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Land im Aufstieg

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Oberflächliche Beobachter lassen sich gerne das eilige Urteil auf der Zunge zergehen, Salzburgs Wirtschaft sei einer Mo- zartkugel vergleichbar: Außen die silbrig glänzende Verpak- kung des sommerlichen Festspiels, darunter der Schokoladenmantel einer florierenden Edel-Gastronomie, und im Kem das mürbe Marzipan des Massentourismus.

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Oberflächliche Beobachter lassen sich gerne das eilige Urteil auf der Zunge zergehen, Salzburgs Wirtschaft sei einer Mo- zartkugel vergleichbar: Außen die silbrig glänzende Verpak- kung des sommerlichen Festspiels, darunter der Schokoladenmantel einer florierenden Edel-Gastronomie, und im Kem das mürbe Marzipan des Massentourismus.

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Wahr daran ist, daß das ehemalige Fürsterzbistum aus der Schönheit seiner Landschaft, der Gastlichkeit seiner Einwohner und der Musikalität des genius loci im vergangenen Jahr knapp zwölf Milliarden Devisenschillinge erwirtschaften konnte, etwa ein Fünftel der gesamtösterreichischen Deviseneingänge aus dem Fremdenverkehr. Im übrigen aber steht der schmackhafte Vergleich einer realistischen Sicht der Salzburger Wirtschaft nur im Wege.

Im Produktionsbereich etwa sind immerhin 35 Prozent der Berufstätigen beschäftigt. Eine breite Anzahl von mittelständischen Gewerbebetrieben aller Branchen entwickelt sich erfolgreich neben einer spezialisierten, ebenfalls weitgehend mittelbetrieblichen Industrie. Die Bandbreite reicht von Spezialwerkzeugen bis zu Rohrpostanlagen, von Zahninstrumenten zu chemischen Erzeugnissen, von Spanplatten bis zur industriellen Spielzeugfertigung. Besonders leistungsfähig zeigen sich auch Möbelindustrie, Metallverarbeitung und Skiindustrie.

Größter Betrieb und Arbeitgeber von 1200 Beschäftigten ist jene Papierfabrik Borregaard, die erst vor wenigen Wochen von der deutschen Gruppe PWA-Aschaffenburg und der Länderbank übernommen wurde. Der Halleiner Betrieb steht mitten in einem Gebiet industrieller Konzentration, das sich bis an den Südrand der Stadt Salzburg hinzieht. Bedeutende Umweltinvestitionen in den letzten Jahren waren ein Tribut an die gerade für Salzburg lebensnotwendige Verträglichkeit von Industrie und Fremdenverkehr.

Dabei können sich die Salzburger gerade in dieser zentralen Frage glücklich schätzen: Das Fehlen einer traditionellen Schwerindustrie erleichtert es einerseits einer vorausschauenden Landesplanung, für die entsprechende Raumordnung zu sorgen. Andererseits braucht man sich nicht mit den enormen arbeitsmarktpolitischen Problemen zu plagen, die derartige Industrien, etwa in der Obersteiermark, mit sich bringen.

Die Aluminiumverarbeitung in Lend und das Eisenwerk Sulzau- Werfen, das von eigener Erzgewinnung auf Warenerzeugung umrüsten mußte, sind die einzigen traditionellen Schwerindustrien des Landes. Sie konnten sich mittlerweile mit Landeshilfe den heutigen Erfordernissen anpassen. Daneben existierten aus anderen Branchen vor dem Zweiten Weltkrieg lediglich einige Bergbaubetriebe, Brauereien und zahlreiche Sägewerke. Fast alle anderen Betriebe stammen aus der Zeit nach dem Krieg.

Diese Jugend und Dynamik der Salzburger Wirtschaft zeigt sich deutlich in überdurchschnittlichen Wachstumsraten des Regionalprodukts, die Landeshauptmann Dr. Haslauer stolz von Salzburg als einer dęr großen Aktivzonen Österreichs sprechen lassen.

Salzburg hat aber nicht nur, von- Wien abgesehen, die höchste relativ.e Wirtschaftskraft aller Bundesländer, seine Bürger entrichten auch die höchste Steuerkopfquote. Gemildert wird dieser fiskalische Rekord lediglich durch die Tatsache, daß im Steueraufkommen ein unverhältnismäßig großer Posten an Einfuhrumsatzsteuer aufscheint. In diesen Importen liegt der versteckte Hinweis auf ein oft übersehenes Charakteristikum der Salzburger Wirtschaft, ihre bedeutende Stellung im „überregionalen Dienstleistungsbereich“. Augenscheinlichstes Beispiel dafür sind die großen Autoimporteure: über 60 Prozent aller in Österreich zugelassenen Fahrzeuge werden über Salzburg importiert und von hier aus in die Bundesländer verteilt.

Mehr als tausend Repräsentanzbetriebe haben in der Landeshauptstadt ihren Sitz. Auch das Schweizer Prognos-Institut bescheinigte Salzburg seine Drehscheibenfunktion für den Handel EWG-Österreich.

Dem umfangreichen Handel entspricht eine starke Stellung korrespondierender Dienstleistungsbranchen. Das gilt etwa für Speditionen, die zusammengenommen im Stückgutverkehr ein größeres Arbeitsvolumen bewältigen als ihre Wiener Kollegen. Und es gilt für die Gelddienstleistungen, bei denen sich Salzburg als zweitwichtigster Bankplatz Österreichs behauptet. Auch traditionsreiche Privatbanken halten neben den Großinstituten beachtliche Marktanteile.

Darüber hinaus zieht die Eigendynamik des tertiären Sektors, in dem heute schon mehr als die Hälfte der Beschäftigten arbeitet, qualifizierte Arbeitskräfte und Manager an, die immer mehr Möglichkeiten zu interessanten Karrieren vorfinden.

L 'Während früher ein Hauptgrund für Betriebsansiedlungen vor allem aus Deutschland in der Überwindung des Zollgrabens zwischen den großen Handelsblöcken lag, sprechen heute, nach Wegfall dieses Han- delshindemisses, die Voraussetzungen des Wirtschaftsraumes für sich. Das trifft beispielsweise auf die günstige Verkehrslage am Schnittpunkt entscheidender Zug- und Straßenverbindungen ebenso zu wie auf eine günstige Arbeitsmarktsituation. Dazu kommt, daß die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen der unternehmerischen Entfaltung grünes Licht geben und für ein Klima der Aufgeschlossenheit und Unternehmungslust sorgen.

Nicht erst seit die Fremdennächtigungen aufgehört haben, scheinbar ohne Ende zuzunehmen, bemüht sich das Land, der Industrie und dem Gewerbe ein aufgeschlossener Partner zu sein. Als erstes Bundesland ließ sich Salzburg schon 1956 auf ein Raumordnungsgesetz ein, das die als Betriebsstandort geeigneten Flächen ausweist. Seit einigen Jahren stellt die Salzburger Betriebsansiedlungsgesellschaft Landesmittel für den Ankauf geeigneter Betriebsflächen zur Verfügung und hilft gründungswilligen Unternehmern bei der Standortwahl Eine Grundaufschlie- ßungsgesellschaft ergänzt diese Hilfestellung.

Die Erfolge können sięh sehen lassen: Der von Handels- und Arbeiterkammer errechnete, für die Vollbeschäftigung notwendige Jahreszuwachs von 2.200 Arbeitsplätzen wurde bisher regelmäßig übertroffen. Dazu kommt ein umfangreiches Förderungsinstrumentarium, vom Strukturverbesserungsfonds des Landes bis zu Zinsenzuschüssen, das unternehmerische Initiativen in strukturpolitisch erwünschte Bahnen locken soll.

Vor allem im Zentralraum Salzburg-Hailein wird dabei keine Ansiedlungspolitik um jeden Preis betrieben. Das Interesse gilt Betrieben mit hoher Wertschöpfung, die kaufmännisch und technisch qualifizierte Mitarbeiter aufnehmen können. Man hofft, in Branchen mit starker Handelspräsenz zunehmend auch die Hauptsitze von Betrieben anzuziehen - idealerweise einschließlich der Forschungsabteilungen.

In jüngster Zeit hört man dazu immer stärker die Überlegung, Salzburg solle seine Universität um eine technische Fakultät verstärken, an der auch Betriebswirtschaft gelehrt wird. Erst so könnte ein innovatori- sches Zentrum geschaffen und die Abwanderung technisch-kommerzieller Begabungen verhindert werden.

Typische Niedriglohnindustrien sind kaum erwünscht. Der ausge-

dehnte Dienstleistungssektor sorgt von sich aus für einen hohen Anteil an Frauenbeschäftigung. Nur im strukturschwachen oberösterreichischen Grenzgebiet nördlich der Landeshauptstadt siedeln einige Unternehmen, deren Konkurrenzfähigkeit, wie in der Textilindustrie, von einem niedrigeren Lohnniveau abhängt.

Weniger wählerisch ist man notgedrungen auch in den südlichen Landesteilen. Dort sorgt allerdings die stürmische Entwicklung des Fremdenverkehrs etwa im Pongau und Pinzgau für einen ausgeglichenen Arbeitsmarkt, der auch durch ein starkes Gewerbe und mittlere Betriebe der Möbel-, Textil-, Säge- und holzverarbeitenden Industrie entlastet wird. Dazu kommt im Pongau die wirtschaftliche Dynamik der Orte im Salzachtal mit Betrieben wie Lieb- herr-Austria, dem zweitgrößten Arbeitgeber, und ein andauernder wirtschaftlicher Aufschwung der Regionen Zell am See und Saalfelden.

Daneben aber bestehen im geographisch und klimatisch benachteiligten Lungau auch nach der Untertun nelung der Tauern durch die Autobahn noch echte Strukturprobleme. Eine Einbeziehung dieses Landesteiles in das ERP-Sonderkreditpro- gramm soll für eine beschleunigte Ansiedlung von Betrieben sorgen.

Auch Salzburg hat also sein Nord- Süd-Problem, dem sich die Verantwortlichen allerdings mit viel Sachkenntnis stellen. Salzburgs wirtschaftliche Struktur erweist sich bei näherem Hinsehen als überraschend vielfältig und entwicklungsfähig, ein goldener Boden traditioneller Gewerbe, Handelszentrum, industrielle Aktivzone und Fremdenverkehrsparadies zugleich.

„Small is beautiful“, qualitative Marktwirtschaft, zurück zu überschaubaren Größen - viele dieser Modelle für eine zukunftsgerechte Wirtschaftsstruktur scheinen hier schon vorweggenommen zu sein. In nuce sozusagen, oder: „in der Mo- zartkugel.“

(Der Autor ist Wirtschaftstreibender und leitet den Management-Club Salzburg)

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