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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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Die Welt hat auf die Wahlen in Österreich geantwortet. Abgesehen von einigen östlichen Pressestimmen — nach Ansicht der „Prawda" gingen die Nationalratswahlen in Österreich zum Beispiel „in einer Atmosphäre des Terrors und der Provokationen“ vor sich —, gab es viel anerkennende Worte, die vor allem der Disziplin der österreichischen Bevölkerung, ihrer hohen Wahlbeteiligung und der Festigung der Demokratie und ihrer Formen galten. Sehr bemerkenswert ist eine Wahlbetrachtung, die, von dem Direktor des „O s s e r v a- tore Romano“, Conte Dalia Torre, stammend, das vatikanische Blatt veröffentlicht. Der Aufsatz sieht in dem Ereignis einen gemeinsamen Sieg der christlichen Demokraten und der Sozialisten und sagt: „Daß die Sozialisten mit zu den Siegern gehören, beweist, daß nicht nur der christliche, sondern auch der sozialistische Arbeiter den Kommunisten das Recht abspricht, das Monopol der Verteidigung der Arbeiterklasse im modernen politischen Leben an sich zu reißen.“ Man könnte glauben, daß mit diesen Äußerungen gewisse Wendungen aus der Polemik des Wahlkampfes berichtigt werden sollen. — Zu wenig Beachtung wird in den ausländischen Kommentaren dem Wahldebakel der slowenischen „D emo- kratiana F r onta“ in Kärnten geschenkt, die mit dem Erhalt von 2107 Stimmen als Wahlpartei der jugoslapHilen Slowenen den ziffermäßigen Beweis erbracht hat, daß letztere neben den österreichtreuen Slowenen eine höchst untergeordnete Rolle spielen.

Der Konflikt zwischen den Projektanten einer Kunstkammer und den Musikervereinigungen, die ihrer ablehnenden Haltung gegen eine solche Institution wegen aus der Gewerkschaft ausgeschlossen wurden oder aus Protest diese freiwillig verließen, ist immer noch nicht beendet. Er verschärft sich sogar noch; die Musiker haben — welch seltsame Dinge gibt es doch! — ein nach größeren Mustern gearbeitetes „Weißbuch“ herausgegeben, ein diplomatisches Manifest mit Belegen. Dokumenten und Briefwechseln angefüllt, nicht leichte Lektüre; man müßte sich auf ein langes Studium gefaßt machen, wollte man alle die Winkelzüge kennenlernen, die da rund um ein höchst zweifelhaftes Projekt gelegt wurden. Unter anderem haben sie bekanntlich dazu geführt, daß den bedeutendsten Wiener Orchestern seitens einer Weltorganisation ein internationaler Boykott angedroht wurde. Und wenn diesen Worten bis jetzt noch nicht die entsprechende Tat gefolgt zu sein scheint, so bleibt es doch beschämend, daß in einer rein österreichischen Angelegenheit die Hilfe des Auslands angerufen wurde.

Wir hoffen sehr, daß dem „Weißbuch" der Musiker nicht ein „Gelbbuch" der anderen Seite folgen wird. Es wird das beste sein, den Plan einer Kunstkammer vollends fallen zu lassen; an ihrer Wiege sind offensichtlich mehr Vielgeschäftigkeit und Geltungsbedürfnis gestanden, als gut war. Und außerdem gäbe es wichtigere Dinge zu verhandeln, als die Errichtung einer Zwangsorganisation, die wenigen zuliebe und vielen zuleide geschähe.

Die Direktoren der Wiener Museen, Fachleute von Rang also, protestierten in der vergangenen Woche in einem gemeinsamen Beschluß gegen die Niederreißung der Albrechtsrampe vor der Albertina, mit der demnächst begonnen werden soll. Über ein Jahr lang habe man von den Plänen der für den Wiederaufbau Verantwortlichen nichts gehört, eine öffentliche Diskussion über die vorhandenen Projekte, die deren Ausführung vorausgehen hätte sollen, habe nicht stattgefunden. Es sei darum eine Verschiebung der Abbruchsarbeiten notwendig, dies um so mehr, als es unmöglich sei, die Umgebung eines zerstörten Baues zu gestalten, ehe das Hauptobjekt seine endgültige Form gefunden habe. Die „Furche" will sich nicht in die verschiedenen Einzelheiten des Protests vertiefen, noch auch einen kritischen Standpunkt dem Projekt oder seiner Ablehnung gegenüber beziehen: Doch kann man sich nicht des Hinweises enthalten, daß man hier wie in anderen Fällen den Beschlüssen, Erwägungen und Plänen, die zum Aufbau unserer zerstörten, historisch und künstlerisch wertvollen Plätze und Örtlichkeiten notwendig sind, ein weit höheres Maß an Publizität verleihen sollte, als man ihnen derzeit zubilligt. An solchen Dingen ist nicht die Fachwelt allein interessiert und beteiligt, und nicht nur in ihr darf sich die Diskussion abspielen. So wird zum Beispiel davon gesprochen, daß die Pläne zum Wiederaufbau des Stephan s pl at z e s bereits fertig vorliegen — wie sie aussehen, ob sie aus dem Wettbewerb hervorgegangen sind, der aus diesem Anlaß vor Jahren schon abgehalten wurde, das bleibt unbekannt, doch scheint es, als müßte man sich auf unangenehme Überraschungen gefaßt machen.

Zahlen sind kein sonderlich sympathischer Maßstab für menschliche Werte. Besonders Parlamente mißt man besser an ihren Weltanschauungen und Parteien als an statistischen Erhebungen. Eine Ausnahme von dieser Regel macht jedoch entschieden der Bonner Bundestag, das Parlament der westdeutschen Republik. Seine Parteien zeigen die Farben der herkömmlichen europäischen Tradition und sagen wenig über die heutige menschliche Struktur von Volk und Parlament aus. Aufschluß über diese Seite des Bundestages gibt jedoch eine aus dem offiziellen Abgeordnetenverzeichnis gewonnene Statistik. Ihre Zahlen offenbaren die düsteren Hintergründe des europäischen Lebens der letzten Jahrzehnte. Charakteristisch ist gleich die Zahl der Flüchtlinge unter den 402 Abgeordneten. Sieben bezeichnen sich als Flüchtlinge aus der östlichen Besatzungszone. 37 sind Vertriebene aus den um- gevolkten Gebieten östlich der Oder-Neiße- Linie. Einer ist Flüchtling aus der Batschka und 16 sind Sudetendeutsche. Insgesamt sind rund 15 Prozent der Bonner Abgeordneten Vertriebene von Haus, Hof und Heimat — kann man sich etwas Erschütternderes aus dem Men- s chenbild eines modernen Parlaments v or stellen? Kaum. Und doch ist es noch steigerungsfähig. Rund ein Viertel aller Abgeordneten befand sich im Verlauf des Lebens in politischen Kerkern und Konzentrationslagern. Rechnet man dazu die Kriegsgefangenen und Zivilinternierten, so kann man trotz einiger Überschneidungen der beiden Zahlen — einige Abgeordnete waren sowohl kriegsgefangen als auch politisch inhaftiert — füglich sagen, daß mindestens ein Drittel aller deutschen Abgeordneten einen Teil ihres Lebens hinter Gittern und Stacheldraht zubrachten. Ein bitteres Symbol des Jahrhunderts. 26 Abgeordnete mußten durch Jahre in der Emigration leben, in der viele von ihnen ohne Rast von Land zu Land gehetzt wurden. Das Maß an Entbehrung und Leid, das in allen diesen Zahlen zum Ausdruck kommt, ist nicht zu messen. Aber sie zeigen auch, daß in Bonn sich Menschen zusammenfanden, die den Glauben an den Sinn der Arbeit und des Leids nicht verloren haben. Vielleicht wäre es gut, über den Eingang zum Bundestag ein umge’wandeltes Dichterwort anzubringen: „Es ist die Hoffnung, die uns hier zusammengeführt."

Der Sicherheitsrat der UNO dürfte in naher Zeit vor schwierige Verfahrensfragen gestellt werden: Die Volksregierung Mäo- Tse-Tungs wird voraussichtlich in nicht ferner Zeit das ganze chinesische Festland beherrschen, während sich Tschang-Kai-Schek nach Formosa zurückziehen dürfte. Sollte es den Kommunisten gelingen, die Nationalisten auch von diesem letzten Stützpunkt zu vertreiben, so wird die kommunistische Regierung — die von Rußland bekanntlich bereits anerkannt wurde — den China zustehenden Sitz im Sicherheitsrat ansprechen. Es werden sich dann in dieser wichtigen Körperschaft zwei kommunistische Staaten Rußland und China und zwei „westliche“ die USA und Großbritannien. gegenüberstehen. Zwischen diesen rivalisierenden Gruppen wäre die fünfte Mitgliedsmacht, Frankreich, das Zünglein an der Waage. Eine solche Verschiebung würde in allen internationalen Fragen, die in den Bereich der UNO gelangen, sehr ieis Gewicht fallen. Formal schwieriger ist das Problem zu lösen, wenn sich die chinesische Nationalregierung auf einem Teil des chinesischen Territoriums, wie eben auf einer der Inseln, behauptet. Das Statut der UNO sieht nicht vor, was zu geschehen habe, wenn zwei Regierungen desselben Staates, auf den diesem zustehenden Sitz im Sicherheitsrat oder in der Generalversammlung Anspruch erheben. Im Falle der Tschechoslowakei war die frühere Regierung zurückgetreten, so daß sie formal nicht in Widerstreit mit der neuen, volksdemokratischen, trat Trotzdem weigerte sich der Delegierte der Regierung Benesch, Papanek, als Vertreter des tschechischen Staates in zwei Unterkommissionen der UNO, zurückzutreten und verblieb bis heute auf den ihm dort seinerzeit zugewiesenen Plätzen. Im Falle Chinas kann sich nun leicht eine völkerrechtlich noch verwickeltere Lage ergeben, die angesichts des Gewichtes der diesem Lande in der Organisation der Vereinten Nationen eingeräumten Stellung, das Funktionieren dieser ohnedies mit zahlreichen Schwierigkeiten kämpfenden Institution bedeutend erschweren würde.

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