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Textilindustrie — standfest

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Österreichs Textilindustrie ist, gemessen an der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer — rund 74.000 —, nach wie vor der größte Industriezweig unseres Landes, jedoch gleichzeitig auch einer der konjunkturempfindlichsten. Sie hatte in den Jahren 1958/59 unter den Auswirkungen der Konjunkturverflachung stärker zu leiden als andere Wirtschaftszweige und konnte erst im vergangenen Jahr — im allgemeinen gesehen — das Produktionsniveau von 1957 wieder erreichen.

Weiteren, dem gegebenen Konsumbedarf entsprechenden Expansionsmöglichkeiten stellt sich eine Reihe ernster Hindernisse in den Weg. Hier ist zunächst das Problem der unaufhaltsam ansteigenden Textilimporte zu erwähnen, die im Jahre 1960 die Rekordhöhe von 2,75 Milliarden Schilling erreicht haben. Die Importbelastung variiert naturgemäß bei den verschiedenen Textilerzeugnissen und ist in zahlreichen Fällen bis zu 50 Prozent der Inlandproduktion angestiegen, bei Wollgeweben sogar bis zu 56 Prozent — eine Entwicklung, die sicherlich zu größter Besorgnis Anlaß geben muß. Da die Zuwachsrate der österreichischen Textilexporte, die sich im Jahre 1960 auf rund 2,5 Milliarden Schilling beliefen, weit hinter diesen Importsteigerungen zurückbleibt, zeigt die sich aus der Differenz zwischen Importen und Exporten ergebende Textilbilanz ein von Jahr zu Jahr unerfreulicheres Bild. Sie ergab Ende 1960 erstmals seit zehn Jahren eine Passivspitze von fast 250 Millionen Schilling. Obwohl der überwiegende Teil der Importtextilien aus dem westeuropäischen Raum liberalisiert zur Einfuhr gelangt, sind die Tendenzen der sogenannten Billigpreisländer des europäischen Ostblocks und Ostasiens unverkennbar, in zunehmendem Maße auf dem österreichischen Markt Fuß zu fassen. Hier handelt es sich fast ausnahmslos um Erzeugnisse, deren Preise nicht auf Basis der üblichen kommerziellen Kalkulationsmethoden erstellt wurden und denen gegenüber jeder Zollschutz unwirksam bleiben muß. Bisher war Österreich in der Lage, sich durch wohlerwogene handelspolitische Maßnahmen gegen diese selbst das niedrigste Normalpreisniveau deroutierenden Einfuhren abzuschirmen, doch scheint es notwendig, immer wieder vorsorglich vor einer liberaleren Importpolitik dieser abnormalen Konkurrenz gegenüber zu warnen und auf die unabsehbaren Konsequenzen einer in diesem Falle sicherlich unangebrachten Freizügigkeit für die heimische Wirtschaft hinzuweisen. Die Textilindustrie-,-”die— steh- m - erster —Linie durch die unterpreisigen Ostimporte bedroht fülhlt, hat daher größtes Interesse daran, daß das im Entwurf vorliegende Antidumping-Gesetz baldmöglichst dem Parlament zur Verabschiedung vorgelegt wird. Die gleichen Gefahrenmomente sind es, die es angebracht erscheinen lassen, in die Diskussionen über den neuen Textilplan des Präsidenten Kennedy nur mit größter Vorsicht einzutreten, der unter anderem für eine weltweitere Streuung der Textileinfuhren aus den asiatischen Entwicklungsländern eintritt.

Neben den Importproblemen ist es augenblicklich auch die noch völlig offene Frage der Europa-Integration und aller mit ihr verbundenen, fast täglich wechselnden Aspekte,

die eine starke Unsicherheit in das Dispositionsprogramm der produzierenden Textilwirtschaft bringen. Der Anteil der EWG-Länder am Gesamtexport der österreichischen Textilindustrie betrug im Jahre 1960 rund 40 Prozent, der Anteil der EFTA 24 Prozent; auf der Importseite sind es zirka 67 Prozent beziehungsweise 22 Prozent. Wenn auch die entsprechenden Aus- und Einfuhrquoten der einzelnen Erzeugungszweige innerhalb der Textilindustrie graduell verschieden liegen, so steht außer Zweifel, daß sich für einen Großteil der Exportproduktion der ab 1. Jänner 1962 zu erwartende 50prozentige Zoll abbau innerhalb der EWG hemmend aus wirken wird.

Dies gilt insbesondere im Verhältnis zum größten Außenhandelspartner der Textilindustrie, der Bundesrepublik Deutschland, die im Jahre 1960 österreichische Textilien im Werte von 790 Millionen Schilling, das sind 31 Prozent der Gesamttextileinfuhr, aufgenommen hat. Trotz aller Bemühungen um die Ausweitung unseres Exportes nach der EFTA — sei es durch individuelle Marktbearbeitung, sei es durch rege Beteiligung an kollektiven Werbeveranstaltungen (Österreich-Wochen) — erscheint es mehr als fraglich, ob eine auch nur annähernde Kompensierung des infolge des dynamischen Verschmel zungsprozesses innerhalb der EWG zu befürchtenden Exportrückganges durch gesteigerte Ausfuhrgeschäfte mit den EFTA-Partnern im Bereich der praktischen Möglichkeit liegt. Anderseits muß festgestellt werden, daß die sehr bedeutenden Textilimporte aus dem EWG-Raum, die im Jahre 1960 mehr als 1,8 Milliarden Schilling betrugen, in ihrer steigenden Tendenz durch die bisherigen EFTA-internen Zollmaßnahmen nicht tangiert wurden. Es kann angenommen werden, daß die im Zusammenhang mit den verschiedenen Assoziierungsplänen viel diskutierte Zollharmonisierung, das heißt die Angleichung der EFTA-Zölle an das Niveau des EWG-Außen- tarifes (allenfalls gesenkt um 20 Prozent) bei den übermächtigen EWG-Textilindustrien neue starke Exportimpulse nach dem österreichischen Markt auslösen wird. Es wäre daher auch bei i

Behandlung dieses Problems am Platz, unter Beachtung der besonders anfälligen strukturellen Lage der österreichischen Textilindustrie tem- piert vorzugehen und ihr eine entsprechende Anpassungsfrist an die geänderten Marktverhältnisse einzuräumen.

Eine weitere unerläßliche Voraussetzung für das erfolgreiche Bestehen der Textilindustrie im immer härter werdenden Wettbewerbskampf bildet die Beibehaltung aller bisherigen staatlichen Maßnahmen auf dem Gebiete der Umsatzsteuerrückvergütung und der Investitionsbegünstigungen (Bewertungsfreiheit). Es kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, daß es sich hierbei um kein

Steuergeschenk handelt, da alle Staaten der Welt in dieser oder jener Form dort helfend eingreifen, wo ein gegen eine übermächtige Weltkonkurrenz ankämpfender Industriezweig aus eigener Kraft die im gesamtwirtschaftlichen Interesse gelegene Exportleistung nicht erbringen kann.

Zu all den angeführten Schwierigkeiten tritt noch die angespannte Lage des Arbeitsmarktes, die viele Betriebe, vor allem in den grenznahen Gebieten Österreichs, in denen die Situation noch durch das Grenzgängertum verschärft wird, daran hindert, ihre Kapazitäten den wirtschaftlichen Möglichkeiten entsprechend auszunützen. Daher muß’ die Frage der Heranziehung ausländischer Arbeitskräfte unbedingt einer baldigen und zweckdienlichen Lösung zugeführt werden.

Trotz dieser sehr brennenden, ungelösten Probleme liegt es Österreichs Textilindustrie fern, einem Zweckpessimismus zu verfallen. Sie hat in den schweren Nachkriegsjahren ebenso wie in der Krisenzeit nach dem „Korea-Boom” ihre Standfestigkeit und elastische Anpassungsfähigkeit an alle wirtschaftlichen Gegebenheiten unter Beweis gestellt. Sie wird diese Haltung im Bewußtsein ihrer Bedeutung für die Stabilität der österreichischen Gesamtwirtschaft und in voller Verantwortung für die uneingeschränkte Weiterbeschäftigung ihrer Arbeitnehmer und damit für den sozialen Frieden in unserem Lande auch in Hinkunft bewahren.

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