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Klein-Kops im Großen Walsertal

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Wer von den Energieibauten Vorarlbergs spricht, in denen die genialen Pläne von Landeshauptmann Dr. Ender, Landesrat Doktor Mittelberger, Dekan Fink und Generaldirektor Dipl.-Ing. Dr. Ammann verwirklicht sind, ‘dfertkt unwillkürlich an die Speicher- pumpen des Lünerseewerkes, an die Silvrettasperre und an die zyklopischen Mauern von

Kops. Die Vorarlberger IHwerke sind ein Begriff in der europäischen Energiewirtschaft. Sie haben Europa mit ihren Drähten zu- eammengeschlossen, bevor noch die Politiker begannen, europäisch zu denken.

Die Vorarlberger Illwerke sind im Rahmen der Organisation der österreichischen Energiewirtschaft eine Sondergesellschaft, deren Aufgabe es ist, die Wasser der 111 von ihrem

Quellgebiet in der Silvretta bis zur Mündung in den Rhein zur Stromerzeugung auszunützen. Die Vorarlberger Kraftwerke hingegen, die nur zu oft für die große Öffentlichkeit im Schatten der Illwerke stehen, sind die Landesgeseilscbaft, welcher die Stromversorgung von Haushalt, Gewerbe, Landwirtschaft und Industrie im Land Vorarlberg dbliegt.

Wer also in Vorarlberg die elektrische Bettlampe einschaltet, wer sich am elektrischen Kocher sein Frühstück bereitet und rasch sein Zimmer erwärmen will, ist nicht Kostgänger der Illwerke, sondern der Vorarlberger Kraftwerke. Die Kraftwerke sind das ältere Unternehmen. Sie stehen bereits im ersten Kapitel der europäischen Energie- geschichte. Vor 60 Jahren pilgerten die Elektrotechniker des ganzen Erdteiles nach Andelsbuch im Bregenzerwald — bekannt als Heimat der Palitikerdynastie Fink —, um das größte Kraftwerk der damaligen Monarchie zu sehen. Das Kraftwerk Andelsbuch arbeitet heute noch brav; es wurde in jüngster Zeit durch eine zweite Zuleitung verstärkt, doch hat es die Rekorde längst an größere Maschinengruppen abtreten müssen.

In die Ehe mit den Vorarlberger Kraftwerken brachte dias Land Vorarlberg das im Jahre 1925 vollendete Gampadeiswerk ein. Einige kleine Werke kamen im Laufe der Jahre dazu. Den Zusammenschluß hatte Landeshauptmann Winsauer bis zur Unterschrift vorbereitet, als ihm die Ereignisse des

März 1938 die Feder aus der Hand schlugen. Andere ernteten, wo er gesät hatte. 1945 mußte Dr. Mittedfoerger neU anfangen. Als er am Karfreitag 1963 in die Ewigkeit einging, konnte er über das Schicksal seiner Gründungen beruhigt sein; doch mußte er erkennen, daß die Entwicklung über alle seinerzeitigen Planungen hinausgewachsen war und schwerwiegende Entscheidungen hinsichtlich des Ausbaues eigener Kraftwerke und der Strom- verteilungs anlagen bevorstanden.

Im Jahre 1945 betrug der Stromlbedarf im Versorgungsgebiet der Vorarlberger Kraftwerke 100 Millionen Kilowattstunden, wozu gesagt werden muß, daß in Vorarlberg die Industrie sehr rasch wieder anlief und die Stromeinschränkungen minimal waren. 1965 erreichte die Stromabgabe 530 Millionen Kilowattstunden, wobei sich der Bedarf der gewerblichen Wirtschaft verachtfacht hat. Der Draht hat den letzten Vorarlberger Berghof erfaßt; 80 Prozent aller Vorarlberger Haushalte kochen elektrisch, und dennoch ist der Vorarlberger Stromlbedarf an die Durch- schnittshöihe der Schiweden und der Schweizer noch nicht herangekommen, das heißt, daß der Hunger nach elektrischer Energie immer größer wird.

Voraussehende Planer haben im Iilweike- Vertrag dem Land Vorarlberg, obwohl es nur fünf Prozent des Aktienkapitals besitzt, ein Drittel des Stromes gesichert. Es kommt aber in der Energiewirtschaft nicht nur auf die Zahl der Kilowattstunden an, man muß auch sehr genau rechnen. Strom ist nämlich nicht gleich Strom, wie der Laie meint. Zu Zeiten des Spitzenbedarfs kann elektrischer Strom kostbarer sein als Gold, während arbeitsschwacher Stunden ist er billiger als Häcksel.

