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An den Rund geschrieben

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NOCH NICHT OFFIZIELL. Die Formulierung der beteiligten Regierungskanzleien, daß ihnen „offiziell von einem für den 3. Juni in Wien bevorstehenden Gespräch zwischen Kennedy und Chruschtschow nichts bekannt sei, wird von gewiegten Diplomaten als Beweis dafür genommen, dal} es „inoffiziell" schon feststehf. Dafj sich Österreichs Hauptstadt für dieses weltpolitische Treffen sofort zur Verfügung gestellt hat, ehrt unsere Geistesgegenwart. Wir haben uns auch bereit erklärt, eines unserer tra- difionsreichen Gebäude zu jenem „dritten" Ort zu machen, der für beide Partner auf halbem Wege liegt. Noch wissen wir freilich nicht, ob sie es nicht vorziehen werden, in ihren Botschaften, also im eigenen Lande, zu bleiben und zunächst von Zaun zu Zaun zu sprechen.

DIE NEUEN DINGE. Manche unter den hunderttausend Mitgliedern des Internationalen Verbandes der christlichen Arbeiterbewegungen, die sich zur Jubiläumsfeier der grofjen Sozialenzykliken über die „neuen Dinge” auf dem Petersplatz versammelt hatten, erwarteten bestimmt, daß Papst Johannes XXIII. seine seit Jahresbeginn angekündigfe Enzyklika zur sozialen Frage, zum gesellschaftlichen Zusammenleben der Menschheit unserer Tage bereits an diesem Datum verkünden lassen werde. Sie müssen sich noch einige Wochen gedulden. Aber die Welt, die anders als in den Tagen Leos XIII., mit dem ja die moderne Entwicklung der Kirche erst begann, dieser Botschaft mif Erwartung entgegensieht, erhielt einen ersten Einblick in ihren Themenbereich. Sie wird sich weder mit einem selbstsicheren historischen Rückblick begnügen, noch in der Abstraktion überzeitlicher Gesellschaftsideale stecken bleiben. Sie wird, aller Voraussicht nach, viel von der grofjen Unmittelbarkeit, der direkten und realistischen Hinwendung zu den wirklich brennenden Tagesproblemen einer immer größer und immer ratloser werdenden Menschheit spüren lassen, die den Johannespapst besonders auszeichnet.

AM TAG X. Wir wünschen alle, daß er möglichst lange, womöglich überhaupt nicht hereinbricht. Immerhin Verpflichtet1’ li£! Neutralität ürtseren Staat, sich rechtzeitig in die Lage zu -.versetzen, jedem bewaffneten Angriff unverzüglich begegnen zu können, das he:f}t praktisch, dem Angreifer für kurze Zeit einen möglichst hohen „Eintrittspreis” abzufordern. Nun wirft eine Untersuchung der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft (Probleme der Mobilisierung, Rechtsgutachten Nr. 19) die Frage auf, welche rechtlichen Probleme eine solche Mobilisierung auslöst bzw. welche Vorkehrungen zu treffen wären. Die Versorgung des Bundesheeres mit Sachgütern und persönlichen Dienstleistungen ist derzeit ungeregelt. Eine Notverordnung des Bundespräsidenfen könnte u. a. nur zeitlich befristete Maßnahmen verfügen, das gesetzgebende Verordnungsrechf der Sicherheitsbehörden und der Gemeinden wieder ist auf Angelegenheiten der allgemeinen und örtlichen Sicherheitspolizei beschränkt. Eine gesetzliche Dauerregelung ist also notwendig. Sie wird einige verfassungsrechtliche Probleme stellen: Enteignung und Entschädigung beispielsweise, oder inwieweit Verpflichtungen zu persönlichen Dienstleistungen mit den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechten vereinbar sind. Alle Schwierigkeiten sind zu lösen. Wichtig ist, dafj rechtzeitig gehandelt wird.

