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Pinien, Sand und letzte Ritter

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„UN'ARCHITTETIIRA MAESTOSA“ könnte man sagen, wenn man die kühnen Bauten in Pineta sieht, der Badestadt an der nördlichen Adria zwischen Venedig und Triest, die vor vier Jahren noch nicht bestanden hatte. Früher war Marineübungsgelände dort. Dann hatten einige Leute eine Idee und das nötige Geld, und dann kamen die Bulldozer und dann — last, but not least — der Architekt Marcello D'Olivo, ein Tausendsasa, der eine Stadt in einer Spirale plante. Nicht wenige waren dagegen, aber auch gewichtige Leute dafür. Ernest Hemingway, er schrieb gerade an einem Roman in der Nähe, stellte trocken fest, daß dem Neuen die Zukunft gehöre. Er hat recht behalten. In der äußeren Gespanntheit der Planung, im Raffinement der Details, ist diese Parkstadt, inmitten ausgedehnter Pinienwaldungen, einzig. Man kann die run-

D'Olivos Unterschrift den Villen, mit den runden Räumen, die supermodernen Hotels ablehnen, man kann sich daran begeistern — gleichgültig bleiben, nein, das kann man nicht. In Marano, einem alten Fischernest, ' begegnet man dann in einer Trattoria zufällig dem berühmten D'Olivo höchstselbst. Sehr groß, schlank, trägt er etwas auf dem Kopf, das zwar kein Hut ist, aber ihm doch am nächsten kommt. Wie alle Genialen legt er auf Aeußeres wenig Wert. Er fährt einen kleinen Fiat und baut gerade für Ibn Saud eine Universität — und einen Harem. 37 Jahre ist er alt, sein Kollege Avon, der bekannte Hotelarchitekt, gerade 36. Er ist bescheiden, aber nicht von jener Bescheidenheit begabter Souveräne, die gleichzeitig Gipfel des Hochmuts sein kann, weil sie keinerlei Werbung mehr nötig zu haben scheint.

AUCH DAS NACHBARLICHE LIGNANO hat mächtig aufgeholt. Auf dieser Halbinsel, wo einst der Cavaliere Marin vor Jahrzehnten das erste Hotel zu baren sich erkühnte, ist ein Badeort entstanden, wo man mehr Deutsch als Italienisch spricht. Er ist ungleich moderner als Grado, ruhiger als Jesolo, näher als Rimini und billiger als Venedig. Wegen seines flachen Strandes ist es für Kinder besonders geeignet. 1957 sind 31.270 Ausländer dort gewesen. Ueberhaupt ist die offizielle ENIT-Statistik aufschlußreich. 1956 reisten 2,060.483 Oesterreicher nach Italien, übertroffen nur von den Deutschen, die 2,7 Millionen zählten. Aber Oesterreich hat doch nur 7 Millionen Einwohner! Die hohe Zahl läßt sich nicht nur durch das Reisefieber der Massen erklären. Es liegt sicher auch am Gastland und seinen Bewohnern, denen es als Lateinern nicht genügt, das Leben zu deuten, zu ändern, zu erklären, sondern die sich mühen, es liebens- und lebenswert zu machen. Die alten Lebensregeln, die ihnen im Blute liegen, und die sie kaum noch erahnen, reichen aber aus, zur menschlichsten Lebensführung, zu einem Leben, dessen Zuschnitt den Ausländer bald anzieht. Die Intuition, oder besser gesagt, ihr lebensnahes Ahnungsvermögen ermöglicht es ihnen, auch schwere Dinge zu ertragen, ohne gleich aus der Bahn geworfen zu werden. Mag sein, daß eben an der nördlichen Adria, im Gegensatz zum Süden, die strikte Ordnung des Soll und Haben dem Leben das Gepräge gibt. Wer reist, der wird bald sehen, daß die internationalen Schlagworte die falschen Scheidemünzen des Völkerverkehrs sind. Es ist aber auch nicht so, daß sie der Massentourismus außer Kurs setzt.

