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1200 Stahlwerker bangen um Arbeit

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Respekt nötigte Bundeskanzler Bruno Kreisky dieser Tage auch seinen Kritikern ab, als er von seiner Wahlreise einen kurzen Abstecher nach Judenburg machte: In der obersteirischen Bezirksstadt stellte er sich den rund 2000 Arbeitern und Angestellten des Judenburger Teilbetriebes der Vereinigten Edelstahl-Werke (VEW). Daß Kreisky den Judenburger Stahlwerkern - rund 1200 bangen um ihren Arbeitsplatz - auch angesichts des nahenden Wahltags keine Blumen streute, ehrt ihn. Das Beispiel Judenburg wirft aber ebenso ein nüchternes Licht auf die Politik der Arbeitsplatzsicherung: Auch eine SPÖ-Regierung kann nicht jeden einzelnen Arbeitsplatz garantieren. ,

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Respekt nötigte Bundeskanzler Bruno Kreisky dieser Tage auch seinen Kritikern ab, als er von seiner Wahlreise einen kurzen Abstecher nach Judenburg machte: In der obersteirischen Bezirksstadt stellte er sich den rund 2000 Arbeitern und Angestellten des Judenburger Teilbetriebes der Vereinigten Edelstahl-Werke (VEW). Daß Kreisky den Judenburger Stahlwerkern - rund 1200 bangen um ihren Arbeitsplatz - auch angesichts des nahenden Wahltags keine Blumen streute, ehrt ihn. Das Beispiel Judenburg wirft aber ebenso ein nüchternes Licht auf die Politik der Arbeitsplatzsicherung: Auch eine SPÖ-Regierung kann nicht jeden einzelnen Arbeitsplatz garantieren. ,

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Das Judenburger VEW-Werk gehört seit langem zu den ganz großen Sorgenkindern der Verstaatlichten Industrie. Einerseits ist bekannt, daß sich die Eisen- und Stahlindustrien in praktisch allen modernen Industrieländern in einer tiefen Krise befinden, weil die Massenstahlproduktion in den Hütten verschiedener Entwicklungsländer heute wesentlich kostengünstiger erfolgen kann. Österreich hat zwar durch Umschalten auf Finalindustrie, Anlagenbau und Qualitäts-Produktionen zu reagieren versucht und im Bereich der VÖEST-Alpine auch Ärgeres verhindern können.

Im Bereich der Edelstahlindustrie wurde dieser Strukturbereini-

„Im Bereich der Edelstahlindustrie wurde dieser Strukturbereinigungsprozeß verspätet in Angriff genommen“ gungs-Prozeß verspätet in Angriff genommen. Da übrigens rund 80 Prozent der VEW-Produktion exportiert werden, leidet die Edelstahl-Industrie besonders stark unter Österreichs Hartwährungspolitik, die erhebliche Konkurrenznachteile mit sich bringt.

Darüber hinaus machen den VEW auch organisatorische Schwächen zu schaffen: Die Vereinigten Edelstahlwerke, die 1975 durch Fusion der früheren Edelstahlbetriebe Böhler

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(Kapfenberg), Schöller-Bleckmann (Mürzzuschlag und Ternitz) sowie Steirische Gußstahlwerke (Judenburg) zustande kamen, haben Zweigleisigkeiten im Produktionsbetrieb bis heute nicht beseitigt (Solche Überschneidungen gibt es auch mit dem Mutterbetrieb VÖEST-Alpine).

Ein Beispiel, das gerade für Judenburg so nachteilig ist: Auf der Stranggußanlage in Donawitz bei Leoben wird qualitativ gleichwertiger Stahl billiger produziert als in Judenburg, meint Zentralbetriebs-rats-Obmann und SPÖ-Landesrat Sepp Gruber.

Das Resultat der Versäumnisse und weltwirtschaftlichen Widrigkeiten: Die Verluste der Vereinigten Edelstahlwerke stiegen von 162 Millionen (1975) über 446 bzw. 445 Millionen (1976 bzw. 1977) auf schätzungsweise 800 Millionen im Vorjahr. Während es bis 1977 noch einigermaßen gelang, die Verluste durch Auflösung von Rücklagen in Ganzen zu halten, sind nun auch die letzten Reserven verbraucht, wie ÖVP-Klub-obmann Alois Mock feststellt.

Auf Grund dieser äußerst kritischen Finanzlage hat der VEW-Vorstand schon bisher einschneidende Maßnahmen verhängen müssen. Seit der Fusionierung ist der Gesamtstand der Belegschaft zurückgegangen. 1975 beschäftigte VEW in Österreich rund 19.600 Arbeitnehmer, heute sind es etwa 18.800, meint Sepp Gruber. Weniger spektakuläre Entlassungen bzw. Aufnahmestopp trotz erheblicher Abgänge durch Erreichung der Altersgrenze gab es schon bisher.

Zusätzlich mußte jeder einzelne Arbeitnehmer in den VEW (nicht nur in Judenburg) reale Einkommensverluste hinnehmen. Laut Zentralbetriebsrat Sepp Gruber gibt es seit drei Jahren nur noch Entlohnungen gemäß den kollektiwertraglichen Sätzen; nicht unbeachtliche Teile der freiwilligen Sozialleistungen wurden gestrichen, die Uberstunden empfindlich reduziert.

