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Erinnerung und Zukunft

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„KÖNNTE ICH PATER GIULIANI SPRECHEN? „Steht vor Ihnen, sagt der kleine freundlich lächelnde Herr im schwarzen Habit der Minoriten und zieht den Besucher in sein helles Zimmer an der Südostecke der Minoritenkirche, mit dein Blick auf das Bundeskanzleramt und das niederösterreichische Landhaus. Im Zimmer ist eine Reihe junger Burschen damit beschäftigt, den Pater bei verschiedenen Arbeiten zu unterstützen. Wenn das Telephon läutet, wird in den Hörer kein wienerisches „Hallo!, sondern ein italienisches „Pronto! gerufen.

Pater Giovanni Giuliani ist nun schon acht Jahre Rektor der Minori-tenkirche in Wien. Eigentlich war diese immer schon italienische Kirche, meint P. Giuliani, denn die ersten Minoriten kamen 1224 noch zu Lebzeiten des heiligen Franziskus aus Italien nach Wien. Ursprünglich sollte die Kirche eine österreichische Westminsterabtei werden; eine Reihe von Grabsteinen und Epitaphien zeugt noch aus dieser Zeit.

1784 pochten die kaiserlichen Kommissare Josephs II. auch an das Tor des Klosters der Minoriten, und die in den vorangegangenen Jahren ohnedies schon stark dezimierte Schar der Patres zog in das aufgelassene Weißspanierkloster in der Alservorstadt gegenüber dem Allgemeinen Krankenhaus. Nun wurde die ehemalige Minoritenkirche der „italienischen Nation übergeben. Seither ist die Kirche also im eigentlichen Sinn italienische Nationalkirche.

HEUTE BETREUT P. GIULIANI gemeinsam mit einem Bruder die iwölfhundertköpfige Gemeinde der Italiener in Wien: zum großen Teil Angestellte italienischer Firmen in Wien mit ihren Familien.

Für diese Gemeinde liest Pater Giuliani jeden Sonntag in der Kirche eine heilige Messe mit einer Predigt in italienischer Sprache, zu der im Durchschnitt etwa zweihundert Italiener kommen. Einmal im Monat sind es allerdings bis zu fünfhundert — wenn ein Fest aus der italienischen Tradition gefeiert wird. Mit dem Gottesdienst ist aber für den Pater der Sonntag noch nicht zu Ende. Denn dann wartet schon eine große Zahl von Kindern im Filmsaal auf den katechetischen Unterricht.

Derzeit ist der Stolz des Rektors die eben abgeschlossene Renovierung der Kirche. Frische weiße Wände leuchten dem Besucher entgegen, und im Langhaus wurde eine Reihe alter Wappenfresken freigelegt. Eine Neuerwerbung — und doch schon alter Besitz der Kirche: eine gotische Madonna, die viele Jahre in Sankt Stephan gestanden ist und nun an ihren alten Platz zurückkehrte. Viel Geld hat die Renovierung gekostet, so daß außer dem Beitrag des Bun-desdenkmalamtes die Spenden einiger großer italienischer Firmen schon sehr zustatten gekommen sind.

Ob der Pater Wünsche hat? — Im gi-oßen und ganzen ist er zufrieden, nur eines mochte er noch erreichen — die Kirche über ihre Aufgabe als Nationalkirche hinaus neben der Hofburgkapelle zu einem Zentrum der Wiener Kirchenmusik werden zu lassen. Ansatzpunkte dazu sind schon da — in dem am Ende des 18. Jahrhunderts zum Wohnhaus umgewandelten Teil der Kirche ist der Sitz der Musikervereinigung „Musica antiqua, die einige der musikalischen Darbietungen tragen wird.

FAST JEDER REISEFÜHRER DURCH WIEN bezeichnet Sankt Anna in der Annagasse im 1. Bezirk als die Kirche der Franzosen in Wien. Der Provinzial der Oblaten des heiligen Franz von Sales, die die Kirche 1897 übernahmen, versichert aber, daß hier zwar französischer Gottesdienst mit französischer Predigt gehalten wird, aber Nationalkirche war St. Anna nie.