IM TELEPHONBUCH DER PROVINZ UDINE steht unter „Triest“ nach einer langen Reihe von Bandeiii, Bandini, Banelli der Name Ban-field. Wem sagt dieser Name etwas? Wer entsinnt sich seiner noch? „Adler von Triest“ wurde Gottfried Banfield genannt. Mit 18 Luftsiegen war er Altösterreichs berühmtester Seeflieger, einer der letzten noch lebenden There-sienritter. Im Wiener Heeresmuseum hängt sein Bild, gemalt von Jost. Seit 1925 lebt er in Triest als italienischer Staatsbürger und Direktor einer Schiffahrtsgesellschaft, eine der profiliertesten Persönlichkeiten der Stadt, von allen „Barone“ genannt. Als Fachmann für Schiffsbergungen besitzt er internationalen Ruf. Wenn man von Venedig mit dem Schnellzug kommt, sieht man die Stadt, sie ist eine der schönsten Städte, von weitem schon. Die öffentlichen Bauten erinnern noch an Oesterreich. Der alte Bahnhof könnte ebenso gut in Czernowitz stehen, in Lemberg, in Agram oder Lundenburg. Der erste Mann, der um den Weg gefragt wird, antwortet auf deutsch. Er hat einmal bei der Südbahn gearbeitet und läßt es sich nicht nehmen, uns über heiße Plätze und laute Gassen bis vors Haus zu begleiten. Als wir uns bedanken, sagt er, dazu sei keine Ursache und tippt an die Kappe, wie es Eisenbahner zu tun pflegen.

WIR SITZEN DEM ELEGANTEN HERRN, der wie ein Lord aussieht, im Gespräch schon eine Weile gegenüber und rätseln noch, wo wir diese Züge schon gesehen haben, obwohl es die allererste Begegnung ist. Plötzlich weiß man es: es ist das gewisse Etwas, das sich auch im Gesicht Conrads, Kusmaneks, Haus', Pomian-kowskis findet, es ist das typische Gesicht des Offiziers der alten Armee. Sie hat sogar die Gesichter geformt. Beim Sprechen verbindet er, auch typisch, größte Leichtigkeit des Ausdrucks mit größter sprachlicher Präzision. Die Ban-fields kamen, wie die Gordon und die Taaffe, aus Irland nach Oesterreich. Sie sind alle Offiziere gewesen. Die Fliegerei, der sich der blutjunge Seeoffizier verschrieb, war damals vor 45 Jahren noch das große Abenteuer gewesen. Die aufregendste Minute war aber die Begegnung (Ad-miral Haus hatte sie ohne Banfields Wissen arrangiert) des 26jährigen Linienschiffleutnants mit seinem 86jährigen Kaiser im Oktober 1916, knapp vor seinem Tod. Der alte Herr, so erzählt Banfield, habe sich genau des bei Solferino als Oberst gefallenen Großvaters erinnert und dann, was ihn tief .berührte, väterlich ermahnt „sich von nun an zu schonen und ja achtzugeben“. „Später bin ich vielen Königen, Präsidenten und Potentaten begegnet, aber diese Worte des alten Kaisers bleiben mir unvergeßlich. Ich blieb natürlich an der Front“, fügt er hinzu. „Wir hatten damals alle nur eines gekannt, das war Dienen. Ich habe nicht einmal ein eigenes Bett besessen, wir schliefen in Hängematten, aber die wunderbare Kameradschaft, das Bewußtsein: du gehörst zu einer großen Bruderschaft, hat uns für alles entschädigt.“ Und dann erzählt er, gebeten darum, eine Episode. „Ich habe immer am Weihnachtstag und am Neujahrstag den Luftkampf zu meiden gesucht. Am 1. Jänner 1917 aber stößt, ich bin in großer Höhe auf dem Rückflug gewesen, über Görz Baracca, der berühmteste italienische Kampfflieger, ich erkannte ihn an seinem Zeichen, aus einer Wolke auf mich. Ich kurve weg, komme schließlich auf gleiche Höhe mit ihm, erkenne ihn deutlich und salutiere, anstatt den Kampf aufzunehmen. Er stutzt momentan, nimmt die Hand vom Maschinengewehr, führt sie an den Mützenrand und dreht ab. Sehen Sie, das waren wir Flieger im ersten Weltkrieg. Diese Geschichte haben übrigens die Spanier in den dreißiger Jahren, weil sie irgendwie bekannt wurde, als Beispiel für Ritterlichkeit in ein Lesebuch aufgenommen.“

