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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE.

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POLITIK UND GESCHÄFT. Die Affäre „Transfines“ hat über die ungewöhnliche Veröffentlichung ungewöhnlicher Dokumente, über Dementis und ihre Desavouierung hinaus wieder einmal das Interesse der Oeffenttichkeit auf die Finanzquellen unserer politischen Parteien gelenkt. Es ist nicht das klarste Wasser, das hier fließt — in alle Reservoire. Es ist ein offenes Geheimnis, daß unsere politischen Parteien im Zeitalter der Massendemokrafie nicht mehr vom Mifgliedsgroschen ihrer Parteimitglieder Wahlkämpfe bestreifen und ihre Apparate auch in der „toten Saison halbwegs auf Schwung holten. Der gute alte Sektionskassier klappert zwar da und dort noch treppauf, treppab die Häuser seines Sprengeis ab und klopft an die Türen der Mitglieder. Er ist aber oft nicht mehr als die romantische Figur aus einer vergangenen Epoche, gleich dem letzten Laternenanzünder unserer Jugendtage. Ja, es gibt sogar lokale Organisationen, wo auf die Einhebung der Mitgliedsbeiträge „aus Ersparungsgründen" überhaupt verzichtet wird. Außerdem will man in unserer nicht allzu opferbereiten Zeit den Parteigänger und Wähler „wegen der paar Schillinge“ nicht unnötig vergrämen. Da klopft man viel lieber an Adressen, wo man mit einem Schlag Summen flüssig machen kann, die in Monaten aufzubringen die Sohlen manches kleinen Kassiers kosten würde… Von der Partei, die es noch nie so oder durch einen 6 wohlausgeklügelten Trust finanzieller „Vorwerke“ ähnlich gehalten hat, komme der erste Steinl Es liegt daher nahe, die Frage der Parteifinanzierung einmal grundsätzlich mit allem Ernst neu durchzudenken! Für heute sei allein fesfgehalten: Bei der bisherigen Praxis gilt das eine: die Grenzen des Erlaubten und vom redlichen Sinn der Bevölkerung — nicht zuletzt von der Masse der eigenen Anhänger — Tolerierten können miteinander verschwommen sein, aber sie sind vorhanden. Wird so eine „Grenzverletzung’ offenkundig, so heifjf es noch immer, persönliches Interesse vor dem der Partei zurückzustellen. Das wäre in früheren Zeiten selbstverständlich gewesen. Heute kann es nicht schaden, daran zu erinnern.

DER RUF VON SIGMUNDSKRON. 35.000 Südtiroler demonstrierten am Sonntag (während 4000 Karabinieri In Bozen eingerückt waren) auf Schlot Sigmundskron für die Erfüllung des Pariser Vertrages. Gegen das zweimalige Verbot der in Bozen geplanten Südtirolerdemon- slcation .haften schon, die südtiron Abgeordneten im Landtag für Südtirol und das Trp(jfi£io Protest erhoben. Die Regierung hat zvdem die Abhaltung des 8. Kongresses der „Föderalistischen Union europäischer Volksgruppen“ in Bozen verboten. Gleichzeitig erfährt man, daß Rom der autonomen Region Südtirol-Trentino die Erhebung von Statistiken verboten hat, die eine Kommission des Regionalrates über die Lage auf dem Arbeitsmarkt, den Volkswohnbau, die Zu- und Abwanderung durchführen wollte. Die verdeckte Unterwanderung, der Ausverkauf und andere Mittel der Italianlsie- rung wären dadurch offener noch als bisher sichtbar geworden. — Die Südtiroler Politiker sind entschlossen, mehr noch als bisher, internationale Instanzen zur Verteidigung ihrer Heimat anzurufen. Die innere Zerrissenheit des freien Europas, das geringe Interesse der beteiligten Regierungen am Europarat in Straß- burg lassen unmitielbare Erfolge solcher Interventionen als fragwürdig erscheinen. Darum geht es aber zunächst auch gar nicht. Es kommt vielmehr alles darauf an, daß mit Geduld und Zähigkeit die öffentliche Meinung in den Ländern der freien Welf auf Südtirol, diesen Testfall der Freiheit in Europa, aufmerksam gemacht wird. Die freie Welt in Südtirol: eine Ihrer größten Schwächen wird hier sichtbar. Da die Regierenden es nicht wagen, mit neuen Ideen neue Wege in der Politik zu suchen, setzen sich Immer wieder die Männer und Mittel von gestern und vorgestern durch. Rom fällt, so scheint es, zu Südtirol nichts Neues ein. So wie den freien Staaten Europas zu anderen, für sie und uns alle lebenswichtigen Fragen, offensichtlich nichts Neues einfällt. Also überläßt man die Gegenwart und Zukunft jenen alten, gefährlichen Praktiken, die in der Vergangenheit Europa in einen Trümmerhaufen verwandelt haben.

POLITISCHE INTELLIGENZ WIEDER GEFRAGT! Es hat zwar einiges Aufsehen erregt, als vor kurzem Präsident Eisenhower seinen alten politischen Gegner, Ad'lai Stevenson, gebeten hat, an einem Team teilzunehmen, das Amerika aus dem gegenwärtigen weltpolitischen Engpaß herausführen soll. Stevenson verdankt seine zweimalige Niederlage im Kampf um die Präsidentschaft nicht zuletzt, wie selbstkritische Stimmen In den USA jetzt offen gestehen, der Abneigung der amerikanischen Massen gegen die „Eierköpfe“, wie man dortzulande die Intellektuellen nennt. „Machen wir ein Ende mit der Denunziation und dem Lächerlichmachen der Eierköpfe“, verkünden nun die Schlagzeilen: Amerika ist rüstungsmäßig und auch sonst in Rückstand gekommen, eben weil' wir die „Eierköpfe“ als Illusionisten und vor allem als unbequeme Kerle ausgebootef haben. Dieser Ansatz amerikanischer politischer Selbstkritik ver dient in unseren Zonen starke Beachtung. Auch bei uns herrscht der Aberglaube, geflissentlich genährt von den großen Apparaten der großen Parteien und allen Posifionsbesitzern in Großverbänden, daß in der Politik, in der Führung des Volkes die „Intellektuellen“, die nicht ungern als „Spintisierer" abgetan werden, nichts mitzureden haben. Die Politik wird von den Politikern „gemacht”. Nun sehen wir aber tagtäglich, wohin diese Mache führt. Der Raum für ein freies Handeln, nach innen und außen, wird immer geringer, da dieses Machen sich selbst immer mehr einschränkf auf ganz wenige Schachzüge und Händeleien: durch nichts so sehr als durch sein hochmütiges und ängstliches Ausschalten des Mitredens der Betroffenen. Niemand aber weiß sich so sehr betroffen als der geistige Arbeiter, der „Intellektuelle“. Seine Haupfeigenschaft" ist ja nicht sein „Fachwissen’, das prägt ihn nicht so sehr, sondern eben seine Fähigkeit, sich betroffen zu wissen: vom Lauf der Welt, von den „Verhältnissen". — Nun hat in diesen Tagen, viel beachtet im nahen Ausland, bei uns vielleicht weniger, ein Kopf der jüngeren politischen Intelligenz, der Innsbrucker Universitätsprofessor Dr. Ermacora, in einem bekannten Salzburger Blatt an führender Stelle Betrachtungen über die Aufgabe Europas angesfellf, mit eigenen Mitteln seine Freiheit zu verteidigen, und, durchaus im Sinne der freien Welt, sein eigenes Gewicht stärker als bisher zur Geltung zu bringen. Ermacora fordert die Europäer auf, die neue Weltlage, gegeben durch die globalen

Rakefen der Russen und die verstärkte Spannung zwischen Amerika und Sowjetrußland, doch einmal neu durchzudenken. Hat Europa nicht die Verpflichtung, im wahren Sinne des Weltfriedens und der Freiheit, seine eigenen Kräfte mehr als bisher zu sammeln? Könnte es nicht, auch militärisch, ganz anders als bisher in die Waagschale weltpolitischer Entscheidungen fallen, wenn es sich, ohne ein Satellit des Ostens oder ein Trabant des Westens zu werden, politisch und militärisch stärker Im eigenen Raum integrieren würde? In manchen Kreisen Miftel- europas pflegt' märr solche 1Erwägvngefi!'Von vornherein11 mit einer Flut von' Schimpfwarfen und Verdächtigungen „wegzuschwemmen“. Dennoch sind auch wir, in Europa, bereits wie in Amerika, „auf den Hund“ gekommen. Die Sputniks, die Laikas und Raketen werden auch bei uns eine Selbstbesinnung, eine wirkliche Sammlung der Kräfte, und das heißt eine Teilnahme der politischen Intelligenz und der geistigen Arbeiter an der Diskussion und Arbeit der großen schweren Fragen erzwingen.

EINE UNÜBERLEGTE EXTRATOUR. Wer immer in London oder Washington der eigentlich Verantwortliche war für den Lufttransport britischer und amerikanischer Waffen nach Tunis, mag zunächst stolz darauf gewesen sein, daß es dank seinem Entschluß und dessen rascher Durchführung gelang, dem angeblich unmittelbar bevorstehenden Eintreffen einer Waffenlieferung Aegyptens in der tunesischen Hauptstadt zumindest „symbolisch“ zuvorzukommen. Inzwischen hat es sich, wie leicht vorauszusehen war, gezeigt, daß mit dieser anglo-amerikani- schen Eilsendung der Sache des Westens ein Bärendienst geleistet wurde, wie er den Beherrschern des Ostblocks nicht hätte erwünschter sein können. Ganz abgesehen davon, daß die aus London und Washington empfangenen kleinen Geschenke Bourgulba natürlich nicht davon abhalten werden, sich nach dem syrischen Beispiel mit Kriegsmaterial in massivem Umfang von Moskau aus versorgen zu lassen, ist es klar, wozu die Waffen anglo-amerikanischer Provenienz — Maschinengewehre und -pistolen mit dazugehöriger Munition — verwendet werden sollen; nicht zur „Aufrechterhaltung der inneren Ordnung“, wie die offizielle Version heißt, und ebensowenig zum Schutz Tunesiens gegen eine ganz undenkbare Bedrohung seitens seiner Nachbarn Libyen und Algerien, sondern zur Hilfeleistung für die algerischen Aufständischen. Begreiflich daher, daß Frankreich die tunesische Extratour seiner anglo-amerikanischen Verbündeten geradezu als einen Dolchstoß empfindet und daß man dort gerade während der Verhandlungen, die zu einem zweifellos dringend notwendigen engeren Zusammenschluß der NATO- Mächfe führen sollten, sogar von einem Austritt aus der NATO-Gemeinschaft gesprochen hat. Ernstlich wird daran freilich nicht gedacht, und allmählich werden sich die Wogen der Erregung wieder glätten. Jedenfalls aber beweist dieser Vorfall neuerlich, daß das atlantische Bündnissystem noch lange nicht die innere Stärke und Stabilität besitzt, die für die Sicherheit des Westens unerläßlich ist. Und das Ist eine Erfahrung, die sich alle verantwortlichen Staatsmänner zu Herzen nehmen sollten.

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