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REVUE IM AUSLAND

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Die „Revue de Paris“ eröffnet ihr Septemberheft mit einem Artikel des ehemaligen französischen Botschafters in Berlin und Rom, Franęois-Poncet, „Der Beruf des Botschafters“. Der Verfasser geht dabei von der Wandlung aus, die sich in der Stellung und damit im Wesen der Diplomatie seit dem ersten Westkrieg vollzogen hat, eine Wandlung, die Tardieu ihm gegenüber schon im Jahre 1931 zu der überspitzten Behauptung veranlaßt habe: „Der Beruf des Botschafters exestiert nicht mehr! Es ist ein absterbender Beruf. Die Außenpolitik wird in der Hauptstadt gemacht; sie wird vom Zentrum aus dirigiert; der Botschafter muß nur mehr gehorchen; er ist nur mehr ein Präfekt des Äußeren!“ Andererseits aber habe Harold N i c o 1 s o n,. der bekannte englische Diplomat und Historiker, in einem eben jetzt ins Französische übersetzten, 1945 geschriebenen Buda „Die Diplomatie“ die Schönheit des Diplomatenberufs betont, der auch heute noch starke, mit höchsten und seltensten Fähigkeiten ausgestattete Persönlichkeiten brauche.

Franęois-Poncet sieht nun das Wesen der Wandlung zunächst darin, daß das Interesse der öffentlichen Meinung, damit aber auch der Einfluß der Parteien und der Innenpolitik überhaupt, auf die Außenpolitik gewachsen sei, während die modernen technischen Verständigungsmittel die Möglichkeiten einer direkten Verbindung zwischen den Staatskanzleien erhöht haben. Dadurch werde der Diplomat oft völlig ausgeschaltet, beziehungsweise sinke zu einem Briefträger zwischen dem eigenen und dem fremden Außenminister — die sich manchmal durch persönliche Zusammenkünfte besser kennen als der Botschafter jeden der beiden — herab. Die Zahl der Sonderbeauftragten, der Wirtschafts-, Finanz-, Presse- und Kulturattaches, die zugleich in direkter Verbindung mit ihren Ministerien stehen, habe ebenso wie die Tätigkeit der Ausländskorrespondenten der großen Zeitungen die Informationstätigkeit des Botschafters beschränkt, aber — wie Franęois-Poncet eindrucksvoll darstellt — seine Aufgabe zugleich kompliziert. Denn wenn man den Botschafter auch „den Sonderkorrespondenten des Außenministers“ nennen könne, so erwarte man doch von ihm eine eindringendere, wertende und beurteilende Verarbeitung des Nachrichtenmaterials, das dem mit den Spitzen des Staates und der Gesellschaft verkehrenden Diplomaten ja auch aus anderen Quellen zufließt als dem Journalisten. Eine enge Zusammenarbeit sei allerdings für beide Teile geboten. Eine ebensolche enge Zusammenarbeit aber sei zwischen dem Auswärtigen Dienst und der Zentrale des Außenministeriums in der Heimat notwendig — ein Kontakt, der nach der Ansicht Franęois-Poncets noch enger gestaltet werden müßte, schon allein um die Kenntnis, die der Botschafter durch den fast täglichen Umgang mit den Leitern der Außenpolitik des fremden Staates gewinnt, für den eigenen Staat wirklich nutzbar zu machen.

Dieselbe Nummer enthält einen Artikel von Pierre Fr derix „USSR und USA: die Teilung der Welt", in dem von Jalta bis zur Gegenwart die Geschichte der Teilung unseres Planeten in eine russische und eine amerikanische Einflußsphäre dargestellt wird. Dem Pessimis- ' mus dieses Artikels steht ein anderer derselben Zeitschrift „Die Reichtümer E u r O p a s“ gegenüber, in dem E. G i s e- ard d’Estaing ein Inventar der Schätze Europas aufstellt, von den 290 Millionen

Einwohnern (gegenüber 197 Millionen in Sowjetrußland, 86 Millionen der Satellitenstaaten = 283 Millionen unter sowjetischer Herrschaft lebender Menschen und 142 Millionen Amerikanern) bis zur Stahlproduktion.

„Man kann daher ohne große Gefahr eines Irrtums schließen, daß der Eindrude der Dekadenz, unter dem wir so schmerzlich leiden, auf keinerlei unheilbaren materiellen Bedingungen beruht. Die Verantwortung fällt auf die mittelmäßigen Fabrikanten der öffentlichen Meinung, welche die großartigen Regierungsprobleme auf das Niveau ihrer machtlosen Unwissenheit oder ihrer schmutzigen persönlichen Interessen herabziehen; und sie fällt auch auf uns alle, da wir mit schuldhafter Resignation die Aufrechterhaltung der Verstümmelung Europas dulden, die in offenkundigem Widerspruch mit den Erfordernissen unseres Gemeinwohles steht."

