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Der böse Nachbar Deutschland

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Anstelle der Begeisterung für Bikini-Mädchen an den Badestränden Frankreichs wird der Durchschnittsfranzose nach der Urlaubszeit wieder mit den lieblichen Gesichtem seiner politischen Prominenz konfrontiert. Mit Beginn des Herbstes läuft ein Wahlkampf an, der bereits jetzt schwere Schatten vorauswirft und brutale Rücksichtslosigkeit verspricht, wie man sie seit Jahrzehnten auf den Politbühnen Europas nicht mehr zu sehen bekam.

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Anstelle der Begeisterung für Bikini-Mädchen an den Badestränden Frankreichs wird der Durchschnittsfranzose nach der Urlaubszeit wieder mit den lieblichen Gesichtem seiner politischen Prominenz konfrontiert. Mit Beginn des Herbstes läuft ein Wahlkampf an, der bereits jetzt schwere Schatten vorauswirft und brutale Rücksichtslosigkeit verspricht, wie man sie seit Jahrzehnten auf den Politbühnen Europas nicht mehr zu sehen bekam.

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Bis vor kurzem standen wirtschaftliche und soziale Probleme im Mittelpunkt der Diskussionen, und die Beobachter nahmen traditionsgemäß an, daß außenpolitische Argumente kaum dazu beitragen würden, die nationale Diskussion zu bereichern. Wer aber seit Anfang September aufmerksam die politischen Intrigen zwischen Opposition und Regierung analysiert hat, muß zum Schluß kommen, daß in diesem Kampf um die Macht sehr wohl Aspekte eine Rolle spielen werden, die in der Außenpolitik angesiedelt sind.

Seit der abenteuerlichen Flucht des einstigen Gestapo-Chefs Kappler aus einem römischen Gefängnis und den blutigen Terroranschlägen in der Bundesrepublik Deutschland, überstürzen sich verschiedene französi-* sehe Zeitungen und Zeitschriften darin, ihren Lesern Informationen, Berichte, Kommentare und aufschlußreiche Hinweise über die Entwicklung jenseits des Rhein? zu präsentieren. Man' erinnert sich, daß in den letzten Jahren trotz diverser Konflikte im Rahmen der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Paris und Bonn der Himmel stets hellblau war, was die Beziehungen zwischen den beiden größten Kontinentalvölkern Westeuropas betraf. Das besonders herzliche Verhältnis zwischen Bundeskanzler Schmidt und Staatspräsident Giscard d’Estaing hat zweifelsohne dazu beigetragen, kleinere oder größere Bomben rechtzeitig zu entschärfen und die seit de Gaulle/ Adenauer eingeleitete Freundschaft zu festigen und auszubauen.

Wie immer dieses komplizierte Thema der psychologischen Relationen zwischen der V. Republik und dem westdeutschen Staat erörtert wird, eine Feststellung muß sofort getroffen werden: Die Beziehungen sind von einer schweren Vergangenheit belastet, sie erweisen sich um vieles sensibler als zwischen anderen Nachbarstaaten auf unserem Planeten. Nach wie vor spielen ehemalige Widerstandskämpfer in Frankreichs öffentlicher Meinung eine bedeutende Rolle. Sie haben bestimmt nicht den Strich unter all das gezogen, was gie „Gesandten des III. Reiches“, also im wesentlichen geheime Staatspolizei und SS-Verbände, in Frankreich getrieben hatten.

Diese Entwicklung steht in engem Zusammenhang mit einem Phänomen, das sich schon vor längerer Zeit in der französischen Öffentlichkeit eingenistet hat Ein sehr beschränkter Nationalismus wurde entfacht, der mit

Fremdenfeindlichkeit verbunden ist und gewisse kleinbürgerliche Züge aufweist. Schon die IV. Republik stand zeitweise einer ähnlichen Problematik gegenüber, die sich in den fünfziger Jahren unter dem Titel „Poujadismus“ präsentierte. Gegenwärtig hat sich jedoch noch nicht der Mann oder die Gruppe gefunden, die dieser Bewegung als Galionsfigur dienen könnte.

Und doch: Der französische Nationalismus wird sehr offen von der kommunistischen Partei getragen, die sich dazu berufen fühlt, den Geist der Nation zu inkarnieren. Georges Mareliais hat in den letzten Monaten mehrfach die Bundesrepublik angegriffen. Er glaubt, jenseits des Rheins die Herrschaft des Mono-Kapitalismus und die Heimat multi-nationaler Konzerne zu sehen, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun haben, als die Arbeiter zu schikanieren, sie auszubeuten und ihnen den gerechten Lohn vorzuenthalten.

Nicht nur die Vertreter des derzeit best-fünktionierenden Politapparates Frankreichs sind dabei, Bonn zu verteufeln und die politische Praxis der deutschen Innenpolitik zu kritisieren: Es gibt eine weitere Gruppe, die sich immer mehr darauf spezialisiert, jenseits des Rheins ein Regime zu sichten, welches jeder menschlichen Würde entledigt ist. Vornehmlich eine bestimmte Schicht der Pariser Intelligenz, die ultralinks eingestellt und in zahlreiche Kirchen aufgespalten ist, hat eine ganz eigene Form von NJoral ausgebrütet. Als bedeutendste Wortführer dieses Kreises gelten der weltberühmte Philosoph Jean-Paul Sartre und seine Lebensgefährtin Simone de Beauvoir.

Der konservative Soziologe Raymond Aron zog schon nach dem Krieg in seinem Buch „Das Opium der Intellektuellen“ ein erschreckendes Fazit aus dem Geisteszustand dieser Gruppe.

Auf alle Fälle urteilen diese Repräsentanten des verfeinerten Pariser Lebens mit zwei Arten von Maßstäben: So wurden konsequenterweise die semi-faschistischen Regimes der Mittelmeerstaaten Griechenland und Franco-Spanien auf das schärfste verurteilt. Als Hauptangriffspunkt bot sich außerdem der amerikanische Imperialismus an, der unzählige Verbrechen in Vietnam begangen haben soll. Was ein Urteil über das Terrorregime in Kambodscha betrifft, wird man wohl vergeblich warten. Auch der blutige Diktator von Uganda wird von ihnen in keiner Weise angegriffen. Zu diesen einflußreichen Figuren gesellte sich nun auch der Schriftsteller Jean Genet, der kürzlich in einem Artikelin „Le Monde“ den Terror der Baader- Meinhof-Gruppe lobte und von einer mit Brutalität durchzogenen Herausforderung der gegenwärtigen deutschen Gesellschaftsordnung sprach.

Nachdem der Vietnamkrieg beendet ist und es langsam langweilig wird, ständig von Chile zu sprechen, suchen diese hohen Geister einen neuen Feind: Nachdem in Frankreich - soweit es Deutschland betrifft - noch nicht alle Wunden vernarbt sind, steht man mit Überraschung und Verwunderung vor dem Bestreben der Ultralinken, ein neues Feindbild aufzubauen. Dafür gibt es wohl kein geeigneteres Opfer als die Bundesrepublik, deren wirtschaftlicher Aufstieg in Frankreich vielfach mit Neid verfolgt wird. Sicherlich sind die wirtschaftlichen Beziehungen der beiden Nationen so ineinander verflochten, daß auch Sartre und seine Sinnesgenossen nichts tun können, um diese Interessensgemeinschaft ernstlich zu bedrohen oder endgültig zu spalten. Trotzdem sind die Brücken über den Rhein nicht mehr ganz so stabil, wie sie die Begründer der deutsch-französischen Aussöhnung konzipiert hatten.

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