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Leppicn des 15. Jahrnunderts

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Eine Kanzel an der Ostwand des Stephansdomes. Aus Stein, lieber der Kanzel, im herrlichsten Barock, die Gloriole eines Mönchs: auf seiner Brust das Kreuzfahrerzeichen, die Kreuzfahrerfahne in der Hand, ein gefallener Türke unter seinen Füßen. Seltsam: die Menschen erinnern sich fast immer nur der unbedeutendsten Erlebnisse in ihrem und in anderen Leben. So auch hier. Vom ganzen Leben dieses lohannes von Capestrano, der hier auf dieser Kanzel in Wien vor 500 Jahren predigte und den dieses barocke Standbild über der Kanzel verherrlicht, ist fast nur eine kleine Episode aus seinem Leben bekanntgeblieben, eine ganz zufällige Episode, der Ueberfall auf das türkische Heer vor Belgrad. Daß er einer der Menschen ist, die in seinem Jahrhundert das Antlitz der Welt erneuerten, das ist fast ganz vergessen. Auch das Antlitz Oesterreichs. Was nicht vielen gelingt.

Er stammte aus einer halb feudalen, halb bürgerlichen Welt Mittelitaliens, dieser Johannes von Capestrano. In Perugia, der besten Jus-fakultät neben Bologna und Padua, studierte er die Rechte. Wurde bald ein bedeutender Jurist im Königreich Neapel, ein hoher Beamter: Statthalter des Königs in Perugia. Als Beamter war er höchst gerecht, sogar unbestechlich. Ansonst war er ein Beau, der unendlich viel Zeit auf die Pflege seiner Haare verwendete, damit sie immer schön fielen. Ein Galan, der herrlich tanzte und auf den Parties den Frauen die Köpfe verdrehte. Lustig, von Frömmigkeit kaum beschwert, rachsüchtig gegen seine Feinde, mit einem Wort: ein junger Mann aus guter Familie, der die beste Karriere vor sich hatte. Eines Tages erlebte er sein Damaskus: von den Feinden des Königs gefangengesetzt, beschließt er im Gefängnis, nach seiner Freilassung auf alles zu verzichten, auf jede Karriere, jedes Eigentum, Franziskaner zu werden. Franziskaner der strengen Richtung.

141? tritt er — kurz nach seiner Freilassung — ins Kloster Monteripido bei Perugia ein. Das Kloster gehört zur sogenannten Franziskaner-Observanz. Nur die Jesuiten und die Kartäuser haben in ihrer langen Geschichte nie einer Reform bedurft. Aber sonst alle anderen Orden. Immer wieder kamen Zeiten der Laxheit, immer wieder aber traten Reformators auf und gründeten entweder neue reformierte Orden — so sind die Zisterzienser reformierte Benediktiner — oder führten die Orden auf das ursprüngliche Ideal zurück. Wie bei den Franziskanern die Observanz, die das braune Ordenskleid trägt.

Im Jahre 1417, ein Jahr nach der Ablegung der Gelübde, sandten die Obern Capestrano in die Welt. Keinen Beau mehr, der die Haare mit Goldfäden durchzogen trug und sich parfümierte, sondern einen kleinen hageren Mann, in grober Kutte, mit geschorenem Kopf. Nur das Feuer der Augen war das gleiche geblieben. Jahre und Jahrzehnte wanderte er von nun an durch die Welt. Durch Italien, Frankreich, Deutschland, Burgund, Oesterreich, Böhmen, Ungarn, Sieben-• bürgen, Polen, Spanien. Bis ins Heilige Land verschlägt es ihn. Jahraus, jahrein predigt er. Ununterbrochen, stundenlang. Bis zu sechs Stunden in einem Zug. Die Leute werden von ihm fasziniert, .Zehntausende hören ihm zu. Man stelle es sich vor. Damals. Ohne Radio, hören. Stundenlang harrten sie aus. Außerhalb Italiens sprach er lateinisch. Ließ seine Predigten übersetzen. Innerhalb kurzer Zeit hatte er einmal 44 Dolmetscher verbraucht. Er selbst war von eiserner Gesundheit. Ging fast immer zu Fuß, war selten zu Pferd. Oft hat er in einem Sack auf dem Rücken ein paar Bücher oder ein Maultier mit einer halben Bibliothek bepackt. Neben seinen Predigten schrieb er noch Briefe; tausende davon sind erhalten, in einer zarten, feinen Schrift. Alle hat er selbst geschrieben.