In der Lastverteilung Rodund, der Vorarlberger Illwerke, die ihre Anweisung direkt von Brauweiler, einer Kommandozentrale für die Stromversorgung Westeuropas, erhält, merkt man ganz deutlich, wenn in den deutschen Industriegebieten um 9 Uhr die Arbeiter zur Frühstückspause gehen. Im selben Augenblick sinkt der Bedarf — im Lünerseewerk werden die Turbinen aus- und die Spedcher- pumipen eingeschaltet. Das Wasser stürzt nicht mehr vom Berg herab, es wird vielmehr in den Lünersee hochgepumpt.

Bei den Vorarlberger Kraftwerken schwankte am 27. November 1964 — es war ein Dienstag ohne besondere Ereignisse — die Belastung zwischen 30.000 und 120.000 Kilowatt. In dieser Tatsache liegt die Problematik der Energieaufibrinigung. Wie konventionelle Wärmekraftwerke auf Kohle- und Ölbasis arbeiten auch Atomkraftwerke konstant Tag und Nacht, Werktag und Sonntag, Sommer und Winter, wenn sie in wirtschaftlicher Weise eingesetzt sind. Sie können also nur für die Deckung der Grundlast verwendet werden. Für die Spitzendeckung hingegen werden immer wieder Wasserkraftanlagen, und zwar Speicherwerke, eingesetzt werden müssen, welche die kostbare Energie für die Stunden oder Minuten sparen, in denen man sie braucht

Den wertvollen Spitzenstrom der Vorarlberger Illwerke für den Vorarlberger Tagesbedarf eiruzusetzen, ist möglich, aber teuer. Deshalb wird von den bundesdeutschen Abnehmern der Illwerke, der Energie-Versorgung Schwaben und dem Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk, überdies von den Nordostschweizerischen Kraftwerken und der österreichischen Verbundgesellschaft, für den Landesbedarf elektrische Energie geliefert. Wer an der deutschen Grenze bei Hohen- weiler oder an der Schweizer Grenze bei Rankweil-Brederis die riesigen Leitungsmaste sieht, weiß nicht, ob der Strom im Augenblick hinüber oder herüber geht. Wasserkraftstram während der Belastungsspitzen, wenn die großen Industrien arbeiten, ist bis zum Siebenfachen des Kohlekraftstromes während der Nachtstunden wert.

Bei allen Bezugsrechten gilt aber auch in der Energiewirtschaft dais Wort des Großen Kurfürsten: „Allianzen sind gut, eigene Kraft ist besser.“ So haben die Vorarlberger Kraftwerke im Jahre 1959 das Werk an der unteren Lutz dem Betriebe übergeben und hoffen 1967 den Ausbau der Lutzoberstufe vollendet au haben.

Die Lutz ist ein rechtsseitiger Nebenfluß der 111 und durchströmt das Große Walsertal. Man durfte sich wundern, als in einer Statistik „unterentwickelter Gebiete“ in Österreich, in denen die Beschäftigungszahl und die Steuerleistung tief unter dem Bundesdurchschnitt liegt, das reiche Vorarlberg, das doppelt so viel Steuern abführt, als seiner Bevölkerungszahl entspräche, genannt wurde, und zwar mit dem Großen Walsertal.

Weltbekannt wurde das Tal durch einen der ärgsten Unglückstage der Vorarlberger Geschichte, den 11. Jänner 1954, mit seiner Lawinenkatastrophe. Aus den langen Totenlisten sah man, daß bis zu sechs ledige Geschwister in einer Zwergwirtschaft hausten; zum Heiraten langte es für keinen. Die groß artige Wiederaufbauaktion ging vom Grundsatz aus, wenig, aber größere Besitztümer zu schaffen. Vor allem wurden die Fremden auf das Tal neugierig. Die Straße wurde ausgebaut. Schon ist eine Rundfahrt um das Große Walsertal möglich und in einigen Jahren wird die Durchfahrt über das Faschina- joch in den Bregenzerwald mit Anschluß nach Bayern möglich sein.