EINE SCHWEIZER STIMME. „Ein schweizerisches Wort zur neuen Phase des Infegrationsgesprächs" — dieser grofjangelegte Leitartikel der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 10. Mai 1961 verdient in Österreich aufmerksame Beachtung, nicht zuletzt, weil er die Gedankengänge einer Rede des Vorstehers des Eidgenössischen Politischen Departements, Petitpierre, wiedergibt und kommentiert. Die kleineren Staaten der EFTA beobachten angestrengt den Druck der Regierung Kennedy auf England hinsichtlich einer Verbindung mit der EWG. Nach der Zusammenkunft Kennedys mit de Gaulle Ende dieses Monats dürfte die Regierung Mac- millans sich näherhin über Englands nächste Schritte äufjern. Dennoch gilt: „Gerade die Mifgliedstaaten der EFTA haben allen Grund, den Eindruck zu vermeiden, als ob die in den letzten Wochen und Monaten intensivierten Gespräche und Sondierungen über die Möglichkeit eines Beitritts Großbritanniens zum Gemeinsamen Markt schon einen Zusammenbruch ihrer Gesamtkonzeption und ihres Gemeinschaftswerkes bedeuten müßten. Durch eine Reihe authentischer Erklärungen britischer Staatsmänner ist einwandfrei klargestellt worden, daß der wohlbekannte britische Pragmatismus am Grundsatz der Vertragstreue seine Grenze findet." Es wäre gerade vom Standpunkt der EFTA-Staafen falsch, die EFTA „heute schon abzuwerten, ihre Rolle und Aktivität als überholt anzusehen. Alle Mitgliedstaaten müssen sich vielmehr bewußt sein, daß selbst im Falle einer positiven Entwicklung der heutigen Annäherungsversuche, mit dem Übergang von bloßen Gesprächen zu eigentlichen Verhandlungen, auch mit einer längeren Dauer dieser Verhandlungen zu rechnen wäre, während welcher Zeit die EFTA weiterhin alle die ihr übertragenen Aufgaben zu erfüllen hätfe. Die Aussichten eines .Brückenschlages’ — in welcher Form immer er einst erfolgen mag — werden nicht zuletzt bestimmt durch die innere und äußere Verfassung der Verhandlungspartner: deshalb steht weder die Auflösung der EFTA auf der Tagesordnung, noch darf diese Instifufion zu einem Warfesaal degradiert werden, in dem ein paar .Verschnupfte1 des Schicksals harren, das ihnen von anderen, Mächtigeren, bereitet werden mag."

ITALIENS FASCHISTISCHE JUGEND.

In einer westdeutschen Wochenschrift setzt sich der angesehene italienische Publizist Indro Montanelli, in Österreich nicht zuletzt durch seine sachliche Auseinandersetzung mit dem Problem Südtirol bekannt, mit einem heißen Eisen der innerifalieni- schen Verhältnisse auseinander: „Mir schreibt ein junger Neofaschist." „Vor ein paar Tagen bekam ich einen Brief von einem jungen Studenten, der mir erklären wollte, wie und warum er und viele seiner Kameraden der Neofaschistischen Partei — dem MSI — beigetreten sind.’ Montanelli stellt nun eine Gewissenserforschung an, die auch hierzulande am Platz ist: inwieweit eine ältere Generation mitschuldig ist an dieser neuen Faszination der Männer von gestern. Dann bemerkt er: „Es hat keinen Zweck zu leugnen: Wir haben in Italien eine ziemlich große neofaschistische Bewegung unter der Jugend. Die totalitären Versuchungen in Italien sind und waren schon groß, noch bevor der Faschismus kam. Auch heute noch zeigt unser vieles Reden über Demokratie ja gerade, daß wir noch weit davon entfern sind, wirklich uneingeschränkt dieser Demokratie und dieser Freiheit anzuhängen.” Diese Sätze sind, unbeabsichtigt und eindrucksvoll, auch ein Kommentar zu einer gewissen italienischen Südtirolpolitik. Was wiederum gewisse Kreise hierzulande nicht in ihrer abergläubischen Praktik stärken sollte, die meint, italienische Faschisten nur mit entsprechender faschistischer Mentalität, made in Austria oder made in Germany bekämpfen zu können. Merkwürdig mutet in diesem Zusammenhang der Vorsatz der deutschen Redaktion zu Montanellis Aufsatz an: die deutsch-italienische Übersetzerin, Ingrid Parigi, nimmt hier das Wort und erklärt treuherzig: „Bitte, denken Sie immer daran, daß die faschistische Partei (zum Unterschied von der nationalsozialistischen) nicht mit dem Judenproblem belastet ist, und daß es sich im Grunde um so etwas wie die früheren .Deutschnationalen’ handelt.’ Es ist nicht unsere Aufgabe, die Deutschnationalen zu verteidigen: nicht unwidersprochen darf dennoch dies bleiben: die faschistischen Mörder Matteottis und so mancher Südtiroler, die Schinder, die auch nicht wenige der besten Italiener zu Tode hetzten, werden hier unzulässig verharmlost.

ALSO DOCH EIN „ÖSTERREICH".

Die politische Konferenz über Laos ist nun, da die Waffen im Lande selbst, die übrigens nie richtig losgegangen waren, halbwegs schweigen, in Genf zusammengefreten. Dem sanften Druck der Engländer und Kanadier ist die Überwindung der Anfangsschwierigkeiten zu danken. In den USA verhehlt man sich’ allerdings nicht, daß die vereinbarte Gleichstellung der „drei” Regierungen einen Prestigeverlust für den Westen darstellt. Der König von Kambodscha, Sihanouk, unterbreitete zu Anfang einen Lösungsvorschlag, wahrscheinlich das Beste, was für den Westen überhaupt noch in der verfahrenen Situation zu gewinnen ist: Laos und das benachbarte Kambodscha sollen unter der Garantie der Weltmächte gemeinsam zu einem neutralisierten Block zusammengeschlossen werden. Wie vor ihm bereits Dean Rusk, erwähnte auch Sihanouk das Beispiel Österreich. Er muß es ja wissen, denn er war nach dem Sfaatsvertrag schon einmal bei uns. Den „Suchanek” nannte man ihn damals in nicht urs- liebenswürdiger Übersetzung.

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