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Aus einer unbekannten Chronik

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Im behaglichen Ferien-Atelierstübchen zu Mauterndorf, im Kreise seiner Famihe, sitzt Professor Anton von Kenner, der prachtvolle Jugendlehrer an der Hochschule für angewandte Kunst, Meister der Illustration, dessen feiner Humor aus den zahlreichen Arbeiten in den verschiedensten Zeitschriften der Vorkriegszeit, dem „Don Quijote“ aus dem Wiener Künstlerhaus und dem Odyssee-Zyklus in unverlierbarer Erinnerung sind. Einer angesehenen Alt-Wiener-Familie entstammend, strahlt seine Persönlichkeit einen Zauber aus, der zutiefst in der Güte als Mensch und in selten vornehmer Einfühlungsgabe verankert ist. Er liest aus einer vergilbten Handschrift vor, die seinen Großvater im Kreise Moritz von Schwinds erwähnt, und die Abendstunde gestaltet sich zu einem Erlebnis: man wird plötzlich inne, daß die verklungenen Zeiten, die aus der Handschrift auferstehen, uns Heutigen manches Bedeutsame zu sagen haben.

Der Verfasser der Chronik, Josef Freiherr von Spaun, der Vater des Admirals Hermann von Spaun, besaß einen offenen Blick und bringt trotz dem etwas beamten-haft kanzleimäßigen Stil manchmal Bildchen von entzückender Ursprünglichkeit. Maria, die Schwester des Admirals Spaun, besaß die aus den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stammende Original-Niederschrift in Venedig. Eine Abschrift gelangte in den Besitz Anton von Kenners.

Einige Ausschnitte seien wiedergegeben, wie ein Auslug in eine ferne Welt. Und doch waren es die Menschen, die immer wieder heute lTxh unserem österreichischen Boden fast unmerklidi Rhythmus und Farbe geben. Unser Zeitalter der gefahrvollen Mechanisierung, der Geringschätzung seelischer Werte, sollte nicht spöttisch lächeln über unsere Altvorderen. Um den „Zopf“ mögen wir wohl keine Träne weinen Aber viel Wichtigeres, der Charakter, die Flaltung selbst in Zeiten des rauhen Krieges, leuchten wie ein seltsames Paradies zu uns herüber und sollten zu Nachdenklichkeit, zu Besinnlichkeit anregen.

Abschied vom Zopf „Aus meiner Kindheit erinnere ich mich, daß der Friseur täglich am Morgen kam, um meinen Vater zu frisieren. Er ließ sich pudern, trug ober jedem Ohr eine lange Wuckel, einen sogenannten Touppee ober der Stirn und einen ziemlich langen Zopf. Solange diese Frisur dauerte, trug mein Vater mit Ausnahme weiter Spaziergänge ein sogenanntes Staatskleid, einen stählernen Degen an der Seite und einen dreieckigen Hut. Plötzlich aber trat ein Umschwung ein und wie auf Verabredung ersdiienen an ein und demselben Tage alle Menschen ohne Puder, die Zöpfe fielen größtenteils der neuen Mode zum Opfer und an die Stelle des Staatskleides trat der Fradc, der sich bis heute erhalten hat. Ich erinnere mich noch des allgemeinen Erstaunens, als plötzlich Männer und Frauen ungepudert erschienen, man entsetzte sich ordentlich vor den unfrisierten Köpfen und fand, daß alle Leute krank aussähen, als ob sie gerade aus dem Spitale kämen.“

„Das Jahr 1809 begann voll Enthusiasmus, in allen öffentlichen Orten wurden die reizenden Landwehrlicder von Collin, in Musik gesetzt von Weigl. gesungen, was unter dem Volke großen Jubel erregte. Alles richtete sich zum Kriege und wo der Kaiser erschien, wurde er mit Begeisterung begrüßt. Leider gingen die schönen Hoffnungen nicht in Erfüllung.

Als die Musiken im Konvikte wieder begannen, stand ein kleiner Knabe mit Augengläsern hinter mir, um aus meinem Pulte die Violine mitzuspielen. Seine Freude an der Musik und sein Eifer bei der Mitwirkung maditen mich auf ihn aufmerksam. Es war Franz Schubert, schon als Kind ein Meister.