Eine neue wirtschaftliche Belebung bringen nun die Vorarlberger Kraftwerke in dieses Tal, so wie seinerzeit die Illwerke in das Montafon. Bevor diese das Montafon eroberten, lebte die Bevölkerung zum Teil davon, daß sie ihre Buben und Mädchen als Hütekinder ins Schwabenland „verkaufte“ und die jungen Männer als Maurer bis nach Frankreich schickte. Heute finden die Montafoner in ihrer Heimat genügend Arbeitsplätze. Ein ähnlicher Prozeß vollzieht sich nun dank den Vorarlberger Kraftwerken im Großen Wialsertal.

Unten bei Thüringen, neben dem Stauweiher des schon bestehenden Kraftwerkes, gähnt die Mündung eines Tunnels. Er führt in die Höhle, die das zur Gänze in den Berg verlegte Kraftwerk der Oberstufe aufnehmen soll. Die Verlegung der Maschinen in die Kaverne wurde in Österreich zum erstenmal beim Bundesbahnkraftwerk Braz, ebenfalls in Vorarlberg, angewandt, und bietet viele Vorteile. Dann trägt uns der Kraftwagen über eine herrliche Bergstraße hinauf nach

Raggal. Tief drunten im Tal fließt — heut noch — die Lutz. Die Orte liegen alle durchschnittlich 300 Meter über der Talsohle. Zwei funkelnagelneue Hotels in Raggal, welche die bisherigen Gaststätten ergänzen, verraten schon dem Auge, daß Kapital eingeströmt ist. Drüben, durch das Tal von uns getrennt, liegt Blons, dessen Massengrab der Lawinenopfer das Ziel vieler Besucher aus nah und fern ist. Zum Bau der großen Sperrmauer verbindet ein Kabelkran die Raggaler und Blonser Seite; beide Türme sind derart schwenkbar, daß von der Laufkatze Betonmassen an jeder Stelle abgelagert werden können, für die sie bestimmt sind. Der Beton wird aus Kies, der aus dem Berge gewonnen wird, an Ort und Stelle erzeugt. So entsteht auf dem Talgrund zwischen Raggal und Blons die Staumauer, welche die Lutz zu einem kleinen See auf- stauen wird, der bis Garsella reicht, dort, wo die Straßen des linken und des rechten Ufers ineinander münden, so daß die reizvolle Rundfahrt um das Große Walsertal zu Füßen gewaltiger Bergriesen durch einen lieblichen See bereichert wird. Von der 50 Meter hohen Staumauer wird ein 4,5 Kilometer langer Druckstollen mit einem Durchmesser von 2,8 Metern zum Kraftwerk geführt, für das die vom Fel umschlossene Kaverne an der unteren Lutz gegenwärtig ausgebrochen wird.

Für den Werksbau mußte nicht nur die Raggaler Straße verbreitert werden, als Zu fahrt zur Sperrenlbaustelle wurde ein bereits geplanter Güterweg verwirklicht, der wieder einige Bergbauemihöfe an den Verkehr anschließt. Daß die Vorarlberger Kraftwerke für diesen Güterweg die finanzielle Hauptlast tragen mußten, braucht kaum gesagt werden. Der Ausbau der Wasserkräfte hilft dem Bergbauemtum.

Lm Jahre 1964 nahmen die Vorarlberger Kraftwerke eine Anleihe von 100 Millionen Schilling auf, und als sie im Vorjahr mit einer Anleihe von 160 Millionen Schilling an den Kapitalmarkt herantraten, war diese ebenso in wenigen Stunden überzeichnet, wie es im Vorjahr der Fall gewesen war. Ursache des Vertrauens: die Vorarlberger Kraftwerke waren das erste verstaatlichte Unternehmen in Österreich, welches die Entschädigung des privaten Aktienbesitzes in befriedigender Form durchiführte, bevor es einen gesetzlichen Zwang gab.

Im Propsteilkirchlein zu St. Gerold, das bis zum Reichsdeputationshauptschluß von 1802 weltlich dem Schweizer Stift Einsiedeln angeschlossen war und heute noch von seinen Mönchen betreut wird, werden die Reste einer romanischen Kirche ausgegraben, die alte Traditionen bestätigt. Die Vorarlberger Kraftwerke schaffen an einem Dom der Technik. Und letzten Endes dienen sie den Menschen. Nicht nur dem anonymen Stromabnehmer, sondern auch dem ringenden Walserbauem.

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