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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DER EMPFANG BEIM HEILIGEN VATER, der am 11. d. M. dem Minister Dr. Drimmel zuteil wurde, war einer eingehenden, fruchtbaren, sine Stunde dauernden Aussprache über die aktuellen Angelegenheiten in Sachen des Verhältnisses von Kirche und Staat in Oesterreich gewidmet. Der Heilige Vater entlieh den Minister mit einer überaus herzlichen Bezeigung seiner Huld. Der Minister konnte hierauf in mehreren Konferenzen mit den führenden Persönlichkeiten des Päpstlichen Staatssekretariates zu einzelnen Detailfragen aufklärend Stellung nehmen. — Nach verschiedenen unerfreulichen Meldungen, die in den letzten Wochen die österreichischen Katholiken beunruhigten, wird man dankbar die gute Botschaft über den Verlauf der vatikanischen Unterredungen des Ministers zur Kenntnis nehmen.

„NUR NOCH AUF DEM PAPIER“ steht die Koalition: So heifjt es zumindest in der Entschliefjung, die der Parteivorstand der Sozialistischen Partei nach seinen Beratungen über die innenpolitische Situation am vergangenen Wochenende veröffentlicht hat. Ein hartes Wort, ein ernstes Wort. .. Und doch möchte man es als in mehr als zehn Jahren Koalitionspolitik erfahrener Oesierreicher nicht dramatisieren. Wenn unsere Zeit nicht so raschlebig wäre und das Erinnerungsvermögen ihrer Menschen nicht so schwach, so würden einem ähnliche .starke Töne“ aus vergangenen Vorwahljahren sofort einfallen. Aufjerdem: man blicke auf den politischen Terminkalender. In diesen Tagen treten an verschiedenen Orten größere und kleinere Parteigremien zusammen, um die Aus-gangssifuation für die am Horizont stehenden Nationalratswahlen zu erörtern. Und da gilt es natürlich, den Gegner unter Druck zu setzen, wenn es möglich ist, sogar seine Aufstellung iu verwirren. Deshalb auch das Manöver mit den Frühjahrswahlen, die jetzt der auf Herbstwahlen eingestellten Volkspariei angedroht werden — wahrscheinlich als „Dank“ dafür, daß der Bundeskanzler im vergangenen Herbst aus sfaafspolifischen Gründen und unter Hinweis auf das Koalitionsabkommen sich dem Drängen vieler Parteifreunde nach sofortigen Neuwahlen versagt hat. Gleicht doch unsere Parteipolitik in der Koalition nicht selten der Kriegstakfik des 18. Jahrhunderts. Damals wurde viel manövriert und wenig gekämpft. Es galt, den Gegner von seinen Nachschubbasen abzuschneiden, seine Depots zu besetzen. Offene Feldschlachten vermied man, solange es ging. Schließlich und endlich wollte man den Gegner ja nur besiegen, aber nicht vernichten. Man brauchte ihn ja wieder .nachher“. Und „nachher“, nach den kommenden Nafionalratswahlen, werden aller Voraussicht nach auch die beiden großen Parteien sich wieder brauchen. An ihrem gegenseitigen Kräfteverhältnis wird sich nichts Wesentliches geändert haben. Die Probleme, die jetzt „eingefroren“ sind, werden noch immer da sein. Warum also nicht gleich? So fragt der Staatsbürger. Der Naive.

ABGEDANKT hat Prinz Karneval. Sein Narrenzepter liegt nun auf fast ein Jahr unter Verschluß, nachdem das Aschenkreuz wieder seine Mahnung verkündet hat: „Memento mori.“ Doch half, welche „Vorurteile“! Beinahe scheint eine bürgerliche Zeitung recht zu haben, deren Reporter frischfröhlich berichtet: „Die Wiener sind als tanzlustig bekannt. Für sie existiert — der Blick auf den Ballkalender beweist dies — der Kehraus am Faschingdienstag nur auf dem Kalender.“ Zum Teil trägt eine gute Portion „Geschäffstüchfigkeif* der Veranstalter zu einer solchen „Prolongierung“ des Faschings bei. Etwas anderes ist es, wenn man die Beobachtung machen kann, dah die Sozialistische Partei ihre grofjen Faschingsveranstaltungen — fast ist man versucht, zu sagen: grundsätzlich — erst nach dem Aschermittwoch ansetzt. So auch in diesem Jahr. Am kommenden Samstag, dem 18. Februar, gibt der Bund sozialistischer Akademiker seinen Nobelball im Palais Auers-perg, während im Messepalast zur selben Zeit die SPOe-Meidling tanzt. Für eine Woche später laden Plakate zum „Roten-Nelken-Ball“. Die Liste könnte fortgesetzt werden. Wo die SPOe teht, dort darf — leider — der Gewerkschaftsbund nicht fehlen. Nicht einmal beim Tanzen . .. So findet das grofje Gschnasfest der „Solidarität“ ebenfalls erst am Samstag nach dem Aschermittwoch statt. Solidarität? Dieses schöne Wort verpflichtet eigentlich. In diesem Fall: zur Rücksicht auf die Gefühle der christlichen Mitglieder dieser grofjen Organisafion aller Arbeitnehmer.

