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An den. Rand geshrieben

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EIN UNGLÜCKLICHER GEDANKE. Wir wissen nicht, von wem der Gedanke stammte, Bundeskanzler Raab eine „Verabschiedungstour' quer durch alle österreichischen Bundesländer zuzumulen. Glücklich war dieser Vorschlag aut keinen Fall. War es schon ein starkes Ansinnen an den scheidenden Bundeskanzler und an seine angegriffene Gesundheit, hunderte Hände da und dort zu schütteln, freundlich zu lächeln und manches Gezische und Getuschel geflissentlich zu überhören, so hätten sich auch die reinen Parteisfrategen bei ihren Überlegungen gewiß verrechnet. Dem scheidenden Regierungschef Raab gebührt dankbares Gedenken, das Interesse der Bevölkerung gehört aber der Zukunft. Eine Volksparfei, die nichts anderes anzubiefen hätte, als die Lorbeeren der Vergangenheit, würde sich selbst aus dem Ringen um diese ausschließen. Nun scheine/! aber doch menschlicher Anstand und politische Vernunft stärker zu sein, und das Schauspiel der Tour d’Aufriche des scheidenden Kanzlers wird ihm und uns erspart bleiben. Und das ist gut so.

WIR HABEN EIN SCHMUTZ- UND SCHUNDGESETZ, und wir haben keins. Das heißt, das Gesetz steht sehr hübsch auf dem Papier, aber mit der strengen, raschen und unbürokratischen Handhabung des Gesetzes hapert es, so daß die Übeltäter immer wieder durch die Maschen schlüpfen können. Nun hat die Katholische Aktion Österreichs ihr Forderungsprogramm von der Frühjahrstagung betreffend eine schärfere Handhabung des Gesetzes in zehn Punkten formuliert und dem Unterrichtsminister sowie dem Innen- und dem Jusfizminister überreicht. Der neue Presserat wird ersucht, im Zeitungsbereich für Sauberkeit zu sorgen. — Die gewünschte neue Ver- sfrengung des Gesetzes wird hoffentlich auch jenen mehr als kühnen Klägern parieren, die, statt schön still zu sein, gegen Zeitungen, Erzieher und Seelsorger zu Gericht ziehen, weil diese ihre Pflicht tun und das Geschäft mit Schund und Schmutz das nenne,n, was es ist. Einer der drei derzeit anhängigen kuriosen Prozesse dieser Art wurde übrigens dieser Tage erfreulich ganz im Sinne des Jugend- schufzes liquidiert. Eine Wiener Zeitschrift war von Blättern der Niederösterreichischen Zeitungsgesellschaft als Sumpfblüte bezeichnet worden und hatte den traurigen Mut, zu klagen. Bei der ersten Verhandlung wurde die Klage jedoch noch vor der beantragten Bestellung eines Sachverständigen von der klagenden Partei unter Anspruchsverzicht zurückgezogen! Dieser Vorgang dürfte nicht ohne Rückwirkungen auf zwei weitere Prozesse ähnlicher Art sein, die zur Zeit in St. Pölten und Wels anhängig sind. Man kann nur Bravo dazu sagen … !

DAS GERICHT HAT GESPROCHEN Bis zuletzt rechneten die „für gewöhnlich gut informierten" Kreise in Bonn mit einem Kompromißurfeil des Obersten Verfassungsgerichfes in Karlsruhe, das von den sozialdemokratisch geführten Länderregierungen gegen Kanzler Adenauers eigenmächtige Gründung eines zentralen Regierungsfernsehens angerufen worden war. Nun ist der Spruch, schärfer als erwartet, ausgefallen: Die mit deutlicher Spitze gegen das zu liberale Fernsehen mancher Bundesländei konstruierte Aktion des Regierungschefs verletze den verpflichtenden Grundsatz der „Bundesfreundlichkeif" und sei zudem auch sonst verfassungswidrig. Da es gegen dieses Gericht keinen Einspruch gibt, ist der Fall somit endgültig erledigt. Natürlich ist damit keinesfalls das Zweite Fernsehprogramm, das vom deutschen Publikum aus verschiedenen Gründen verlangt wird, „gestorben". Dazu haben seine Produzenten — im Vertrauen auf die Allmacht des hochmögenden Protektors in Bonn und auf gewisse Garantieversprechen — schon im Vorstudium allzu hohe Schulden gemacht, die ja bekanntlich im Gegensatz zu niedrigen nicht eingetrieben werden können. Man wird sich mit den Ländern zusammensetzen und von gleich zu gleich verhandeln müssen. Und wohl recht bald zu einem Ergebnis kommen. Adenauer und sein engerer innenpolitischer Beraterkreis haben in dieser Angelegenheit bislang jenen zupackenden und etwas bedenkenlosen „Mut’ bewiesen, den Schillers Ballade vom „Kampf mit dem Drachen" dem östlich beheimateten und um Verfassungen nicht eben besorgten „Mamelucken" zuschreibt. Nun ist es Zeit für die höhere Tugend des „Gehorsams" gegenüber einem hohen Rechtsspruch, eines Gehorsams, der ja immerhin des „Christen Schmuck" ist. Und wenn's noch so bitter schmeckt…

