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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DER RÜCKTRITT DR. ADENAUERS. Während der Drucklegung unseres Blattes erhalten wir die Nachricht vom Rücktritt des Bonner Bundeskanzlers. Von den Motiven, die in letzter Zeit in deutschen Kreisen in bezug auf einen Rücktritt Dr. Adenauers genannt wurden, verdienen in dieser Stunde zwei besondere Beachtung: ein innenpolitisches und ein außenpolitisches Motiv. Drei Monate vor der Wahl des Bundespräsidenten konnte die Regierungspartei, welche die Mehrheit der deutschen Wähler auf sich vereinigt, die CDU/CSU, dem deutschen Volke noch keinen Kandidaten vorstellen, nachdem Minister Erhard sich geweigert hatte, die in seiner Abwesenheit beschlossene Kandidatur anzunehmen. Da der Kandidat der Sozialdemokraten, Professor Carlo Schmid, weit über die Kreise seiner Parteigenossen Ansehen genießt, drohte hier eine Wahlniederlage, nachdem die CDU zuvor bereits stark an Gesicht verloren hafte durch die Vorgänge um die Nominierung des repräsentativsten Mannes neben Dr. Adenauer, eben Erhard. Es mag also Dr. Adenauer ratsam geschienen sein, hier das volle Gewicht seiner Persönlichkeit in die Waagschale zu werfen: als künftiger Bundespräsident verfügt er den Männern seiner Partei auch im Kabinett gegenüber über ein Gewicht, das außerordentlich ist und in kritischen Situationen ausschlaggebend sein kann. Außenpolitisch hafte sich bei der Zehnjahrestagung der NATO in New York gezeigt, daß gewisse außenpolitische Maximen der Regierung Adenauer vielleicht endgültig unhaltbar geworden sind: Nicht nur England, auch die USA wollen Spifzenverhandlungen mit der Sowjetunion, wobei sich besonders USA-Regierungskreise verärgert zeigten darüber, daß von der Regierung Adenauer kein Deutschlandplan, ja keine konkrete Marschroute der Sowjetunion gegenüber zu erlangen war. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Dr. Adenauer nicht bereif war, als Kanzler Bedingungen anzunehmen, die ihm unannehmbar erscheinen, zuletzt aber auch von seinen treuen Waffengefährten und De Gaulle often gefordert wurden, wie die Anerkennung der Oder-Neiße- Linie. — Die Persönlichkeit Dr. Adenauers, des führenden Staatsmannes der Bundesrepublik Deutschland, scheidet mit diesem Rücktritt keineswegs aus dem Kräffespiel aus. Als Bundespräsident oder als großer alter Mann seiner Partei bildet er nach wie vor eine politische Größe, auf die alle Rücksicht nehmen werden müssen, die um Deutschlands Zukunft jetzt zum großen Spiel anfreten.

DIE ERSTEN SCHWALBEN dŽs kommenden österreichischen Urnenganges sind die auf den Plakatwänden und Litfaßsäulen über Nacht aufgetauchte Vorhut der Wahlplakate. Von ihnen kann abgelesen werden, was dem vorurteilslosen Beobachter der österreichischen Innenpolitik seit Wochen klargeworden ist: die Nationalratswahlen 1959 werden von allen Beteiligten ohne wirklich zündende Parole geführt, vielmehr wird erst sorgfältig tastend erforscht, auf welche Slogans größere Kreise der fluktuierenden Wählermassen ansprechen. Mittlerweile begnügt man sich zumeist durch allgemeine Bild- und Farbassoziationen Mißtrauen gegenüber dem Gegner und Sympathie für die eigene Sache zu erwecken — das heißt, man malt tiefschwarz oder blutrot. Ein typisches Beispiel für diese Praxis ist das (graphisch übrigens recht gekonnte) sozialistische Wahlplakat, das dem müde aut der „Dollfußstraße" abwärtstrabenden Gaul den optimistisch auf dem „Rennerweg" nach oben strebenden Traktor gegenübersfellf. Kein schlechter Bundesgenosse ist der Humor: das hat die Volkspartei erkannt, wenn sie das „Oester- reich-Baby" erschreckt seine Händchen von den mit drei Pfeilen geschmückten „Unsicherheitszündern' zurückziehen läßt. Für weniger wirksam halten wir beim gegenwärtigen Stand der Dinge im allgemeinen die Schriftplakafe, wie sie ebenfalls sowohl von der ersten als auch von der zweiten Regierungspartei affichierf wurden. Keine Ankündigung für einen neuen Tifarticfilm, sondern ein sozialistisches Wahlplakat ist das nach Steuerbord überhängende Schiff, das die Passagiere desselben — das heißt die österreichischen Wähler — auffordert, sich gleichmäßig aut Deck zu verteilen, damit durch eine gleichmäßige Verteilung auf dem Deck die „Alleinherrschaft" der Volkspartei verhindert werde. Hier liegt es freilich nahe, daß die VP bald den Ball zurückgibt und den politischen „Gleichgewichtssinn" des Oesterreichers mit umgekehrten Vorzeichen mobilisiert. Die KP wettert gegen den siamesischen Zwilling „Koalition", und die FPOe stellt Sich auf einem wenig eindrucksvollen Plakat vor als „jene Kraft, die Ordnung schafft". Weniger einfallreicher ist es kaum mehr möglich, es sei denn, sie versteht unter „Ordnung" etwas ähnliches, was allen, die es erlebt haben, noch in düsterster Erinnerung ist.

