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Oberösterreich umfaßt rund ein Siebentel der Fläche des österreichischen Bundesgebietes und beherbergt ein Sechstel der gesamtösterreichischen Bevölkerung,' jedes siebente gewerbliche Unternehmen Oesterreichs hat seinen Standort zwischen Inn und Enns, aber nicht weniger als ein Viertel aller der gewerblichen Wirtschaft zugehörigen Arbeitnehmer hat in oberöster-rcichischen Betrieben seine Arbeitsstätte. Allein in diesen Vergleichszahlen kommt zum Ausdruck, welch entscheidende Bedeutung Oberesterreich im Rahmen der österreichischen Volkswirtschaft als Zentrum der gewerblich-industriellen Entwicklung zukommt, zugleich deuten sie aber auch an, welch tiefgreifende wirtschaftliche Strukturverschiebungen sich in den zwei letzten Jahrzehnten vollzogen haben. Vor 20 Jahren noch war Oberösterreich ein vorwiegend bäuerliches Land, nahezu 40 Prozent seiner Bevölkerung lebte von der Arbeit auf Acker und Hof. Bis heute hat sich dieser Anteil auf 26 Prozent der Bewohnerschaft verringert, dafür ist der in die gewerbliche Wirtschaft einzuordnende Personenkreis auf rund die Hälfte der Gesamtbevölkerung (über 49 Prozent)

gestiegen. Trotz dieses umwälzenden Wandels der berufsständischen Verhältnisse und trotz der um das Vier- bis Fünffache angestiegenen Erzeugung der bodenständigen Industrie (20 Prozent des gesamtösterreichischen Produktionsvolumens) konnte auch die bäuerliche Wirtschaft infolge einer konstant vorangetriebenen Technisierung ihre Leistung um 10 bis 15 Prozent steigern — ein Zeichen für die vielfach noch immer wirksame Ausgewogenheit zwischen den beiden Grundfaktoren des Wirtschaftslebens, des agrarwirtschaftlichen und des gewerblich-industriellen Bereiches. Daß in dieser Hinsicht die organischen Zusammenhänge stets gewahrt, blieben, hat neben der anerkennenswerten Sachlichkeit der politischen Führungskräfte im Lande sowie der Ausdauer und dem Fleiß aller Bevölkerungskreise mit dazu beigetragen, daß der Wiederaufbau in Oberösterreich nach 1945 relativ rasch vonstatten ging und bereits nach wenigen Jahren die Wende von der Normalisierung zum weiteren Ausbau, von der bloßen Wiederherstellung zur Erweiterung bestehender Betriebsanlagen bzw. zur Schaffung vollic neuer Produktionen eintrat.

Der jüngste Industrialisierungspro z e ß Oberösterreichs, der sich, wie bereits erwähnt, auf einen äußerst knappen Zeitraum zusammendrängte, gründete sich jedoch auch in anderer Beziehung auf naturgegebene Voraussetzungen und daher auch vielfach auf ältere Planungen. Das Zusammentreffen des für die Feranbringung von Kohle billigen Masserfgüter-weges der Donau mit der vom steirischen Erz-berg nach Norden führenden Verkehrslinie im I.inzer Raum war ausschlaggebend für die Schaffung der Linzer Hütte und Schwerindustrie sowie für die das anfallende Kokereigas verarbeitenden Stickstoffwerke. Der Inn als ausbaufähiger Energieträger stellte die Basis dar für die Errichtung der Aluininiumwerke Ranshofen bei Braunau und der oberösterreichische Waldreich-tum für die enorme Ausweitung der Lenzinger Zellstoff- und Zellwolleproduktion sowie der Papierindustrie. Parallel mit der Wiedererrichtung bzw. Kapazitätserweiterung dieser Großindustrien nach dem Kriegsende wurde jedoch auch! der großzügige Ausbau der heimischen Wasserkräfte fortgesetzt, die Braunkohlenförderung durch die Erschließung neuer Reviere wesentlich gesteigert und die Entwicklung aller übrigen industriellen Bereiche mit Riesenschritten vorwärtsgedrängt. In den oberösterreichischen Industriebetrieben arbeiten heute fast dreimal soviel Menschen wie 1934, die Zahl der Unternehmen selbst hat sich in den letzten 30 Jahren nahezu versiebenfacht.

Der industrielle Aufschwung hatte natürlich auch einen gewaltigen Exportanstieg zur Folge. Noch vor 20 Jahren lediglich mit 8 Prozent an der Ausfuhr beteiligt, liefert Oberösterreich heute über ein Viertel des ..gesamtösterreichischen Exportes. Die Handelsbilanz der ober-österreichischen Wirtschaft war 1954 mit einem Exportüberschuß von rund 390 Millionen Schilling hoch aktiv, sie ist es auch weiterhin geblieben, so daß gerade Oberösterreich im Rahmen des gesamtösterreichischen Außenhandels ein entscheidender Faktor von ausgleichender Wirksamkeit ist. Eines der wichtigsten Probleme, die es in diesem Zusammenhang noch zu lösen gilt, ist die zwar bereits wesentlich gebesserte, aber noch nicht völlig zufriedenstellende Relation zwischen Roh- und Halbproduktion sowie lohnintensiven Fertigwaren, so daß auch weiterhin alle Anstrengungen in der Richtung auf eine forcierte Ausfuhr der letzteren Warengruppe unternommen werden müssen.

