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Aus meinem italienischen Tagebuch

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Rom, im Oktober 1945 Die Fahrt von Florenz nach Siena führte ms durch das Hügelland von Toscana, das zu den anmutigsten Landschaften von Italien gehört. Das Auf und Nieder des welligen Bodens, die silbernen Ölbäume und dunklen Zypressen, die Landhäuser und Kastelle, die verblauenden Höhen im Hintergrunde — das alles konnten wir am frühen Vormittag und von der Fahrt noch nicht ermüdet, um so behaglicher genießen, als auch hier die Straßen gut repariert und von Kriegsschäden kaum etwas zu merken war. Erst als wir bei Poggibonsi die Bahnlinie überquerten, säumten unseren Weg wieder traurige Ruinen. Siena dagegen war verschont worden und das unvergleichliche Bild seines Stadtplatzes war eine höchst angenehme Dreingabe und Fahrtunterbrechung. Dann aber wurde die Landschaft einförmig und die Straße schlecht und zahlreiche Autoleichen machten sie noch melancholischer. Der Bolsenasee mit Monte-fiascone brachte etwas Abwechslung, aber schließlich war ich von der langen und ununterbrochenen Fahrt doch so abgespannt, daß mir selbst die Ankunft in der ewigen Stadt keinen sonderlichen Eindruck mehr machte. Ich fand in der Anima ein bescheidenes Zimmer, feierte aber meinen Einstand insoweit auf würdige Weise, als ich mich nach wenigen Minuten durch einen Zufall in der Gesellschaft von gleich zwei Kardinälen befand. Ich machte nämlich dem eben anwesenden Erzbischof von Wien meine Aufwartung, und während ich noch bei ihm war, kam der ehemalige Wiener Nuntius Kardinal Sibilia, der seinerzeit in Innsbruck das Begräbnis Pastors, des Geschichtsschreibers der Päpste, gehalten hatte.

Als ich heute vormittag über die Engelsbrücke ging, zwischen den prächtigen Marmorfiguren hindurch, die sich mit dem dunklen Gemäuer der Engelsburg überschnitten und in der Morgensonne helleuchtend in den blauen Himmel ragten, und links daneben die Peterskuppel erblickte, da ging mir das Herz so weit auf, wie schon seit langem nicht mehr, und es war mir, als ob alles Alltägliche und Kleine und alles Elend der gegenwärtigen Zeit plötzlich von mir abfalle. Ein Chorkaplan von St. Peter, der lange in Amerika gelebt hatte und mich zuerst für einen Amerikaner hielt, sprach mich freundlich an und in meiner gehobenen Stimmung sagte ich ihm wie gerne ich mit ihm tauschen möchte und daß ich augenblicklich nur den einen Wunsch fühlte, hier bleiben und hier sterben zu dürfen. Kurz darauf stand ich unter der Peterskuppel und hier nahm dieser Gedanke eine noch viel konkretere Form an. Wie oft habe ich in den letzten Jahren, wenn die Bomben fielen, angstvoll zur Kellerdecke emporgeblickt. Wenn aber dies himmlische Wunderwerk in diesem Augenblick eingestürzt und auf mich niedergebrochen wäre, ich wäre — so kam's mir wenigstens vor — keinen Schritt von meinem Platz gewichen und hätte mich willig und ergeben unter seinen Riesentrümmern begraben lassen.

