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Mit vereinten Kräften

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Zwei Jahre vor Abschluß des österreichischen Staatsvertrages, in einem Augenblick, als niemand die Freiheit so nahe hoffte und als der kalte Krieg noch in voller Stärke währte, fanden sich in Bad Reichenhall Angehörige der meisten Nationen der einstigen Habsburgermonarchie und des heutigen kleinen Oesterreichs zusammen, um die Gründung eines Forschungsinstituts für Fragen des Donauraumes und die Organisation einer derartigen Anstalt zu erörtern. Die Teilnehmer an der Besprechung gehörten, soweit sie aus den sogenannten Volksdemokratien stammten, durchweg der Emigration an. Manche dieser Exilpolitiker hatten Schwierigkeiten, rechtzeitig die Einreiseerlaubnis nach Oesterreich zu erhalten. So mußte die Tagung auf deutschem Boden stattfinden. Das Institut konnte allerdings seine Tätigkeit von Anfang an in d e m Lande entfalten, darin es seinen selbstverständlichen Sitz haben sollte. Immerhin durfte es sich nur in einer westlichen Besatzungszone niederlassen. Salzburg schien, aus mehreren Ursachen, dafür der vorläufig geeignetste Ort. — Wien, das an sich der gegebene Platz donaueuropäischer Forschung ist, kam auf die Dauer der sowjetischen Besatzung nicht in Betracht. Fast alle aus den Satellitenstaaten westwärts geflüchteten Parlamentarier. Gelehrten, Schriftsteller und Wirtschaftsleute waren sicher, entweder überhaupt nicht in die Sowjetzone hereingelassen oder aus ihr ostwärts an recht entfernte und keineswegs zu ersehnende unfreiwillige Reiseziele weiterbefördert zu werden.

Nun sind aber alle Schranken gefallen, und als wichtigsten Beschluß der Tagung, die vom Institut vom 14. bis 17. November 1955 in Salzburg abgehalten worden ist, sehen wir die g e-plante Uebersied1ung nach Wien an. Hier werden ihm, das sich bald zur wichtigsten politischen und wissenschaftlichen Zentrale der zwischeneuropäischen Gemeinsamkeit entwickeln dürfte, die reichen Hilfsquellen der Bibliotheken und Archive zur Verfügung stehen; von hier aus ist der Kontakt mit den* österreichischen Maßgebenden in Regierung, Parlament, Wirtschaft und Wissenschaft unmittelbar und leicht, der mit am Geschick des Donauraums interessierten nichtkommunistischen Länder, zumal auf dem Wege über die.in Wien akkreditierten diplomatischen Vertretungen, weniger schwierig als in Salzburg. Vor allem aber lassen sich von hier aus Fühlungnahmen mit vernünftigen Elementen in den Volksdemokratien anknüpfen.

Dem Forschungsinstitut, dessen bedeutendste österreichische Lenker der Vorsitzende Gesandter a. D. Hornbostel — ein urteilsbefugter Kenner der Weltpolitik und ein Gelehrter von kühler verstandesklarer Einsicht ins Mögliche —, Professor Hantsch — der Autor der besten österreichischen Gesamtgeschichte, aus profunder Vertrautheit mit dem Gestrigen zum lehrenden Wegweiser in die Zukunft berufen — und Professor Peter B e r g e r sind, obliegt es, eine herrliche Sendung zu erfüllen: Kunde zu verbreiten vom wahren Wesen der donaueuropäischen Gemeinschaft, die es einmal gegeben hat und die durch Kurzsichtigkeit und halb oder gar nicht begründetes Ressentiment zerschlagen worden ist; alle die um sich zu sammeln, die aus der jüngsten Vergangenheit genug gelernt haben, um die Irrtümer einer früheren Zeit auslöschen zu wollen oder die der schmerzlichen Erfahrungen keineswegs bedurften, weil sie ohnedies, wenn auch unvermögend, ihn zu verwirklichen, den neuerlichen Zusammenschluß der Donauvölker erstreben; endlich eine Zukunft vorzubereiten, bei der, unter günstiger internationaler Konjunktur, eine neue Donaugemeinschaft auf der einzig denkbaren föderativen Basis geschaffen werden soll.

Aus den Leitsätzen für die Arbeiten des Instituts leuchtet hervor, daß es durchaus im eben geschilderten Sinne wirken möchte. Vier Abschnitte erörtern da die Grundlagen einer regionalen Organisation des Donauraums. In politischer Hinsicht heißt es, jedes der hier siedelnden Völker habe ein Anrecht auf einen eigenen Staat; dessen Grenzen seien nach dem Selbstbestimmungsrecht zu ziehen, sobald die Vertriebenen wieder heimgekehrt sein würden; alle Völker seien innerhalb der Regionalorganisation gleichberechtigt und sie könnten sich auch zu engeren Verbänden zusammenschließen. Die Rechte nationaler Minderheiten müßten gesichert werden. Im wirtschaftlichen Bereich ist Einheit und dann Aufhebung verkehrsschädigender Hindernisse zu erstreben (bei Zoll- und Währungsunion als Ideallösung, Kontingent-, Vorzugszoll- und Währungsregelung als Vorstufe). Für gemeinsame Angelegenheit sind gemeinsame Organe einzusetzen; ein intraregionaler Gerichtshof hat Streitigkeiten zwischen den Mitgliedsstaaten der Regionalorganisation zu schlichten, die sich zur europäischen Gemeinschaft und zu den Vereinten Nationen bekennt.