Das Septemberheft von „La Revue Hommes et Mondes" enthält einen Artikel des Grafen Sforza „Frankreich, 11 a 1 i e n, E u r o p a". Unter Hinweis auf einen Brief, den er am 30. Mai, am Vorabend des italienischen Kriegseintritts, aus seiner südfranzösischen Emigration an König Viktor Emanuel gerichtet hat, unterstreicht der jetzige italienische Außenminister die Notwendigkeit einer engen Verbindung und Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Italien im europäischen Interesse und verweist in diesem Sinn auf die Tätigkeit der Industriellen und Parlamentarier für die italienisch-französische Zollunion.

„Die Idee ist jetzt auf dem Wege und nichts wird sie mehr aufhalten können, so nützlich wird sie sich für Frankreich und Italien und, als ein Beispiel, für ganz Europa beweisen. Das sind die sichersten Bündnisse, jene, die Europa retten können, und jene noch höhere Konzeption, die der Christenheit, die bis zur deutschen Glaubensspaltung eine unvergleichliche moralische Kraft in der ganzen Welt darstellte. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß das Problem von morgen das deutsche Problem sein wird und nicht das sowjetische Problem. Die demokra-

tische Heilung der Deutschen aber ist eine wesentliche Bedingung für die Lösung des europäischen Problems. Folglich ist es unsere Pflicht und unser Interesse, die Deutschen wieder mit Europa zu versöhnen. In naiver Weise hat man nach Kriegsende versucht, sie mit fremden diktatorischen Therapien zu heilen. Ein gröberer Fehler konnte kaum begangen werden. Die Deutschen wird man mit nichts als mit Taten heilen können. Es gibt nur ein Mittel: ihnen klarzumachen, daß in einem wirtschaftlich förderierten Europa das beste Geschäft für sie in der Arbeit für den Frieden bestehen wird, was ihnen eines Tages gestatten wird, als Gleiche unter Gleichen in unserer Mitte Platz zu nehmen.“

Die katholische französische Zeitschrift „La Vie Intellectuelle“’ feiert in ihrem August-September-Heft das Andenken des Erzbischofts von Paris, Monseigneur A f f r e, der bei einem Vermittlungsversuch in der Pariser Junischlacht des Jahres 1848 seinen Tod fand. Der Artikel von M. R. M a y e u x stellt „die politische Haltung und die soziale Tat“ dieses mutigen Priesters in den Vordergrund, der „für die Versöhnung der sozialen Klassen“ starb und der vor seinem Tode immer wieder nur den einen Wunsch aussprach, „daß mein Blut das letzte sein möge, das vergossen wird“. Als Gegenstück und Echo über ein

Jahrhundert hinweg folgt eine Predigt für eine heuer in einer Glasfabrik gehaltene Fabrikmesse, in der die Pflichten des christlichen Unternehmers und des christlichen Arbeiters nebeneinandergestellt werden. Der Verfasser dieser Predigt, AbW T e x i e r, erklärt darin in Abwandlung eines vor wenigen Monaten vom Erzbischof von Paris getanen Ausspruchs — „daß man das soziale Problem nicht mit Weihnachtsbäumen lösen könne" —, daß man das soziale Problem auch nicht durch die Veranstaltung von Fabrikmessen lösen kann, sondern nur dadurch, daß die Unternehmer der Arbeiterschaft innerhalb des Unternehmen: den ihr nach den kirchlicher SoziallehrenzustehendenPlats einräumen, die Arbeiter aber ihn Pflichten als Arbeiter — Pflichten gegenübei ihren Klassenkameraden wie gegenüber dei Arbeit selbst — ernst nehmen.

„Diese Pflichten der christlichen Unter' nehmet und Arbeiter von 1948 sind klar, abei schwer. Es handelt sich darum, endgültig eine neue Welt zu errichten. Zu diesem Zwecke bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung der Unternehmer und der Arbeiter. Jeder Haß trennt. Nur die Liebe verbindet und baut auf. Die christlichen Unternehmer und Arbeiter haben einen Grund mehr als die anderen, in Liebe bei der Errichtung dieser neuen Welt zusammenzuarbeiten: ihren Glauben an einen gemeinsamen Führer: Christus."

Es mag hier vermerkt werden, daß die Zeitschriften keines Landes — einschließlich derjenigen Sowjetrußlands — sich zur Zeit so intensiv mit Interpretation, Kritik und historischer Erforschung der Gedankenwelt von Karl Marx und seiner geistigen Herkunft beschäftigen wie die französischen, in denen zugleich, gefördert von der existen- tialistischen Schule, die Auseinandersetzung mit der Philosophie Hegels nach wie vor einen sehr breiten Raum einnimmt. So enthält etwa das Augustheft der von Jean-Paul Sartre herausgegebenen Monatsschrift „Les Temps Modernes“ einen Artikel von Pierre Klossowski „Hegel und der Mlgnus des Nordens" als Einleitung zu den Betrachtungen Hegels über Ham än n, die hier zum erstenmal ins Französische übersetzt werden.