Im übrigen aber kann man auf den unseligen Krieg nirgends leichter vergessen als in Rom. Abgesehen von der zerstörten Vorhalle von S. Lorenzo, hat die ewige Stadt, wenigstens was ihre Monumente anbelangt, kaum etwas gelitten. Die vielen Mosaiken in den Kirchen stecken wohl noch in ihren Staniolhüllen, die sie vor Splitter-und Brandschäden bewahren sollten, aber im Vatikan selber und auch im Lateran und Santa Maggiore, die ja ebenfalls zur Vatikanstadt gehören, wurden überhaupt keine Schutzmaßnahmen getroffen und auch sonst sind die geborgenen Denkmäler alle wieder an ihren Stellen und selbst die Museen, von den Privatgalerien abgesehen, wieder zugänglich. Das Leben auf den Straßen mit seinem verwirrenden Autoverkehr macht einen durchaus normalen Eindruck, nur war alles gröber und weniger elegant als noch vor zwei Jahren. Die Auslagen der Kaufläden sind voll der köstlichsten Dinge, man kann haben was man will, nur die Preise sind unerschwinglich. Auch das Essen ist sehr teuer und man zahlt für eine bescheidene Mahlzeit zirka 400 Lire. Dafür gibt es aber eine reiche Auswahl an Speisen, die eine wie die andere ausgezeichnet munden. Und wenn man ein ordentliches Trinkgeld gibt und auch sonst freundlich ist, kann man ruhig deutsch sprechen — man wird deswegen nicht weniger liebenswürdig und zuvorkommend behandelt. Auffallend ist für unser-

nen der Umstand, daß man überall leicht und bequem Platz findet. Auch das wird wohl eine Folge der hohen Preise sein, denn von den Theatern und Konzerten gilt dasselbe.

Wesentlich schlimmer als in Rom selber sieht es in der Umgebung aus. Die Marina von Ostia, sonst ein elegantes Seebad, ist öde, verlassen und sehr zerstört. Es gab dort nur eine einzige, einfache Trattoria. Aber die herrliche Fischsuppe war genau so gut wie in alter Zeit. Frascati, wo Kesselring sein Hauptquartier hatte, wurde arg mitgenommen und auch in Tivoli gibt's nicht wenige Ruinen. Aber der Villa D'Este und ihrem herrlichen Garten ist nichts widerfahren und das wehe Glück, das mich an solchen Stätten immer überfällt, hat mich auch diesmal völlig übermannt. Übrigens hat erst das Heranwachsen der herrlichen Zypressen — man sagt, sie seien die größten und höchsten von ganz Italien — und vor allem die Melancholie des leben Verfalles diesem ein-

maligen Ort mit seiner vollen Poesie erfüllt.

Und wenn man etwa glaubt, daß die Menschen, die diese Zaubergärten schufen und darin wie in den Gefilden der Seligen auf und nieder wandelten, seien glücklicher gewesen als wir, so ist auch das eine Täuschung.

Kardinal Ippolyto d'Este, der Erbauer dieser unvergleichlichen Villa, die für Götter geschaffen scheint, führte hier in seinen letzten Lebensjahren, von Krankheit und von Schulden, von der Ungnade des Papstes und vom Undank der Einwohner von Tivoli gequält, ein elendes Dasein, und als ihm die Ärzte endlich eingestanden, es gehe mit ihm zu Ende, da lachte der alte Kardinal und schalt sie, daß sie ihm das nicht früher gesagt hätten — so froh war er, von diesem Erdendasein endlich erlöst zu werden. Darum habe ich, von der Villa zurückkehrend, auch die Ruinen — schmerzliche Spuren, die der Krieg in Tivoli und anderswo zurückließ — mit größerer Gelassenheit betrachtet, denn Kummer und Leid hat die Menschen zu allen Zeiten heimgesucht, und auch das darf man ruhig behaupten: so schmerzlich viele Verluste und Zerstörungen auch sind — Italien ist an Kunst und Schönheit immer noch so überreich, daß es auch in Zukunft das Land der Sehnsucht bleiben wird.

Aufruf 1945

Well unsere Liebe zu dir uns niemals verließ,

Weil wir auch glaubten, als es vergessen hieß,

Weil wir die Hoffnung säten tief in dein Felsengrab,

Weil wir dir Treue gelobten in deine Nacht hinab,

Weil wir dir halfen in deiner furchtbaren Not,

Weil unsere Herzen schrieen, als man uns Schweigen gebot.

Weil auch Gott im Himmel es nicht ertrug,

Daß menschlicher Aberwitz schmählich in Banden dich schlug, Darum brach das Schicksal die Ketten selber entzwei, Und im Kampfgetümmel klang hell dein Jubelruf: Freil Brüder in Not und Gefahr, Brüder hört ihr es wohl, Jenseits der Berge wartet das heilige Land Tirol.

Paul Martin M e 1 c h a u

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