Wie kam aber dann die Kirche zu dem Ruf, französische Nationalkirche zu sein? Ab 1629 gehörten die Kirche und das dazugehörige Kloster den Jesuiten, die hier ihr Noviziat einrichteten. Mit der Auflösung des Ordens 1773 wurde zwar auch das Noviziat aufgelöst, ein früherer Jesuitenpater blieb jedoch noch als Kirchenrektor in St. Anna. Sein Nachfolger aber war zugleich Rektor der Hofburgkapelle. Nun bestand noch aus den Tagen der Kaiserin Maria Theresia eine Stiftung an der Hofburgkapelle, daß an Sonntagen für die Angestellten des Hofes eine Messe mit französischer Predigt zu halten sei. Diese Stiftung der Hofburgkapelle verlegte nun der neue Kirchenrektor an die Kirche Sankt Anna, so daß es seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in St. Anna französischen Gottesdienst gibt.

Wie viele Franzosen heute noch in die französische Messe kommen, läßt sich schwer feststellen, weil auch viele Österreicher diese Messe besuchen. Im Krieg noch, als viele französische Fremdarbeiter hier in Wien waren, war die Abendmesse überfüllt, und selbst nach dem Krieg bestanden gute Kontakte zur französischen Botschaft und zum französischen Hochkommissar. Inzwischen aber ist die Schar kleiner geworden ...

WENN DIE POLNISCHEN BISCHÖFE NACH ROM zum Konzil reisen und in Wien Rast machen, dann können nur wenige in jenem kleinen Kloster, das an die Garde-fcirche am Rennweg angebaut ist, übernachten. Zu klein ist das Haus und zu dürftig sind die Möglichkeiten, daß die Resurrektionistenpatres hier viele Gäste beherbergen könnten.

1782 wurde die frühere Spitalskirche der polnischen Leibgarde übertragen und wurde seither im Volksmund als polnische Kirche bezeichnet. Aber schon 1791 wurde die polnische Leibgarde aufgelöst. 1896 trat der Polenklub des Reichsrates an Kaiser Franz Joseph heran und ersuchte ihn abermals, die Kirche der polnischen Nation abzutreten, was dann auch 1897 geschah.

Aus der Zeit der Monarchie stammt auch noch der größte Teil der heute in Wien lebenden polnischen Gemeinde, von der etwa hundert, an hohen Festen etwa dreihundert, meist alte Leute, zum Gottesdienst kommen. Auch die meisten Patres sind schon sehr alt. so steht der seelsorglichen Arbeit hier in Wien ein doppeltes Hindernis entgegen: einerseits fehlen junge Priester, anderseits fehlt das Element der Jugend in der zu betreuenden Gemeinde. „Mit Pensionisten können wir nur sehr wenig anfangen, meint Pater Herold, der einzige junge Priester an der Kirche. Dabei hat der Orden in Polen guten Nachwuchs, es ist nur sehr schwer, für Priester von der polnischen Regierung die Ausreisegenehmigung zu bekommen.

Jetzt haben die Patres alle Hände voll zu tun, die im nächsten Jahr stattfindenden Feiern zum tausendjährigen Jubiläum der Christianisierung Polens vorzubereiten. . Die Kirche wird renoviert, und man denkt auch an die Modernisierung des Klosters, vielleicht kommen doch wieder einmal mehr Polen nach Wien...

NUR DER GÜTE des heiligen Klemens Maria Hofbauer hatten es die Tschechen in Wien zu verdanken, daß sie am Beginn des vorigen Jahrhunderts in Wien auch eine „Nationalkirche erhielten. Damals hatte nämlich Kaiser Franz I. die alte Kirche Maria am Gestade dem,heiligen Klemens und den Redemptori-sten übergeben. Sowohl der Kaiser selbst als auch die tschechischen Landstände hatten die Errichtung der Kirche als Nationalkirche im Sinn gehabt, aber als es ans Zahlen ging, wollte niemand die Bürde auf sich nehmen. So erbot sich der heilige Klemens, für seine tschechischen Landsleute an der ihm übertragenen Kirche Messen mit tschechischer Predigt lesen zu lassen.

Vor 1914, so erinnert sich mancher Pater, mußte man schon eine Stunde früher kommen, um überhaupt noch Platz zu finden, aber heute sind immer nur einige alte Leute da. Wie bei den Polen...

So reduziert sich also zuweilen der klingende Name Nationalkirche auf den bloßen Bestand einer heiligen Messe mit sonntäglicher Predigt in einer fremden Sprache. Dieses Schicksal teilen auch die Ungarn, die in der Ursulinenkircfee in der Johan-nesgaase auch nur ihre Gottesdienste feiern, wie ein einsames Schild an der Kirchentür in ungarischer Sprache verkündet. Die Kroaten haben auch keine eigene Kirche, ihre Gottesdienste feiern sie in der Peterskirche.

