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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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HACH DER GROSSEN FLUT. Die Naturgewalten wüteten wieder in Stadt und Land und zerstörten Häuser, Strafen und Brücken, vernichteten die Ernte, die Existenz hunderter und tausender Bauernfamilien. . Niemand konnte ihnen helfen: weder die Journaille — die wieder einmal allzu eifrig am Werk waren und „Katastrophe” schrien, auch dort, wo nur gewisse Unannehmlichkeiten für Heurigengäste die Folge des starken sommerlichen Gewitters waren — noch die Techniker unseres in die Perfektion vernarrten Zeitalters, die auf und daran sind, unsere Landschaften in Terrains, unsere Flüsse und Bäche in industriell nutzbare Kanäle zu verwandeln. Was aber nun? Wann werden wir zum Beispiel den Bericht lesen, der die Wahrheit, aber die ganze Wahrheit, über die Umstände erhellt, die zum Beispiel zur Vernichtung der Salzburger Autobahnbrücke geführt haben? Wußte man hier wirklich Bescheid über den Zustand dieser Brücke, die in den ersten Jahren des Krieges hastig fertig- gestellt wurde und die hinter dem Hakenkreuzemblem nicht unbedingt ein Denkmal der Gründlichkeit gewesen sein dürfte? Oder ließ man sich auch da durch die schöne Fassade täuschen? Diese Frage isf nur eine von vielen, die ebenfalls gestellt und mit aller Sorgfalt beantwortet werden müssen, und zwar nicht von den Reportern der Boulevardblätter, die sich nun getrost anderen „Sensationen” hinwenden können, sondern von den allein zuständigen und verantwortlichen Gremien des Staates und der Länder. Ersf dann kann die sinnvolle Aufbauarbeit beginnen, zuerst die Wiedergutmachung der Schäden und dann wohl auch das neue Durchdenken bereits früher beschlossener Pläne …

REFORMWUNSCHE ANGEMELDET. Das Gespräch über die Frage, ob und wie die erste Regierungspartei zu reformieren sei, dauerte während des ganzen Sommers an. Berichte, Diskussionen und Repliken füllen noch immer von Woche zu Woche, von Monat zu Monat die Zeitungen. Ein wirkliches, auch in privaten Zirkeln eifrig diskutiertes Thema wurde da aufgegriffen. Nach einer Artikelserie in der Monatsschrift der Volkspartei, meldet sich nun die Zeitschrift des Oesterreichischen Akademikerbundes, „Der Akademiker”, zu Wort. In einem Leitartikel, aus der Feder des agilen Generalsekretärs dieses Vereins, werden schwerwiegende Punkte aufgezählt: eine Organisation „im nichtkollektivistischen Lager” set kaum vorhanden oder sie funktioniere schlecht und arbeite „mehr für Interessengruppen als für die Sache”. Es fehle an einem „grundsätzlichen Konzept”, das „den Erfordernissen der neuen Zeit” entspräche. Die Berufung auf das „christliche Abendland” genüge eben nicht… aber auch nicht die Berufung auf die „Rundheit des Schillings”. Und der Artikelschreiber folgert aus alldem: „Es müßte also etwas geschehen.” Er fordert „eine starke, moderne Partei” mit einem „Generalstab”, das Vorrücken einer „unerschrockenen und dynamischen Jugend” in die Parteisfellen und einen außerordentlichen Parteitag. Aber er glaubt selber nicht, daß diese Wünsche erfüllt werden — und da hilft seiner Meinung nach nur eines: eine neue Gemeinschaft „Pro Austria”, welche „die Parteien zwingt, staafspolitischen Erwägungen den Vorrang zu geben”. Der Leser des Artikels wartet nun gespannt und erwartet, daß er in Kürze noch Näheres und Genaueres über das soeben Angekündigte erfährt. Wie soll es beschaffen sein, dieses „nichtkollekfivisfische Lager”? Aber das Nächste, was geschehen müßte, wäre, eine Klärung der Begriffe durchzuführen. Das soll immer der erste Schritt sein, vor der Aktion.

UNGARN, DER PEN-KLUB UND SEINE CHARTA. Bei der letzten Plenarversammlung des PEN-Klubs in Frankfurt am Main gab es auch eine Abstimmung, die mehr Aufsehen gemacht hat als sämtliche übrigen Veranstaltungen und Reden dieser Tagung. Durch diese Abstimmung wurde über die Reaktivierung des ungarischen PEN-Zentrums entschieden, und zwar positiv. — Einige Zeitungen, auch österreichische, waren mit dem Kommentar fix zur Hand: kryptokommunistische Unterhöhlung des PEN und so weiter. Aber so einfach lagen die Dinge nicht. Sehen wir uns das Abstimmungsergebnis an: für die Reaktivierung des ungarischen PEN stimmten 19 Delegationen, darunter Frankreich, Italien, Holland u. a.); dagegen neun (unter ihnen Oesterreich als Wortführer und Augenzeuge des ungarischen Volksauf- sfandes); neun Länder enthielten sich der Stimme (unter diesen die USA und England). Man sieht: die Trennungslinie ging mitten durch die Reihen… Welche Gründe haften die Pro-Stimmenden und die sich der Stimme Enthaltenden? Man wollte um jeden Preis einen Stützpunkt des PEN auch in Ungarn halfen, selbst um den Preis der offensichtlichen Verletzung der PEN-Charfa durch die ungarische Regierung. Denn dieser Vorwurf trifft nicht die Mitglieder des ungarischen PEN, von denen einige, prominente, noch eingekerkert sind. Ueber diese Methode kann man verschiedener Meinung sein, die Mehrheit war jedenfalls für die Erhaltung des Stützpunktes, und Kenner der Verhältnisse (die sich ja eines Tages ändern können), werden den Pro- Stimmenden die guten Gründe zubilligen müssen. Der österreichischen Delegation kann jedenfalls kein Vorwurf gemacht werden. Wenn sie mit ihrem Antrag und ihrer ablehnenden Haltung nicht durchgedrungen ist, so spiegelt das eben — und das wollen wir festhalten — die freie Möglichkeit der Meinungsäußerung. — Der PEN ist eben eine freiheitliche, ihren Prinzipien nach westliche Institution, die nicht von oben her oder durch Parteiparolen gelenkt wird.

EISENHOWER IN PARIS UND BONN. Der Präsident der Vereinigten Staaten unternimmt eine Rundreise in die Hauptstädte der wichtigsten Verbündeten der USA, obwohl er zu einer Konsultierung anderer Regierungen vor einem Staatsbesuch, bei dem keine „Verhandlungen” geführt werden sollen, der Form nach nicht verpflichtet ist. In Paris wird an dieser Version auch festgehalfen, denn die Verstimmung — angesichts der sich abzeichnenden Konturen einer begrenzten Verständigung über gewisse Grundtatsachen zwischen Washington und Moskau, über die Köpfe der kleineren Mächte hinweg — ist in Kreisen der französischen Regierung groß. Hier will man zunächst die „französische Atombombe” ins Trockene bringen. Die erste Atombombenexplosion in der Sahara steht angeblich unmittelbar bevor, zum Entsetzen nicht nur vieler Afrikaner… Dem Oberbefehlshaber der Alliierten von 1945 will aber Paris einen triumphalen Empfang bereiten. Die Besuche und sonstigen Handlungen des Regierungschefs der Vereinigten Staaten gehen ja Frankreich nicht im geringsten an: Mit der Andeutung solcher „Nuancdn” möchte man für sich weiterhin die völlige Handlungsfreiheit sichern. Indessen kommen aus Deutschland andere Töne,. Die sonst nicht gerade unternehmungslustige Bonner Außenpolitik hat schon vor einiger Zeit den Plan einer schrittweisen Normalisierung der Beziehungen zu den beiden östlichen „Nachbarn”, Polen und der Tschechoslowakei, entworfen. Seine Verwirklichung scheiterte bereits in der ersten Stunde: durch die unversöhnliche Haltung der Vertriebenenpolitiker. Seither kam aber dieses Thema nicht mehr von der Tagesordnung. Man weiß, wie sehr Amerika ein solche Entwicklung wünsqht, und eirjg Entspannung Lage, in Mitteleuropa als die wichtigste Hilfe seiner Politik begrüßen würde. Niemand kann von den Deutschen die Aufopferung eines Teiles ihres Staatskörpers als Vorschußleisfung verlangen. Aber es wäre ihrerseits wohl eines Versuches wert, zu erkunden, ob nicht auch neue, noch unerprobfe Wege zum erwünschten guten Ende führen. Dieser Weg wird heute in Washington vorgezeichnet. Nun hängt nicht wenig von der Mitarbeit Bonns ab.

PRIESTER IN DER KOLCHOSE. Es flattern manchmal fast unscheinbare Nachrichten auf den Redaktionstisch, die dennoch vielsagend sind. Eine solche Nachricht kam soeben aus Ungarn. Die amtliche kirchliche Nachrichtenagentur aus Budapest gibt bekannt: Der vom Vatikan ernannte und vom Staat bestätigte apostolische Administrator des ältesten ungarischen Bistums Veszprėm richtete an seine Priester die Mahnung, sie sollen Einladungen, die Buchhaltung in landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (Kolchosen) zu übernehmen, dankend ablehnen und auch, wenn sie zu Ehrenmitgliedern von Kolchosen gewählt werden, dies „mit der gebührlichen Danksagung für die Ehrung” nicht annehmen, da solche Funktionen den Gesetzen des kirchlichen Rechts klar zuwiderlaufen. Das Rundschreiben sagt ausdrücklich, daß solche Fälle in letzter Zeit häufig vorgekommen sind. Wie ist das zu erklären? Die Leser der „Furche” werden sich erinnern, daß im letzten Jahr die kommunistischen Behörden Ungarns mit besonderem Eifer und mit einer Brutalität ohnegleichen die Kollektivisierung des Dorfes im westlichen Ungarn — also gerade im Gebiet der Diözese Veszprėm — vorangefrieben haben. In Lastautos aus fernen Gegenden herbeigeholte Aktivisten und kommunistische Miliz besetzten die Straßen und gingen von Haus zu Haus, um den Bauern „friedlich zu überzeugen”. Und gingen nicht, bis der Bauer unterschrieb. Wie sah aber ein auf diese Weise „zum Sozialismus bekehrtes” Dorf in der Wirklichkeit aus? Die Bauern, wenn sie schon das eigene Wirtschaften aufgeben mußten, möchten zumindest die gemeinsame Kassa in sicherer Obhut wissen. Und wählen den Pfarrer zum Buchhalter, oder zumindest zum „Ehrenmitglied”. Und die Kommunisten stehen dabei und sehen zu, ja, sie stimmen sogar mit. An diesem eindeutigen Votum für die echte Autorität ändert auch die durch das Kirchen- gesefz bedingte „Ablehnung mit Dank” nichts. Wie sagt doch Goethe? „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie.”

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