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Wirtschaft und Außenpolitik

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Der ständige Fortschritt der Technik, besonders die Entwicklung der Verkehrsmittel, machen die Welt von Tag zu Tag kleiner. Es gibt kaum ein Ereignis irgendwo auf einem Punkt unseres Erdballes, das nicht seine Auswirkungen weithin ausstrahlen läßt. Die Tage, da der europäische Bürger seinen Osterspaziergang in Ruhe und Gemächlichkeit machte, „… während hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinanderschlagen“, gehören längst der Vergangenheit an. Die Folge dieser Entwicklung ist die, daß sich die Interessen der Völker und Staaten immer mehr im Raume stoßen beziehungsweise die Erfüllung solcher Interessen von der Mitwirkung anderer abhängt. Es gibt daher heute zahllose Probleme, mit denen sich zwei oder mehrere Staaten gemeinsam beschäftigen müssen; damit aber sind die Agenden der Außenpolitik eines jeden Staates heute stark gewachsen.

Diese Vergrößerung außenpolitischer Agenden ist aber noch durch ein besonderes Merkmal gekennzeichnet: es ist dies die bedeutende Zunahme der Probleme der Außenwirtschaft. Ja, man kann ohne Übertreibung heute sagen, daß für kleine Staaten, deren Verantwortlichkeit für die große Weltpolitik natürlich geringer ist als die der Großmächte, die Außenwirtschaftsagenden bereits den -größeren Teil der Außenpolitik ausmachen. Dies gilt vor allem für die neutralen Staaten, deren Abstinenz von bestimmten außenpolitischen Agenden eine Voraussetzung für die Bewährung der Neutralität darstelllt. So sehen wir auch, daß in Österreich die Außenwirtschaftspolitik immer bedeutsamer wird und heute bereits einen solchen Umfang angenommen hat, daß die Errichtung -eines eigenen Bundesministeriums hierfür sinnvoll wäre.

Wie ist die Kompetenzlage in diesen Fragen bei uns? Seit dem Kompetenzgesetz vom 24. April 1963 ist es das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau, dem vornehmlich die Kompetenz in allen außenwirtschaftspolitischen Agenden mit Ausnahme solcher, die zur Organisation der Vereinten Nationen ressortieren, zufällt. Letztere Kompetenz, nämlich die bei den Vereinten Nationen, liegt beim Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten, das in diesen Fragen das Einvernehmen mit dem Handelsministerium herzustellen hat, während umgekehrt das Handelsministerium in den Fällen gemeinsam mit dem Außenministerium vorgehen muß, in denen der Handelsminister antragstellend an den Ministerrat herantritt. Diese Kompetenzverteilung hat sich bewährt. Sie hat die vorher bestandene „Konkurrenz“ der beiden Ressorts beseitigt und den beiden Bundesministern -eigene Verantwortung zugeteilt, die in den beiden eben erwähnten Fällen zur gemeinsamen Hand ausgeübt wird. Die Fülle der sich aus dieser Kompetenzlage für das Handelsministerium ergebenden Arbeiten würde nun die Errichtung eines eigenen Außenwirtschaftsministeriums um so mehr rechtfertigen, als bekanntlich das gegenwärtige Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau in Wirklichkeit aus zwei Ressorts zusammengesetzt ist, nämlich dem Wirtschafts- und dem Bautenressort. Damit ist dieses Bundesministerium heute so groß, wie drei andere Ministerien zusammengenommen. Die Unterstützung des Bundesministers durch die Staatssekretäre, die die Führung dieses Riesenressorts überhaupt erst -ermöglicht, kann nicht als endgültige Lösung angesehen werden, weil schließlich der Bundesminister alleinfür den gesamten Agendenbereich nach der Bundesverfassung die Verantwortung zu tragen hat.

Nach diesem Exkurs in unsere Verwaltung nun zurück zu den eigentlichen Problemen der Außenwirtschaftspolitik. Österreich ist Mitglied des GATT. Als solches unterliegt es der Meistbegünstigungsvorschrift, die besagt, daß jede Zollermäßigung, die einem GATT- Mitglied eingeräumt, auch allen anderen zuzugestehen ist. Ferner verlangen die GATT- Vorschriften, daß im Falle der Aufkündigung irgendwelcher Begünstigungen oder der Vornahme von Zollerhöhungen Ausgleichsmaß- nahmen anzubieten sind. Die Probleme, denen wir uns im GATT im Augenblick gegenübersehen, sind zweierlei Natur. Einmal drängen jene GATT-Mitglieder, gegen die der Artikel 35 angewendet wird, auf Beseitigung dieser, wie sie sagen, diskriminierenden Bestimmung. Österreich hat den in diesem Artikel vorgesehenen Vorbehalt zum Beispiel Japan gegenüber angewendet, um sich gegen Niedrigpreisimporte zu schützen. Das zweite, viel größere Problem des GATT sind die Bestrebungen der Entwicklungsländer, durch Schaffung einer eigenen Organisation auf dem Boden der Vereinten Nationen ihren Wünschen zum Durchbruch zu verhelfen. Als eines der Ziele haben die Entwicklungsländer die Absicht, für sich selbst von den Industriestaaten einseitige Begünstigungen zu -erhalten, was mit den GATT-Grundsätzen bisher nicht vereinbar ist; das Problem ist also vorläufig noch nicht gelöst.

Österreich, das sich immer positiv zum Postulat der Entwicklungshilfe gestellt hat, wird sehr genau diese Entwicklung verfolgen müssen, um nicht durch Beschlüsse überrascht zu werden, deren Durchführung bedenkliche Folgen für die österreichische Produktion haben könnte. Die Probleme, die sich dabei ergeben können, sind verschiedenartiger Natur. Einmal handelt es sich um Fragen der Konkurrenzierung auf dem Inlan-dsmarkt, dann um solche der Rohstoffpreise und schließlich auch um Probleme der österreichischen Exporte in die Entwicklungsländer. Zuletzt aber ist zu sagen, daß sich schon jetzt nicht nur in Österreich, sondern in allen Industriestaaten Schwierigkeiten zeigen, deren Folgen noch gar nicht abgesehen werden können, weil es sich in kurzer Zeit herausgestellt hat, daß die Entwicklungsländer nicht in der Lage sind, Kreditverpflichtungen zu den eingegangenen Bedingungen zurückzuzählen.

Die Probleme bleiben

Österreich ist, Mitglied der OECD. Diese Organisation ist heute im Gegensatz zur früheren OEEC kein Forum mit Beschlußfassungskompetenz, sondern eine Studien- und Forschungsorganisation, die wertvolles Material liefert. Die Untersuchungen und die sich daraus ergebenden Berichte der OECD vor allem über die wirtschaftlichen Probleme der Mitgliedsstaaten stellen heute wertvolle Behelfe für die Regierungen dar. Bei der soeben in Paris abgehaltenen Ministerratstagung war es unter -anderem das Bemühen des österreichischen Handelsministers, auf die offenen Probleme zu verweisen, die sich aus dem Umstand ergaben, daß die Entwicklungsländer im Außenhandel meistens das Staatshandelssystem anwenden, während die in der OECD vereinigten Industriestaaten natürlich nach den Grundsätzen der Marktwirtschaft vorgehen. Das aber bedeutet, daß sich in Kürze daraus die gleichen Probleme ergeben werden, die heute schon auftauchen, wenn die Handelsgeschäfte zwischen Staaten mit verschiedenem System abgewickelt werden, wovon noch die Rede sein wird.

Das Vertrauen der EFTA-Staaten ist erschüttert

Österreich ist Mitglied der EFTA. Die Situation der Europäischen Freihandelszone hat sich durch die bekannten britischen Maßnahmen, die in den letzten Wochen ergriffen wurden, wesentlich geändert. Das Vereinigte Königreich hat mit dem Inkrafttreten der neuen Importabgabe für viele Exporte seiner EFTA-Partner nach England einen Zustand hergestellt, der zollmäßig gesehen schlechter ist als vor dem Inkrafttreten des EFTA- Vertrages; durch das Vorgehen der Labour- Regierung ist eine Tatsache geschaffen worden, die — man soll die Dinge so nüchtern sehen wie sie sind — kaum mehr rückgängig gemacht werden kann, zumindest ist das Vertrauen der anderen EFTA-Mitgliedstaaten in. die Wirksamkeit der getroffenen Vereinbarungen zerstört worden. Auch wenn die britische Regierung die Importabgabe wieder — zu einem gegenwärtig noch nicht feststellbaren Zeitpunkt — rückgängig gemacht haben wird, bleibt die Tatsache bestehen, daß sich das größte und bedeutendste Mitglied der EFTA über eine so wichtige Vertragsbestimmung, nämlich das Verbot der Erhöhung bestehender oder der Einführung neuer Zölle oder gleichartiger Abgaben ohne vorhergehende Konsultationen, hinwegsetzte. Es ist keine Frage, daß durch dieses Vorgehen der innere Zusammenhalt der EFTA wesentlich geschwächt wurde.

Das Resultat dieser bedauerlichen En-tw-ick- lund der EFTA ist ein doppeltes: Erstens ist der in der Präambel des Stockholmer Vertrages festgehaltene Zweck, ein Instrument für eine gesamteuropäische Wirtschaftsintegration zu werden, bisher nicht -erfüllt und durch das englische Vorgehen noch erschwert worden. Zweitens haben die britischen Maßnahmen auch den vielfach unterstrichenen Zweck, für die Übergangszeit, das heißt, bis zu einer Regelung des Verhältnisses mit der EWG, zumindest im Verkehr unter den EFTA- Partnern eine wesentliche Erleichterung des Handelsverkehrs zu bewirken, wieder weitgehend zunichte gemacht. Auch wenn die britische Regierung diese Maßnahmen wieder zurückgenommen haben wird, wird die ein- gėtFėfSTTe"' Störung 3er” britischen Importe "von d n anderen EFTA-Mitgliedsländem noch längere Zeit wirksam bleiben. Vor allem aber ist das Vertrauen der EFTA-Partner schwer erschüttert worden. Hat die Labour-Regierung doch diese Importabgabe nicht nur gegen die Bestimmungen des Stockholmer Vertrages, sondern auch ohne ihre EFTA-Partner vorher auch nur zu informieren, durchgeführt.

Österreich ist nicht Mitglied der EWG und wird es mit Rücksicht auf seinen Neutraii- tätsstatus auch nicht werden. Was wir von der Gemeinschaft wollen, ist oft genug gesagt worden:

Einen Vertrag besonderer Art, der unsere wirtschaftlichen Beziehungen mit den sechs Staaten der EWG in einer Form regelt, wie es für die österreichische Wirtschaft unter Beobachtung unserer internationalen Verträge unbedingt notwendig ist. Die Sicherstellung der Hälfte des österreichischen Gesamtexportes und Teilnahme an der wirtschaftlichen Dynamik der Gemeinschaft sind die wiederholt in ausführlichen Darstellungen ange strebten Ziele, die die österreichische Regierung im Auge haben muß. Das Wort hat gegenwärtig Brüssel, von wo wir uns das Mandat zu Verhandlungen erwarten — seit unserem ersten Antrag, mit Österreich in Verhandlungen einzutreten, sind bereits drei Jahre vergangen. Man wird auch in Brüssel und in den Hauptstädten der Mitgliedsländer der EWG verstehen, daß diese lange Zeit für die österreichische Regierung nunmehr be-

ginnt, peinlich und unangenehm zu werden, und daß die baldigste Aufnahme offizieller Verhandlungen nicht mehr länger hinausgeschoben werden kann.

Die Grenzen des Osthandels?

Die Förderung des Exports zählt zu den wichtigsten Aufgaben der Staatsverwaltung. Für Österreich stellt sich dieses Problem im besonderen Maße dar, da von einem entsprechenden Export die Beschäftigung zahlloser Menschen abhängt. Wir verkaufen dabei unsere Waren gerne an jedermann, der in der Lage und willens ist, dafür zu bezahlen. Wo diese Zahlung nicht in konvertibler Währung erfolgen kann, muß sie durch Gegenlieferungen -geschehen. Das aber ist das Problem des Osthandels. Österreich kann in alle Staatshandelsländer nicht mehr exportieren als es von dort an Waren bezieht. Mangels konvertierbarer Währung sind die kommunistischen Staaten auf die Form des bilateralen Verrechnungsverkehrs angewiesen. Damit aber ist der Expansionsfähigkeit dieser Handelsbeziehungen eben die Grenze der österreichischen Aufnahmefähigkeit gesetzt. Daß diese Grenze bei einem 7-Millionen-Staat nicht sehr weit gesteckt sein kann, braucht nicht näher bewiesen zu werden. Stahlwerksanlagen, die unsere VÖESt. liefert, können zum Beispiel an diese Staaten nur verkauft werden, wenn die VÖESt. selbst imstande ist, durch Bezug von Rohstoffen und Betriebsmitteln für ihren Betrieb die Bezahlung sicherzustellen beziehungsweise soweit Verrechnungsmöglichkeiten im allgemeinen Verkehr gegeben sind. Wie eng hier die Grenzen in Wirklichkeit sind, ergibt sich von selbst. Eine wesentliche Ausweitung des österreichischen Osthandels kann, solange die jetzige Situation andauert, kaum erwartet werden, es sei denn, unsere östlichen Handelspartner kommen zu einer weitgehenden Änderung ihrer monetären Politik, im Außenhandel.

„ ..aüxgatigs .-gesagt wurde, daß -die Außenwirtschaft heute ein wesentlicher und großer Bestandteil der Außenpolitik ist, so sei abschließend -darauf verwiesen, daß die Wirtschaftspolitik die Aufgabe hat, die wirtschaftlichen Grundlagen für die freie Existenz eines Staates zu schaffen. Wir, die wir unsere Freiheit schon einmal verloren haben, und deren Rückgewinnung im Frühjahr 1965 in einer zehn- und einer zwanzigjährigen Gedächtnisfeier gedacht werden wird, tragen die Verantwortung dafür, daß die Wirtschaft Österreichs in Ordnung ist und bleibt. So liefert die Wirtschaftspolitik eine der Voraussetzungen für unsere Freiheit.

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