Das große Exportvolumen des Landes, anderseits aber sein verständlicherweise beachtlicher Bedarf an Rohstoffimporten stellten den oberösterreichischen Wirtschaftsraum in den Brennpunkt des Interesses der europäischen Häfen und damit der internationalen Transport- und Tarifpolitik. Zugleich hob sich jedoch die Verkehrsbedeutung der Donau und der Stadt Linz als Binnenhafen. Die auf Initiative der oberösterreichischen Handelskammer gemeinsam mit dem Land und der Stadt Linz erfolgte Gründung der ersten österreichischen Zollfreizone im Linzer Hafen, die im Juli 1953 ihren Betrieb aufgenommen hat, ist ein Beweis dafür, daß die oberösrerreichische Wirtschaft auch in der Projektierung über die regionale Begrenztheit hinausblickt und, abgesehen von den unmittelbaren handelspolitischen Vorteilen dieser Einrichtung, auch die europäischen Aspekte der zukünftigen

Phein-Main-Donau-Verbindung in ihr Wirkungsfeld mit einbezog.

Es wäre ein Trugschluß, würde sich ein Außenstehender angesichts der Industrialisierung zu der Ueberzeugung verleiten lassen, daß das oberösterreichische Gewerbe völlig in den Schatten gedrängt worden wäre. Wohl sind die das Gesamtbild der oberösterreichischen Wirtschaft charakterisierenden Merkmale andere geworden, aber deswegen hat das heimische Handwerk in keiner Weise an Lebenskraft eingebüßt.

Mit zirka 23.500 Betrieben und gegen 100.000 Beschäftigten ist es noch immer die schöpferische Grundlage aller Produktionszweige. Als die industriellen Anlagen in der Nachkriegszeit größtenteils zerstört und nicht einsätzfähig waren, hatte das Handwerk die Hauptlast am Wiederaufbau zu tragen. Freilich gibt es zahlreiche Gewerbesparten, die zwar gerade in der Zeit der Not und des Mangels lebenswichtige Aufgaben zu erfüllen hatten, nach der Normalisierung der Verhältnisse jedoch in ihrer weiteren Entwicklung stark gehemmt wurden, wie die Kleidermacher, die Schuhmacher, viele bäuerliche Handwerke, wie Schmiede, Wagner usw. Das Gewerbe erobert sich jedoch stets wieder neue Wirkungsbereiche, und vornehmlich die Technisierung der Landwirtschaft ist es, wie überhaupt die fortschreitende Mechanisierung und Motorisierung, die, wenn sie auch einerseits zahlreichen althergebrachten Werkstätten allmählich die Existenzgrundlage entzieht, anderseits häufig wieder der Anstoß zur Ausbreitung neuer Fertigungen und Spezialistenberufe ist. Daneben gibt es gerade in Oberösterreich eine ganze Reihe junger gewerblicher Unternehmungen, die mit den modernsten Einrichtungen ausgestattet, auf technischem Gebiet wahre Pionierarbeit leisten. Wenn das Gewerbe gegenüber 1934 einen Beschäftigtenzuwachs von 15 Prozent zu verzeichnen hat, so geht dies vor allem auf das Konto der Bauwirtschaft, die allein in den Jahren 1945 bis 1954 eine Leistung vollbrachte, welche dem Aufbau einer Stadt von etwa 120.000 Einwohnern entspricht. Das große Problem des oberösterreichischen Handwerks liegt in der nahezu 60 Prozent aller Unternehmen betragenden Anzahl der Kleinstbetriebe, von denen ein Großteil nicht in der Lage ist, ohne besondere Förderungsmaßnahmen einen rentablen Betriebsumfang zu erreichen. Der in den letzten Jahren durch Bundeskanzler Raab sowie die Minister Karnitz und lllig repräsentierte Wirtschaftskurs führte jedoch eine Wendung in der österreichischen Steuer- und Kreditpolitik zugunsten des gewerblichen Mittelstandes herbei und gibt somit Anlaß zu erfolgversprechenden Zukunftsaussichten auch in dieser Beziehung.

Als Mittler zwischen Produktion und Konsumenten, als Lagerhalter für den gewerblichen Kleinabnehmei, aber auch als Brückenglied zwischen Binnenmarkt und dem ausländischen Liefer- und Absatzgebiet, erfüllt der oberösterreichische Handel nach wie vor eine wichtige Funktion. Mit heute ungefähr 15.000 Betrieben und 37.000 Beschäftigten (einschließlich der Selbständigen) hat auch dieser Wirtschaftszweig in den letzten zwei Jahrzehnten wesentlich an Umfang zugenommen und, abgesehen von den vermehrten Aufgaben für die Versorgung des erheblich angewachsenen Be-

völkerungsstandes sowie des vergrößerten Um-fanges der städtischen Siedlungsräume, auch im Groß- und Außenhandel wichtige Positionen eingenommen. Die Zahl der selbständigen Kaufleute ist gegenüber der Zeit vor 20 Jahren von 7000 auf rund 15.700, das heißt also auf mehr als das doppelte angestiegen. Es gelang dem oberösterreichischen Handel, auch wiederum etwas von seinen bis zum Aufkommen des modernen Verkehrswesens im vorigen Jahrhundert unmittelbaren weltweiten Geschäftsverbindungen unter neuen, aber nicht weniger erfolgversprechenden Voraussetzungen wiederzugewinnen. Das Problem der Kleinstbetriebe ist jedoch im Handel ebenso aktuell wie im Gewerbe.

Der Beschäftigtenstand im Geld-, Kredit- und Versicherungswesen in Oberösterreich stieg in den zwei letzten Jahrzehnten um mehr als 62 Prozent auf 2340 Personen an, bedingt durch den im Vergleich zu 193 5 stark vermehrten Geldumlauf, die allgemeine Steigerung des Wirtschaftspotentials sowie durch zahlreiche Neu- und Filial-gründungen. Die Spar- und Scheckeinlagen stiegen in ganz Oesterreich im Jahre 1954 um fast 37 Prozent und in Oberösterreich um 38,3 Prozent an. Aehnliche Gründe wie für die Wiederbelebung des Import- und Exporthandels sind auch für die Entwicklung im Speditionswesen entscheidend, während das Lastfuhrwerksgewerbe einerseits an der regen Bautätigkeit -in Ober-esterreich partizipiert, anderseits aber durch die Zunahme des Werkverkehrs — eine Erscheinung, die mit dem wachsenden Betriebsumfang vieler Produktions- und auch Handelsunternehmen zusammenhängt — in letzter Zeit verschiedentlich manche Einbußen hinnehmen mußte. Insgesamt erhöhte sich im privaten Verkehrsgewerbe des Landes die Beschäftigtenanzahl binnen der IetZr ten 20 Jahre, um mehr als 60 Prozent. Die oberösterreichischen Privatbahnen, die eine wichtige Funktion im oberösterreichischen Verkehrsnetz erfüllen, lenken ebenso wie die privaten Autobuslinien die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung Oberösterreichs als Fremdenverkehrsland. Dank den Bemühungen der heimischen Hotels und Gasthöfe, einer überaus regen Werbetätigkeit und vor allem auf Grund der reichen Naturschönheiten und Kulturschätze konnten im Inländer- und Ausländerverkehr beachtliche Erfolge erzielt werden. Die Sommer- und Wintersaison 1954/55 brachte rund 2,800.000 Inländer- und 680.000 Ausländernächtigungen. Im Vergleich zu 1949/50 bedeutet dies bei den Inländern eine Steigerung um 1,33 5.000, bei den ausländischen Gästen eine Erhöhung um zirka 545.000 Nächtigungen.

Eine in der Oeffentlichkeit immer. wieder ventilierte Frage sind die wirtschaftlichen Auswirkungen des Staatsvertrages bzw. der wieder völlig hergestellten Souveränität Oestereichs. Die Frage der USIA-Betriebe berührt die oberösterreichische Wirtschaft zwar nicht so unmittelbar wie die der östlichen Bundesländer, da sich mit Ausnahme eines Unternehmens im Mühlviertel keine bedeutenderen Produktions-stätten unter russischer Verwaltung befanden.

Von größter Dringlichkeit ist jedoch die Sanierung des Mühlviertels, das, abgesehen von seinem die Besucher immer wieder begeisternden landschaftlichen Reiz, schon von Natur aus, z. B. hinsichtlich der Ertragsfähigkeit des Bodens, äußerst kärglich bedacht, seit 1945 aus besatzungsmäßigen Gründen gegenüber dem südlichen Oberösterreich besonders augenfällig zurückblieb. Hilfe für die Mühlviertler Kleingewerbetreibenden, die zum Großteil unter dürftigsten Verhältnissen leben, durch Investitionsund Betriebsmittelkredite, der Ausbau und die Neuanlage von Straßen und Verkehrswegen in diesem vielfach noch so wenig erschlossenen Gebiet sowie schließlich eine großzügige Förderung der Fremdenverkehrseinrichtungen sind einige der wichtigsten Erfordernisse, die, vom Land bereits geplant und in Angriff genommen, auch auf der Bundesebene die Bereitschaft zu zweckentsprechenden und wirksamen Maßnahmen erwecken müssen.

Oberösterreichs Wirtschaft von morgen? Die vorstehende Schilderung der vielgestaltigen Wiitschaftsstruktur und ihrer machtvollen industriellen Entwicklung zeigt an, daß Oberösterreich die Möglichkeiten sowie eine solide Basis hierzu besitzt und auch das Bestreben verfolgt, seine Stellung als wirtschaftliches Kraftfeld, als Produktionszentrum von Weltruf sowie als verkehrsgünstige Handelsempore weiter zu festigen und auszubauen, um auf diesem Wege nicht nur sich selbst, seiner eigenen Bevölkerung, sondern dem gesamten Vaterland zu dienen. -1-

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