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Acht Lander, ein Fluß, eine Konditorei

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(Trinken, flanieren, beraten.) Und wieder nach Budapest: zur Donau-Konferenz der Journalisten. Der Zollbeamte weiß Bescheid, salutiert, hat nichts gegen den beachtlichen Stapel westlicher Zeitschriften im Reisegepäck einzuwenden. Nieselregen. In der geräumigen, noch nach den imperialen Maßstäben Kakaniens erbauten Halle des Ostbahnhofes bieten sich auf einer Reklametafel die sowjetischen Eisenbahnen an: man nehme sie, denn sie sind zuverlässig, sauber und pünktlich. Das wirkt kommod. Im Journalistenverband geht der Empfang seinem Ende zu; eine Kollegin aus alten Zeiten bietet Wein an, sie ist jetzt mit K. liiert, K. wird angerufen, liegt schon im Bett, zieht sich wieder an, trifft ein; wir suchen uns ein Gasthaus.

Alles überall besetzt. Endlich, am Rosenhügel, finden wir Platz in einem Lokal, das vor vielen Jahren Peierli geheißen hat oder bloß von uns so genannt wurde. Ist ja egal. Der Rotwein ist herb und leicht anheizend. Nach Mitternacht fährt die Kollegin nach Hause, wir beiden Männer spazieren heimwärts.

Kühl ist der Wind, belebt sind die Straßen. K. ist führender Außenpolitiker des ungarischen Fernsehens. Wir besprechen die Weltlage in besonderem Hinblick auf das mittlere Europa. Ecke Marxplatz hält uns der milde Wortschwall eines Betrunkenen auf, doch bis dahin haben wir das Problem China bereits skizziert. Die Slowenenfrage dauert bis zum Oktogon-Platz, die amerikanische Präsidentenwahl ist bis zur übernächsten Ampel erledigt, Afrika wird durch das Lachen einer fröhlichen Gesellschaft unterbrochen und kann auch bis zum Haustor von K. nicht gelöst werden. Er hat seinen Schlüssel nicht mit, muß also läuten. Der Hausmeister kommt eine Weile nicht, so bleibt noch etwas Zeit für den Libanon. Wir verabreden uns für den übernächsten Abend.

(Paizs und die anderen.) In Szent-endre beginnt die Konferenz, im Saal des Wasseramtes. Das nach dem Heiligen Andreas benannte, von griechisch-orthodoxen Kaufleuten geprägte Städtchen liegt nördlich von Budapest. So etwa 45 Minuten fahren wir durch grauen Regen.

„Acht Länder — ein Fluß“, so lautet die Parole der Tagung. An die sechzig Teilnehmer trinken zuerst Kaffee, holen sich ihre Unterlagen, holen die Kopfhörer für die Simultanübersetzung. Ungarisch, russisch, deutsch sind die Konferenzsprachen. Die Slowaken und Rumänen reden detttsch, der Bulgare wählt Russisch. Er vertritt die „Dunajska Prawda“ aus der Stadt Russe. Aus Jugoslawien ist ein ungarisch sprechender Rundfunkreporter gekommen; die feinen Rumänen sind Kulturjournalisten; die Tschechen und Slowaken scheinen mehr auf Technik spezialisiert zu sein; zwölf Kollegen aus der Bundesrepublik zeigen lebhaftes Interesse, ihr Wortführer ist Franz Schönhuber vom Bayerischen Fernsehen; aus der Sowjetunion ist N. I. Sabelkin gekommen, Chefredakteur der Nachrichtenagentur Nowosti; wir Österreicher sind zu viert.

Gabor Paizs hält das große Referat, Leiter der Budapester Boulevardzeitung „Esti Hirlap“ (Abendblatt), betont Verbindendes, formuliert Ideen, gibt Anregungen. Man könnte, zum Beispiel, die Olympischen Spiele gemeinsam übernehmen, die einzelnen Wettbewerbe auf die Städte entlang der Donau verteilt. Oder: Man müßte ein Donaumuseum gründen. Gemeinsam. Oder: Was wäre mit gemeinsamen Reiseprogrammen für Touristen? Später fügt Paizs auch die Idee einer gemeinsamen Zeitschrift zu den übrigen Einfällen. Eine Zeitschrift „Donau“, in sieben Sprachen, warum denn nicht? Und warum nicht die traditionelle Folklore gemeinsam pflegen? „Die Pflege der Tradition ist eine Tätigkeit, die genauso viel Werte hervorbringt, wie die Erschaffung neuer Wer^e“, sagt Paizs.

Er ist ein kauziger Mann, um die Vierzig, selbstsicher, spielfreudig, ein Mensch mit Selbstironie, glänzender Formulierer.

Es folgen ergänzende Referate über Hydrologie und Energiewirtschaft, über Fremdenverkehr und Wasserrecht, über archäologische Forschung und über Camping: sachliche Informationen. In Vertretung der österreichischen Donaukraftwerke spricht Friedrich Hermann knapp, klug, prägnant. Vor all den Wortmeldungen wird aber ein Film gezeigt.

(„Wagt es, groß zu sein!“) Ein Farbfilm über den Donau-Main-Rhein-Kanal. Bereits 1867 fuhr Edmund Graf Szechenyi auf seinem kleinen Dampfer „Wassernixe“ von Budapest nach Paris: um den weiteren Ausbau des großen Wasserweges anzuregen. Mehr als dreißig Jahre früher hatte sein Vater die Regulierung der Donau am Eisernen Tor angeregt. „Wagt es, groß zu sein!“ hieß es in einer seiner Schriften. Der Film, gut gemacht, zeigt die Problematik. Die ganze?

(Hintergedanken.) Fast drei Tage hindurch wird geredet. Gut geredet. Und die Stimmung ist mehr als kollegial, ist geradezu freundschaftlich. Wir, Leute der Schreibmaschinen und der Filmkameras, der Mikrophone und der Fotoapparate, haben vielleicht eines gemeinsam: Wir nehmen das Weltgeschehen bitter ernst — und nehmen es überhaupt nicht ernst, denn es ist ja bloß ein Thema. Unsere Aufregungen sind durch Autosuggestion steuerbar. Wir sind selbstverständlich frei und unabhängig, zugleich aber doch der Atmosphäre unserer Zeitungen verpflichtet. Aus Disziplin? Nein. Vielleicht aus Loyalität. Also: wir verstehen einander vortrefflich. Und haben selbstverständlich Hintergedanken.

Ein Kollege aus der CSSR läßt durchblicken, daß man das Donauwasser bei Preßburg doch allzu verschmutzt in Empfang nehme und es dann allerdings gereinigt weitergeben wolle. Ein Kollege in Vertretung der UN informiert uns überflüssigerweise über Wasserforschungsarbeiten im Persischen Golf, ein Kollege aus Rumänien zitiert einen Satz des Präsidenten Ceau-cescu zu einem ganz anderen Thema, und ein Kollege aus Deutschland — ja, er spricht es aus. Er formuliert es. Er klatscht es der Beratung ins Gesicht. Er macht aus dem Hintergedanken einen Vordergedanken.

(Bayern als neues Gibraltar.) Der Mann, der es ausspricht, heißt Armin Fiedler und vertritt die „Nürnberger Zeitung“. Und was er ausspricht, ist etwa:

Das schwierigste Teilstück beim Bau des Donau-Main-Rhein-Kanals führt durch Bayern, und zwar südlich von Nürnberg. Der Kanalbau kostet hier viel. Sehr viel sogar. Was nun, wenn die sozialistischen Länder auf dem Gebiet des Transportes eine eigene Tarifpolitik betreiben? Was nun, wenn sie die übrigen Anrainerstaaten des Kanals unterbieten? Fazit: der Kanal kann nicht internationalisiert werden, solange diese Frage nicht geregelt ist. Es ist der deutschen Wirtschaft nicht zuzumuten, eine Investition zu tätigen, die ihr letztlich keinen Nutzen, sondern, ganz im Gegenteil, nur Schaden bringt.

Nun ist es da, das Problem, bleibt, wie man bei solchen Gelegenheiten zu sagen pflegt, in den Raum gestellt, und wird sogleich von Hintergedanken umrankt. Von Freundlichkeit umwölkt. Nur Gabor Paizs kommt zum Schluß auf die Frage zurück. Er verwendet eine Formulierung, die am Abend vorher am weißen Tisch zum ersten Mal gefallen war. Es sei ja unerwünscht, sagt er, daß inmitten von Europa ein „neues Gibraltar“ entstehe — und also halten wir nur zusammen, pflegen wir die Freundschaft und setzen wir unser Gespräch im nächsten Jahr fort.

