkontrolle der Kirche spielt eine wichtige Rolle. Allerdings haben die vergangenen Monate eine zunehmende Verunsicherung sowohl des Staates wie auch vor allem der evangelischen Kirche gebracht. Das Modell „Kirche im Sozialismus“, wie es in DDR-kirchlichen Kreisen als beispielhaft (Bischof Schönherr) galt, wird nun eher kritisch gesehen als eine unauffällige Form kirchlicher Unterwerfung. Staatlicherseits registriert man die Entwicklung auf kirchlichem Gebiet, wie sie in der UdSSR vorexerziert wird, mit äußerstem Unbehagen und reagiert entsprechend nervös und hart auf kritische Stellungnahmen der Kirchen. Trotzdem: Was an kirchlicher Arbeit, an Kirchenbau, an kirchlicher Presse in der DDR möglich ist, davon träumen nach wie vor andere Kirchen Ost- und Südeuropas.

In Polen ist die katholische Kirche, die das kirchliche Leben prägt, eine solche Volkskraft, daß der Staat ihren unbequemen Forderungen oft genug nachgeben muß. Das tut er nicht gern und nicht ohne Widerstand - die Ermordung des Priesters Jerzy Po-pieluszko 1984 durch Polizisten mag nur als ein ernüchterndes Beispiel dienen. Die katholische Kirche in Polen tendiert dazu, über ihre nationale Rolle hineinwachsen zu wollen, was den Dau-

erkonflikt mit dem Staat nach sich zieht.

Die Rolle der anderen Kirchen in Polen ist weniger stark geprägt durch ihre Stellung zum Staat als vielmehr zur sie fast erdrückenden Nationalkirche: Um sich gegen diese zu behaupten, befleißigen sich die orthodoxen und die protestantischen Kirchen einer besonders loyalen Haltung dem Staat gegenüber, was ihre Rolle von nationalen und konfessionellen „Mini-Minoritäten“ nun noch auf das politische Feld überträgt.

In Jugoslatüien, Bulgarien und in Rumänien haben die orthodoxen Kirchen das Wohlwollen des

„Aus Rechten der Kirche macht auch Gorbatschow Gnadenakte“

Staates errungen, indem sie die Gemeinsamkeit mit dem Staat im nationalkulturellen Bereich herausstellen, dabei aber offenkundig viel an innerer Substanz und innerem Freiraum aufgeben. Die Steuerung dieser Kirchen durch den Staat scheint in Rumänien und Bulgarien besonders gravierend zu sein. In Serbien ist die jahrzehntelang kritische Lage der orthodoxen Kirche erst seit Ausbruch des Albaner-Problems im Kosovo-Gebiet, in Makedonien, Montenegro und anderswo besser geworden: Serbischer Staat und Serbische Eärche stehen gemeinsam im Kampf gegen die albanische Überfremdung im Kosovo-Gebiet, in Makedonien und in Montenegro.

Andere Konfessionen in diesen Ländern sehen sich in mehr oder weniger starkem Maße staatlichen Repressionen ausgesetzt (vor allem sind dies fast überall die römisch-katholische Kirche, die griechisch-katholische Union — sie ist meist gänzlich verboten. Evangelische, Baptisten und andere. Besonders kritisch ist die Lage - wie meist - für religiöse Minderheiten wie Reformierte

und Katholiken sowie deutsche Lutheraner in Rumänien).

In Ungarn liegen die Dinge anders. Die Kirchen - die römischkatholische, reformierte, lutherische - sind um ein konfliktfreies Verhältnis zum Staat bemüht. In der sich pluralistische gebenden Ära nach Jänos Kädär gewinnen die Kirchen einen Freiraum, dessen Grenzen noch nicht erkennbar sind. Innerkirchliche Opposition (Basisgruppen, einzelne Kirchenführer) wurde bisher von den Kirchen selbst so weit wie möglich - im Zuge der Selbstzensur — unterdrückt Auch in diesem Bereich ist nun eine Lockerung erkennbar.

Die kirchliche Situation in der UdSSR läßt sich nur schwer beurteilen. Michaü Gorbatschow hat auch auf kirchlichem Gebiet eine Umgestaltung eingeleitet - aber das Wesen dieser Neuerungen ist noch nicht deutlich. Die Tausendjahrfeiern der Russischen Kirche gaben dem Staat die Möglichkeit, die Interessengemeinschaft von

Staat und Kirche für den Erfolg der Gorbatschowschen Reformen zu demonstrieren: die orthodoxe Kirchenleitung im Kreml, Raissa Gorbatschow bei den Jubiläumsfeierlichkeiten der Kirche… Religiöse Fragen sind bei der Sowjetpresse kein Tabu mehr. Einige Gemeinden wurden vom Staat neu zugelassen, drei Klöster der Russischen Kirche zurückgegeben. Sind dies nur propagandistische Aktionen, durch die bestenfalls die bisher verschwiegenen Probleme der Kirchen zugegeben werden, oder aber ist dies der Beginn einer wirklichen Verbesserung der Lage? Das Klima zwischen Kirche und Staat jedenfalls hat sich positiv verändert.