WIEN — SCHON OFT als das Fenster zum Osten bezeichnet — ist dieses Fenster nicht nur im kulturellen und politischen, sondern auch im liturgischen Bereich. Seit 1775 feiert die griechisch-katholische Gemeinde in St. Barbara hier in Wien ihre Liturgie im uralten byzantinischen Ritus. Seelsorger dieser Gemeinde ist derzeit P. Benedikt, der Basilia-nermönch ist und aus den Vereinigten Staaten nach Wien gekommen ist. Sein Pfarrgebiet umfaßt ganz Österreich.

Aus welchen Nationalitäten sich seine Gemeinde zusammensetzt? Hauptsächlich sind es Ukrainer, aber auch Polen und Rumänen sind darunter, wobei bemerkenswert ist, daß hier zwischen Wien und den Bundesländern geschieden werden muß. Denn die Wiener unter seiner Gemeinde sind fast alle noch in der Zeit der Monarchie nach Wien gekommen, während in den Bundesländern eine Reihe von Emigranten lebt, die im Zuge der Kriegsereignisse im zweiten Weltkrieg nach Wien kamen und nicht mehr zurückkehrten.

Zum feierlichen Hochamt, das jeden Sonntag in St. Barbara gefeiert wird, kommen aber nicht nur die Gemeindekinder P. Benedikts, sondern auch eine große Anzahl von Wienern — freilich viele nur des berühmten Chores von St. Barbara Wegen, aber doch auch eine große Anzahl aus echten religiösen Motiven, um einmal in jener uns fremden Form den Gottesdienst zu feiern.Von seinem Pfarramt in der Riemergasse aus leitet P. Benedikt auch die Kirchengemeinschaft von Sankt Barbara, die die aktiveren Mitglieder seiner Gemeinde umfaßt und eine Reihe von sozialen Diensten leistet, aber auch kulturelle Veranstaltungen trägt und auf deren Initiative auch der Chor zurückgeht. Die Sargen, che der Pater hat, sind mehr finanzieller Natur auch St. Barbara muß renoviert werden, und kirchliche und öffentliche Stellen gehen sehr sparsam mit den Geldern um, so hofft man auch auf andere Hilfe, denn die „allgemeine Haltung uns gegenüber ist gut, und schließlich ist man ja in Wien schon zu Hause.

NUN VERLASSEN WIR noch einmal den ersten Bezirk und wenden uns nach Westen in Richtung Neustiftgasse, wo sich das Kloster und die Kirche der Mediitaristen befinden. Auch sie haben eine altösterreichische Vergangenheit, und fast alle Patres strahlen in ihrem Äußeren und ihrem Gehaben auch noch den Geist der Monarchie aus. Als Armenier kamen säe von Konstantinopel nach Venedig und von dort nach Triest, bis auch sie Kaiser Franz I. 1810 nach Wien holte.

Sie alle leben noch in den Erinnerungen an die Monarchie — der Pater Prior zum Beispiel kam 1912, damals noch mit einem zaristischen Reisepaß, aus dem Kaukasus nach Wien: „Damals hatten wir auch noch mehr Unterstützung als heute; heute ist es mehr eine moralische Unterstützung als eine spürbare finanzielle! Aber trotz der überall im Kloster gegenwärtigen Vergangenheit haben die Mechitaristen nicht den Anschluß an die Zukunft verloren! So haben sie hier in Wien ein Knabenseminar und eine Schule in Beirut, die ganz dem Mutterhaus in Wien unterstellt ist.

Wo liegt übrigens der Hauptakzent der Arbeit in Wien? Armenische Philologie, Übersetzungen und vor allem die Druckerei! Dieses wissenschaftliche Aufgabenfeld und der ständige Kontakt mit den jungen Zöglingen lassen die Patres auch jung bleiben in ihren Herzen und ihre neue Heimat Wien lieben!

NATIONALKIRCHE — EIN WORT, leicht hingeschrieben in einen Reiseführer, aber was dahinter alles verborgen ist: eine festgefügte Gemeinde mit großen Plänen für die Zukunft; ein paar alte Leute, die in ihren Träumen vergangenen Zeiten nachhängen; eine prachtvolle Kirche, einst Klammer zur Heimat in der Fremde; ärmliche Verhältnisse, aber ein guter Seelsorger, der alle seine „Kinder kennt; Museum und neuer Beginn...

Wenn man hinwegblickt über die Kirchen und Klöster, die man gerade besucht hat — über die ganze Stadt hinweg —, dann ersteht aus dem Schicksal dieser Kirchen das Schicksal dieser Stadt — Erinnerung und Zukunft

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