(Mehr am Rand.) Wunderschön ist das Städtchen Szigliget auch bei Nebel und Regen; die ungarischen Impressionisten der Jahrhundertwende wußten genau, warum sie sich gerade hier versammelten. In einem bescheidenen Lokal befindet sich hier die zweitbeste Zuckerbäckerei des Landes. (Die erste ist Vörösmarty oder Gerbeaud in Budapest.) Ein eigenes Museum ist Margit Koväcs gewidmet, einer Keramikerin auf den Spuren Bela Bartöks: sie versucht, die archetypische Formenwelt der Volksballaden nachzuempfinden und neu zu gestalten.

Man ißt und trinkt viel und gut; man ärgert sich über die einfallslosen Haupttitel in manchen Zeitungen; man freut sich über das reiche, weitreichende Angebot der Buchläden; man notiert sich in einer einzigen Gasse zwei etwas absonderlich wirkende Aufschriften. Ein Kleingewerbetreibender empfiehlt sich als Hersteller von „Nudel-Schneide-Maschinen“ und ein Wirtshaus macht die Gäste auf die Tatsache aufmerksam, daß das Trinken auf der Straße vor der Tür behördlich verboten sei. Eine dritte Tafel scheint Nachahmenswertes zu verbergen: ein „Tagesheim für Alte“.

(Gerangel.) Uber das Schlußdokument wird noch ein wenig diskutiert. Es sind die Journalisten aus Deutschland, die sich mit dem Text gründlich befassen, die vorbereiteten Sätze genau studieren und zur Feststellung kommen, daß sie dies und jenes nicht unterschreiben können — und dabei geht es den Gastgebern ja nur um den Ausdruck gemeinsamen Wohlwollens und um die Möglichkeit, die gemeinsamen Ziele irgendwie weiter zu verfolgen. Endlich verzichtet man auf jede Resolution, bleibt lieber bei der Unverbindlichkeit einiger allgemeiner Feststellungen und bei der lächelnden Hoffnung auf ein Wiedersehen. Das Gerangel dauert höchstens zwanzig Minuten. Und damit ist die Konferenz auch schon beendet.

(Konditorei Krone.) Am Abend zum Vortragsabend von Eva Ruttkay. Sie tritt in einer Konditorei auf: eine der wichtigsten Schauspielerinnen ihrer Generation auf dem kleinen Podium. Seit einiger Zeit gibt es solche Veranstaltungen. Sie sind beliebt, sehr beliebt, still, andächtig und intim. Die Konditorei auf dem Burghügel, nahe der wiederaufgebauten königlichen Burg, heißt „Korona“, Krone, und bietet etwa 150 Zuschauern gute Plätze. Man ißt Kastanienreis, man trinkt etwas, man lauscht. Eva Ruttkay hat ein vielschichtiges Programm. Die wichtigsten Autoren: Aristophanes, Shakespeare, Goethe, Tschechow, Molnär, Ferdinand Bruckner, Tennessee Williams, Somerset Maugham. Von den zeitgenössischen Ungarn wird nur Miklös Gyärfäs zitiert, ein freundlicher, freundlich verbitterter, ironischer Dramatiker; seine milde Satire richtet sich gegen die Zunft der Stückeschreiber.

Das Publikum genießt die Nähe zur Schauspielerin, will Anteil haben an der Theatergeschichte, fühlt sich wie hinter die Kulissen versetzt, wie in das Privatleben der Künstler eingeweiht. Und in diesem Privatleben ereignen sich gewiß größere Erschütterungen als im Leben ähnlicher Schauspieler etwa in Wien: Abenteuer spielen sich ab, Tragödien nehmen ihren Lauf, vor Erregung zitternd durchmißt man die Zeit zwischen Triumph und Katastrophe. Die Zuschauer wissen einiges, wissen nicht alles; doch wenn der Schauspielerin ab und zu die Tränen in die Augen steigen, glaubt man, verstanden zu haben.

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