Der Kundige spürt sofort, wie da heikle Fragen auf behutsame Weise gelöst oder einer Lösung angenähert werden. E i n Satz bedeutet indirekt die Anerkennung eines unabhängigen slowakischen Staates und ein zweiter, daß man - realpolitisch - diesem die engere Verbindung mit dem tschechischen Nationalstaat nicht verwehren würde. Die Rückkehr der Volksdeutschen nach den Donaustaaten wird gefordert, in zweiter Linie die der anderen Emigranten. Die Eventualität abzusprechender Grenzberichtigungen bleibt offen. Gegen alles das wäre im leeren Raum nichts einzuwenden. Wenn wir dem Forschungsinstitut die größte Sympathie entgegenbringen, ihm jeden Erfolg wünschen und ihm eine segensreiche Mission zubilligen, so legen uns gerade diese Gefühle und dieser Wunsch die Pflicht auf, drei Punkte zu berühren, die wir der Prüfung durch die entscheidenden Männer des Instituts unterbreiten.

Zunächst hat es keinen Sinn, den wesenhaft politischen Charakter einer Tätigkeit zu bestreiten, die ja nicht nur den Zwecken lebensferner Studien über die Vergangenheit dient, sondern die auch, und vor allem aus ihren Forschungsergebnissen — die ihrerseits außer der Geschichte ebenso der Gegenwart gelten —, praktische Verhaltensregeln für die künftige politische und wirtschaftliche Gestaltung des Zusammenlebens der Dönauvölker bieten will. Es ist rühmlich und lobenswert, daß sich das auf hoher Warte beharrende Institut nicht mit unmittelbarer Tagespolitik oder mit grobkörniger Propaganda beschäftigt. Politik als Kunst der vom Ethos und vom Verstand gelenkten Führung der Staaten und der Menschen, das gehört jedoch zu den vordringlichen Aufgaben der hervorragenden Oesterreicher und anderen donaueuropäischen Persönlichkeiten, die nun von Salzburg nach Wien ihre Wirkensstätte verlegen wollen.

Zweitens, eine besonnene Politik fragt nicht nur nach dem im Namen der Gerechtigkeit anzustrebenden Maximalziel, das in der Ferne winkt und das gar häufig nie erreicht wird, sondern auch nach dem Näheren, unmittelbar zu Verwirklichenden. nach stufenweise anzumeldenden Minimalbegehren. Bei der heutigen internationalen Lage ist es klar, und das haben wir Diplomaten, Parlamentariern und Historikern von Rang nicht lange zu beweisen, daß man die Rechnung nicht ohne den Wirt - und sei er ein grober, ungebetener - machen, daß man ferner die Haut des Bären nicht verteilen kann, ehe der Bär erlegt ist, noch daß man die Haut der Opfer des Bären flicken und diese Opfer heilen kann, ehe man nicht wenigstens den Bären, wenn nicht erlegt, so doch abgelenkt, weggelockt, begütigt oder erschreckt hat. Wir müssen wohl nicht deutlicher werden. Im Oesterreich Raabs sind derlei Erwägungen gang und gäbe.

Drittens und letztens: unter den Exilpolitikern, die dem Donauinstitut ihre Mitwirkung gewähren, vermissen wir manche, die wir gerne sähen. Grundsätzlich wäre ferner die Anwesenheit von Polen, Ukrainern und Bulgaren zu begrüßen; der einen, weil wesentliche Teile ihres Volkes zur Habsburgermonarchie gehört hatten und weil ihr Schicksal im Laufe der Geschichte eng mit Donaueuropa verbunden war, der andern, weil sie unmittelbar ins Gebiet des gewaltigen Stromes der europäischen Mitte und des Südostens gehören. Ist es endlich erlaubt, auf die Notwendigkeit hinzuweisen, den Kontakt mit den derzeit unter sowjetischem Einfluß verbliebenen Ostvölkern auch dadurch zu gewinnen, daß man sich, rein sachlich und beiderseits ohne aktuellen politischen Beigeschmack, an die ernsten Gelehrten, Schriftsteller, ja Politiker wendet, die daheim geblieben sind und die vielen Zielen des Forschungsinstituts beipflichten? In welcher Form dies geschehen könnte, darüber wäre, sehr vorsichtig, sorgsam zu beraten.

Wie wichtig aber diese und andere Probleme sein mögen, sie werden von der wesentlichen Tatsache überragt, daß sich die zersplitterten Glieder einer von der Natur — und als gläubige Menschen werden wir hinzufügen: von der Vorsehung - zum Ganzen bestimmten Gemeinschaft wieder zusammenfinden, um aus redlichem Bemühen um die Lehren der Vergangenheit die Wege zu einer neuen, harmonischen Zukunft zu erschauen. Viribus unitis, mit vereinten Kräften, schreiten da Oesterreicher und Tschechen, Slowaken und Kroaten, Slowenen und Serben. Volksdeutsche und Rumänen auf einer Bahn, die verlassen zu haben jedes dieser Völker schwer gebüßt hat.

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