6885865-1979_26_20.jpg
Digital In Arbeit

Ein Modellfall für andere Regionen?

Werbung
Werbung
Werbung

Das Entstehen gesamtregionaler Planungstendenzen im Raum Aichfeld-Murboden zu Beginn der sechziger Jahre ist auf die Schwierigkeiten mit dem Fohnsdor-fer Braunkohlenbergbau zurückzuführen. Statt sich rechtzeitig um entsprechende Preisrelationen für diese wertvolle heimische Primärenergie zu bemühen, statt unserer Kohle ihren „gerechten Preis“ (etwa über die Gestaltung des Strompreises) zu geben, scheute man davor zurück.

Dies führte zu erheblichen Defiziten, die aus Steuermitteln bedeckt werden mußten; schließlich kam es zu den heftig umstrittenen Plänen zur Schließung der Fohnsdorfer Grube. In kluger Voraussicht auf die allgemein drohende Energieverknappung hat der damalige Landeshauptmann Josef Krainer diesen Schließungsabsichten stets ein energisches „Nein“ entgegengesetzt.

Dennoch hat schon damals Krainer an die näherrückende Zeit der Aus-kohlung des tiefsten Braunkohlenbergwerkes Mitteleuropas (Sohlentiefe über 1100 Meter) gedacht. Uber Krainers Initiative wurde Mitte der sechziger Jahre von der Landesregierung ein regionales Wirtschaftskonzept für den Raum Aichfeld-Murboden entwickelt, womit vor allem vorbeugend nach Ersatzarbeitsplätzen in diesem obersteirischen Gebiet Ausschau gehalten werden sollte. Parallel zum Bemühen, auch größere Betriebe in der Region anzusiedeln, leitete die Landesregierung auch ein Förderungsprogramm für Klein- und Mittelbetriebe in die Wege.

Als besonders positive Beispiele von Betriebsneugründungen sind aus der damaligen Zeit die Maschinenfabrik Kober in Obdach, das Tex-tilwerk Kufner in Weißkirchen und in jüngerer Zeit auch der Bauknecht-Betrieb in Spielberg in Erinnerung. Zur Förderungspolitik ist freilich anzumerken, daß die für Großbetriebe ungleich großzügiger (nicht nur quantitativ) gebotenen Hilfestellungen der öffentlichen Hand nicht immer das erwünschte Maß an dauerhaften und krisenfesten Arbeitsplätzen erbracht haben. Demgegenüber konnten Klein- und Mittelbetriebe, oft ohne zusätzliche Hilfen von außen, nicht nur ihre Arbeitsplätze halten, sondern auch expandieren und sich den Erfordernissen der Zeit anpassen.

Versäumt wurde aber bereits in den sechziger Jahren eine entsprechende Umstrukturierung des Produktionsprogramms in der Verstaatlichten Industrie - im konkreten Fall also im Judenburger VEW-Werk (ehemalige Steirische Gußstahlwerke AG). Neben der Finalproduktion hätte man bereits damals die Anlagenbautechnik intensivieren müssen. Vieles wäre wohl im Wege der Eigeninitiative (wie auch das Beispiel der VÖEST-Alpine-Maschinenfabrik Zeltweg zeigt) zu machen gewesen, womit uns die jetzt so schwierige Lage - zumindest teilweise - hätte erspart werden können. Sinnvolle Eigeninitiative wäre besser gewesen als jene „Fusions-Gigan-tomanie“, deren Segnungen für manche Beteiligte nur sehr karg, bisweilen sogar ausgesprochen von Nachteil sind. Wie ausländische Beispiele zeigen, kehrt man heute längst wieder zu kleineren Betriebsgrößen mit Spezialfunktionen zurück. Beim Judenburger Betrieb der Vereinigten

Edelstahlwerke (VEW) laufen die Uhrzeiger aber manchmal in entgegengesetzter Richtung.