Die Notwendigkeit beharrlicher, ausdauernder Arbeit für eine Föderation der europäischen Volker unterstreicht A. Bruccu- leri . S. J. im Führungsaufsatz der „Civilta Cattolica“ vom 4. September 1948 („Für einen besseren Morgen Europas“), Gewiß, die Hindernisse, die sich einer europäischen Einigung entgegenstellen, sind bekannt, sind groß, sind gefährlich. — Eine nüchterne Erwägung der drängenden Forderungen dieser Stunde verpflichte aber alle Einsichtigen zur Mit- .und Zusammenarbeit in diesem Sinne. Nach längeren Ausführungen über die Friedensbemühungen der Päpste zwischen 1920 und 1948 fordert der Verfasser, daß gerade die Katholiken initiativ führend mitarbeiten sollen an allen Bestrebungen, die diesem Ziel einer europäischen Einigung der Völker gewidmet sind. „Die Katholiken dürfen in dieser Bewegung hinter niemand zurückstehen und auch nicht den Schein eines solchen Zurücktretens erwecken (wie es manchmal in bezug auf die soziale Frage den Anschein hat), sie dürfen nicht weniger wach und bereit sein als andere Bewegungen, denen es geglückt ist, sich heute als alleinige Beschützer der Arbeiterklasse auszugeben." Die Geschichte der letzten 100, 150 Jahre zeigt nicht nur viele Kriege, sondern auch viele Beispiele erfolgreicher Konföderationen — in No rd- und Südamerika, ja auch in Europa —, wobei Brucculeri unter anderem auf den Deutschen Bund von 1815, der 39 Staaten umschloß, und auf die Entwicklung des britischen Empire verweist. Ziel müßte — in Europa — die Errichtung eines Staatenbundes sein, der als mächtige „dritte Kraft" zwischen den beiden gegnerischen Kolossen des Ostens und Westens stünde — ein Mittler des Ausgleichs, des Friedens. Solange dies aber noch unmöglich ist, muß mit geringerem vorliebgenommen werden: die Westeuropaunion will in diesem Sinne neu verstanden, neu gewürdigt werden — nicht als eine exklusive und schon gar nicht als eine aggressive machtpolitische Formation, wohl aber als ein in zäher, ehrlicher Arbeit erstellter Anfang eines neuen Europa, das seine Völker in politischer, wirtschaftlicher, sozialer und geistiger Hinsicht einander näher bringen will.

In einem Artikel der englischen politischen Revue „Soundings"(Septemberheft 1948) über „Clausewitz und unsere Zeit“ konfrontiert F. A. Voigt die Nachkriegspolitik Rußlands, beziehungsweise der westlichen Alliierten, zumal Englands, an Hand des berühmten Satzes: „Der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel." (Clausewitz, „Vom Kriege.") Voigt interpretiert diesen oft mißverstandenen Satz dahingehend, daß dieser den Primat der Politik in einzigartiger Weise herausstelite: wenn ein Staat Kriege führe, müsse er sich klar darüber sein, daß gerade der Krieg im Dienste der Politik stehen müsse — wie Chausewitz sagt: „Er (der Krieg) hat freilich seine eigene Grammatik, nicht aber seine eigene Logik" —, die Interessen der politischen Belange eines Staates müßten Krieg, Kriegsführung und Friedensschluß bestimmen! — Nun sieht Voigt den Kardinalfehler der westlichen Alliierten darin, daß sie im letzten Krieg das Wesensgesetz des Politischen, die nüchterne Erwägung des politischen Vor- und Nachteils für die eigene Nation, vergaßen —: diese hätte einen Friedensschluß mit Deutschland vor seinem totalen Zusammenbruch gefordert! Als sich aber Roosevelt und Churchill auf die berühmt-berüchtigte Formel „bedingungslose Kapitulation" einigten, wurde damit der zweite Weltkrieg endgültig zum ideologischen Krieg, zum Glaubenskrieg deklariert. „Die politischen Beziehungen wurden nicht mehr fortgesetzt. Sie wurden preisgegeben, an ihre Stelle traten ,ideologische' Beziehungen. Die Formel .bedingungslose

Ergebung' enthüllte den politischen Bankrott der Westmächte.“ Der Krieg war nun nicht länger mehr ein Krieg für die eigene Sicherheit —- das einzige legitime und sinnvolle Ziel jeder Politik. „Er war nun ein Religionskrieg — und zwar ein Kampf falscher Religionen..Seit Kriegsende schlittern nun die Westmächte zwischen ideologischen und politischen Erwägungen hin und her — sie haben vergessen, den Frieden politisch vorzubereiten, weil sie auch den Krieg nicht politisch zu führen verstanden! Demgegenüber sieht Voigt in Rußland den großen Schüler Clausewitzens (dessen Werke im sowjetischen Staatsverlag neu erschienen sind) — seine großen Erfolge seit 1945 beruhen auf der Tatsache, daß es „Krieg“ und „Frieden" im Dienste eines linearen großen politischen Konzepts zu führen, zu lenken verstehe.

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