Die scharfe Kontrolle der Kirchen, die ständige „administrative“ Verringerung des Bestandes ihrer Gemeinden (von 22.000 Gemeinden 1958 sank zum Beispiel die Zahl russisch-orthodoxer Gemeinden 1986 auf 6.800) und Klöster (1947: 104.1958:69,1986: 17

orthodoxe Klöster; katholische Orden sind ganz verboten), die Behinderung der theologischen Ausbildung, die scharfe Bedrük-kung der litauischen katholischen Kirche oder das absolute Verbot der ukrainischen katholischen (unierten) Kirche - an der Erfüllung der aus solchen Mißständen resultierenden Wünsche der Kirchen sollte die Gorbatschowsche Kirchenpoütik gemessen werden. Ein neues Religionsgesetz, seit Jahren versprochen, wurde auch 1988 nicht bekanntgegeben.

Allen Religionsgemeinschaften sind gewisse Zugeständnisse seitens des Staates gemacht worden — aber aus eigentlichen Rechten der Kirche macht auch Gorbatschow Gnadenakte, auf die die Kirchen trotz Perestrojka keinen Rechtsanspruch haben. Wenn die Kirchen Gemeinden, theologische Ausbildungsstätten, Klöster einrichten können, wo und wieviel sie wollen, wenn sie Kirchenleiter

„Die römisch-katholische Kirche ist den Machtha-bern am unbequemsten“

frei wählen und Beschlüsse frei fassen dürften - dann könnte man von einer echten „Umgestaltung“ im kirchlichen Bereich sprechen.

Einen sehr scharfen antikirchlichen Kurs steuert seit etwa 20 Jahren die Tschechoslowakei. Die zahbreichen Denominationen -katholisch, griechisch-katholisch, evangelisch, orthodox — sind in ein dichtes Netz von Bedrückung und Verfolgung eingespannt. Deutlicher als anderswo tritt in der CSSR aber zutage, daß die römisch-kathoUsche Kirche für die sozialistischen Machthaber die unbequemste Religionsgemeinschaft ist. Das Oberhaupt dieser Kirche residiert - anders als bei Orthodoxen und bei Protestanten —nicht im Lande, sondern in Rom, ist also nicht greifbar„ nicht erpreßbar wie andere Patriarchen, Metropoliten und Bischöfe. Die katholische Karche stemmt sich im allgemeinen entschiedener gegen die kirchenfeindlichen Maßnahmen sozialistischer Staaten.

Während die vielen evangelischen Kirchen in der CSSR sich eher loyal zeigen und daher keinem so starken staatlichen Druck ausgesetzt sind, ringt die römisch-katholische Kirche—unter der geistlichen Fühnmg ihres unbeugsamen Primas, Kardinal Frantisek TomaSek — um Bischofssitze und die Gewährung ihr zustehender Rechte. So sind von den 13 Diözesen in der CSSR nur noch zwei mit Diözesanbi-schöfen besetzt. Die ordentliche Besetzung der übrigen verhindert der Staat. Man muß konstatieren, daß die Lage der Katholiken in diesem Land die notvollste im gesamten Ostblock ist.

Schließlich sei auf die bekannte Tatsache verwiesen, daß Albanien sich seit 1967 als ein konsequent atheistisches Land bezeichnet, in dem jede Form von Religionsausübung untersagt ist Allerdings zeigt sich nach dem Tod Enver Hoxhas unter Ramiz Alia eine gewisse Entschärfung der Situation: Es scheint so, als werde private Ausübung der Religion nicht mehr konsequent verfolgt und als sei nur noch die Ausübung in der Öffentlichkeit verboten.

Anfang 1989 ist also in vielen sozialistischen Ländern eine Besserung der Lage der Christen festzustellen. Wie weit diese Verbes-senmg geht, bleibt abzuwarten. Einzig in der DDR und in der Tschechoslowakei ist eine Verschlechterung der Situation für die Gläubigen eingetreten.

Der Autor ist wissenschaftlicher Assistent am Institut .Glaube in der 2. Welt“ in Zürich-Zollikon.

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