1450 reiste der Sekretär des Habsburgers Friedrich III., Eneo Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius I., nach Italien. Erkennt mit Staunen die Veränderung. Hört überall den Namen Capestrano. Schreibt sofort Friedrich III., er möge sich diesen Prediger vom Papst erbitten. Wohl auch mit dem Hintergedanken, er möchte auch in den österreichischen Franziskanerklöstern die Reform einführen und zwischen den Zweigen des Hauses Oesterreich, die sich seit Jahren in den Haaren liegen, Frieden stiften. Ein paar Monate später ist Capestrano schon in Oesterreich. Reist in einem Triumphzug über Villach, Gurk, Judenburg, Wiener Neustadt nach Wien. Predigt hier zwei Monate. Auf jener Kanzel vor St. Stephan. Predigt täglich. Gründet, wie erwartet, ein Franziskanerkloster der strengen Richtung.

Dann will er nach Böhmen weiterwandern. Jenem Böhmen, das seit Jahrzehnten von Hus-sitenstürmen heimgesucht ist. Will es zur Kirche zurückführen. Kommt über die Ränder Böhmens nie hinaus, obwohl er es von allen Seiten versucht. Predigt dafür in den Böhmen benachbarten Gebieten: Sachsen, Thüringen, der Lausitz, Schlesien. In allen jenen Gebieten, wo Jahrzehnte später die Reformation um sich greifen wird. Die Klöster, die er überall gründete, hielten in der Reformation stand, keines löste sich freiwillig auf. Diese Franziskaner, sagte einmal Luther, seien seine gefährlichsten Gegner.

Dann kam das Ende. Piccolomini, der Sekretär, ruft ihn nach Ungarn. 1453 war Konstantinopel gefallen. Jetzt, ein paar Jahre später, stand der Türke schon vor Ungarn. Vor Belgrad. Der alte Mann wanderte nach Ungarn. Wanderte durch ganz Ungarn. Predigte. Zum erstenmal nicht den Frieden, sondern das Kreuz. Gegen die Türken. Was der Hof nicht zuwegebrachte, was die Barone nicht zuwegebrachten, dem Mönch gelang es: die Sammlung eines großen Heeres. Er führte es nach Belgrad, das schon eingeschlossen war. Entsetzte es gegen den Willen des ungarischen Oberbefehlshabers, wenigstens von einer Seite, führte sein Heer hinein. Harrte aus, blieb fest, als der ungarische Oberbefehlshaber neuerlich wegen der Ueber-legenheit der Türken kapitulieren wollte. Harrte aus, als die Türken stürmten und bereits die halbe Stadt in den Händen hielten. Die verzweifelte Gegenwehr brachte den Angriff schließlich zum Stehen, zwang die Türken zum Rückzug. Am nächsten Tag schon begannen sie das Lager abzubrechen. An diesem Tag geschah die kaum erwähnenswerte Episode: ein paar Christen überfielen eine türkische Abteilung, diese flieht, andere Christen kommen herzu, der Oberbefehlshaber verbietet eine Weitertragung des Angriffs, die Soldaten lassen sich nichts sagen, Capestrano will ebenfalls Einhalt gebieten, erreicht nichts, da geht er mit, trägt den Angriff weit vor. Mit einer Fahne in der Hand. Wie es das Monument auf der Wiener Kanzel zeigt. Das halbe türkische Lager wird erobert. Die Nacht verhindert eine weitere Niederlage der Türken.

Die Leichen verwesen rasch in der sommerlichen Glut. Die Seuchen springen auf. Menschen fangen an, wie Fliegen dahinzusterben. Schließlich frißt sich die Seuche auch in den Körper Capestranos, der bisher allen Strapazen widerstand. Man bringt ihn noch auf ein kleines slawonisches Gut, Ilok mit Namen, dort stirbt er und wird begraben. Man schrieb den 23. Oktober 1456. Jahrzehnte später erobern die Türken den Ort. Von seinen Gebeinen wird seither nichts mehr gefunden.

Geblieben sind seine Briefe. Ein Paar Sandalen und eine Stola im Wiener Franziskanerkloster. Geblieben ist die Kanzel am Dom von St. Stephan. Als Zeichen, daß nichts hoffnungslos ist im Leben des Christen und er immer dazu beitragen könnte, die Welt zu verändern.

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