Im Zeitalter der Atomkraft, der Weltraumflüge, des Computers, der Laserstrahlen und der Überschallflugzeuge ist es nur natürlich, wenn im geistigen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Bereich alles noch mehr fließt, als dies zumindest seit der griechischen Klassik ohnedies schon bekannt war. Wenn heute irgendwo auf dieser nachrichtentechnisch und verkehrsmäßig ständig kleiner werdenden Erde etwas passiert, spürt man davon überall zwangsläufig die Auswirkung: Seinerzeit verursachte die Blockierung des Suezkanals und die durch die Umfahrung Afrikas ausgelöste Verzögerung der Rohölanlieferung in manchen auf kontinuierliche Zufuhr angewiesenen großen Industrien Westeuropas vorübergehende Kurzarbeit oder gar Schließung. Zeiten politischer Hochspannung lassen auch die Kupferpreise überall hochschnellen und zusätzlich gibt es noch Lieferschwierigkeiten. Eine russische Getreidemißernte vor wenigen Jahren führte zum größten Weizengeschäft der Geschichte, veränderte schlagartig nicht nur dessen Preis, sondern bewirkte gleichzeitig durch die Bewegung von hunderten Millionen Tonnen eine starke Erhöhung des Seefrachttardfes, was sich auch auf die Wettbewerbsfähigkeit österreichischer Exporte in ferne Länder nachteilig ausgewirkt hat. Die CSSR-Krise vom August 1968 verhinderte während mehrerer Märkte in Wien/St. Marx, mitten in der Fremdenverkehrsspitze, die zusätzliche Vieh- und Fleischbelieferung durch Ostblockstaaten, und es glückte nur knapp, durch Appelle zur Mehrlieferung an die heimischen Bauern und durch Auslagerung eingefrorener Vorräte einen Versorgungsengpaß zu verhindern — und dies trotz der zusätzlichen Hunderttausenden damaliger Flüchtlinge. Wenn also internationale Veränderungen mehr denn je im Rahmen eines immer enger ineinander verflochtenen Weltwirtschaftsorganismus geeignet sind, in Österreich entsprechende Wirkungen auszulösen, so muß die Ausstrahlung auf alle Bereiche der heimischen Wirtschaft dann um so stärker sein, wenn sich ein österreichischer Wirtschaftszweig mit 554.000 Beschäftigten im Jahre 1969 in einem deutlichen strukturellen
Anpassungsprozeß befindet, wie dies bei der österreichischen Land- und Forstwirtschaft der Fall ist (1959 834.000 und 1951 noch 1,012.000 Beschäftigte.
Mit ausgelöst durch eine stürmische Mechanisierung, die ihrerseits wieder Spezialisierung und Rationalisierung erzwang, hatte eine zukunftsorientierte Agrarpolitik der Steigerung der Flächen- und der Arbeitsproduktivität großes Augenmerk zuzuwenden. Mechanisierungsbedingt kommt es deshalb durch viele Jahre hindurch zu einer jährlichen Abwanderung von zirka 22.000 Vollarbeitskräften, was so lange ohne ernste soziale Spannungen vor sich geht, als die allgemeine Konjunkturlage lohnende Arbeitsplätze zur Verfügung hat. Jedenfalls präsentiert sich die österreichische Land- und Forstwirtschaft um vieles mobiler und macht von einem Arbeitsplatzwechsel alljährlich großen Ausmaßes viel weniger Aufhebens als andere Berufe. Es bleibt vielfach unbeachtet, welche außerordentliche Leistung in der Größenordnung mehrerer Milliarden Schilling jährlich die österreichische Land- und Forstwirtschaft durch das Aufziehen und Ausbilden von Kindern erbringt, die sie dann voll arbeitsfähig in die übrige österreichische Wirtschaft abwandern läßt. Zurück bleiben immer weniger land- und forstwirtschaftliche Familienbetriebe, die in ihre Sozialeinrichtungen Beiträge zahlen, und jedenfalls alle Alten, Kranken, nicht mehr Umstellungsfähigen und Ausgedienten, was das Mißverhältnis von Beiträgen und Leistungen immer mehr verschärft. Deshalb stellt sich die Problematik staatlicher Zuschüsse in den bäuerlichen Sozialversicherungsbereichen in stärkerem Ausmaße als in expandierenden anderen Sparten, die meistenteils trotzdem auch auf staatliche Hilfe angewiesen sind, wie das österreichische Sozialbudget ausweist.
Bauern als Konsumenten
Im Zuge moderner Entwicklung geht der Selbstversorgungsanteil der österreichischen Land- und Forstwirtschaft immer mehr zurück, und die Marktproduktion hat 1968 88,9 Prozent erreicht. Dieser Trend wird weiterhin anhalten, und in jährlich steigendem Maße wird verkauft und gekauft werden. Während der Rohertrag der land- und forstwirtschaftlichen Produktion 1969 32,43 Milliarden Schilling erreichte, wovon für 8,13 Milliarden Schilling exportiert wurde (zum Vergleich: die gesamte chemische Industrie Österreichs exportierte um 3,5 Milliarden Schilling), stiegen die Gesamtausgaben der Land- und Forstwirtschaft 1968 auf 28,17 Milliarden Schilling, was die österreichische Bauernschaft als gewaltigen Konsumenten ausweist, dessen Kaufkraftveränderung sich zwangsläufig erheblich auf weite industrielle und gewerbliche Bereiche auswirken müßte. Eine Politik der Verunsicherung land- und forstwirtschaftlichen Einkommens würde sicherlich primär investitionshemmend wirken. 1968 wurden allein für Maschinen- und Geräteerhaltung und -investitionen über 6800 Millionen Schilling ausgegeben, für Gebäude-und Meliorationsinvestitionen 4900 Millionen für Düngemittel 1890 Millionen und für Sachversicherungen 760 Millionen.
Die bisherige österreichische Agrarpolitik war bemüht, ihren Beitrag zu leisten zur Sicherung der Arbeitsplätze, zur Steigerung der Masseneinkommen, zur Erhaltung der Kaufkraft der Währung und zur Ausweitung des österreichischen Exportes, weil nur im Zeichen allgemeiner Konjunktur die steigende österreichische Qualitätsproduktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu annehmbaren Preisen absetzbar erscheint. Genauso wird eine moderne Arbeitnehmer-, Handels-, Gewerbe- oder Industriepolitik sich darum sorgen müssen, daß die strukturellen Veränderungen in der Land- und Forstwirtschaft, die weiter gediehen sind, als in fast allen anderen großen Bereichen der heimischen Wirtschaft, möglichst ohne soziale Spannungen und Ungerechtigkeiten vor sich gehen und daß man sich überhaupt nach dem Grundsatz verhält: „Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch keinem andern zu!“
Die österreichische Land- und Forstwirtschaft hat, gestützt auf das derzeitige gesetzliche Instrumentarium, die Strukturverbesserung beschleunigt, eine höhere Produktivitätssteigerung als die Industrie erreichen können, den Selbstversorgungsgrad Österreichs mit 83 Prozent neutralitätssichernd gestaltet, die Produktionsanpassung besser als in den westeuropäischen Staaten in den Griff bekommen, ihre Exporte auf beachtliche devisensparende Höhe gebracht und dies alles erreicht, obwohl die Ernährungs- und Getränke-Indexsteigerung von 1967 bis 1969 unter der allgemeinen Lebenshaltungskostenindexsteigerung zurückblieb und jährlich nicht einmal 3 Prozent erreichte, was einem hervorragenden Stabilisierungseffekt zum Wohle aller österreichischen Konsumenten gleichkommt. Wirtschaftspolitik hat ihre eigenen diffizilen Gesetzlichkeiten, richtet sich nicht nach parteipolitischem Wunschdenken und ist ungeeignet als ideologisches Exerzderfeld. Umfassende Wertung und ihre richtige Zuordnung auf Soll und Haben wird den gewissenhaften Beurteiler erkennen lassen, daß der österreichische Land- und Forstwirt in unserer Volkswirtschaft eine bedeutende Rolle spielt, daß er überdies als Pfleger der Kulturlandschaft mit ihren Rückwirkungen auf die Volksgesundheit und die Fremdenverkehrspotenz gar nicht kalkulierbar ist.
Die Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel sind wohl das Verzerrteste, was auf wirtschaftlichem Gebiet überhaupt bekannt ist. Sie haben gar nichts mit Gestehungskosten oder jeweiligen Inlandspreisen exportierender Länder zu tun. In manchen Fällen ist dieser sogenannte Export nichts anderes, als ein organisiertes Verschenken von Uberschüssen, um das erfahrungsgemäß richtig eingepen-delte Niveau der eigenen heimischen Märkte nicht zu stören. Bei Exporten aus Oststaaten sind auch andere Überlegungen maßgebend, und der dortige Staatshandel ist jedenfalls nicht an westliche Kalkulationsfaktoren gebunden.
Ein paar Beispiele mögen diese Situation demonstrieren: Im Juni 1967 ist in Österreich das Zucker-, Stärke- und Ausgleichsabgabengesetz beschlossen worden. Einer der Anlaßfälle dafür waren Dumpingimporte von gelegentlichem Uberschußzucker aus Frankreich um 1.90 S je Kilogramm bis Salzburg gestellt, obwohl der Detailpreis in Frankreich weiterhin 7.34 S betrug. 90 Prozent des Weltzuckermarktes werden mit festen Kontrakten gemacht und 1966 bezahlte die USA für ihren gesamten Importzucker 6.80 bis 7.20 Cents je Maßeinheit, die UdSSR 6.10 Cents, und gleichzeitig schwankten eventuelle Uberschüsse als sogenannter Weltzuckerpreis zwischen 1.34
and 2.60 Cents. Diesem ruinösen Zufallspiel konnte man die 150.000 Betroffenen ein^ schließlich ihrer Familienangehörigen der österreichischen Rübenbauernschaft sowie der Zucker- und Süßwarenindustrie nicht ausliefern, zumal zur Zeit der Beschlußfassung des Schutzgesetzes Zucker im Jahre 1951 einen Fabrikabgabepreis von 5.58 S/kg hatte und 1966 einen solchen von 5.95 S, in 16 Jahren somit nur eine Steigerungsrate von 6,6 Prozent eingetreten war, was der gesamten Produktion in jeder Phase ein kaum überbietbar fortschrittliches Rationalisierungszeugnis ausstellt.
Im Frühjahr 1965 lieferte Schweden Überschußeier um etwa 45 g je Stück nach Wien, Während in Schweden selbst der Ab-Hof-Preis beim Produzenten mit etwa 1.20 S weiter gehalten wurde. Daraufhin wurden namhafte Bestände von Legehühnern in Österreich geschlachtet, weil unterpreisiges Weiterproduzieren den Besitzern noch mehr geschadet hätte. Im Dezember 1965 kostete aber ein Frischei in Wien 2.50 S und darüber, weil die heimische Produktion weitgehend ruiniert worden war, das Ausland nirgendwo Überschüsse hatte und die kargen Importe zu jedem Preis getätigt werden mußten. Leidtragende waren letztlich die Hausfrauen, die eine kurze Eierschwemme mit langanhaltenden hohen Importpreisen bezahlen mußten. Auch hier wurden, nach diesem Anlaßfall, entsprechende legistische Vorkehrungen getroffen. Diese Beispiele ließen sich auf dem Fleischsektor beliebig fortsetzen.
Um vorübergehender Vorteile willen könnte man, bei Ausschaltung von Schutzbestimmungen, nicht nur einzelne Sparten der Grundnahrungsmittelerzeugung durch Dumpingimporte zugrunderichten, sondern ebenso weite Bereiche der gewerblich-industriellen Produktion. Aber jedenfalls nur zum Nachteil der Konsumenten. Weiterhin den evolutionären Weg der Strukturbereinigung ohne soziale Spannungen zu gehen, wird Österreich als ein Land erhalten, das die Welt achtet und schätzt.