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„Kinder sollen es schön haben

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Sorgenkind und Hoffnungsgebiet zugleich war die steirische Region Aichfeld-Murboden. In den siebziger Jahren sollte hier ein kleines „Tennessee Valley“ aus dem Boden gestampft werden.

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Sorgenkind und Hoffnungsgebiet zugleich war die steirische Region Aichfeld-Murboden. In den siebziger Jahren sollte hier ein kleines „Tennessee Valley“ aus dem Boden gestampft werden.

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Das war die Ausgangslage: Ein Kohlebergwerk 1970 im steiri-schen Fohnsdorf. Die Förderung wurde immer teurer und schwieriger. Nur mehr in 1200 Meter Tiefe ließ sich in den Flözen die Kohle finden. Noch dazu buddelten die Kumpel um ihre Existenz. Das Defizit für 1973 wurde mit 100 Millionen Schilling veranschlagt. „Spätestens 1975 ist der Ofen aus“, kündigte damals Staatssekretär Ernst-Eugen Veselsky der sozialistischen Hochburg an. Die in Fohnsdorf geförderten Verluste waren schon höher als die in Österreich zur Verfügung stehenden Bergbaumittel.

Daß es bald aus sein würde, wußte das „wilde Bergvolk hinter dem Semmering“ (Veselsky)

schon lange, nur wann... das wußte niemand und geredet wurde schon gar nicht davon.

Dann wachten die Knappen auf, als im Kärntner Lavanttal ein ebenfalls defizitäres Bergwerk einfach geschlossen wurde und das Gespenst drohender Arbeitslosigkeit auf einmal greifbar über den Fohnsdorfern hing.

Zwar war das Bergwerk das Sorgenkind Nummer eins, aber auch die Gegend zwischen Knit-telfeld im Osten, Unzmarkt und Murau im Westen, geografisch zusammengefaßt als Region Aichfeld-Murboden, war ein Gebiet mit schlechter Infrastruktur und Verkehrslage, akutem Wohnungsmangel und hohen Abwanderungsquoten. Außer dem Gußstahlbetrieb der — damals selbständigen Alpine Montan AG — gab es so gut wie keine Betriebe als Alternative für die Jungen. In regelmäßigen Abständen wurden Eisen-, Kohle- und Papierindustrien geschlossen. Sie hatten nicht rechtzeitig auf veränderte Weltmärkte reagiert.

Der Umschwung kam für die Fohnsdorfer, ausgelöst durch das erwähnte Schockerlebnis. Alle 18 betroffenen Gemeinden schlössen sich zum Wirtschaftsförderungs-verband Aichfeld-Murboden zusammen, die Regierung veranstaltete eine Enquete, und damit fiel der Startschuß für das größte Raumplanungsprojekt in Österreich. Es ging um den Lebensraum von 85.000 Menschen. Die ganze Region Aichfeld-Murboden sollte mit massiven Finanzspritzen zu einer Musterregion mit Vorbildcharakter gepusht werden.

Als erste Soforthilfe wurden 140 Millionen aus ERP-Mittel in die Region gepumpt. Innerhalb von fünf Jahren sollten ein großes Umschulungszentrum für die Bergarbeiter, eine Berufsschule für Elektro- und Metallberufe, drei Höhere Technische Lehranstalten, ein Musterkindergarten in Fohnsdorf („damit es die Kinder schön haben“) geschaffen werden. Telefonanschlüsse „bis zum letzten Hof“, Telexverbindungen, „auf Wunsch spezielle Gleisanschlüsse, wenn es die Firmen wollen“ (Kreisky), und eine Erdgas-Pipeline aus der Sowjetunion standen auf der Liste.

Ein gigantisches Szenario wurde entworfen, und Veselsky träumte gar von einem „Tennessee Valley“ in der Steiermark. Judenburg sollte eine neue Bundesschnellstraße erhalten um, wie es im Bautenministerium damals hieß, den Sog zu vergrößern, den Aichfeld-Murboden bald auf die Betriebe ausüben würde.

1975 waren schon 806 Millionen Schilling in die Krisenregion geflossen. Für Förderungen von Industrieunternehmen 294 Millionen, für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie zum Beispiel das Schulungszentrum in Fohnsdorf 108,5 Millionen. 1976 wurde die Milliardengrenze überschritten.

Selbst die OECD lobte dieses Projekt als ein gelungenes Beispiel raumübergreifender Zusammenarbeit. Vor allem zwei Projekte machen Furore: Der deutsche Küchengeräteerzeuger Bauknecht wurde mit massiver Stützung in Spielberg bei Knittel-feld angesiedelt und die österreichische Firma Eumig, Bruno Kreiskys Lieblingsprojekt, mit einem attraktiven Förderungspaket in Fohnsdorf. Bauknecht beschäftigte in seinen besten Zeiten 3.500 Menschen, Eumig 6.000.

Beide Unternehmen gerieten Anfang der achtziger Jahre ins Trudeln. Bei Bauknecht hatte die Stuttgarter Muttergesellschaft nicht rasch genug auf einen mit Küchengeräten gesättigten Markt reagiert und zog das österreichische Werk mit in die Tiefe. Eumigs Stammbetrieb setzte auf falsche Produkte, erlitt Schiffbruch und zog die Fohnsdorfer Niederlassung ebenfalls ins Verderben. Beide mußten von Auffanggesellschaften aus Arbeitsplatzgründen aufgefangen und mit massiven Geldspritzen und reduzierter Belegschaft durchgefüttert werden.

Inzwischen brachen anderswo (zum Teil schon bestehende) Krisen neu auf. Die Vereinigten Edelstahlwerke in Judenburg, die Zellstoffabrik in Pols zum Beispiel, sie verschwinden seit längerem nicht aus den negativen Schlagzeilen der Medien.

Will man Erfolg oder Mißerfolg des Projektes auf einen Nenner bringen, so heißt es meist bei den Befragten: Vieles wurde nicht erreicht, aber hätte man nicht Millionen hineingepumpt, wäre die Region heute ein Elendsviertel auf der Landkarte.

Positive Aspekte sind zweifellos: die Wohnungen wurden groß-teils fertiggestellt, das Telephonnetz und die Straßenverbindungen ausgebaut, Betriebe angesiedelt. Aber längst ist die Region nicht so attraktiv geworden, wie die Beteiligten es sich erträumt haben. Die Abwanderungsbilanz wurde nicht wesentlich zum Positiven gewendet. Vor allem die Jungen müssen pendeln, nach Graz, Salzburg, teilweise auch noch nach Wien.

Dazu kamen am Beginn die Umstellungsschwierigkeiten der Bergarbeiter. Die Baufirmen brachten für den Bau von Schu-lungs- und Wohnzentren ihre eigenen Arbeitskräfte mit, die Grubenarbeiter wurden nicht vom Baugewerbe aufgesogen. („Die meisten Bergknappen sind halt gerne Bergknappen und nichts anderes“, so damals Bürgermeister Lackner). Eugen Veselsky heute:

„Wir waren damals schreckliche Menschheitsbeglücker. Alles, was beschlossen wurde, ging über die Köpfe der beteiligten Bevölkerung hinweg. Die Kontakte beschränkten sich auf Betriebsräte oder Regionalpolitiker.“ So blieb auch die Durchflutung aller Lebensbereiche mit Demokratie, wie sie Ex-Kanzler Kreisky angekündigt hatte, auf der Strecke.

Eins ist unbestreitbar: Heute hat die ganze Obersteiermark die Krisensymptome, die einst nur eine Region hatte.

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