Als die Franzosen sich Wien näherten, wurde ein Studentenkorps errichtet. Uns Kon-viktoren wurde verboten, sich einschreiben zu lassen . . . Am 12. Mai 9 Uhr abends fing das Bombardement der Stadt an. Es war ein schauriger Anblick, die glühenden Kugeln am nächdiqhen Himmel zu sehen, während

Das Schuljahr neigte sich dem Ende zu und es ergab sich für midi eine gute Gelegenheit zur Heimreise. Dazu aber bedurfte ich eines Passes des französischen Generals Andreossi. Um schneller vorwärts zu kommen, bat ich Professor Watteroth, einen sehr beliebten Lehrer, daß ich die Prüfung ein paar Tage früher machen dürfe. Er bewilligte es und bestellte mich in den Garten seines Hauses. Dort gingen wir, er fragend, ich antwortend, auf und ab. Plötzlich fühlte ich mich mit einer Kastanie beworfen, der bald eine zweite und dritte folgte. Ich besah die Bäume und entdeckte ein kleines Mädchen auf einem der Bäume, tief im Laub, den Finger an den Mund haltend, um mir Schweigen zu gebieten, indem sie mich aber desungeachtet noch öfter bewarf. Ich ahnte damals nicht, daß dieses Kind in der Folge mir und meiner Familie eine treffliche, geliebte Freundin werden sollte.“

An einem kalten, aber herrlichen Wintertag des Dezember 1800 ging ich, da es Sonntag war, aus dem Hause, um der Exhorte der Studenten beizuwohnen und sah, nachdem ich kaum aus dem Haus getreten war, einige verspätete Husaren in Karriere der Donaubrücke zueilen, während schon vom Schmidttor her die Franzosen in geschlossenen Kolonnen einrückten. Sie stellten sich um die Dreifaltigkeitssäule (Linz) auf und machten auf Befehl des Generals „bei Fuß“. Es wurde ein Offizier in das Magistratsgebäude geschickt und die Musikbande spielte . . . Die Soldaten trugen weiße Mäntel mit roten Epauletten, kleine, dreieckige Hüte mit einem kurzen, dicken Federbusdi, und alle sahen sehr schmutzig, erschöpft und unansehnlich aus. *

Als ich nach Hause ging, waren die Truppen schon in der ganzen Stadt zerstreut, man hörte überall französich sprechen und disputieren.

Im Hause fand ich eine Menge Soldaten einquartiert und bei meiner Mutter fand ich einen Capitain in freundlichem Gespräch. Er bedauerte, daß er Ungelegenheit machen müsse und versicherte, daß seine hier einquartierten Leute sich gut benehmen und mäßig in ihren Forderungen sein würden, was in der Tat bei diesen, nicht aber bei allen folgenden wirklich der Fall war. Meine Mutter lud den Offizier zu Tische, was er als angenehme Gunst bezeichnete. Er war bei Tisch freundlidi, auch mit uns Kindern, und unterhielt sich viel mit meinem Vater. Während mein Vater die Meinung aussprach, der erste Konsul werde nach der Gewalt streben, versicherte der Capitain, daß Bonaparte durchaus der Republik anhänge, nicht daran denke, die Macht an sich zu ziehen, und auch solches Streben bei der Stimmung des Volkes nur mit dem Schafott endigen würde.

So ging es nun alle Tage fort mit der Einquartierung. Die großen Auslagen für die vielen Leute fielen meinen Eltern ungemein schwer. Um sie zu bestreiten, mußten Schulden gemacht werden. Des lieben Friedens im Hause wegen wurde die Mannschaft immer gut und zu ihrer vollen Zufriedenheit bewirtet. Sie erhielten nebst gutem Wein, en sie zuckerten, immer weiße Semmeln, da sie durchaus kein Hausbrot essen wollten. Die Offiziere, die sich — mit einer einzigen Ausnahme — gut benahmen, speisten mit uns, was uns Kindern sehr angenehm war, da sie viel von Schlachten erzählten. Ein Offizier jedoch sagte, er sei nicht gewohnt, mit Kindern zu speisen, und verlangte, auf seinem Zimmer bedient zu werden, was auch geschah. Allein schon nach einigen Tagen fing er an, sich immer einen oder zwei Gäste zu laden und auch für diese Bewirtung zu verlangen. Als aber schließlich auch eine junge Dame als Gast erschien, wurde mein Vater sehr aufgebracht und sagte dem Offizier, daß er sich alle Gäste verbiete und künftig nur für ihn allein servieren werde, was auch geschah.