GRUNDSÄTZLICHER ODER EINMALIGER PRO- TESTI Die Tatsache, daß in Kärnten in einem öffentlichen Gebäude ein Warenhaus eingerichtet wird, hat die Gewerbetreibenden des Landes zu einem energischen Protest veranlaßt. Offensichtlich mit Recht, da der Handel vielfach und gerade auf dem Sektor, der zum Tätigkeitsbereich der Warenhäuser gehört, weithin übersetzt ist. Anderseits hört man, daß auch anderswo und nicht nur in Kärnten Warenhäuser errichtet werden. Der Protest gegen die Warenhäuser in Kärnten hatte aber den Anschein eines grundsätzlichen Protestes und nicht nur einer Stellungnahme gegen die Benützung öffentlicher Mittel, um eine bestimmte großbetriebliche Form des Einzelhandels ins Geschäft zu bringen. Man muß sich daher fragen, warum nicht der gleiche — und wie wir meinen berechtigte — Widerspruch auch dann laut geworden ist, wenn anderswo Waren- und Kaufhäuser großer Dimension eingerichtet werden und wurden, die zufällig nicht den Genossenschaften gehören, sondern ausländischen Konzernen. Wird die Existenz der kleinen Händler nur durch die GÖC bedroht und isf das Entstehen von Mammutbetrieben des Einzelhandels, wenn sie nur die privatwirfschaft- liche Tarnung dick aufgestrichen haben, völlig ungefährlich? Es scheint uns, daß diese Frage einer Antwort wert wäre, haben wir doch angesichts des stillen Ausverkaufes österreichischer Unternehmungen den Eindruck, daß man mit zweierlei MflKj mißt. Die Ausbreitung der genossenschaftlichen Betriebe nützt sicher nicht der Sicherung der Existenz des unternehmerischen Mittelstandes. Die Ausbreitung der privatwirf- schaftlich getarnten Handelskombinate aber auch nicht.

ZEHN JAHRE NATO. Vor zehn Jahren schlossen sich zwölf Länder des Westens in der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft, der NATO, zusammen. In den folgenden Jahren kamen noch drei weitere Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, hinzu. Die NATO entstand aus dem Schock, den im Westen die kommunistische Machtübernahme in Prag, die Berliner Blockade und die Gleichschaltungen in Osteuropa und der Sowjetzone auslösten. Stalin und Molotow dürfen sich also als Väter der NATO rühmen. Ohne ihre aggressive Politik wäre diese Defensivorganisation nie entstanden. Die

NATO besitzt, als der Schild des Westens, militärische und politische Aufgaben. Da die militärische Bedeutung der NATO von ihren führenden Vertretern bereits als ungenügend erkannt wurde, versuchte man in den letzten Jahren ihre politische Seite stärker zu aktivieren. Auf der Jubiläumssitzung der 15 NATO-Mifgliedsstaaten wurden dieser Tage in New York jedoch schwere innere Spannungen sichtbar. Welche konkrete Bedeutung kommt der NATO heute zu? Die NATO ist wahrscheinlich am stärksten als eine „fleet in being" (wie die Engländer seinerzeit als führende Seemacht ihre Flotte verstanden). Sie wirkt durch ihr Dasein. Aber jetzt ist an den Politikern die Reihe. Sie haben die Aufgabe, die NATO aus einem ziemlich starren militärischen Block zu einer politisch beweglichen Aktionsgemeinschaft durchzubilden, die nicht nur ein imaginärer oder schreckhafter „Schild des Westens” ist, sondern ein Mittel zur Selbstbehauptung der freien Welf.

DER DALAI-LAMA IN INDIEN. Die weltpolitische Bedeutung der blutigen Niederwerfung des tibetanischen Volkes durch die Truppen Rotchinas und der gelungenen Flucht des Dalai- Lamas nach Indien liegt darin, daß erstmalig die direkte Bedrohung Indiens durch China drastisch sichtbar geworden ist. Die Lage des indischen Staatsführers isf nicht beneidenswert. Einige hundert Kilometer unsicherer, kartographisch noch gar nicht genau festgelegter Grenzen, an denen der rotchinesische Einfluß beginnt. Diese Grenzen sind, wie ganz Indien, ungeschützt. Die kleine indische Armee hat dem rofchinesischen Millionenheer im Ernstfall fast nichts enfgegen- zustellen. Wenn die jetzt zur großangelegten „Säuberungsaktion" in Tibet einmarschierenden Chinesen, in Verfolg ihrer Operationen indisches Gebiet besetzten, wären sie kaum wieder herauszubringen. Was soll Nehru tun? Für eine Großrüstung fehlen Geld und Watten. Für ein militärisches Bündnis mit den USA ist das indische Volk nicht zu gewinnen. Jede indische Regierung verlöre heute dabei ihr Gesicht in Asien. Es isf möglich, daß morgen, unfer dem Eindruck der kommunistischen Aggression, in den Völkern Asiens eine ebenso heftige Reaktion entsteht wie heute im Staate Nassers. Bis dahin ist es aber noch ein gutes Stück Weg.

UNRUHIGES ARGENTINIEN. Tausende Pero- nisteh und Kommunisten haben in Buenos Aires Unruhen hervorgerufen. Hinter dem Kampfruf „gegen das Sparprogramm der Regierung” und „für Gfewerkschaffsfreiheit” sfeht die Aktionsgemeinschaft peronistischer und kommunistischer Manager, deren gewerkschaftliche Bollwerke Frondizi und die Republik nicht einzunehmen vermochten. Die Demonstranten verlangten die Aufhebung der Mobilisierungsdekrefe, durch die viele Arbeiter eingezogen und unter militärischem Befehl gestellt wurden. Die Kluft zwischen der Regierung Frondizi und der Allianz der Rechfs- und Linksextremisten hat sich also noch vertieft. Was wird aus Argentinien, diesem blühenden Land, dessen Währung und Wirtschaft durch Perons Diktatur an den Rand des Ruins gebracht wurden?

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