VOR DER ABFAHRT kommen wir in dem schattigen Park vor dem Bahnhof neben einem weißhaarigen Herrn zu sitzen. Man kommt ins Gespräch, er sei aus Monfalcone, woher wir seien. „So, aus Wien“, meint er erstaunt. Da fragt er plötzlich nach dem „Brucker Lager“, ob wir es kennen, und als wir bejahen, beginnt er plötzlich lebhaft zu werden, erzählt von Anno Tobak, von Staub, viel Schwitzen, Musik und Plauschen. Dann kommt das Gespräch auf die Gegenwart, auf die vielen Autos, die er gerne für Schiffe eintauschen möchte, denn Triest sei, so sagt er, eine Stadt mit viel Lärm, aber ein Hafen ohne

Hinterland. Wovon man denn dann lebe, fragen wir, und er sagt resigniert: „Von den Hypotheken auf unseren Häusern.“ Keiner hat heute etwas von Triest. Wir nicht, die Oesterreicher nicht, und die Jugoslawen auch nicht. Grüßen Sie mir Wien“, ruft er noch nach... Der Zug . donnert durch welliges Land, vorbei an Mira-mare, Monfalcone, Cervignano. „Wir haben nichts besessen.“ An diese Worte Baron Banfields denken wir noch lange. An die wunderbare Armut der Soldaten und der Mönche, die Kopf und Herz freihält. Jene Armut, an die Rilke denkt, wenn er schreibt, sie sei ein großer Glanz von innen.

DURCHS FRIAUL FÜHREN SCHNURGERADE STRASSEN. Die Italiener sind berühmte Straßenbauer, darin würdige Nachfahren der Römer. Im Sommer ist auf ihnen von sieben Uhr früh bis elf Uhr nachts Stoßverkehr. Ein kochender, brüllender Strom .motorisiert-knat-ternder Lebensfreude. Es ist die Zeit der genormten Romantik und des Besichtigungsdrills moder ner Pauschalreisen. Da quillt es aus den Türen der Reiseautobusse, verlangt nach Coca Cola, hört sich die Erklärungen des verhärmten Reiseführers an, immerhin mit einem Ohr. Dann strömt es in die Wirtschaft, wo schon auf Grund • der Pauschale alles reserviert ist. Dann geht es weiter im rasselnden Trab. Wenn man solch einen schleichenden Lindwurm von Autos sieht, könnte man meinen, es handle sich um eine Gedächtnisfahrt zum 100. Todestag von Mister Stearin, dem Erfinder der Zündkerzen. Die wenigsten wissen aber, daß es stilles, einsames, gastliches Land gibt, abseits der großen Heerstraßen. Etwa das idyllische Tarcento im Tal des Torre, Cividale, die alte Hauptstadt der Langobarden, das wehrhafte, von felsigen Höhen umgebene, altersgraue Gemona, das gastliche Tricesimo mit seinen altfriulanischen Gasthöfen, deren Kochkunst einem Brillat-Savarin zur Ehre gereicht hätte, in dessen bekanntestem selbst die sonst vor Langeweile zerstörten Gesichter der Windsor, die dort gespeist hatten, wie Photos zeigen, Zufriedenheit spiegeln. Da kommt es vor, daß mitten im Gasten Musikanten auftauchen, alte Lieder spielen und als Gipfelpunkt das übermütige, ewig junge: Se jo i ves di maridami (Sollt ich eines Tages heiraten), in dessen Refrain alle einstimmen. Oder San Daniele, mit seiner berühmten Bibliothek, die unschätzbare Werte birgt, eine Bibel aus dem 9. Jahrhundert, Erstdrucke der „GöttlichenKomödie“, Petrarcas Werke, illustriert von niemand geringerem als Albrecht Dürer. Das Kastell voll träumerischen Charme liegt auf einem grünen Hügel; die Sicht geht weit ins Land . . . ins Friaul, das alle Landschaften Italiens in sich vereint.

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