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Deutschland im Frühling

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Düsseldorf, leichtes Schneetreiben. Der Flughafen ist zur frühen Stunde mäßig belebt. Vor dem Fließband, das das Reisegepäck — hier aus einem tiefer liegenden Schacht — zutagefördert, versammeln sich die Passagiere der österreichischen Maschine. Das Gespräch ist laut, einige junge Damen imd Herren unterhalten sich im lebensfrohen Dialekt ihrer Heimatstadt Wien. Ihre Heiterkeit wirkt übertrieben, die österreichische Klangfärbung forciert. So redet kein Wiener. Der Akt lautstarker Selbststili-

sierung soll offenbar Eigenständigkeit erkennen lassen.

Solche Demonstrationen des Selbstbewußtseins entspringen meistens der Angst. Die Kräfte der Gruppendynamik führen zur Steigerung, als wollte man sagen: Solange wir noch beisammen sind, wollen wir unter uns sein.

Endlich setzt sich das Fließband in Bewegung. Die ersten Koffer tauchen auf, gleiten auf uns zu. Der Anblick läßt das Gespräch verstummen. Die Angst, das Eigentum könnte nicht rückerstattet werden, stellt sich ein. Das Gefühl ist auch denen bekannt, die oft fliegen, auf Flughäfen daheim sind. Erf ahnmg nützt in diesem Punkt wenig, die Vernunft noch weniger. Wo es Mm den Besitz geht, walten Urinstinkte.

Der junge Taxifahrer trägt einen gepflegten blonden Bart. Sein modischer Pullover ist aus Wollgewebe und Leder zusammengesetzt, sein Schuhwerk aus weichem Leder genäht. Er plaudert über Düsseldorf, lobt die Annehmlichkeiten der Stadt Hier läßt es sich leben. Seine weltgewandte Saloppheit ist erstaunlich, der Tonfall wohlwollender Kameraderie unüberhörbar. Die Leichtigkeit, mit der die Generation der heute Dreißigjährigen dahinlebt, dahinplappert, an den Dingen entlangstreift, ohne in sie einzutauchen, ist verblüffend.

Man hat ihnen manche Hemmungen genommen und einen gewissen Wohlstand gegeben. Sie scheinen Fremdheit - und in ihr das Abenteuer des Anderssein als Tragik, die überwunden werden will - nicht zu empfinden. Was tun sie im Unglück? Können sie sich dem bösen Augenblick unverletzt entziehen oder werden sie, die Unvorbereiteten, von der Katastrophe gänzlich gebrochen?

Merkwürdig, daß man das Verhalten, das wir gemeinhin mit dem Wort salopp bezeichnen, in Deutschland so oft beobachtet -viel öfter als bei uns. Es lohnte sich, über die Ursachen nachzudenken. Protestantischer Purita-nismus im Norden, barocke Freude an der Form im Süden: die Erklärung kann nicht überzeugen.

Weiter führt der Gedanke an die Grenzen. Die meisten Deutschen leben in der Geborgenheit eines weiten Sprachraumes, jeder Österreicher wohnt wenige Autostunden von der nächsten Grenze. Oft ist die Entfernung noch geringer; dem entspricht die natürliche Vermischung mit anderen Völkern. Darin üegt Fruchtbares, auch Gefährliches. Diese ständige ethnische Mobilität zwingt uns, nach einem Element der Beständigkeit zu suchen. Sie ist in der Form zugegen. Wir praktizieren sie resigniert, ja selbstspöttisch. In jedem Österreicher schlummert die Karikatur seiner selbst.

Zur Ausstellung des Lebenswerkes des Malers August Macke in Bonn. Der Menschenandrang ist sympathisch. In kargen, niedrigen Räumen sind die Bilder zu sehen, in chronologisch umgekehrter Reihenfolge gehängt: Im Erdgeschoß die Gemälde der Reife, oben im zweiten Stock die Skizzen des Anfangs.

Das widerspricht nicht nur dem natürlichen Wunsch, das Lebenswerk als die Entfaltung einer künstlerischen Begabung zu sehen, sondern berührt auch peinlich. Jeder Anfang ist linkisch. Wenn wir von Raum zu Raum gehen, sehen wir zum Schluß die rührenden und oft genug schwachen Versuche eines Halbwüchsigen. Wir mögen dann im Rückblick die Meisterschaft der letzten Jahre bewxmdern; die Wirkung bleibt dennoch zwiespältig. Die Ausstellung ist übrigens der

Magie der runden Jahreszahlen zu verdanken. Macke ist 1887 in Meschede im Westfälischen geboren, im September 1914 in der Champagne gefallen und in einem Massengrab bestattet. Im opulenten Katalog sind alle wesentlichen Bezüge dieses kurzen Lebens dargestellt, auch Mackes enge Beziehung zur französischen Malerei.

Die Bilder der letzten Lebensjahre zeigen im Leuchten der Farben die Wirkung des Impressionismus. Im Aufbau der Komposition läßt sich Kubistisches erkennen. Aber: Welche nachdenkliche Lebensfreude, welche Empfindsamkeit, welche Melancholie der festlich glühenden Farben!

Immer wieder stellt sich im Falle der Frühvollendeten die Frage: Das Ticken welcher Lebensuhr hat ihnen das Herannahen ihrer Todesstunde verraten? Man denkt unwillkürlich an Georg Büchner, an Apollinaire, an Garcia Lorca. Das Gegenbeispiel verstärkt die Ratlosigkeit: Was hat Goethe befähigt, den Rhythmus seines Werkes der Zeitdauer eines langen Lebens anzupassen?

Mackes Sohn wurde von den Nationalsozialisten ermordet; das Leben des Künstlers war, noch nach seinem Tod, vom Tod überschattet. Die Bilder setzten der Vergänglichkeit die Schönheit entgegen. Die sonntäglichen Spaziergänger in sonnenüberfluteten Parks, die Macke abbildet, sind Sinnbilder des Hoffens.

Der Kölner Dom: im dunstigen Vorfrühling am Rhein ein Denkmal gotischer Gottessuche, im 19. Jahrhundert vollendet. Die Grundmauern der Römerzeit liegen tief unter der Erde; über ihnen erhebt sich ein Werk des deutschen Patriotismus, gereift im Freiheitskampf gegen Napoleon, gefördert von einer Macht, die das Römische erst durch die Aufklärung erfaßt, dann aber nach Art der Neophyten - etwas zu steif und streng — zum bewegenden Geist des eigenen aufstrebenden Wesens gemacht hat. König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen hieß der Bauherr.

Hier, beim Bau des Kölner Domes, lernte der planende Architekt der Wiener Neogotik, Friedrich von Schmidt. Gegenwärtig residiert Helmut Zilk in seinem Rathaus. Bei Schmidt ist der ungarische Architekt Imre Steindl in die Lehre gegangen, Architekt des kuppelgekrönten Parlaments in Budapest. Das ungarische Parlament ist ein Enkel des Kölner Doms.

Im Zug zwischen Köln und Marburg öffnet ein Schaffner die Tür des Abteils, ein schlaksiger Mann in der kommoden Haltung eines Zivilisten. Er sagt: „Ich heiße Fuß und bin Ihr Betreuer. Darf ich Ihnen behilflich sein? Darf ich Ihre Fahrkarten sehen?“ Er waltet seines Amtes, dann sagt er: „Wenn Sie mich brauchen, ich stehe zu Ihrer Verfügung.“ Er lächelt und geht: kein Schaffner, sondern Betreuer von Fahrgästen. Auch das ist Deutschland.

Marburg ist schön. Vor den Fachwerkhäusern stehen da und dort Plakatwände, und auf diesen ist, neben anderen Gesichtern, auch das Gesicht von Michail Gorbatschow zu sehen, der hier - so als wäre er eiil zur Wahl stehender Abgeordneter - für die Deutsche Kommunistische Partei wirbt. Sein Gegenspieler befindet sich gleich um die Ecke, dem mittelalterlichen Rathaus gegenüber: mittelgroß, unscheinbar, mit Tabletts beladen, auf denen Schüsseln und Gläser stehen.

Der Wirt des Gasthauses Zur Krone in Marburg ist ein Kroate. Wenn man die serbischen Speisen seines Angebotes rühmt, schafft er sogleich Klarheit. Was er zu bieten hat, ist nicht serbisch, sondern kroatisch. Er findet dann gegen Mitternacht Zeit, mit den Gästen ein paar Worte zu wechseln. Natürlich besucht er seine Heimat immer wieder. Er meint, Ideologie richte alles zugrunde. Eine matte wegwerfende Handbewegung ist ihr angemessen, mehr nicht Die bronzene Gestalt auf dem

Rathausturm scheint die Trompete zu blasen, zugleich beginnt ein bronzener Adler mit den Flügeln zu klappern. Während solcher akustischer Erinnerungen an Germaniens Herrlichkeit erläutert der Gastwirt Zur ICrone die politischen Wirren des Balkans.

Zwei Straßen weiter befindet sich eine italienische Trattoria; neuerdings gibt es in Marburg auch ein türkisches Lokal. Hier, in der Krone, trinken wir selbstverständlich Dingač. Die Vereinigung Europas vollzieht sich an den Wirtshaustischen.

Das Schloß in Marburg ist, auf der höchsten Erhebung der Stadt wehrhaft gelagert, eine Burg. Die Räume dienen als Museum. Viel Mittelalterliches gibt es zu sehen; dokumentiert sind auch die Jahrhunderte jenes unabhängigen Hessen, das dann in drei Teile zerfiel.

Das Großherzogtum Hessen-Darmstadt kämpfte im Jahre 1866 an der Seite Österreichs, wurde von Preußen besiegt, allerdings blieben die Folgen der Niederlage erträglich. Ludwig III. von Hessen war ein Verwandter des Zaren und des englischen Königshauses; man nahm Rücksicht.

Die Erinnerung an die alte Allianz ist nicht ganz erloschen. „Die Verbindung entsprach den Interessen des hessischen Staates“ , sagt der Freund während des Abstiegs in die Stadt. „Wir haben gemeinsam mit Österreich den Krieg verloren, aber der Widerstand war notwendig gewesen: er stärkte das Bewußtsein.“

Wir stehen vor der Elisabethkirche. Das ruhige Licht des hellen Frühlings liegt auf der mächtigen Fassade. Im Gotteshaus liegt die Heilige Elisabeth begraben, eine Tochter des Ungarnkönigs Andreas. „In Deutschland vergißt man oft die Länder im Südosten“ , sagt der Freund. ,Jn Marburg ist das anders. Am Grab der Heiligen Elisabeth muß man an Ungarn denken. Die Erinnerung verbindet.“

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