Die nun bereits fünf Jahre dauernde Weltstahlkrise traf uns mit besonderer Härte und führte, verstärkt durch die Unternehmensziele des fusionierten VEW-Konzerns, zu jenen „Strukturbereinigungs-Konzepten“, die zuerst die Schließung des Stahlwerkes und später das „Aus“ für das Walzwerk, das Preßwerk und die

Wärmebehandlungswerkstätten bringen sollten. Wegen der verbleibenden überbetrieblichen Kosten erscheint nach diesen Konzepten auch die Erhaltung der restlichen Betriebe dieses VEW-Werkes in Frage gestellt.

Eine Schließung des Judenburger Werkes wäre ein Aderlaß, der nicht nur die Familien der rund 1800 Beschäftigten betreffen würde. Das gesamte Wirtschaftsleben der Region würde von dieser Maßnahme nachteilig betroffen werden. Folgekündigungen in Handel und Gewerbe müßten in Kauf genommen werden.

Es ist daher nur zu verständlich, daß sich Politiker und Wirtschaft einig sind in dem Bemühen, das VEW-Werk in Judenburg zu erhalten und darüberhinaus auch noch für eine wirtschaftliche „Blutzufuhr“ durch Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen zu sorgen.

Es gilt als sicher, daß die Stahlnachfrage in absehbarer Zeit nur um etwa zwei Prozent pro Jahr steigen wird, während sie in den sechziger Jahren um durchschnittlich fünf Prozent zunahm. Nicht zu übersehen sind auch erhebliche Uberkapazitäten, die beim Rohstahl 13 bis 14 Prozent, beim Walzdraht sogar mehr als 20 Prozent ausmachen. Auch der Export wird kaum expandieren.

Allerdings verfügt unsere Stahlindustrie, insbesondere auch unser Judenburger Werk, über hochqualifizierte Arbeitskräfte, was uns die Chance böte, die Produktion noch stärker auf hochentwickelte Finalprodukte auszuweiten. Judenburg verfügt aber auch über moderne Anlagen (etwa eine Stabstahlstraße zur Erzeugung von mittleren bis zu höchsten Edelstahlqualitäten), deren Leistungsfähigkeit in Fachkreisen wohl unbestritten sein müßte.

Würde der VEW-Vorstand dem Verlangen der Judenburger, den Bestand des Edelstahlwerkes, vor allem auch des Walzwerkes, zu sichern, im Rahmen eines geänderten Konzeptes entsprechen, dann könnten die Judenburger langfristig über 1600 bis 1700 Arbeitsplätze in ihrem Werk verfügen - vorausgesetzt, daß die im mittelfristigen Investitionsprogramm vorgesehenen Vorhaben tatsächlich realisiert werden.

Andernfalls würde der Anteil der Pendler in der Region Aichfeld-Murboden noch erheblich steigen; auf Dauer würde es überhaupt zu einer Abwanderung der jüngeren Arbeitnehmer kommen. Sollte es zu einem Personalabbau beim Judenburger VEW-Werk kommen, steht völlig in Frage, wo entsprechende Ersatzarbeitsplätze aufgetrieben werden können. Betrachtet man die Situation der Verstaatlichten Industrie in der gesamten Mur- und Mürzfurche, scheint sich kein geeigneter Ausweg anzubieten. Deshalb ist es unabdingbar notwendig, daß eventuell verlorengehende Arbeitsplätze in unserer Region selbst ersetzt werden.

Da eine Schwierigkeit selten alleine kommt, gibt es in unserer Region noch weitere Sorgenkinder. Die mit der Sanierung von Umweltproblemen beauflagte Zellulosefabrik in Pols sowie das Unzmarkter Sägewerk haben zur Zeit einen schweren Stand. Auch das Bau- und das Baunebengewerbe kämpfen großteils um Anschlußaufträge,

Alarmierend stimmt auch die Überlegung, ob die Bewohner der im Wege eines Sonderprogramms errichteten Wohnungen auch bei drohenden Einkommensminderungen (ehemalige Bergarbeiter etwa bekommen eine zeitlich begrenzte Schließungsprämie) in der Lage sein werden, ihre Mieten zu bezahlen, die schon jetzt 30 bis 40 Prozent des Einkommens verschlingen.

In Zukunft bedarf es der Anstrengung aller, um die schwierige Situation zu bewältigen und die Weichen' für eine gute und chancenreiche Zukunft zu stellen. Es gilt keine Zeit zuverlieren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung