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Licht im Fenster

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DER KUPFERSTICH VON GEORG M. VISCHER aus dem Jahre 1675 zeigt über der „Pastey auf dem Praun“ die Doppeltürme von S. Maria Rotunda, und links davon, nur etwa halb so hoch, „S. Barbara Capell und Convict". Damals vergrößerten die Jesuiten ihr in der Nähe des Dominikanerklosters seit 1573 bestehendes Konviktsgebäude und machten die Kapelle dort zur Kirche. Nach Aufhebung des Jesuitenordens standen beide Objekte leer. Am 7. Oktober 1779 wurden sie auf Ansuchen von Doktor Josaphat Baßtasich, seines Zeichens Zensor der orientalischen Schriften in Wien, von der Kaiserin Maria Theresia der griechisch-katholischen Geistlichkeit übergeben. Davon kündet heute die in griechischer und altslawischer Sprache gehaltene Aufschrift des Portals der kleinen, schier unscheinbaren, in das Gebäude des Hauptpostamtes eingebauten Kirche Sankt Barbara: „Joseph II. und Maria Theresia, Selbstherrscher Oesterreichs, haben diese Kirche zu St. Barbara samt dem Konvikt zwecks Heranbildung des jungen Klerus orientalischen Ritus edelmütig übergeben. 1775.“ Aus dieser Zeit stammt auch die kunstvolle Ausstattung der Kirche, die in Gold prangende Bilderwand (Ikonostasis), das in Silber gelegte Evangelienbuch, ein Prozessionskreuz aus Kristallglas mit dem angeblich von Maria Antoinette handgestickten Christusbild. Nach der Errichtung der griechisch-katholischen Zentralseminare in Lemberg und Erlau, 1783, schien das Konvikt zu St. Barbara in Frage gestellt. Schließlich — nach einem Besuche des Kaisers — kam aber doch das Dekret vom 20. April 1784 heraus, das d;e Gründung der Pfarre verfügte.

IN ZEHN FOLIOBÄNDEN ist die Geschichte dieses Gemeinwesens durch die Jahrhunderte hindurch mit oft tagemäßigen Angaben zu verfolgen. Schon damals - freilich unter anderen Gesichtspunkten verstanden — war dieses bescheidene Haus ein Fenster nach dem Osten Schon damals wurde Bedacht darauf genommen, daß der zweite Priester die wallachische

(rumänische) Sprache und möglichst auch eine slawische Sprache beherrsche — neben dem Pfarrer, welcher die ruthenische und polnische Sprache meistern mußte. Schon damals war dieses kleine Haus ein Felsen in der Brandung der Zeit. Schon damals drohte Gefahr von außen — und wurde gemeistert. Der zweite Pfarrer war Zeuge des Dankgottesdienstes aus Anlaß des Waffenstillstandes 1809, bei dein die . Sänger des russischen Gesandten, Graf (später Fürst) Rasumovsky — bekannt als Violinspieler, dem Beethoven seine Streichquartette opus 59 widmete —, mitwirkten. Rasumovsky selbst war der Sohn des letzten ukrainischen Hetmans.

IN DER ÖSTERREICHISCH-UNGARISCHEN ARMEE war die Frage der Militärseelsorge des griechisch-katholischen Ritus bald darnach aktuell. Johann Fogarassy gelang es, in der Armee die ersten Feldkuraten durchzusetzen, er gab ein Gebetbuch für Soldaten des griechisch-

katholischen Ritus heraus und nimmt in der ukrainischen Literatur einen Ehrenplatz ein. Mit der Obsorge dieser Art verband sich die Arbeit des Zentralseminars, das eine wichtige Bildungsstätte für die in den griechisch-katholischen Diözesen lebenden Nationen (Ukrainer, Rumänen, Kroaten, Ungarn) wurde. Die Gottesdienste in slawischer und rumänischer Sprache übten damals auch auf die Wiener große Anziehungskraft aus, ganz abgesehen von der Neugierde der Ausländer. An gelehrten Männern war nie Mangel. Den Ruhm, das Zentralseminar weit über die Grenzen der Monarchie bekanntzumachen, hatte wohl Dr. Julian Pelesch, dessen in deutscher Sprache verfaßte „Geschichte der Union der ruthenischen Kirche mit Rom“ des dokumentarischen Materials wegen auch heute noch beachtet wird. Pelesch war übrigens Erzieher des Kronprinzen Rudolf und Mitarbeiter an dessen späteren literarischen Werken.

VERTREIBUNG, FLUCHT, ELEND standen bereits im Verlaufe des ersten Weltkrieges über der ukrainischen Kolonie. Die ruthenischen

Grenzgebiete wurden als erste vom Stoße der zaristischen Armeen erfaßt. Das Wort „Ukraine" heißt auf Deutsch „Grenzland", und Grenze ist Schicksal — gestern, heute und morgen. Damals mochten etwa in der Monarchie und in Rußland zusammen 40 Millionen Ukrainer gelebt ifoib'tn. "Was ließen Not, Krankheit und Verfolgung übrig? Allein im k. k. Barackenlager Gmünd sind in drei Jahren des ersten Weltkrieges 13.000 Todesfälle zu verzeichnen gewesen. In der kleinen St.-Barbara-Kirche wurden zu jener Zeit täglich 60 Messen gelesen. Kurz war die Sorge um den von den Russen damals verschleppten Lemberger Metropoliten Scheptyckyi, kurž die Entspannung durch die unter dem Schutze der Verbündeten gegründete selbständige Ukraine. Bei der Neuordnung der osteuropäischen Verhältnisse kam dann das zum Teil von Ukrainern bewohnte Galizien an Polen. Bis zum, letzten hatten die Ukrainer der Monarchie die Treue gehalten — anders als so manche andere Nationalitäten des alten Reiches, das von Bodenbach bis Cattaro, vom Rhein bis zum Zbrucz gereicht hatte. Und nun, nach dem bitteren Ende, kamen die Ruthenen nach Wien, der einst glänzenden Metropole, die von Hunger und revolutionären Wirren geschüttelt wurde.

DAMALS BEHERBERGTE WIEN - wie auch andere Gruppen nationaler Bestrebungen der einstigen Kronländer — sehr aktive ukrainische Gruppen. Das war aber nicht das wesentliche Erbe, die Mitgabe. Diese stellte 1916 die Ueber- führung des heiligen Unionsmärtyrers Josaphat Kunzewytsch dar. Die Reliquien wurden in Biala während des Krieges, auf russischem Gebiet, aufgefunden und zu St. Barbara beigesetzt. Merkwürdig, daß nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wieder Russen auf dem Schauplatz — freilich in Wien — erschienen und, neben anderen Dingen, auch die Gebeine des Heiligen suchten ... In der Zeit nach 1918 war es die sehr aktive Studentenschaft an der Wiener Universität, viele davon, denen aus politischen Gründen ein Studium in Polen nicht möglich war, welche kulturell und karitativ wirkte. 1923 fanden die Feierlichkeiten anläßlich des Josaphatjubiläums statt, der Reliquienschrein wurde nach St. Stephan übertragen. Damals war bereits Dr. Myron Horny- kewitsch, der frühere Domkurat von Lemberg, tätig, der am 1. November 1957 in den Ruhestand ging. Dr. Hornykewitsch, dem wir in dem winzigen Zimmer der Pfarrei in der Riemergasse nun gegenübersitzen, wußte sehr viel zu erzählen aus den Tagep des endenden zweiten Weltkiieges. Dann und wann spricht er einige Minuten, um plötzlich, von der Erinnerung überwältigt, zu verstummen. Er sitzt dann mit gesenktem Kopf da, streicht den langen, weißen

Bart — und es ist, als zöge vor seinem inneren Auge mit dem eigenen Leidensweg, den er recht gering schätzt (schon zur Zarenzeit wurde er einmal eingesperrt), auch der unabsehbare Schmerzensweg des ukrainischen Volkes vorbei. Da tauchen die politischen Hungersnöte ' des Iah res I9?2 auf, da stehen die Monate -Weder da, als nach 1941 mit 100.000 Flüchtlingen auch später 20.000 Zwangsarbeiter in Wien hausen mußten. In diese, 1945 noch mehr mit Flüchtlingen besetzte Stadt, in dieses Oesterreich zog, wie 1918, abermals die Sehnsucht der Ukrainer.

„WIEN, WIEN, NUR DU ALLEIN" - so mischt sich P. Dr. Wladimir Gavlich OSBM ins Gespräch — „ist ein Gassenlied; man mag es in den Heurigenschenken noch singen ... Uns Ukrainern ist Wien wie vor vierzig Jahren ein geistiges Symbol, ein Licht . . . Wenn Sie wollen, ein Licht, das in einem kleinen Fenster steht und nach Osten hinausleuchtet in die Nacht ... Wenn nur dieses Licht nicht verlischt, das dachten wir alle nach 1945, und sind nun glücklich, daß es heller strahlt als je seit 1918. Wien mag voreinst den großen Verbindungsknoten zwischen Nord und Süd. West und Ost gebildet haben, noch früher, das wissen wir. war es das Herz eines übernationalen Reiches — heute aber, das glaube ich, ist es das Fenster nach Osten. Achten wir wohl darauf, daß es weder der Sturmwind zuwirft noch daß es Unbesonnenheit von innen her kurzsichtig verschließt. St. Barbara mag mit in diesem Licht sein.“

Wir fragen Dr. Gavlich. der nun nach Doktor Hornykewitsch die Pfarre leiten wird, nach der weiteren Zukunft und den Plänen der Gemeinde.

„Wien — das heißt unsere Pfarre — verzeichnet jetzt rund 600 Landsleute. Sie müssen aber bedenken, daß heute — auch nach dem Aufhören der Besetzung — die Angst groß ist, sich zu melden. Während der Besetzung hat es sich ja wiederholt ereignet, daß unsere Landsleute aus der Wohnung, von der Straße, vom Kirchentor weg verschleppt wurden. Der Schock wirkt noch immer nach. Viele Menschen sind einfach untergetaucht. Wir haben in der Mehrzahl eben zu rasch vergessen, die Verfolgten aber zittern noch heute um ihre Freiheit. Wer will es leugnen, daß es in Wien ausländische Agenten gibt, die auf Menschenjagd aus sind?“

„Gauben Sie an eine Beruhigung?“

„Ja, sie muß aber von innen, vom Geistigen her kommen, damit das Licht leuchte ... damit das Fenster offen bleibe ..

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