NEUE RUNDE DER EUROPARIVALEN. Der Grabenkrieg zwischen EWG und EFTA ist in eine Bewegungsphase übergegangen. Adenauers Gespräch mit dem britischen Regierungschef (sehr vertraulich in London geführt) hat zwar keine Lösung im Sinne des „Brückenschlages" gebracht, wohl aber eine neue, wenn auch etwas krampfhaft anmutende Rechtskonstruktion. Man will nun das Forum der Westeuropäischen Union (in der urvordenklichen Zeit von 1948 als Verteidigungsbündnis der Westmächfe gegen ein irgendwann aggressiv werdendes Deutschland geschaffen und 1954 durch den Beitritt eben dieses Deutschlands nicht unbeträchtlich erweitert, führte dieser Klub das übliche europäische Dornröschendasein), eben diese WEU also, zur Clearingstelle europäischer Marktbeziehungen machen. Hinter den Kulissen beginnen die „Kleinen" zu rumoren. Holland muckt offen gegen die Bevormundung In der EWG auf, auch uns Österreichern werden gerüchtweise sanfte Ultimaten zugeschrieben. Angeblich hätten wir den Amerikanern mit der Einstellung der … Entwicklungshilfe „gedroht”. Und dabei ist der Fasching doch schon recht lange vorbei!

KÖNIG MOHAMMEDS V. FRÜHER TOD am Vorabend der Pariser Besprechungen zwischen de Gaulle und Burgiba hat Afrika und die westliche Welt erschüttert. Der König von Marokko, der als sein eigener Ministerpräsident amtierte, und der Ministerpräsident von Tunesien, Burgiba, bildeten die Pole des Friedens in Nordafrika. Ihnen und ihrer Zusammenarbeit ist es zu danken, dafj der algerische Konflikt bisher lokalisiert und in allerletzter Zeit sogar terminisiert werden konnte. Wie wird sich Burgiba gegen die Wellen des heifjen Nationalismus durchsetzen können, die aus Innerafrika, von Nassers Ägypten und ferngesteuert, sich gegen ihn wenden? Wird der 31jährige Kronprinz, der als Hassan II. die Nachfolge antritf, im Geist und in der Kraft seines Vaters die Zügel der Regierung übernehmen? Mohammed V. war als Siebzehnjähriger 1927 von den Franzosen als Sultan von Marokko eingesetzt worden und hatte sich in zäher Kleinarbeit zum Volksführer und Staats- fųhrer emporgearbeitet. Für den ganzen afrikanischen Kontinent und darüber hinaus gilt heute noch, was eine von der Romantik inspirierte Geschichtsschreibung in unserem neunzehnten Jahrhundert in den Vordergrund stellte: es sind Männer, die Geschichte machen; in turbulenten, unruhigen Zeiten können sie die Krisen meistern, Katastrophen abwenden, Raum für langwierige -Entwicklungsprozesse freimachen. Mohammed V. von Marokko gehörte zu dieser Gattung, die in Afrika heute besonders benötigt wird.

HUNDERT TAGE! Als Napoleon von Elba zurückkehrfe, schickten die zu Paris regierenden Bourbonen ihre Truppen dem Geächteten entgegen. Vor dem Treffen verlangte der Em- pereur ein Gespräch mit dem kommandierenden General. Nach wenigen Minuten war dieser überzeugt. An der Seite Napoleons marschierten die Soldaten nunmehr auf Paris, das nach der Flucht der Bourbonen kampflos zum Kaiser überging. Immerhin stand damals ein Lebendiger vor den Soldaten. Die Truppen der kongolesischen Osfprovinz traten ihren Zug nach der Kongohauptsfadt Leopoldville unter dem Namen eines Toten — Lumumbas — an. Glaubwürdigen Berichten zufolge isf die Kommandosprache ihrer Offiziere . . . Deutsch', mit sächsisch-preußi- schem Tonfall. Die Waffen, die sie tragen, sollen tschechischen Ursprungs sein. Sowjetische Flugzeuge haben sie. in den Kongo transportiert. Die auf Leopoldville vorsfofjen- den Verbände sind also nicht mehr blofje Stammestruppen des offen entbrannten Bürgerkrieges, sie sind zu Kadern der kommunistischen Internationale geworden. Die Agenturen melden, daß sie nirgends auf Widerstand stoßen, daß sich ihnen die ’ einheimischen Verbände anschließen und daß die UNO-Truppen Gewehr bei Fuß danebenstehen. Hundert Tage dauerte einst Napoleons neue Herrschaft, bis er der Großen Koalition zum Opfer fiel. Eine offene kommunistische Machtergreifung im Herzen Afrikas würde wohl nicht einmal drei Monate dauern. Hinter den Männern in Leopoldville und Katanga stehen mächtige Kreise der westlichen Welt. steht nicht zuletzt das Bestreben des Westens, das Weltgleichgewicht zu erhalten. Aber man täusche sich nicht. Der waffenlose Marsch des toten Lumumba wird in Afrika selbst nicht vergessen werden, wie immer sein Ende aussiehf.

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