6767966-1968_42_10.jpg
Digital In Arbeit

Der Anfang vom Ende

Werbung
Werbung
Werbung

Nun also war, mit einer kleinen Phasenverschiebung, im Frühjahr 1950 der letzte Rest der unierten Kirche Osteuropas, die griechisch- katholische Kirche der Ostslowakei an der Reihe. Am 28. April 1950 hatte ein Aktionsausschuß einen „Sabor“, eine Versammlung einberufen, die die „Rückkehr“ der unierten Kirche,“ ihrer Priester und GJäu- bigen zur . Orthodoxie in die Wege leiten sollte. Trotz der sofort sichtbaren Zwangsmaßnahmen wurde ein nur klägliches Ergebnis erzielt: von 311 griechisch-katholischen Priestern sprach sich nur ein Drittel, nämlich 106 für den Übertritt zur Orthodoxie aus. Zwei der’übertretenden unierten Priester wurden für ihre Haltung sofort mit der orthodoxen Bischofswürde belohnt.

Trotz dieses Abstimmungsergebnisses betrachtete der Staat die griechisch-katholische Kirche des Lahdes als aufgelöst und übergab die Domkirche in Presov sowie die Gotteshäuser und Pfarrhöfe der 241 Pfarren mit ihren rund 300.000 Gläubigen der orthodoxen Kirche, deren Zahl bis dahin zwischen 30.000 und 50.000 schwankte. Der unierte Diözesanbisdhof Gojdiö wurde, als er sich weigerte, zur orthodoxen Kirche überzutreten, verhaftet, zu lebenslänglichem Kerker verurteilt, wo er inzwischen verstarb. Ebenfalls verhaftet wurde sein Weihbischof, Titularbischof VasH Hopko, von dem es später hieß, er sei in eine Irrenanstalt gebracht worden. Zuletzt lebte er in der Verbannung in dem aufgelösten Stift Ossegg in Westböhmen und bemühte sich seit 1968 um den Wiederaufbau der unierten Kirche der Slowakei. Die unierte Diözese Presov wurde einfach in eine orthodoxe Diözese umgewandelt, so daß die orthodoxe Kirche neben der neubegründeten Diözese Michalovci zrwei Diözesen in der Slowakei hatte. Die orthodoxe Kirche verlegte schließlich ihr Priesterseminar beziehungsweise ihre orthodoxe theologische Fakultät von Prag ins neue Bistum Presov.

Die Toten leben

Dann hörte man durch 18 Jahre sehr wenig von der unierten Kirche: Daß die Eingliederung in die Orthodoxie nur zum Teil realisiert wurde; daß die unierte Kirche im Untergrund weiterlebe, daß gelegentlich in aller Heimlichkeit Messen der unierten Kirche — vielfach auf Friedhöfen — gelesen würden; daß’ schließlich die bisher unierte Bevölkerung, soweit dies möglich war, die Messen der römisch-katholischen Bevölkerung besuche.

Mitte Mai 1968 versammelten sich um den inzwischen haftenfllassenen Titularbischof Vasil Hopko 133 der einst mehr als 300 unierten Priester, mehr als man zu hoffen wagte, zu einer ersten Kleruskonferenz, um Maßnahmen zu einer Reaktivierung der unierten Kirche zu beraten. Aber schon. Wochen vorher hatten die römisch-katholischen Theologiesfti- denten des Slowakischen Priesterseminars Preßburg die Wiederzulassung der 1950 unter staatlichem Drude aufgelösten griechisch-katholischen Kirche gefordert.