UMSTURZ VOR DEN TOREN BONNS* Das Faschingsende im Rheinland brachte Bonn einen innenpolitischen Eisstofj, dessen Wirkung noch gar nicht abgeschätzt werden kann. Das g-ößte, reichste und wirtschaftlich stärkste Land im Verband der Bonner- Bundesrepublik erhält demnächst, wenn nicht alle Zeichen trügen, eine Landesregierung, die gegen Dr. Adenauer von Sozialdemokraten, Freien Demokraten und möglicherweise auch Zentrum gebildet werden soll. Karl Arnold, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, seit fast zehn Jahren im Amt, wird damit zunächst das Opfer der Mißstimmung breiter Kreise gegen das System der „Kanzlerdemokratie“, der Einmannherrschaft in Bonn. Die Oppositionellen betonen ziemlich offensichtlich, daß sich ihr Mißtrauensvotum gegen Arnold nicht gegen seine Person, sondern gegen die Führung seiner Parfei richtet. Arnold hatte sich jahrelang um eine „große Koalition“ mit den Sozialdemokraten bemüht, war aber dann dem starken Druck Bonns gewichen und hafte sich mit einer „kleinen Koalition“ nach Bonner Muster beschieden. Die heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Bundeskanzler und Führungskreisen der Freien Demokraten haben sichtlich die Vorgänge in Düsseldorf vorwärtsgetrieben. — Man versteht nun, warum Dr. Adenauer seinen Urlaub auf den Kanarischen Inseln, der ihm dringend von den Aerzten empfohlen wurde, absagte. Vieles steht jetzt in Bonn auf dem Spiel. Nicht zuletzt der Start der CDU CSU in den kommenden Wahlkampf. Die Festigung der Stellung des Bundeskanzlers selbst wird nicht nur von seinen eigenen Schachzügen in der deutschen Innenpolitik und von einer seif langem erwarteten Aktivierung seiner Partei abhängen, die, wie ihr eigene Anhänger vorwerten, im Schaffen des großen Alten einschlief, sondern auch von der nunmehr fälligen Entscheidung in Amerika: ob Eisenhower sich zur Kandidatur stellt oder ob Adlai Stevenson heraufzieht. Ein zu erwartender Regierungswechsel in den USA könnte einen solchen in Bonn nach sich ziehen.

ROM UND BONN: Der Staatsbesuch des italienischen Ministerpräsidenten Segni und seines Außenministers Martino in Bonn verdient in Oesterreich aufmerksame Beobachtung. Nicht nur, weil im gegenwärtigen Moment die Beziehungen Wiens zu Rom infolge der gespannten Lage in Südtirol belastet sind. Seit mehr als hundert Jahren werfen die deutsch-italienischen Beziehungen einen Schatten auf Oesterreich. An d ieser Tatsache sind nicht nur Bismarck, die wilhelminische Diplomatie mit ihrer Einkreisung Wiens durch die Allianz Rom und Berlin oder gar Hitler schuld. Die Landkarte spricht eine klare Sprache. Das heißt für die nächste Zukunft: sowohl die technische und wirtschaftliche Hilfe Westdeutschlands für Süditalien wird über den Brenner gehen, wie wohl auch die eben abgesprochene Sendung von italienischen Landarbeitern. — Seit dem Tode Degasperis waren die Beziehungen zwischen Bonn und Rom etwas eingefroren. Dr. Adenauer mißtraute dem „gleitenden“ innenpolitischen Kurs der Democristiani und befürchtete auch eine dem Osten gegenüber zu „weiche“ Politik der Männer um Gronchi. Der Bonner Besuch der italienischen Staatsmänner endete mit einer Reihe bedeutsamer Erklärungen: Festigung der „alten traditionellen Freundschaff“ zwischen Italien und Deutschland; Abschluß eines Kulturabkommens und eines Handels- und Schiffahrtsvertrages. Festlegung der Zusammenarbeit beider Länder in den Organisafionen des Atlantikpaktes, der Westeuropäischen Union und anderen Verbänden. Italien wird sich für die Wiedervereinigung der beiden Deutschland einsetzen, es wird Menschen und Waffen liefern, Westdeutschland wird sich an der wirtschaftlichen Erschließung Süditaliens beteiligen. — Westdeutschland fügt damit seiner wirtschaftlichen Offensive in den Nahen Osten und nach Indien — soeben sind Krupp und andere Führer der deutschen Industrie auf Orienfreisen — einen wichtigen militärisch-politischen Bausfein ein. Das Auslauffeld de: Nahen Ostens für die deutschen Energien kann einen wichtigen positiven Beifrag zum Frieden bilden.

EIN TOTER STUDENT IN MADRID. Im Anschluß an eine Gedenkfeier für den ersten Studenten, der bei Beginn des dreijährigen Bürgerkrieges ermordet wurde, kam es in Madrid zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Studenten. Falange, Polizei, Staafsführung wurden von demonstrierenden Studenten, die durch die Strafjen von Madrid zogen, angegriffen. Mit Worf und Tat. Leider auch, wie das eine Opfer, ein falangisfischer Student zeigt, mit blutiger Tat. — Diese Demonstrationen sind ein Glied in einer langen Kette von Aktionen, die in den letzten Monaten die tiefgehende Unruhe in der studentischen Jugend des Landes bezeugen. Die „Furche“ wird das innerspanische Problem, das hier offenkundig sichtbar geworden ist, noch in einem spanischen Eigenbericht behandeln. Hier aber soll, vorerst bereits dieses kleine Gedächfnismal festgehalten werden, als Zeichen österreichischer Verbundenheit mit dem Schicksal und Lebensweg des spanischen Volkes: möge der Student von Madrid für sein Volk und Vaterland ein letztes Opfer der Vergangenheit sein, die immer noch ihre schweren Schatten über das ganze Land wirft. Ein mahnendes Zeichen auch, dah es hohe Zeit ist, loszukommen, frei zu werden von dieser Vergangenheit. Der Weg in eine bessere Zukunft ist der Weg der Freiheit und Menschenwürde. Für Spanien, für den Spanier, für die akademische Jugend, für alle Menschen und Völker dieser Erde.

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