Schließlich wurden 1978 laut Gruber im Rahmen einer Selbsthilfeaktion der Belegschaft 200 Millionen Schilling auf dem Personalsektor eingespart Von Bilanzgeldern oder Ertragsprämien kann angesichts dieser Lage ohnehin nicht im mindesten die Rede sein.

Im März 1978 arbeitete der Vorstand bereits ein erstes Strukturbe-reinigungs-Konzept aus, das dem Zentralbetriebsrat übergeben wurde. Nach langen Diskussionen (Sepp Gruber) hat der Betriebsrat dem Konzept, das eine Schließung des Judenburger Stahlwerkes (etwa 190 Arbeitnehmer) zugunsten einer stärkeren Auslastung des Judenburger Walzwerkes vorsah, zugestimmt.

Ende 1978 kam es dann zum großen Schock: Mitten in einer Welle spektakulärer Pleiten (Vöslauer, Eumig) verlangte der VEW-Vorstand ein verschärftes Strukturbereinigungs-Pro-gramm, das bis zu 1200 Judenburger Stahlwerker um ihren Arbeitsplatz gebracht hätte. Es sah nämlich nicht nur die Schließung des Stahlwerkes, sondern auch des Walzwerkes und anderer in Judenburg situierter Nebenbetriebe vor. Darüber hinaus drohte allen VEW-Arbeitnehmern, einen Tag pro Woche ohne Entlohnung arbeiten zu müssen. Alle noch nicht gestrichenen freiwilligen Sozialleistungen sollten auch noch unter die Räder kommen.

Protest-Delegationen setzten sich in Marsch, in Judenburg näherte sich die Stimmung dem Siedepunkt. Bundeskanzler Kreisky sagte zu, nach Judenburg zu kommen, um mit

„Das Schicksal vieler Hunderter Arbeiter und derer Familien bleibt damit über den Wahltag im Ungewissen“ den Arbeitern zu diskutieren. Daß der Termin der für diesen Zweck vorgesehenen Betriebsversammlung mitten in den Wahlkampf fiel und noch dazu auf einen Termin, da die endgültige Absage der Ford-Werke (die SPÖ hat den Judenburgern mit dem Ford-Projekt Hoffnung zu machen versucht) bereits vorlag, war Kreiskys Pech. Dementsprechend kühl war seine Aufnahme in Judenburg.

Was der Bundeskanzler den Stahlwerkern bieten konnte, war demgemäß nicht sehr viel:

• Da die Belegschaftsvertreter die Berechnungen des Vorstandes, wonach in Judenburg überhaupt nicht rentabel produziert werden kann, nicht akzeptieren, schlägt Kreisky vor, Klarheit bei den Kalkulationen zu schaffen.

• Damit diese sachlichen und nüchternen Berechnungen durchgeführt werden können, gibt es im Wahljahr keine bösen Überraschungen. Kreisky: „Daß dieses Werk unvermindert in Betrieb bleibt, das ist mir vom Vorstand zugesichert worden... Während dieses Jahres wird einmal gar nichts geschehen..., außer daß neue Aufträge hierher kommen.“

• Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß „Ersatzarbeitsplätze“ notwendig werden. Diese müßten vorrangig im Bereich der Verstaatlichten Industrie gefunden werden „Gewisse Umschichtungen“ könnten dabei unvermeidlich sein. Darunter ist zu verstehen, daß viele Arbeiter zum Pendeln verurteilt sein könnten (Kapfenberg ist im Gespräch - ungeachtet dessen, daß auch hier kaum freie Arbeitsplätze anzutreffen sind).

• Schließlich sprach Kreisky von der Möglichkeit, Schichtarbeiter in Frühpension zu schicken.

Das Schicksal vieler Hunderter Arbeiter und derer Familien bleibt damit über den Wahltag hinaus im Ungewissen. Ja es ist sogar sehr unwahrscheinlich, daß die Unternehmensführung nach dem 6. Mai - welche Regierung es immer geben wird -darum herumkommen wird, noch einschneidendere Maßnahmen als schon bisher zu setzen.

Daß von Bruno Kreisky klare Zusagen und Positives erwartet wurde, war vorherzusehen gewesen. Eine Partei, die durch Jahre hindurch ihre Bedeutung in der Sicherung der Arbeitsplätze derart hervorkehrt, legt sich selbst die Latte sehr hoch.

So war es kein Wunder, daß die Chefs des Zentralbetriebsrates -Sepp Gruber aus dem Werk Kapfenberg und Niederösterreichs Landeshauptmannstellvertreter Hans Czet-tel aus dem Werk Ternitzr- wiederholt mit Buh-Rufen und Pfiffen bedacht wurden. Ihnen warf man vor, nach Art der „Mafia“ ihre eigenen Betriebe zu bevorzugen.

Auch der Bundeskanzler wurde unter Beschuß genommen. SPÖ-Be-triebsrat Walter Rußheim,' der Kreisky als „Genossen“ apostrophierte, richtete an ihn die Aufforderung: „Können Sie uns, und zwar nicht in der Sprache der Diplomatie, sondern in der deutschen Sprache sagen, daß Sie nicht gewillt sind zuzustimmen, daß Arbeitsplätze reduziert werden?“

Kreisky konnte nicht. Dafür griff er zum Abschluß ganz tief in die Wahl-kampfkiste: „Den möcht ich kennenlernen, der der Meinung ist, daß der Doktor Taus mehr Herz für die Arbeitnehmer hat als ich...“

Wahlerfolge kann man damit vielleicht absichern, aber ganze Stahlwerke?

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