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Die Kirche der Union

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Vor wenigen Wochen erfuhr die katholische Welt durch eine Erklärung der Heiligen Kongregation der orientali-chen Kirche, daß für die griechisch-unierte Kirche in Ost-galizien, der heutigen Westukraine, eine neue Zeit der Prüfung hereingebrochen ist. In seiner Antwort auf eine Mitteilung des Moskauer Rundfunks, daß die Kirche der westlichen Ukraine beschlossen habe, sich vom Vatikan loszusagen und sich der russisch-orthodoxen Kirche anzuschließen,

wies der Vatikan in der oben erwähnten Erklärung der orientalischen Kongregation darauf hin, daß vor einiger Zeit die katholischen Bischöfe dreier osteuropäischer Diözesen ihrer Freiheit beraubt worden seien. „Wir nehmen an“, so heißt es in der Erklärung Roms, „daß die .Kirche der westlichen Ukraine' die drei katholischen Diözesen Galiziens umfaßt, nämlich Lemberg, Przemysl und Stanislau.“ Der größere Teil der Geistlichen dieser Diözesen sei in eine Lage versetzt worden, in der sie ihr Priesteramt nicht ausüben könne. „Wahrscheinlich war die sogenannte Synode, die in Lemberg abgehalten wurde und sich für die Aufhebung der im Jahre 1596 erfolgten Vereinigung der ruthenischen Kirche mit der Kirche Roms entschied, nur von einigen abtrünnigen Priestern geleitet worden, von denen einer kürzlich eine Schrift gegen den Primat des römischen Papstes veröffentlicht hat.“

Dieser kirchenpolitische Konflikt, der zwischen dem Vatikan und der Welt der

russischen Orthodoxie um die griechisch-unierte Kirche ausgebrochen ist, lenkt die Aufmerksamkeit und die Gedanken der Katholiken auf das ehrwürdige Gebilde dieser seit dem Jahre 1596, der Union von Brest-Litowsk, bestehenden Glaubensgemeinschaft, die, dem östlichen Ritus und den byzantinischen Traditionen ebenso verbunden wie sie den Primat des Stuhles Petri und damit ihre Zugehörigkeit zur Welt des Katholizismus rückhaltlos anerkannte, im Laufe der 350 Jahre ihrer Geschichte manche Stürme bestanden hat und nie verzagt hat, wenn die großen Auseinandersetzungen zwischen den politischen und geistigen Mächten des Westens und des Ostens sie hinwegzuschwemmen schienen.

Die Bestrebungen, den kirchenpolitischen Riß zwischen West und Ost, zwischen dem Vatikan und dem byzantinischen Ostraum durch eine Union zu überwinden, reichen viele Jahrhunderte zurück. Vor mehr als 500 Jahren, 1439 auf dem Florentiner Konzil, schien die Einheit von West und Ost endgültig gefunden. Aber schon damals erwies sich, wie so oft in den folgenden Jahrhunderten, das Mißtrauen im russischen Osten gegen Rom als stärker denn alle Sehnsucht nach der Wiedervereinigung der getrennten Hälften. Immerhin stellt das Unionsdekret von Florenz und seine theologischen Formulierungen eine Basis dar, von der jeder künftige Unionsversuch wird ausgehen müssen. Und der formelle Erfolg von Florenz war der Ansporn der weiteren Unionsbemühungen, die wenigstens einen bleibenden Teilerfolg erzielen konnten: die 1596 zu Brest-Litowsk vollzogene Union eines großen Teiles der Ruthenen mit Rom. Der in Brest-Litowsk promulgierten Vereinigung ging im Jahre 1595 die Anerkennung des Papstes als ihres Oberhirten durch eine Abordnung der ukrainischen orthodoxen Hierarchie in Rom voraus.

Im Westen vom feudalen polnischen Nationalismus eingeengt und fast nie ihren von Polen offiziell anerkannten Gleichberechtigung entsprechend behandelt, im Osten den Anfeindungen der Orthodoxie ausgesetzt, haben die griechisch-unierten Ukrainer mannhaft in der Erfüllung ihrer Aufgabe ausgeharrt, im Osten Europas den Beweis zu. erbringen, daß Katholizismus und

Ostslawentum einander nicht ausschließen müssen. Der heilige Josaphat Kuncewytsch, Erzbischof von Polock, ließ 1623 für die Verbreitung der Union sein Leben. Aber selbst dann, wenn die Unierten mit ihren orthodox gebliebenen östlichen Nachbarn sich nicht einigen konnten, war es vielfach eine schöpferische Polemik, die durch sie zwischen dem Westen und dem byzantinischen Osten entfacht wurde. Die geistige Blüte der Ukraine im 17. Jahrhundert, die ihren Höhepunkt mit dem Kiewer Metropoliten Peter Mohyla erreichte, wäre ohne die Existenz der griechisch-unierten Kirche nicht denkbar gewesen. Sie allein zwang aus einer inneren geistigen Gesetzmäßigkeit heraus Kiew zu den großen Reformen, die in der Errichtung der Mohylanischen Akademie gipfelte. Mohyla, der von den Orthodoxen als römisch-katholischer Sym-pathiker angesehen wurde, trug sich auch folgerichtig mit dem Plan eines ukrainischen Patriarchates unter dem Protektorate des Heiligen Stuhles. Die römische Kurie aber hat immer wieder durch das Verbot für die unierten Ukrainer, zum lateinischen Ritus überzutreten, so in den Jahren 1624, 1774, 1802 und 1863, die unierte Kirche von der Polonisierung zu schützen getrachtet.