Am Abend des 21. Dezember 1800 hatten wir großen Schrecken auszustehen, der uns unvergeßlich blieb. Nachdem unser Haus schon voll von Einquartierung war, kam abends ein etwas angetrunkener Soldat und begehrte vom Hausmeister, der ein rauher, starker Patron war, Einquartierung. Da aber sein Quartierbillett auf ein anderes Haus lautete, wies ihn der Flausmeister unsanft zurück, und als der Soldat an den Säbel griff, warf er ihn mit sokher Gewalt zum Haus hinaus, daß er sich im Schnee wälzte, worauf der Hausmeister das schwere, eiserne Tor zuschlug und den großen, schweren Riegel vorschob. Unglücklicherweise befand sich die französische Hauptwache wenige Schritte vom Hause und sah den Kameraden, wie er zum Tor hinausgeworfen wurde und sich im Schnee wälzte, wodurch sie zu der Meinung veranlaßt wurde, er sei schwer verletzt. Zehn Mann mit einem Offizier eüten sogleich in vollen Waffen herbei und pochten an das Tor mit der Aufforderung, zu öffnen. Da der Hausmeister das Tor nicht auftat, vielmehr von innen verbarrikadierte, kamen die Zimmerleute, um das Tor mit Äxten einzuhauen; alllein so sehr sie sich auch mühten, sie konnten das Tor nicht bewältigen. Die Soldaten wurden nun wütend, drohten mit Kanonen, einige schössen ihre Gewehre gegen das Haus ab und im höchsten Zorn riefen sie: wenn nicht sogleich geöffnet würde, müßten alle Inwohner des Hauses über die Klinge springen. Mein Vater war nicht zu Hause, meine Mutter aber hatte dem Hausmeister gleich anfänglich befohlen, das Tor zu öffnen. Doch dieser folgte durchaus nicht und stemmte sich wie wütend gegen das Tor.

Da die Angelegenheit nun drohend wurde, glaubte meine Mutter, uns Kinder in Sicherheit bringen zu müssen und flüchtete mit uns durch die in die Badgasse mündende, den Franzosen glücklicherweise unbekannte Hintertür in die Wohnung des bekannten Chirurgen Knörlein. Auch die übrigen Hausbewohner schlüpften bei der Hinterpforte hinaus, so daß der Hausbesorger fast allein im Hause blieb.

Mein Vater, beim Magistrat in einer Sitzung, erhielt nun die Nachricht, daß vor unserem Hause ein sehr drohender Auflauf sei und erfuhr auch die Ursache. Er begab sich sogleich zur Stelle und sprach den Kommandanten mit den Worten an: er sei der Herr dieses Hauses, sei nicht daheim gewesen und könne daher keine Schuld tragen, wenn etwas Unschickliches geschehen sei. Er sei bereit, Genugtuung zu leisten, wenn in der Tat eine Beleidigung stattgehabt habe. Der Offizier, durch das treffliche Französisch, das mein Vater sprach, und durch sein offenes Auftreten gewonnen, befahl sogleich, mit dem Einschlagen des Tores innezuhalten und rief den Hinausgeworfenen herbei, damit er selbst meinem Vater die erlittene Beleidigung erzähle. Er trat ganz zaghaft auf, gestand, daß sein

Quartierbiflett nicht auf unser Haus laute,allein, da der Ort, wohin er gehen sollte, entfernt sei und er bei der nächtlichen Finsternis befürchten hätte müssen, sich nicht zurecht zu finden, habe er versucht, sich hier Einlaß zu verschaffen, der Hausmeister sei jedoch impertinent gewesen, habe ihn gleich bei der Brust gepackt und ihn, bevor er noch vom Säbel Gebrauch machen konnte, zum Tor hinausgeworfen. Mein Vater sagte, daß er, obwohl unzweifelhaft beide Teile Unrecht hätten, doch dadurch Genugtuung leisten wolle, daß er den Eindringling nebst der schon im Hause befindlidien Einquartierung aufnehmen wolle und bereit sei, ihn bis zu seiner Abberufung wohl zu verpflegen, wogegen er sich jedoch bedinge, daß gegen den Hausmeister, der als unverständiger Mann sich in ungeeigneter Weise seiner Herrschaft angenommen habe, keine Gewalt geübt werde, sondern daß man sich begnüge, wenn mein Vater die rauhe Gewalttat an dem Hausmeister rüge. Der Offizier gab meinem Vater die Hand und sagte: „Wir haben nun Frieden geschlossen. Ich finde die Genugtuung für hinlänglich!“

Auf den Anruf meines Vaters öffnete sich das Tor des Hauses, in welches mein Vater mit dem jungen Soldaten an der Hand eintrat. Dieser Soldat, namens Nicole, zeigte sich nun bald als ein gutmütiger Mensch. Er erhielt ein eigenes Zimmer und gewann uns Buben sehr lieb. Er lehrte uns exerzieren und erzählte uns viele Geschichten aus seiner Heimat. Nach zehn Tagen mußte er abmarschieren und voll Dank, ja geradezu wehmütig nahm er Absdiied, indem er versicherte, daß es ihm in seinem Leben nie so gut ergangen sei wie bei meinem Vater, und daß er glücklich wäre, wenn er Zeit seines Lebens bei meinem Vater als Diener bleiben könnte. Aus Regensburg hat er in der Folge noch meinem Vater einen sehr inkorrekt geschriebenen Brief gesandt, ihm seinen Dank entrichtet und ihn gebeten, die jungen Messieurs recht vielmals zu grüßen.“

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