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Wandel des Fremdenverkehrs

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Der Wandel des Fremdenverkehrs in diesen letzten Jahren betrifft den Inhalt, seine Funktion, sein Anbot und seine Nachfrage. Die Frequenzzunahme des internationalen Fremdenverkehrs in den letzten zehn Jahren In Mitteleuropa und in Österreich übersteigt Jegliche seriöse Erwartung von damals.

Die Ausländerübernachtungen sind in den letzten zehn Jahren in Frankreich und Italien um rund 150 Prozent, in Österreich aber um fast 400 Prozent gestiegen. Der Stand der Unterkünfte (gewerbliche und private) hat sich in Österreich gegenüber vor dem Kriege verdoppelt. Aber auch in Griechenland und in Jugoslawien ist innerhalb der letzten fünf Jahre ein Bettenzuwachs von je rund 20.000 zu verzeichnen. — Frankreichs Entwicklung im Winterverkehr .gibt zum Nachdenken Anlaß. Schon heute existieren 34 große Winter-sportorte in den französischen Westalpen, deren weiterer Ausbau großzügig geplant ist. Im Tal von San Martin Belleville allein soll innerhalb der nächsten Jahre ein neuer Ort mit 18.000 Betten entstehen. Damit wäre der bedeutendste Wintersportkomplex Europas gegeben.

Das öffnen des Eisernen Vorhanges hat eine neue Situation geschaffen. Die fast 22.000 Touristenbetten Bulgariens am Schwarzen Meer werden heuer einen Zuwachs um mehr als 7000 Betten erfahren. Sie sollen bis 1970 noch um 42.000 Betten erhöht werden. Ähnliches gilt für Rumänien. — Die Weltkurorte Böhmens und der Slowakei, wie Karlsbad, Marienbad, Franzensbad und Pistyan, mit ihren zehntausend Betten schon vor dem Kriege, sind nunmehr zusätzlich auf den Markt der westlichen Welt gekommen.

Gewaltig wirken sich die neuen, entfernten Reiseziele des Mittelmeeres wie Rhodos, Ägypten und Spanien aus. Sie sind in die Nähe gerückt. Aber auch die Exoten wie etwa Teneriffa, Nordafrika vermelden außerordentliche Anstiege der Frequenz der Hotel-lerie. — Die Entfernungen wurden durch den Düsenflug, die hohen Kosten solcher weiter Reisewege durch den Charterflug überwunden, der zirka 30 Prozent der normalen Flugreisen beträgt. Die Charterflüge von England nach dem Süden Europas haben sich von 460.000 im Jahre 1955 auf 830.000 im Jahre 1963 erhöht.

Im Jahre 1955 betrug die Zahl der nach Österreich ein- oder durchreisenden Auto-touristen 10,418.618. Heute sind es um 356,4 Prozent mehr. Etwa 84 Prozent aller nach Österreich einreisenden Auslandstouristen sind Autotourasten. Dies ist ein Faktum, das stärkste Auswirkung auf den Straßenbau und, im Gefolge der neuen Hauptverkehrsadern, auf die Fremdenverkehrsbetriebe haben muß.

Gewandelt hat sich auch das Motiv des Reigens durch die angestiegene Freizeit. Die Reisen ohne Rast und Ruhe, ausschließlich um des Reisens willen, machen in steigendem Maße den Erholungsreisen Platz. So besuchten 91 Prozent des deutschen Reisepublikums nur ein fremdes Land und blieben am Zielort, was auf den Erholungszweck der Reise deutet.

Mit der Änderung in der Zusammensetzung des touristischen Publikums sind aber auch viele Veränderungen der Ansprüche gegeben. Gewachsen ist der Anspruch an technischem Komfort, besonders infolge der Impulse, die das amerikanische Publikum hiezu gegeben hat. Ein Zimmer ohne Warmwasser und Bad, ein Campingplatz ohne elektrischen Anschluß und Dusche zählen nicht mehr zum internationalen Fremdenverkehr von heute. Selbst ein touristisches Zeltdorf am Kilimandscharo hat solchen Komfort.

Gesunken sind überwiegend die konventionellen Formen des Service. Der Massenanstieg im Fremdenverkehr hat bewirkt, daß eine Schere zwischen dem Personalerfordemis und den beschränkten Möglichkeiten des europäischen Arbeitsmarktes besteht. Neue Unterkunfts- und Verpflegungsformen im Fremdenverkehr, wie Motels, Bungalows und Schnellrestaurants sowie Selbstbedienungsgaststätten, sind die Folge.

Viele der neuen Unterkunftsformen dürften •ich bleibend auswirken.

Eine gewaltige Veränderung scheint es zu sein, /wenn in Davos das halbe Angebot an Betten in privaten Unterkunftsformen gegeben ist, wenn heute in Österreich die Zahl der Privatbetten 42,9 Prozent der Unterkunftskapazität bestreiten, gegenüber 28,7 Prozent vor 10 Jahren.

Gewandelt hat sich aber auch die Dichte des Fremdenverkehrspublikums, sowohl in den Herkunfts- als auch in den Aufnahmeländern.

Die Verstädterung Europas, über die Professor DDr. Pöschl viel schrieb, die Konzentration der touristischen „Reservearmee“ hat zugenommen. In Deutschland wohnten 1955 nur noch 15 Prozent auf dem Lande und 85 Prozent in Städten. Die Anzahl der Millionenstädte der Welt betrug 1914 16, heute 65. Damit aber ist die Sehnsucht nach naturbelassener Landschaft und Erholung in unberührt gebliebenem Raum — wie es gerade Österreich offeriert — verstärkt.

Die Konzentrationserscheinungen im Fremdenverkehr sind aber auch auf der Angebotseite zu verzeichnen; sie machen den Fachleuten großes Kopfzerbrechen. Nach Dr. Bernt verzeichneten 117 Gemeinden rund sechs Zehntel der in Österreich insgesamt gemeldeten 54 Millionen Nächtigungen. Die häufig recht enge Nachbarschaft von mehreren sehr stark besuchten Urlaubs- und Kurorten schafft Ballungsgebiete. In vielen dieser Fremdenverkehrsorte ist als Sekundärerscheinung ein bedenkliches Schwinden der naturnahen Erholung gegeben, die aber gerade von der Großstadtbevölkerung wieder gesucht und gewünscht wird.

Anteilmäßig sind in den Fremdenverkehrsbetrieben die Kosten des Personals, des Wareneinsatzes, aber auch der Investitionen gewaltig gestiegen. Sie beeinträchtigen schwer die Rentabilität und bewirken eine Steigerung des Preisniveaus. Geblieben sind die für Österreich typischen hohen Kreditzinsen und die sehr hohe Umsatzsteuer, die besonders den Verpflegungssektor beeinträchtigt. Geschmolzen ist im Laufe der letzten Jahre das eigene Werbebudget der Fremdenverkehrswerbung infolge der schweren Preisauftriebe in den meisten Auslandsstaaten.

Kurz: Die Konkurrenz für Österreich wird größer, der Konkurrenzkampf wird schwerer, die Werbemitteln sind kleiner, die berühmte österreichische Preisbilligkeit ist im Schwinden, die personellen Dienstleistungen sind im Abnehmen und werden immer rarer. Solche Veränderungen sind nicht geeignet, die Zukunft des österreichischen Fremdenverkehrs nur rosig erscheinen zu lassen!

Die angedeuteten Veränderungen bei der Nachfrage ziehen ihre Folgen in der Fremdenverkehrswirtschaft wie der Fremdenverkehrswerbung nach sich. Die Investitionsziele bei den Fremdenverkehrsbetrieben haben sich vielfach geändert. Standarderhöhung und Rationalisierung der Fremdenverkehrsbetriebe sowie die Anpassung des Verpflegungsmechanismus an den Massenbedarf stehen im Vordergrund.

Alles dies ist ein Finanzierungsproblem. Ausreichende Investitionsförderung von öffentlicher Seite durch billige Kredite und Zinsenzuschüsse sind wirkungsvolle Investitionsförderung, sie sind aber auch Mittel zur Lenkung einer richtigen Fremdenverkehrsentwicklung.

Der französische Staatssekretär für Fremdenverkehr, Dumas, hat die Ausschüttung von 180 Millionen NF für Fremdenverkehrsinvestitionen — gegenüber 15 Millionen NF im Jahre 1958 — angekündigt.

Die Ausschüttung der ERP-Kredite für die Hotellerie hat sich zwischen 1958 und 1964 nur knapp verdoppelt und wird vermutlich wieder kleiner.

Aber auch die Anpassung des Anbotes außerhalb des Femdenverkehrsbetriebes an die geänderte Nachfrage ist vonnöten. Es handelt sich um all jenes, das zum Sekundärbedarf des Gastes gehört, also nicht zur Unterkunft und zur Verpflegung zählt. Gemeint sind nicht nur die Seilbahnen und Skilifte als unentbehrliches Requisit für die Wintersportorte, sondern auch die wesentlichen Akzesso-rien, wie Pistenpflege, Lawinenwarn- und Rettungsdienst, gemeint sind, das gewärmte Schwimmbad im Sommer oder die hygienisch einwandfreie Seebadeanstalt, die Wanderwege, die Golf-, Bowle- und Tennisplätze, gemeint sind auch die Kanalisation und die Trinkwasserversorgung der Fremdenverkehrsgemeinden und die Kurmittelhäuser; gedacht wird an die Entrümpelung unserer Fremdenverkehrorte, die Assanierung des Ortsbildes.

Ermutigend sind die Erfahrungen mit den vom österreichischen Gemeindebund kreierten „Erholungsdörfern“, für die der österreichische Dorfcharakter und die schlichte Erholungsmöglichkeit das Typische sind.

Aber alles ist in Fluß. Auch die heutigen „Erholungsdörfer“ werden bald durch die anfallende Frequenz zu normalen Fremdenverkehrszentren werden und damit ihre dörfliche Eigenart verlieren.

Für die Werbung ist die Zunahme der Reisemotive „Gesundheit“ und „kulturelle Bildung“ beachtlich. Auch in der Werbung wird nur eine noch stärkere Spezifizierung den geänderten, aber auch vielfältiger gewordenen Interessen des touristischen Publikums von heute, die oft divergierend sind und sich überschneiden, gerecht werden können. Um noch stärker der unterschiedlichen Zahlungskraft des touristischen Publikums Rechnung tragen zu können, wäre wohl ein stärkerer werbemäßiger Zusammenschluß von Orten und Betrieben nützlich.

Österreich ist ein Land der Vielfalt. Mit dem Reiz der Mannigfaltigkeit zu werben heißt der schädlichen Uniformierung des Fremdenverkehrs begegnen. Diese Vielfalt zu pflegen ist nicht nur ein Gebot der Fremdenverkehrspolitik, sondern auch der Werbung. Eine noch stärkere Selektion steht nur scheinbar im Gegensatz zur notwendigen Konzentration der Werbekräfte durch Koordinierung. Hierzu zählt die engste Kooperation mit der staatlichen Verwaltung und den Bundesländern, mit den öffentlichen Verkehrseinrichtungen, mit der Kammerorganisation und ihren beruflichen Repräsentanten, den Fremdenverkehrsbetrieben und den Reisebüros, mit den Gemeindedachverbänden, aber auch einzelnen Gemeinden und Unternehmergruppen sowie mit freien Berufsverbänden. Ferner gehört hierzu die engste Verbindung mit den mehr als 200 staatlichen Vertretungen im Ausland und dem gewaltigen Netz der fast 150 Außenhandelsstellen und nicht zuletzt mit dem Auslandsösterreicherwerk. Letztere Institution — das zehnte Bundesland genannt — umfaßt 300.000 Paßösterreicher und 700.000 Freunde Österreichs, somit eine Million im Ausland lebender Personen, die für Österreich zu wirken und zu werben bereit sind.

Selektion im Verein mit Koordination in der Werbung, als Grundlage eines österreichischen aktuellen Werbekonzepts, müßte der richtige Weg sein, um die finanzielle Basis zu verbreitern und um die Wirkung der eingesetzten Werbemittel zu erhöhen.

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