Dem zaristischen Rußland war die Existenz des Uniertentums früh ein Dorn im Auge. Katharina II. und später Nikolaus I., die beiden extrem absolutistischen Selbstherrscher auf dem russischen Thron, haben versucht, die Unierten gewaltsam in den Schoß der Orthodoxie zu führen und Nikolaus I. hat „durch die Liebe“ — dies war seine Parole — 1839 dreieinhalb Millionen Unierte mit der russischen Staatskirche vereinigt.- Es ist nicht ausgeschlossen, daß damals, vor hundert Jahren, die unierte Kirche vom Schauplatz der Geschichte verschwunden wäre — wenn es nicht einen Hort der religiösen Freiheit für die griechisch-unierte Kirche gegeben hätte: das josephinische und franziszeische Österreich. Es ist eine geschichtliche Ruhmestat des sonst oft so doktrinären Joseph IL, der unierten Kirche die Gleichberechtigung mit der lateinischen verschafft zu haben und durch die 1774 erfolgte Gründung des Bar-bareums in Wien dem griechisch-unierten Klerus die Möglichkeit geboten zu haben, sich auf eine europäische Bildungsstufe zu erheben. Es muß dabei darauf hingewiesen werden, daß gerade Joseph IL, aber auch den folgenden habsburgischen Kaisern, nichts ferner lag, als in Ostgalizien in der griechisch-unierten Kirche etwa ein rußlandfeindliches Zentrum heranzubilden. Wenn es je einen Monarchen Österreichs, einen österreichischen Staatsmann gegeben hat, der von der Notwendigkeit einer österreichischrussischen Zusammenarbeit überzeugt war, dann Joseph II. Und auch sein Neffe, Franz L, setzte diese Tradition fort. Selbstverständlich aber war für sie und das alte Österreich stets die Achtung der religiösen Freiheit und Rechte der Griechisch-Unierten, 'die denn auch im 19. Jahrhundert im Rahmen der Donaumonarchie einen gewaltigen kulturellen Aufschwang nahmen.

Eine Blütezeit der ukrainischen unierten Kirche Ostgaliziens begann dann mit der Jahrhundertwende, als 1901 Erzbischof Graf Andreas Scheptyckyj Metropolit von Lemberg Wurde. Diese gewaltige Persönlichkeit, die auch ein großer Staatsmann war, obgleich sie sich nie in die politischen Tageskämpfe mischte, dieser Kirchenfürst, der den Vergleich mit den bedeutendsten Gestalten der römischen Kirche nicht zu scheuen braucht, hat sich bis zu seinem Tode während der Endphase des furchtbaren zweiten Weltkrieges als ein Kämpfer für Recht und Glaubensfreiheit erwiesen, sich vor niemandem gebeugt; den zaristischen Würdenträgern ist er 1914 ebenso unerschrocken entgegengetreten wie später den polnischen Herren und zuletzt dem Nationalsozialismus, der gerne die griechisch-unierte Kirche für die Zwecke seines sinnlosen und uferlosen Imperialismus mißbraucht hätte. Als Graf Scheptyckyj starb, hat niemand mehr als das heutige Rußland Achtung vor dieser großen Persönlichkeit bezeugt.

FreiTieS, 3as Mißtrauen 3er Örtn“o3oxie gegen Rom und gegen die unierte Kirche hat auch ein Graf Scheptyckyj nicht beseitigen können. Seitdem Pius IX. 1847 sein Rundschreiben „In Summa Petri“ erließ, folgte eine schroffe und höhnische Ablehnung der päpstlichen Einigungsversuche durch die hohe Geistlichkeit der Ostkirche der anderen. Noch 1930 empfahl die vorbereitende Bischofskonferenz der orthodoxen Kirche, die auf dem Berge Athos zusammengetreten war, Vorsicht und Abwehr gegenüber den römisch - katholischen Unionsbestrebungen. Und gegenwärtig, nach dem Ende des großen Krieges, der zu einer mächtigen Steigerung des russischen Nationalbewußtseins geführt hat, muß eine noch stärkere Abkehr von allen Unionsgedanken im ostslawischen Raum festgestellt werden. So kann es nicht

WTinaernen*men, •wenn w?e3er emma!, w*ie so oft in den vergangenen drei Jahrhunderten, der Versuch unternommen wird, die griechisch-unierte Kirche von innen heraus und durch den gewaltigen Druck der orthodoxen Umwelt zur Untreue gegenüber dem Papsttum zu verleiten. Die geschichtliche Bedeutung und Größe der unierten Kirche ist indessen zu sehr durch leidvolle Erfahrungen erprobt, als daß ihre Existenz einfach ausgelöscht werden könnte.

Einer der größten Vertreter russischen Geistes und russischer Frömmigkeit, Wladimir Solowjow, der, wenige Jahre vor seinem Tode, am 18. Februar 1896 in der katholischen Lourdeskapelle in Moskau vor einem unierten Priester des slawischen Ritus feierlich seine Vereinigung mit Rom bekannte,

oKne 3eshalb aus 3er rassistE-orthodoxen Kirche auszutreten, ist ein Repräsentant jener Orthodoxen, die heute zurückgedrängt sind, deren Stunde aber, gemäß der Rhythmik aller historischen wie auch der kirchengeschichtlichen Entwicklung, einst wiederkehren wird, wenn die radikale rorrn feindliche Strömung, die gegenwärtig für dia Orthodoxie charakteristisch ist, ihr Ende er* reicht haben wird. Dann, wenn im Osten wieder aus einer universalen Schau das Unionsproblem wird betrachtet werden, wenn der antirömische Affekt sich gelegt haben wird, werden auch für die griechisch-unierte Kirche nach den lagen schwerer Prüfungen Zeiten kommen, in denen sie ihren ihr von Gott gesetzten Beruf wird erfüllen können, lebendige Mittlerin zu sein zwischen West und Ost aus dem Geiste der Una Sancta.

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