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Eichendorff in Wien

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Als die beiden Brüder Josef und Wilhelm von Eichendorff im Oktober 1810 im kaiserlichen Wien eintrafen, kamen sie eigentlich nur, um die Universität zu besuchen. Sie hatten ein Gesuch an die hochlöbliche Studien-Hof-Kommission gerichtet, als „geborene preußische Untertanen“ ihre juridischen Studien, die sie fünf Jahre lang in Halle und Heidelberg betrieben hatten, hier fortsetzen und sich dadurch österreichische Zeugnisse erwerben zu dürfen. Ihr letztes Ziel war eine Staatsanstellung in der Monarchie, was ihnen nicht bloß aus äußeren Gründen als schönster Beruf vorschwebte.

Das Ansuchen war bewilligt worden, und so bezogen die beiden jungen Barone — Josef war 22 Jahre alt, Wilhelm um etwa eineinhalb Jahre älter — im Hause eines Freundes, des Grafen Franz Josef Wilczek, Quartier. Der Hausherr war k. k. Kämmerer und bei Hofe angesehen. Er stammte mütterlicherseits von dem berühmten Obersten Saint-Hilaire ab, der durch seine Reiterattacke den Kaiser Ferdinand II. vor den stürmischen Forderungen der Aufrührer in letzter Stunde gerettet hatte. In seinem Palais, das an der Stelle des Hauses Herrengasse 4 stand, erhielten die Brüder eine ganze Wohnung. Josef richtete sein Zimmer sogleich auf eigene Weise ein: er stellte Käfige mit Zaunkönigen auf und ließ auch eine Schlange bei sich wohnen, die er schließlich so lieb gewann, daß er sie auf Spaziergängen in der Brusttasche mit sich herumtrug.

Es war die Zeit vor dem Wiener Kongreß, da die Stadt eine Verklärung ihrer Schönheit erlebte: niemals wieder erschien sie so gleichsam getaucht in Musik. Sie stand damals unmittelbar vor der Technisierung, vor dem großen Abbruch des Alten, seit Jahrhunderten Gewachsenen, und diese herbstliche Reife verlieh ihr den unendlichen Zauber. De Basteimauern, die wenige Jahrzehnte später für immer fallen sollten, mit der Vielfalt der edlen, kostbaren Tore, erfuhren damals ihre Vollendung. Von ihnen aus genoß man auf den mit Alleebäumen bepflanzten Wegen freundliche Ausblicke auf Fronten von altbraunen Ziegeldächern und winkelige Gassen, auf die immer belebten Glacis, die Vororte und Hügel des Wienerwaldes, und schließlich gelangte man zu Anlagen mit Bänken, wie auf der Burgbastei oder im Paradiesgärtchen, wo man in anmutig gebauten Pavillons oder unter buntgestreiften, zeltartigen Dächern saß und Eis löffelte oder Kaffee trank. Die elegante Welt traf sich dort an Mittagen und Abenden, und so war dies auch ein Hauptanziehungspunkt der beiden Brüder, die von der Kleinstadt Heidelberg kamen und nach solchem Leben verlangten.

„Abends auf der Bastey, wo Rosa heute sehr schön“, heißt es einmal im Tagebuch Josefs, und weiter vom 20. Oktober 1811: „Als am Sonntage ging ich nach zwölf Uhr mittags auch wieder einmal auf die Bastey, wo jetzt wieder alles wie im Frühjahr in geputzter eitler Seeligkeit durcheinanderzog.“

Der Besuch der beiden schlesischen Barone interessierte natürlich die jungen Damen der Gesellschaft und bot Anlaß zu Einladungen, Fahrten, Ausflügen. Josef war schlank und mittelgroß, das braune Haar hing ihm bis auf die Schulter, seine blauen Augen hatten die Verträumtheit des romantischen Dichters und doch etwas Starkes, das Gesicht zeigte trotz der Jugend entschiedene Züge. Ein naiver Ernst unterschied ihn von dem leichteren, zu Abenteuern immer geneigten Bruder.

Wenn sie lang genug über römischem Recht und Statistik gesessen waren, kam der Spaziergai|g an die Reihe, der sie auf die Wälle oder vor die Tore führte. „Abends, nach halb acht Uhr zum ersten

Male mit Wilhelm allein zum Stubenthor hinaus, Birnen gekauft und einsamer Spaziergang über die Glacis durch die schöne unendliche Allee mit den herrlichen Aussichten auf den Stephansturm und die Vorstädte mit ihren Palästen“, schreibt Josef am 8. Juli 1811 ins Tagebuch. „Auf dem Rasen der Glacis legten wir uns dem Schwarzenbergschen Palais gegenüber (also an der Stelle des heutigen Platzes) und lagen dort, bis es finster wurde.“ Ein anderes Mal wandern sie in der Richtung der Landstraße gegen das Gebiet des reichsten Mannes von Wien, des russischen Botschafters und Mäzens von Beethoven, des Fürsten Rasumowsky, dessen Palais inmitten einer englischen Parklandschaft steht. Und sie sehen dort dem langsamen Abendwerden zu, über dem „herrlichen Kreis der Vorstädte“.

Durch den Grafen und ihren Freund Friedrich von Schlegel. erhalten sie Zutritt zum Hof. Beim Besuch eines kranken Aristokraten begegnen sie dem Erzherzog Karl, dem Sieger von Jfcpern, den Eichendorff als „kleines, lebhaftes Männchen“ beschreibt, „österreichische: Sprechen, durchaus freunclschaftliches, ächtdeutsches, herrliches Wesen“. Und er fügt hinzu: „Er zog auch uns beide mit in sein Gespräch.“ Auch von einem Ball ist die Rede, wo Kaiser Franz und Gemahlin mit den Erzherzogen erschienen, „in langem Zuge durch ein dichtes grüßendes Spalier wandelnd“.

Von den Wiener Theatern findet nicht das alte Burgtheater, auch nicht das Kärntnerthortheater ihren größten Beifall, wo damals die neueste Musik zu hören war, sondern das — „Kasperl“, wie Eichendorff das Leopoldstädter Theater nennt. Der Grund seiner geradezu leidenschaftlichen Zuneigung ist allerdings begreiflich. Er liebt das Volk, wie es ist, und so sucht er immer wieder das kleine niedrige Haus in der Jägerzeile auf, dessen griechisches Giebelfeld den kaiserlichen Adler trägt. Wer vom Herzen lachen und, davon richtig erquickt, weggehen wollte, mußte den „herrlichen“ Ignatz Schuster gesehen und gehört haben, diesen kleinen, höckerigen Menschen, der mit unvergleichlichem Freimut den Wiener Bürger ins Komische zog. Der „Staberl“, wie er auch hieß, hatte einen so bezwingenden Humor, daß selbst der wegen seiner unerschütterlichen Ruhe berühmte Diplomat Talleyrand bei dessen Anblick sich vor Lachen bog, obzwar er keine Silbe der Wiener Mundart verstand. Ein anderer Komiker des Leopoldstädter Theaters war Hasenhut, dessen Besonderheit in der Darstellung des Ungeschickten und Umständlichen bestand. Er brauchte bloß bei der Tür hereinzustolpern, niederzufallen, sich dann falsch zu setzen, um das Publikum zu Tränen zu bringen. Hasenhut war auch Grillparzers Liebling.

Wenn Eichendorff das „Theater an der Wien“ erwähnt, so geschieht es mehr aus persönlichen Gründen: er kennt hier eine — „Choristin“. Um ihr möglichst nahe zu sein, ersteht er manchmal einen Orchestersitz. Zufällig begegnet er ihr einmal auf der Rotenturmstraße und begleitet sie in „ihr schönes Quartier auf dem Mehlmarkt“. Schließlich besucht er sie zweimal in der Woche und sitzt als sichtlich guter Bekannter neben ihr an dem kleinen, eisernen Ofen und darf ihr schwarzes Haar „auflösen“.

Man muß freilich anmerken, daß er in seiner schlesischen Heimat eine Braut besitzt, die schöne, noch sehr junge Luise von Larisch, die ihm viele Briefe nach Wien sendet und bestimmt ist, in wenigen Jahren seine Frau zu werden. Aber hier genießt er seine Jugend, und billigt sich manches zm, was sonst vor seiner Strenge nicht ganz bestehen könnte. Die schwarzhaarige Wiener Choristin bringt ihn übrigens auch dazu, einen Ball im „Römischen Kaiser“ auf der Freyung zu besuchen, doch kann er sie trotz angestrengtem Suchen nicht finden. Das verdirbt ihm den Abend so, daß er das Tanzen sein läßt, sich um ein Uhr auf einen Tisch legt und einschläft. Und als ihn ein Freund, der Maler Philipp Veit, verabredetermaßen gegen zwei Uhr weckt, entdeckt Eichendorff, daß man inzwischen seinen Hut verwechselt hat, und so muß er mit dem über den Kopf gezogenen Mantel nach Hause eilen!

Wenn Graf Wilczek in Wien ist, speisen sie oft zu dritt im Augarten, unter den „ungeheuren, vergoldeten Kronleuchtern“. Außerdem besuchen die Brüder mit Vorliebe andere Lokale. Da gibt es am Kohlmarkt den „Lothringer“, wo man abends ein Glas Bier trinkt, und wenn sie über genügend Geld verfügen, gönnen sie sich ein Abendessen im „Matschakerhof“. Zu diesen kleinen Genüssen werden manchmal größere gefügt: fürstliche Bekannte laden Brüder gern gesehene Gäste waren.

Die Stadt, wo es sich so gut leben ließ, war aber durchaus nicht das allein Entscheidende für das Wohlbefinden der beiden Brüder: das katholische Wien war es, das ihre Herzen anzog. Unter dem Druck des napoleonischen Cäsarismus, der sich besonders nach dem unglücklichen Schön-brunner Frieden auswirkte, war eine neue christliche Selbstbesinnung erwacht, deren Verkünder der Pater Clemens Maria Hofbauer und der geistvolle Friedrich von Schlegel waren. Dieser stammte aus Deutschland, war Protestant gewesen, aber seit 1808 übergetreten und stand nun in österreichischen Diensten. Er war es, der für Erzherzog Karl die flammenden Aufrufe an die Soldaten verfaßt hatte, und nun wohnte er auf der Rotenturmbastei, wo die Brüder gerngesehene Gäste waren.

Hier versammelte sich alles, was dem neuen Geist zugewendet war. Als Schöpfer der Zeitschrift „Athenäum“ und in regem Verkehr mit Novalis, TiecK, Brentano und Arnim, stand Schlegel im Mittelpunkt der romantischen Bewegung, galt als ihr Wegweiser. So wurde sein Haus, wo die lebhafte Dorothea als Hausfrau waltete, eine Heimat für die Brüder. Es kam hinzu, daß man hier den heiteren Lebensgenuß nicht verschmähte. Schlegel liebte das Essen und einen guten Wein, auch wurde bei ihm gesungen und musiziert. „Schlegel sitzt recht wie ein deutscher Künstler hinter dem gedeckten, mit Broten belegten Tisch mit ihr, wie auf alten Bildern und ist unbeschreiblich heiter und liebenswürdig. Torte, Braten, Wein, Punsch. Philipp singt Lieder, wozu Eggers Guitarre spielt, Körner singt und spielt durch dick und dünn Lieder aus des Knaben Plunderhorn und Burschenlieder, die Schlegel durchaus geistreich findet.“ Im oberen Stock wohnte der Sohn Dorotheas aus erster Ehe, der edle Maler Philipp Veit, den Eichendorff besonders liebte: beide Freunde nahmen später an den Freiheitskämpfen teil.

Ein ständiger Gast im Hause war der franziszeisch gütige Clemens Maria Hofbauer, der beliebteste Prediger Wiens zu dieser Zeit. Der schon ältere Priester war der Beichtvater Friedrich von Schlegels. Er beschwichtigte die vielen allzu geistreichen Ausführungen des Hausherrn oft mit den Worten: „Gut, mein Friedrich, ganz gut, aber noch besser ist es, den Herrn Jesus von Herzen lieben.“ Eichendorff spricht von ihm als dem „Ordensgeneral, voll Feuer lustig polnisch sprechend... Er ließ heimlich hinstellend eine Torte zurück, die wir dann mit Wein verzehrten/'

Eichendorffs religiöser Sinn, der ihm von Jugend auf eingewurzelt war, fand hier die innerste Bestätigung. Aber auch als Dichter wurde er entscheidend angeregt. Man muß es Dorothea Schlegel danken, daß sie Ihn zur Niederschrift des Romans „Ahnung und Gegenwart“ bewog, an dem er täglich in den Morgenstunden trotz ungeheiztem Zimmer und drängenden Studien arbeitete.

All dies machte es ihm schwer, Wien wieder zu verlassen: es galt nun für ihn, sich am Freiheitskampf zu beteiligen. Seine Feldbriefe sind voll Sehnsucht nach dieser Stadt, und immer wieder, nachdem er den Abschied vom Militär genommen hat, unternimmt er es, einflußreiche Freunde darauf aufmerksam zu machen, wie gern er in Österreich beschäftigt sein wollte. „Ich werde mein Heimweh nach Wien nicht los“, schreibt er 1315 an Philipp Veit, „und kann mich in Berlin noch immer in nichts finden ... Es ist und bleibt mir alles fremd: Religion, politische Gesinnung, ja, selbst die allgemeine Fertigkeit, über Kunst und Wissenschaft abzusprechen, erschreckt und stört mich mehr, als es mich erfreut, denn es scheint mir wenig Liebe darin zu sein. In solcher innerlichsten Einsamkeit fühle ich einen recht aufrichtigen Trieb, in mir selber gründlich besser zu werden ... Sollte Herr v. Schlegel vielleicht bei dem jetzigen Zusammenfluß von hohen Personen ... irgendeine, noch so geringe Anstellung in Wien für mich finden, so bitte ich ihn herzlich, mich nicht zu vergessen, und ich fliege mit unbeschreiblicher Freude in mein liebes, altes Österreich zurück.“ Ja, noch 1828, schon lange Jahre in preußischen Diensten, klagt er Görres: „Ich habe ehrlich gekämpft, so gut ich's vermag, aber ich bewege mich hier in Fesseln, ohne Hoffnung lohnenden Erfolges, und ich sehe mit Gewißheit voraus, mich in diesem Verhäk-nis nicht mehr lange halten zu können.“

Es gelang Eichendorff nicht, seinen Lieblingswunsch erfüllt zu sehen: er mußte in Danzig, Berlin, Königsberg bis 1844 seine Amtslaufbahn abdienen. Doch die Sehnsucht nach Wien blieb unstillbar, und so kehrte er schon zwei Jahre nach der Entlassung, im Herbst 1846, also gerade sechsunddreißig Jahre nach seinem ersten Besuch, wieder dahin zurück. Diesmal wurde der inzwischen berühmt Gewordene öffentlich empfangen: die literarischen und künstlerischen Kreise feierten ihn. Er verkehrte mit dem Geschichtsschreiber Friedrich von Hurter, dem Maler Josef Führich, mit Adalbert Stifter, Ernst von Feuchtersieben, den Brüdern Klemens und Karl von Hügel, dem Fürsten Schwarzenberg. Einen Teil des Sommers verbrachte er in Baden bei seiner unverheiratet gebliebenen Schwester Luise, einer Freundin Stifters, doch im Herbst 1847 kehrte er wieder nach Berlin zurück. Es war, als ob das alte Wien den Dichter noch zum letztenmal — vor dem Ausbruch der Revolution — zu sich beschieden hätte: die kaiserliche Stadt, deren seltene Mischung von Heiterkeit und erlauchtem Alter, von Anmut und Frommheit seinem Herzen so innig entsprach, nahm Abschied für immer.

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