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RANDBEMERKUNGEN zur Woche

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SPÄTE KUNDE. Belgische Freunde Oesterreichs, die in diesen Tagen Wien besuchen, brachten eine Nachricht, die heute noch verdient, festgehalten zu werden. Ihr Inhalt wurde durch Nachfragen hierorts vollinhaltlich bestätigt. Beim österreichischen Staatsakt auf der Brüsseler Weltausstellung, die wohl noch lange, und zwar meist im positiven Sinne, kommentiert werden wird, gab es ein unliebsames Ereignis, das viel besprochen wurde. Herr von Karajan weigerte sich, die österreichische Bundeshymne zu spielen, aus „künstlerischen Gründen“ (als „unpassend“ zur Musik des „Figaro“), obwohl im Protokoll und mehrsprachigem Programm die Hymne vorgesehen und gedruckt zu lesen stand. Der Bundespräsident und die Repräsentanten Belgiens und anderer Staaten warteten vergebens. .. Am nächsten Tag freilich lieh sich Herr von Karajan bewegen, anläßlich des Erscheinens des belgischen Königs die Hymnen zu spielen. — Eine Reihe weiterer Unfreundlichkeiten dieser Art ergänzen das Bild. Die Frage ist einfach: Wie stellt sich Herr von Karajan, über dessen gegenwärtige • Staatsbürgerschaften wir nicht orientiert sind (zeitweise hatte er ständigen Wohnsitz in Tanger, dem steuerfreien), als ein Mann, der hohe Posten (als künstlerischer Leiter der Wiener Staatsoper und als Festspielchef in Salzburg) und noch höhere Gelder in Oesterreich verdient, auf die Dauer dieses Verhältnis vor? Dieses Mißverhältnis zwischen seiner Oesterreich unverhohlen zur Schau getragenen Desinteressiertheit und den Verpflichtungen, die sich aus seinen Stellungen in Oesterreich ergeben?

BEGEGNUNG VON ÖSTERREICH UND SPANIEN. In diesen Tagen finden in Wien eine Reihe von Veranstaltungen statt, die dem vierhundertjährigen Todestag Kaiser Karls V. und den alten Verbindungen des spanischen und österreichischen Raumes gewidmet sind. Eingeleitet wurden diese, zum Teil unter den Auspizian der Oesterreichischen Akademie der Wissenschaften siehenden Tage durch eine Feier in der Wiener Universität, bei der die Minister für Kultus und Unterricht Spaniens und Oesterreichs sprachen. Leider schenkt die Oeffentlichkeit bei uns dieser, in ihrer Weise erstmaligen Kundgebung, noch viel zuwenig Beachtung. Man hat sich hierzulande eingehaust in einer kleinen Welt, in einem Provinzialismus, der, wenn er endgültig siegert sollte, lebensgefährlich ist. Dieselbe Un-interessiertheit, die in weifen Kreisen der slawischen und östlichen Welt gegenüber besteht, gilt auch gerade jenem Westen, mit dem Oesterreich einst Jahrhunderte hindurch einen kulturellen und politischen Weltraum gebildet hat: es ist das jener spanische und spanisch-amerikanische Raum„ der uns gerade heute viel mehr zu sagen hat, als man hierzulande auch nur zu vermuten wagt. Von einigen bedeutenden österreichischen Wegbereitern neuer Beziehungen zwischen der hispanischen und österreichischen Sphäre abgesehen, waren es in den letzten Jahren meist NichtÖsterreicher, die auf die innere Bezogenheit hispanisch-österreichischer Kultur und Weltschau hinwiesen. Hoffen wir, dafj neben einigen führenden Institutionen und dem hier persönlich initiativen Unterrichtsminister sich breitere Kreise auf die hier gegebene Chance besinnen: Oesterreich stehen in Spanisch-Amerika und in Spanien Räume offen, die kulturell und wirtschaftlich aufnahmefähig und aufnahmebereit sind wie kaum andere. — Es ist zu bedauern, dafj die Feiern zum Gedächtnis Karls V. parteipolitisch mißverstanden wurden — so dal} die „Arbeiter-Zeitung“ meinte, man wolle den toten Habsburger vor 400 Jahren feiern, sich aber vor dem ehrenden Gedächtnis der 40jähri-gen Republik drücken.

DIE ENGLISCHE BOMBE. Zu einer jähen Unterbrechung gelangten die Verhandlungen zur Schaffung einer Europäischen Freihandelszone durch die jüngste Mitteilung Mr. Maudlings, des Vorsitzenden des Intergouvernementalen Komitees und bisher unermüdlichen Herolds einer größeren wirtschaftlichen Integration Europas, durch die sich vorläufig Großbritannien demonstrativ aus allen Komitees zurückzog, die eine Freihandelszone vorbereiten sollten. So heftig und plötzlich die englische Bombe auch platzte, das Scheitern der Verhandlungen im Intergouvernementalen Komitee Ende Oktober und die lahme und formelle Fortsetzung Anfang November ließ etwas Aehnliches erwarten. Das Interview des französischen Informationsministers Soustelle, in welchem er erklärte, Frankreich werde seine Haltung gegenüber der Freihandelszone nicht ändern — gleiches war vor ihm schon Dutzende Male gesagt worden —, war sichtlich nur der äußere Anlaß für einen seit längerem geplanten englischen Vorstoß. Frankreich wurde nun geschickt der Schwarze Peter zugespielt, es wird nicht umhin können, wenigstens scheinbar, eine konzessionsbereitere Haltung einzunehmen oder vor aller Welt als egoistischer Ausbrecher im Team der europäischen Nationen dazustehen. Der Zweikampf zwischen England und Frankreich um die Freihandelszone ist also in ein entscheidendes Stadium getreten. Weno es Frankreich gelingt, zu parieren, die Verhandlungen mit den übrigen Staaten fortzusetzen, einem dritten, im Konflikt um die Freihandelszone neutralen, ausgleichend wirkenden Land, ohne England gänzlich auszuschalten, die bisher von diesem praktizierte Initiative zuzuspielen, würde Frankreich nicht nur diplomatisches Geschick zeigen, sondern vielleicht auch der größeren europäischen Integration ein guter Dienst erwiesen.