Noch im April richteten ehemalige Priester der unierten Kirche ein Schreiben an das ZK der KPTsch, in dem unter Berufung auf die Verfassung der Tschechoslowakei und die Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen die Wiederzulassung der unierten Kirche gefordert wurde. Im einzelnen wurde in dem Schreiben verlangt:

Wahrheitsgemäße Information der Öffentlichkeit über die Vorgänge, die 1950 zur zwangsweisen Auflösung Der griechisch-katholischen Kirche führte;

Wiederzulassung der griechisch- katholischen Kirche, Ermöglichung der Ernennung eines Oberhirten für die griechisch-katholische Diözese Presov, gleichzeitig Überprüfung des Prozesses gegen die griechisch- katholischen Bischöfe Gojdiö (inzwischen verstorben) und Hopko; Gewissensfreiheit und Freiheit der Wahl des religiösen Bekenntnisses für alle Katholiken des orientalischen Ritus sowie Einstellung aller Behinderungen durch die Polizei; Moralische und praktische Wiedergutmachung des Unrechts. Die Priester und ihre Familien sollen in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht als gleichberechtigte Bürger behandelt werden; Ermöglicht soll der Religionsunterricht in den Schulen, die Herausgabe von Publikationen, die Wiedererrichtung religiöser Orden und Vereinigungen, schließlich die Wiedereröffnung des Seminars der griechisch-katholischen Kirche in Presov werden.

Bitter, aber drastisch, endete die Petition an das ZK: „Es and mehr als 300.000 Bürger unserer Republik, die erwarten, daß auch ihnen Recht zuteil wird, und die hoffen, daß sie die Neger, denen unsere Republik in so fester Solidarität verbunden ist, nicht um ihre Freiheit beneiden müssen.“

Die, wie ausdrücklich erklärt wurde, im „ökumenischen Geist“ begonnenen Verhandlungen brachten vorerst jedoch nur dürftige Ergebnisse, gleichzeitig aber mehr als erwartet Schwierigkeiten, ja sogar handgreifliche Differenzen. Der Staat selbst, der seinerzeit die Auflösung der unieirten Kirche veranlaßt und die Beschlagnahme der Kirchen und ihre Übergabe an die Orthodoxe Kirche durchgeführt hatte, stellte sich bewußt abseits. Mit Regierungsbeschluß vom 13. Juni 1968 wurde zwar die Wiederaufnahme der Tätigkeit der katholischen Kirche des byzantinischen Ritus gestattet; gleichzeitig wurde jedoch erklärt, daß sich die unierte Kirche wegen Rückgabe der Kirchen, Pfarrhöfe, Seminare usw. mit der Orthodoxen Kirche einigen müsse. Die Orthodoxe Kirche ihrerseits schlug den für sie günstigsten Modus, den „Status quo mit Wirkung vom 1. Jänner 1968“ vor, der natürlich für die unierte Kirche unakzeptabel war, würde dies doch bedeuten, daß die Beschlagnahme des Jahres 1950 verewigt würde und die unierte Kirche beim Kirchen-, Pfarrhof- oder Friedhofsbau von neuem beginnen müsse. Der Vorschlag, die Gotteshäuser gemeinsam zu benützen, schien in dieser Stimmung vorerst unrealisierbar.

Der Einmarsch sowjetischer Truppen hat das Problem für die unierte Kirche vorerst neuerlich verschärft, ohne daß die Orthodoxe Kirche auf die Dauer Nutznießer sein könnte.

Wie in anderen Bereichen, vor allem im politischen, hat man in der Übergangszeit auch den für die seinerzeitige Liquidierung der unierten Kirche Verantwortlichen nach seiner jetzigen Meinung befragt. Ladislav Haldos, im Jahre 1950 slowakischer Beauftragter für kirchliche Angelegenheiten, der dann das Glück hatte, selbst ein Verfolgter des Novotny-Regimes zu werden, der verhaftet wurde und schließlich im Historischen Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften Unterschlupf fand, erklärte in der Preßburger Zeitung „Lud“, daß das Vorgehen gegen die unierte Kirche im Jahre 1950 verfassungswidrig und ungesetzlich gewesen sei. Eine Wiedergutmachung des verübten Unrechtes wäre angebracht.

Hatte im Jahre 1950 die Orthodoxe Kirche noch in oportunistischer Weise versucht, jenen Boden im Handstreich zu gewinnen, den sie in jahrzehntelangem Bemühen nicht zu gewinnen vermochte, so spielte doch auch der damals noch lebendige Panslawismus am Rand mit, ver-bunden mit dem imperialistischen Streben der Sowjetunion, die hierfür auch die Orthodoxe Kirche einzuspannen wußte, die damit allerdings Nachzügler des rasch dahinsiechenden Panslawismus wurde. Für die Sowjetunion selbst mag aber eine weitere Erwägung maßgeblich gewesen zu sein: Das Unbehagen, das in jenem Teil der Ukraine in letzter Zeit unübersehbar war, der früher als Karpathen-Ukraine zur Tschechoslowakei gehört hatte. Gerade dieses Ukraine-Problem soll bei den bilateralen Gesprächen von Cierna nad Tisou ein besonders heikles Randthema gewesen sein.

Im Schatten des II. Vatikanums

Inzwischen setzte allerdings das Zweite Vatikanische Konzil und die Bestrebungen des Weltkirchenrates neue Akzente. Ganz im ökumenischen Geist ist eine Stellungnahme von in Böhmen wirkenden orthodoxen Priestern gehalten, die im Gegensatz zur orthodoxen Amits- kirche der Ostslowakei im Sommer 1968 die Katholiken des byzantinischen Ritus um Verzeihung für das ihnen von der Orthodoxen Kirche widerfahrene Unrecht bitten. „Wir bitten Euch um Verzeihung dafür“ — heißt es in der Erklärung — „daß wir damals gleichgültig und unkritisch die Nachricht von der Vereinigung mit der Orthodoxen Kirche aufgenommen haben, daß wir nichi überprüft haben, was damals geschehen war, und daß wir nicht Stellung genommen haben gegen einen Mißbrauch unserer Kirche und damit gegen die Beschmutzung ihres guten Namens.“ Schließlich drückten die orthodoxen Priester die Hoffnung aus, mit ihren griechisch-katholischen Amtsbrüdern, mit denen sie ein gemeinsames religiöses Erbe verbindet, zu einem „brüderlichen Gespräch“ zusammenzutreffen.

Ähnlich versöhnlich äußert sich übrigens auch der unierte Titularbischof Hopko. In einem Brief an die griechisch-katholischen Gläubigen dankte er für die unzähligen ermutigenden Ausdrücke der Treue, die auch die Wände der Gefängnisse durchdrungen hätten. Es werde jetzl überall anerkannt, daß der griechisch-katholischen Kirche mit ihrer aufgezwungenen Auflösung Unrecht gesehen sei und daß diese Maßnahme gegen die Verfassung, gegen die Gesetze und gegen die Menschenrechte verstoßen habe. Hopkc gab der Hoffnung Ausdruck, daß in Zukunft die unierten Gläubigen nicht mehr deswegen leiden müssen, weil sie gläubig sind und daß sie nicht länger als weniger verläßlich und weniger vaterlandistreue Bürger diskriminiert werden.“

Gewiß wird es noch einige Zeit dauern, bis wieder klare kirchlicha Verhältnisse in der Ostsiowakei herrschen; dann wird man auch sahen, ob das seinerzeitige Verhältnis von 6:1 (300.000 Katholiken des griechischen Ritus und 50.000 orthodoxe Christen) wiederhergestellt ist, oder ob es sich gewandelt hat. Die Bedeutung geht aber über diese 350.000 Menschen hinaus, die hereingezerrt wurden in die uniert-ortho- dox Auseinandersetzung, die damals eigentlich eine rein politische Auseinandersetzung war, ein Teil- kriegssohauplatz der sitalinistischen Zelt auf dem geopolitlsch so neuralgischen Zipfel der Ostslowakei.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung