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Wagner in Wien

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Im Sommer 1976 wird man in Bayreuth dejf hundertsten Jahrestages der ersten Festspiele gedenken, bei denen dreimal der „Ring“ erstmals geschlossen dargeboten wurde. Die Jahre davor waren für Wagner wohl die anstrengendsten seines Lebens und, obwohl so nah vor der Erreichung seines Lebenszieles, vielleicht auch die sorgenvollsten. Am 22. April 1872 hatte er-Trib-schen verlassen, am 29. kam Cosima mit der Familie nach. Aber bereits am 6. Mai folgte er einer Einladung des Wiener Wagner-Vereins und dirigierte, nach vorausgegangenen gründlichen Proben, am 12. Mai im ausverkauften Großen Musikvereinssaal ein Konzert. Schon bei seinem Erscheinen wurde er stürmisch begrüßt, und nach jedem Stück gab es Beifall, wie man ihb, nach Ohrenzeugenberichten, in diesem Haus noch nicht gehört hatte. Lorbeerkränze wurden ihm in solcher Menge zugeworfen, daß die Örchestermüsiker um ihre empfindlichen Streichinstrumente bangten...

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Im Sommer 1976 wird man in Bayreuth dejf hundertsten Jahrestages der ersten Festspiele gedenken, bei denen dreimal der „Ring“ erstmals geschlossen dargeboten wurde. Die Jahre davor waren für Wagner wohl die anstrengendsten seines Lebens und, obwohl so nah vor der Erreichung seines Lebenszieles, vielleicht auch die sorgenvollsten. Am 22. April 1872 hatte er-Trib-schen verlassen, am 29. kam Cosima mit der Familie nach. Aber bereits am 6. Mai folgte er einer Einladung des Wiener Wagner-Vereins und dirigierte, nach vorausgegangenen gründlichen Proben, am 12. Mai im ausverkauften Großen Musikvereinssaal ein Konzert. Schon bei seinem Erscheinen wurde er stürmisch begrüßt, und nach jedem Stück gab es Beifall, wie man ihb, nach Ohrenzeugenberichten, in diesem Haus noch nicht gehört hatte. Lorbeerkränze wurden ihm in solcher Menge zugeworfen, daß die Örchestermüsiker um ihre empfindlichen Streichinstrumente bangten...

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Die nächste Reise führte Wagner zu Beginn des Jahres 1875 nach Budapest und Wien, wo zunächst in zwei Konzerten Bruchstücke aus dem „Ring“, u. a. die Schlußszene der „Götterdämmerung“ erstaufgeführt wurden (die er kurz darauf auch in Berlin dirigierte). Jedesmal machte die Trauermusik den gewaltigsten Eindruck. Am 3. März veranstaltete Hans Makart zu Ehren Wagners in seinem Atelier ein Kostümfest unter dem Motto „Venedig des 15. Jahrhunderts am Hofe der Catarina Cornaro“. Nach der Darstellung Westernhagens bewegte sich Wagner „unbekümmert sächselnd unter dem glänzenden Mummenschanz“, und als ihm der Dramatiker Adolf Wilbrandt versicherte, daß in dieser Art das deutsche Publikum noch nie einem lebenden Künstler entgegengekommen sei, entgegnete Wagner lachend: „Ja, der Sultan und der Khedive von Ägypten haben Patronatsscheine gekauft!“ Denn keinen Augenblick verließen ihn die Sorgen um die Finanzierung des Hauses und der bevorstehenden Festspiele. Alle diese

Reisen machte er nämlich, um die „Erdarbeiten“ in Bayreuth zu bezahlen. Und natürlich dachte er auch an die Auslagen, die ihm das zu engagierende Ensemble samt Chor und Orchester bereiten würden. Ende April war er nach Bayreuth zurückgekehrt, Anfang Mai brach er zu einem dritten Konzert wieder nach Wien auf. Er war von Cosima begleitet, und jetzt erklang zum ersten Mal auch „Hagens Wacht“.

Mit Wien stand Wagner also in ständiger Verbindung, und entscheidende Phasen des Kampfes um das Musikdrama haben sich hier abgespielt. Wagners persönliche und künstlerische Beziehungen zur Kaiserstadt beginnen mit dem Besuch des 19jährigen und reichen bis zur Bayreuther Aufführung des „Parsi-fal“ des Jahres 1882 in der berühmten „Wiener Besetzung“. Schon der allererste Eindruck, den Wagner von Wien empfing, war zwiespältig und insofern charakteristisch, als er, sich in den folgenden Jahren kaum wesentlich ändern, sondern nur im Positiven und Negativen vertiefen sollte. Wagner war entzückt von dem heitern Treiben der Bewohner der Kaiserstadt, „ihre leichtsinnige und nicht sehr unterscheidende Genußsucht galten mir für die natürliche und offene Empfänglichkeit für das Schöne“. — Aber er fühlte sich, trotz einer guten Aufführung von Glucks „Iphigenie“, die er besuchte, abgestoßen vom musikalischen Geschmack der breiten Massen. Wohin er kommt, überall klingen ihm Melodien aus „Zampa“ und Donizetti entgegen. — Ähnlich reagiert die Wiener öffentliche Meinung in späteren Jahren auf Wagners Werk: hier gab es die Phalanx der illustren frühen Wagner-Ehthusiasten, und hier saß auch sein erbittertster und federgewandter Gegner, Eduard Hanslick. Und als die Beziehungen Wagners zu Wien ihren kritischen Höhepunkt erreichten — in der Zeit, da Wagner einen aufreibenden Kampf um die Aufführung des „Tristan“ führte — schrieb der Kapellmeister Esser das charakteristische, wie ein Stoßseufzer klingende Worte an den Verleger Schott: „Wagners Tristan lastet wie ein Alb auf meinem Herzen. Wir können mit ihm nicht leben und nicht sterben.“

Wagner-Miusik — und zwar das Vorspiel zum 3. Akt des „Lohengrin“ und der Pilgerchor aus „Tannhäuser“ — erklang zum erstenmal im Jahre 1853 in Wien, und zwar im Volksgarten, gespielt von Johann Strauß und seinem Orchester. Ein Jahr später war es wieder Strauß, der sich mit seinem, speziell zu diesem Zweck auf 54 Mann erweiterten Orchester für das Vorspiel zu „Tannhäuser“ einsetzte. (In späteren Jahren hat Strauß bekanntlich auch Teile aus „Tristan“ erstaufgeführt.) Aber das erste Bühnenwerk Wagners wurde, innerhalb Österreichs, nicht in Wien, sondern 1854 in Graz gegeben. Drei Jahre später folgte das Thalia-Theater, welches von Johann Hoffmann geleitet wurde, der in Riga unter Wagner gesungen hatte und über Prag und Frankfurt nach Wien gekommen war. Im Jahr darauf empfing Wagner in Zürich den Besuch des Kapellmeisters Esser, der von der Direktion der Hofoper zu ihm entsendet war, um die Aufführungsrechte des „Lohengrin“ für das Kärntnertor-Theater zu erwerben. Knapp zwei Monate nach diesem Besuch ist „Lohengrin“ hier gegeben worden, und unter der Direktion Eckerts wurden auch die übrigen „romantischen“ Opern für das damalige Hoftheater erworben. — Ein Jahr nach Eröffnung des neuen prächtigen Hauses am Ring zogen dort „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ ein (1870), bald darauf auch „Der fliegende Holländer“.

Damals schon — und besonders in dem Jahrzehnt unmittelbar vor Eröffnung der ersten Bayreüther Festspiele — war Wagner an allen größeren deutschen Bühnen ein „Kassenmagnet“. Auch war der damalige Operndirektor Franz Jauner an authentischen Aufführungen interessiert, und so kam es zu dem Plan, Wagner nach Wien einzuladen, um hier wenigstens zwei seiner Werke selbst zu inszenieren, die Besetzung mitzubestimmen und die ersten Aufführungen zu überwachen. Von den Vorbereitungen dieses Projekts sowie seiner Durchführung handelt ein Briefwechsel, der viele Jahre als verschollen galt und dessen Verlust von der Wagner-Forschung, so zum Beispiel von Max Morold, beklagt wurde. („Wagners Kampf und Sieg, dargestellt in seinen Beziehungen zu Wien“, 1930.) Er kam zutage, und zwar als „Akt der Hohen Generalintendanz der k. k. Hoftheater Z 442/ 1884“, als vor genau 25 Jahren vom damaligen Leiter der Bundestheaterverwaltung, Dr. Egon Hilbert, eine Neuordnung und Sichtung des Opernarchivs angeordnet wurde. — Dr. Hilbert hat damals mir diese noch nirgends veröffentlichte Korrespondenz zur Publikation und. Kommentierung anvertraut. Sie umfaßte neun zum Teil mehrseitige Briefe Wagners, einen Brief von Cosima sowie zwei Telegramme, sämtliche an Direktor Franz Jauner gerichtet. — (Die vollständige Veröffentlichung erfolgte in der Monatsschrift des Schott-Verlages „Das Musikleben“, 1950, Heft 5 und 6, auszugsweise in mehreren Fachblättern und Tageszeitungen sowie auch in der FURCHE.)

Die Aufführung des „Tannhäuser“ fand am 22. November 1875 unter der Leitung Hans Richters statt. Labatt sang den Tannhäuser, Frau Ehnn die Elisabeth. Louis von Bigno den Wolfram und Amalia Materna — in einem eigens von Makart entworfenen weißen, fließenden Gewand — die Venus. Schon während der Proben hatte sich Wagner mit den Leistungen der Sänger immer zufriedener gezeigt. Bei der Premiere hatte das ungekürzte Werk einen solchen Erfolg wie noch keines vorher in dem neuen Haus. Nach den beiden ersten Aufzügen dankte Wagner von seiner Loge aus, in welcher er mit den Seinen und der Gräfin Dönhoff saß. Nach dem dritten Aufzug trat Wagner auf die Bühne und hielt eine seiner berühmten und berüchtigten Ansprachen: „Es werden im Mai fünfzehn Jahre sein, daß ich bei “Ihnen in Wien zum ersten Mal meinen .Lohengrin' zu hören bekam. Sie haben mein Streben damals überaus freundlich begleitet, und heute scheint sich das wiederholen zu wollen, indem ich es versuche, soweit die vorhandenen Kräfte reichen, Ihnen mein Werk noch deutlicher zu machen. Haben Sie herzlichen Dank für diese Aufmunterung.“ — Einen ihm vom Orchester

überreichten Lorbeerkranz gab Wagner an die Darstellerin der Elisabeth weiter, und der Abend verlief in ungetrübter Harmonie. Am nächsten Tag aber griff die Presse die mißverständlichen Worte „so weit die vorhandenen Kräfte reichen“, auf und startete eine Kampagne gegen Wagner, dem u. a. auch das kostspielige Residieren mit der ganzen Familie im Hotel „Imperial“ zum Vorwurf gemacht wurde. Die Sänger, so hieß es, seien zutiefst verletzt und verlangten eine „versöhnende Ehrenerklärung“. Hierauf bezieht sich der nachfolgende Brief, den wir mit dem 23. oder 24. November datieren können, denn bereits am 25. November wurde das Mißverständnis durch eine Erklärung beseitigt, welche Wagner in Anwesenheit Richters, Helmesbergers und aller Sänger abgab.

Lieber Herr Director!

Ich erfahre, daß einige Worte aus meiner, am Schluß der letzten Aufführung des Tannhäuser an das Publikum gerichteten Ansprache, als dem geehrten Künstlerpersonale des K. u. K. Hofoperntheaters nachtheilig gedeutet worden sind. Wollten Sie, zur Vermeidung thöriger Mis-verständnisse, meinen freundlichen Kunstgenossen den richtigen Sinn meiner Worte dahin zu erkennen geben, daß ich über die neueste Kundgebung der Theilnahme des Wiener Publikum's besonders auch aus dem Grunde mich erfreut zeigte, weil ich sie meinem Vorhaben, meine Werke mit den gegebenen Kräften eines bestimmten Theaters zu möglichst mustergiltiger Aufführung zu bringen als förderlich ansehe. Diesem füge ich zu näherer Erklärung hinzu, daß ich seit Jahrzehnten den gleichen Versuch bei keinem Theater anzustellen mich bewogen fühlen konnte, sondern, wo ich mich hierauf einließ (wie seinerzeit an dem K. Hoftheater in München), ich zur Ergänzung des gegebenen Personales durch Herbeiziehung fremder ausgezeichneter Kräfte mich veranlaßt sah. Daß ich zu einer gleichen Maßregel für die Aufführung meiner Werke in Wien mich nicht gedrängt fühlte, und dagegen der Directum des K. K. Hofoperntheaters meine Unterstützung für die ausschließliche Verwerthung ihrer eigenen Kräfte zusagen konnte, dünkt mich keine Geringschätzung dieses Personales auszudrücken, und wird hoffentlich nach dieser Erklärung nur als eine herzliche Anerkennung seiner Vorzüge verstanden werden können.

Hochachtungsvollst

Richard Wagner

Der letzte Brief des „Aktes“, nicht datiert, trägt den Poststempel vom 11. Mai 1876.

Wehrtester Freund und Gönner!

Der Ausgleich mit Ihnen ist mir nicht das Schwerste, sondern der Ausgleich mit mir selbst. Was ich opfere, wenn ich meinem Stolze entsage, die Früchte meiner furchtbaren Anstrengungen für meine Bayreuther Unternehmung zum Heil der so tief gefallenen Kunst für drei Jahre mir in ihrer Frische und unbefleckten Reinheit zu erhalten, so gehe ich einen Compromiß mit meinem eigenen besten Teile, ein, und muß mir sagen: Alles war denn also nur dazu überstanden, daß ich den deutschen Theaterdirectoren in meinen Festspielen jetzt eine Musterkarte zur beliebigen Auswahl vorhalte. Doch — was sage ich Ihnen das? Was geht Sie Bayreuth an — was aber geht mich der Wiener-Hofopern-Bankerott an?

Seiner Durchlaucht dem Fürsten Hohenlohe ersuche ich Sie aber meinen unterthänigsten und ausdrücklichsten Dank für seine hochgeneigten Gewährungen gütigst vermelden zu wollen.

Schließlich bitte ich Si4 um ein Zeugnis dafür, daß ich heute Alles verschwiegen habe, was ich darüber, daß das Hofoperntheater in Wien gerettet werden solle, zu sagen gehabt haben würde. Niemand verlangt von mir einen ernstlichen Rath, — somit: segne Gott Ihren Glauben an die — Walküre.'

Allerschließlichst aber noch die Versicherung, daß ich Sie, lieber Jauner, durchaus nur — lieb habe! Ihr

Ihrer Meinung nach: rettender Genius

(mit dem gewendeten Rücken) Richard Wagner

*

Während jener sechs Wochen, im November und Dezember 1875 bewohnte Wagner im Hotel „Imperial“ mit seiner Famüie eine Suite, und zur Erinnerung daran hat der Wiener Schubertbund im Jahre 1933 eine Gedenktafel an der dem Ring zugewandten Front angebracht. — Im Jahre 1969 bot sich eine weitere Gelegenheit, an diesen Aufenthalt zu erinnern. Von der Direktion des Hauses war die Wiener Architektin Christine Vorderegger mit der Beratung bei der Neugestaltung das Cafe Imperial betraut worden. Zum Schmuck der Wände sollten aber, in Übereinstimmung mit der Direktion, nicht altwiener Stiche oder Lipizza-nerbilder, sondern etwas auf Richard Wagner Bezügliches verwendet werden. Photos, Bühnenbilder, Repro-produktionen der Handschrift Wagners — oder Partiturblätter? Die Wahl fiel auf die letzteren, zumal ja Wagners Partituren besonders schön und deutlich ausgeführt sind. — Aber hierzu bedurfte es der Einwilligung und der Hilfe Bayreuths.

Ich selbst hatte anläßlich der Publikation der Wagner-Briefe eine kurze, freundliche Korrespondenz mit Dr. Wolfgang Wagner. Aber ich kannte ihn nicht persönlich. Wieland Wagner war ich anläßlich eines Besuches seiner Berliner „Aida“ begegnet, der originellsten und umstrittensten Ausstattung und Inszenierung von seiner Hand. Irgendwann, während der ersten Spielzeithälfte 1969 traf ich ihn in der Wiener Staatsoper, für die er ja während des Jahres 1965 „Lohengrin“, „Elektra“ und „Salome“ inszeniert hatte. Aber an jenem Abend war er sozusagen „privat“ in der Oper, und während einer Pause trug ich ihm, von der seit mehreren Jahren bekannten und geschätzten Architektin um Vermittlung gebeten, das Anliegen vor. Er war sogleich davon angetan, sagte aber, daß alle diese Dinge der Zustimmung von Frau Winifred Wagner bedürften und daß sein Bruder Wolfgang mit allem „Administrativen“ befaßt sei. Am besten aber wäre, so riet er, sich mit der Leiterin des Richard-Wagner-Archivs, Frau Dr. Gertrud Strobel, in Verbindung zu setzen. — Das tat denn auch, nachdem ich diese Korrespondenz durch einen Brief vorbereitet hatte, die Wiener Architektin, und etwa ein Dutzend Briefe sind darnach hin-und hergegangen, bis die Auswahl

Wand, selbst begutachten. Es wurde bei der Gestaltung und Anordnung der Partiturseiten aus „Lohengrin“, „Tannhäuser“ und „Tristan“ — übrigens ganz auch dem Geschmack und dachten heim. Meine freudenreiche Kindheit überfiel mich und die Stunde war gegenwärtig, als wir Geschwister die figurenreiche Krippe bewunderten, und ich hörte wieder die gute, sanfte Stimme der Mutter, die uns aus dem alten Buche das weihnachtliche Geschehen vorlas. Wachten nicht einmal Hirten auf dem Felde, bei den nächtlichen Feuern? Warum erbrauste nicht auch in dieser Nacht die Sphäre von den funkelnden Schwingen der Lichtgestalten? Warum erklang nicht die frohe Botschaft zur dunklen Welt herab: „Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind!“

Aber kein Licht erblühte in dieser frostigen Nacht, kein Gesang rauschte zu uns Hirten der Heimat herab, nur der Tod brüllte hinter den schwarzen Hügeln herauf.

Als wir abgelöst wurden und dem Kastell zustrebten, verdröhnte die Nacht, die Leuchtzeichen verschwanden, der Wind verrauschte und eine große Stille wurde mächtig. Sie war beglückt vom Licht der silbernen Sterne, die groß und feierlich im blausamtenen Nachtgewölbe ihre uralten Bahnen zogen.

Wir blieben stehen und bewunderten die Schönheit der Nacht. Da bemerkten wir plötzlich einen Lichtstrahl, der aus einer der Höhlen drang, in denen zu friedlichen Zeiten die Hirten Obdach suchten, die ihr Vieh auf der Weide zu hüten hatten.

Vorsichtig, mit bereiten Waffen, schlichen wir uns näher und erspähten ein seltsames Bild: in der Höhle drinnen, im rötlichen Schein einer Laterna, lag eine junge Frau auf dem Stroh. Ihre schwarzen Haare fielen auf ihre schmalen Schultern. An ihrer Seite saß ein Mann auf einem umgekehrten Weidenkorb. Beide Menschen blickten schweigsam in die niedere, mit Stroh ausge-

Wir feierten die Weihnacht in einem einsamen, alten Kastell, das inmitten sanftgeschwungener Hügel lag, auf denen da und dort die dunklen Flammen der Zypressen loderten. Wir waren im ehemaligen Wachtraum untergebracht, einem pfeilergeschützten, mit Landsknechtfresken ausgeschmückten Gewölbe, das von der funkensprühenden Glut eines mächtigen Kamins spärlich erleuchtet wurde. Im dunkelroten Dämmer hoben sich die Gestalten der Kameraden schwarz ab und die Dinge erschienen durch ihre unruhigen Schatten seltsam lebendig.

Mit dem zunehmenden Abend wurden die Stimmen der Kameraden leiser und die Handgriffe wurden gegenseitig viel williger getan als sonst. Tannenbäumchen gab es hier keine. Wir hatten große Pinienäste als Weihnachtsschmuck an die rauchgeschwärzten, dicken Balken genagelt und kleinere auf den mit Zeitungen gedeckten Tisch gelegt.

Wir setzten uns an die „Tafel“, zündeten die paar Kerzen an, die uns der Zugsführer gestiftet hatte, und verzehrten wortkarg das Abendbrot. Die Weihnachtspost hatte uns nicht erreicht, da wir in den letzten Wochen ständig unseren Einsatzort wechseln mußten. Keiner öffnete einen Brief oder ein Päckchen. Das einzige Weihnachtsgeschenk, das uns der Hauptmann durch den Melder geschickt hatte, bestand aus zehn Zigaretten, ein paar Keksen und Rotwein, der nun vor uns wie Blut in den Bechern glühte.

Ruhig brannten die Kerzen, ihre Flammen blühten in den hauchzarten Schimmerkugeln, die wie zauberische kleine Welten über dem Tische schwebten. Wir sangen die schönen alten Weihnachtslieder, während dann und wann die kleinen Fensterscheiben im Widerhall des Kanonendonners klirrten. Sehnsucht war in unseren Augen und Ferne, das Herz eines jeden weilte zu Hause und feierte heimlich in seiner Art den Heiligen Abend. Wir stießen auf das Wohl unserer Lieben an, drückten einander fest die Hand und wünschten „Gute Weihnacht!“

Mein Freund Gerhard und ich setzten uns hernach zum Kamin, rauchten und blickten schweigsam in die Flammendistel, die uns ihre wohlsame Wärme schenkte.

„Daheim haben wir immer sehr schön Weihnachten gefeiert“, sagte Gerhard leise ins Feuer hinein. „Wo bleibt heute das Licht?“

„Ja“, antwortete ich, „Es ist schwer, an das Licht zu glauben, wenn man so tief in Dunkel und Einsamkeit steht. Und doch wird wieder das Licht bei uns sein, wenn wir die Nacht und den Kampf überstanden haben.“

So sagte ich, obwohl mein Herz selbst nach einem Tröste ausspähte und ich fühlte, daß diese Weihnacht verwirkt und verloren war und statt der Freude die Schwermut in mir wohnte.

Wir schürten das Feuer. Gespenstisch tanzten die Schatten am Gewölbe, die Scheiben klirrten leise und der Wind heulte und brauste um das verlassene Kastell. Wir schwiegen wieder und ließen Schicksal und Heimweh mitten durch unser Herz glühen.

Eine Stunde vor Mitternacht mußten Gerhard und ich auf Wache ziehen. Die Nacht rauschte eisig über die Hügel her, zuckte grell und erdröhnte von den Einschlägen der Geschosse, die unsere Batterien jenseits des Flussej zu treffen suchten. Das Wasser des scheinbar regungslosen Flusses war wie schwarzes Glas und spiegelte die Schönheit der kreisenden Gestirne. Ab und zu stiegen rote Leuchtkugeln und brannten wie Wunden im tiefblauen Weihnachtshimmel.

Da standen wir nun, windumweht, schlagene Futterkrippe, in der ein weiß gewindeltes Kind schlief. Im dämmerigen Hintergrund stand ein Eselchen neben einem zweirädrigen Karren, der mit allerhand Dingen, wie sie Flüchtlinge mit sich führen, beladen war. Das Eselchen spitzte die Ohren und schaute verwundert dem späten Besuch entgegen.

Wir grüßten. Die Frau nickte und lächelte matt, der Mann erwiderte den Gruß ernst. Er erzählte, daß sie auf der Flucht vor den Feinden seien, die ihr Dorf beschossen hatten, und daß gestern in dieser Hirtenhöhle das Kind auf die Welt gekommen sei. Sobald sich die Frau erholt habe, zögen sie weiter. Wohin? Ja, das wisse er selbst nicht! Ein gutes Stück nordwärts, dorthin, wo keine Granaten mehr einschlügen und wo Frau und Kind des Lebens sicher seien.

Da begann sich das Neugeborene zu regen und fing zu schreien an. der Partiturblätter, deren Format und Anordnung zwischen dem Bayreuther und dem Wiener Büro vereinbart und fixiert worden waren. Das, wie mir scheint, wohlgelungene Resultat dieser Besprechung, Korrespondenz und Bemühungen kann jeder Besucher des Cafe Imperial, gleich im ersten Raum rechts an der der Architektin entsprechend — der Wunsch Wieland Wagners berücksichtigt, der mir, das Gespräch im Opernfoyer beendend, noch sagte: „Aber bitte nur keine Barockrahmen oder sonstigen Schmuck. Nur schmale Holzleisten oder Passepartouts, das ist nicht nur das Einfachste, sondern auch das Schönste...“

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