UM BERLIN, UM DEUTSCHLAND. Der sowjetische Vorstoß im neuen Kampf um Berlin ist das erste Glied einer neuen diplomatischen Offensive Moskaus, die eben erst anrollt. Moskau, Warschau und Pankow haben den Westmächten das Recht abgesprochen, weiterhin in Berlin zu bleiben. Hinter den Reden und Kundgebungen dieser ersten Etappe stehen deutlich sichtbar die ersten Ziele: Moskau möchte eine Gipfelkonferenz erzwingen, Pankow möchte neben Bonn als zweiter, deutscher Staat anerkannt werden, Warschau möchte eine gewisse innenpolitische Freiheit retten um den Preis enger außenpolitischer Zusammenarbeit in Europa mit Moskau. Die Wesfmächte haben kategorisch erklärt, daß sie Berlin nicht preisgeben werden. Bonn im besonderen ist weniger denn je geneigt, sich mit Pankow an einen Tisch zu setzen. Hier hat es allerdings wie eine Bombe eingeschlagen, als Pankow bekanntgab, daß bereits 1955 und 1956 einer der getreueslen Paladine Doktor Adenauers, der damalige Finanzminister und jetzige Justizminisler Fritz Schäffer, sich in Ost-Berlin zu politischen Gesprächen mit seinem bayrischen Landsmann, dem Vopo-General Vinzenz Müller, damals stellvertretender Verteidigungsminister der DDR, getroffen hat. Nach mehrfachen Dementis wurden nun diese Treffen in Bonn zugegeben. Das Mißliche der westlichen Situation wird gerade durch diesen Husarenritt des wackeren Bayern beleuchtet: Es hat seit vielen Jahren, genau genommen seif der Verteidigung Berlins durch die Amerikaner gegen Stalin, keine eigenständige politische oder diplomatische Aktion des Westens in bezug auf die osteuropäischen und gesamtdeutschen Probleme gegeben. Man hat da immer nur auf Herausforderungen gewartet, um dann seinerseits den Nacken steif zu halfen oder eben etwas nachzugeben. Der neuenfflammte Kampf um Berlin zeigt, daß der Westen sich endlich zu einer eigenen Konzeption über seine Politik um Deutschland und in Osteuropa wird durchringen müssen. Mit einer Sperre des Dollars für Warschau, also einer wirtschaftlichen Strafsankfion für seine politische Unbotmäßigkeit, ist es ja nicht getan; das ist nur Wasser auf die Mühlen des großen Gegners, vermag aber das Fehlen eigener Plane, Vorschläge und Handlungen nicht zu verdecken.

WAHLSONNTAG IN BUDAPEST. Alles verlief programmgemäß. Die Bürger dieser Großstadt und eines breiten, (lachen Landes, gingen am vergangenen Sonnlag, früher als sonst, auf die Strohe, um „ihre“ Vertreter für das Parlament, für die Bezirkstage und Gemeinderäte zu wählen. In den Nachmittagsstunden war der Urnengang bereits vorüber, die Wahlbeteiligung war fast lückenlos: über 98 Prozent. Auch das Endergebnis fiel dementsprechend aus. All das wäre kaum der Rede wert, der Vorgang ist ja seit vielen Jahren in Osteuropa derselbe, und es ist oft schon gefragt worden, warum wohl die kommunistische Diktatur am Ritual einer zum Klischee gewordenen Formaldiktatur festhält, während die faschistische Diktatur da gründlicher verfuhr. Jetzt, nach den soeben vorexerzierten Wahlen in Ungarn, gibt es es jedoch noch eine zusätzliche Frage: Warum sollte der Schein auch noch in Ungarn — erneut und um so hartnäckiger — gewahrt werden, erst zwei Jahre nach der grofjen Demaskierung? Die Antwort darauf ist nicht schwer: Weil nur so das gegenwärtige Regime sein Programm weiterverfolgen kann, ein Programm, zu dessen Verwirklichung vor allem sehr viel Zeit und Ruhe nach außen vonnöten ist. So wurde denn auch die Zusammensetzung der neuen Körperschaften diesem Prinzip des „mäfjigen Fortschritts“ (auf dem Wege zum „Sozialismus“) untergeordnet. Sowohl die einstigen Rakosi-Anhänger als auch die „Revisionisten“ — die dem hingerichteten Imre Nagy nahestanden — fehlen fast zur Gänze. Erstere warten in windgeschüfzen Positionen, letztere zumeist im Gefängnis auf ihre Stunde. Fast die Hälfte der bisherigen 298 Abgeordneten wurden nicht aufgestellt — und die neuen sind noch mehr, da ja die Gesamtzahl auf 338 erhöht wurde. Es gibt auch „Parteilose“ unter ihnen, auch drei katholische Priester — dieselben, die im vergangenen Jahr durch Rom exkommuniziert wurden. In Ungarn läßt sich wohl auch niemand durch diese „Wahlen“ täuschen, nur allzu bekannt sind die Mafjriahmen, durch die der einzelne, durch die Träger der Macht vorgespannt, mißbraucht oder erdrückt wird. Im Ausland? Vielleicht da und dort in asiatischen, afrikanischen Ländern. Für sie werden vermutlich diese Wahlen veranstaltet.

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