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Mit Dampf und Wasserrad

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MAN NEHME EINEN KESSEL, fülle ihn mit Wasser, mache ein Feuer darunter an und leite den entstehenden Dampf zu einem Schaufelrad, welches eine Dynamomaschine antreibt. Die Einzelteile dieser Apparatur kann man in jedem Spielwarengeschäft kaufen. Was ist ein Dampfkraftwerk? Das gleiche, nur etwas größer.

Und vor einigen Jahrzehnten hat der Vergleich auch wirklich noch beinahe gestimmt. Doch mittlerweile wurden die Kessel besser, die Feuerungen raffinierter, die Dampfturbinen komplizierter und die Generatoren leistungsfähiger. Das Dampfkraftwerk von heute , hat mit dem Dampf-, kraftwerk von damals ebensowenig Ähnlichkeit wie der Dampf, der durch den Hochdruckteil einer modernen Turbine gejagt wird, mit dem, was zögernd aus einem pfeifenden Teekessel kommt.

Bei Zeltweg, wenige Kilometer von der Grube Fohnsdorf entfernt, nähert sich ein neues Dampfkraftwerk der Fertigstellung. Vor wenigen Tagen waren die Turbinenschaufeln noch nicht in ihren Gehäusen verschwunden. Im Hochdruckteil, den der Dampf, aus dem Kessel kommend, zuerst passieren wird, sehen sie noch verhältnismäßig zahm und klein aus, doch gerade hier wird die Haupt- arbeit geleistet. Auf dem Weg vom Hochdruck- zum Mitteldruck- und schließlich zum Niederdruckteil dehnt sich der Dampf immer mehr aus und die Schaufeln werden immer größer, auf dem letzten Kranz sind sie zwei Meter hoch.

Die Einzelteile einer modernen Dampfturbine passen derart genau ineinander, daß zwischen Schaufelkranz und Gehäuse nur ein „Spiel” in der Größenordnung von Millimetern bleibt. Würde man einfach die Ventile eines kalten Dampfkraftwerkes öffnen und die Turbinen losrasen lassen, gäbe es sofort „Schaufelsalat”. Eigene Vorwärmdüsen sorgen dafür, daß der Dampf zuerst das kalte Gehäuse erwärmt und ausdehnt, und erst dann die Turbinen in Bewegung setzt.

Der „Zwangsdurchlaufkessel “ von Zeltweg wird in der Stunde 410 Tonnen Wasser, das sind 41 volle Tankwaggons, in Dampf verwandeln. In einen Dampf, der mit 188 Atmosphären Überdruck, mit 535 Grad Celsius, die. Kraft eines Explosivstoffes besitzt. Er wird unsichtbar und leise seine Arbeit leisten. Eine Arbeit von 130.000 Kilowatt. Strom für das Verbundnetz.

WAS HABEN DIE DRAUKRAFT- WERKE, wie schon der Name sagt, für Errichtung und Betrieb von Wasserkraftwerken zuständig, nichtsdestoweniger Erbauer des Kraftwerkes Zeltweg, mit einem Dampfkraftwerk zu schaffen? Der Bau des neuen Dampfkraftwerkes — eines haben sie in Sankt Andrä, Kärnten, ein anderes in Voitsberg seit langem in Betrieb — ist einfach eine Sache des Ausgleiches im Rahmen der Verbundwirtschaft. Wo große, ausbaufähige Wasserkräfte vorhanden sind, wie bei uns in Österreich, sind Dampfkraftwerke vor allem Spitzenkraftwerke, das heißt: man schaltet sie ein, wenn die Wasserkraftwerke den Bedarf nicht decken können, weil plötzlich besonders viel Strom benötigt wird, oder wenn die Flüsse zuwenig Wasser führen. Man schaltet sie aus, wenn genug Wasserstrom da ist.

Besser gesagt, dann sollte man sie ausschalten. Trotzdem entstehen heute da und dort neue Dampfkraftwerke, über deren Notwendigkeit die Fachleute geteilter Meinung sind, und deren Errichter dem Vernehmen nach nicht unbedingt die Absicht haben, auf den Dampfstrom zu verzichten, wenn die Wasserkraftwerke den Bedarf decken können. Die Sache ist nämlich die: Der Preis des Verbundstroms schwankt nach Angebot und Nachfrage — in der Sommernacht kostet die Kilowattstunde die Lächerlichkeit von 5 Groschen, an Wintertagen hingegen 30 Groschen.

Es liegt nun nahe, daß sich irgendeine Landesgesellschaft oder eine städtische Versorgungsgesellschaft sagt: Wir beziehen nur noch den billigen Strom aus dem Verbundnetz, den teuren Strom machen wir uns selbst, lind zwar viel billiger. Aber in den Stunden des Spitzenbedarfes, wenn unsere Werke den Bedarf nicht decken können, greifen wir natürlich auch auf den Verbundstrom zurück. So ersparen wir uns eine Menge Geld. Sind wir aber kluge Leute!

Dem halten die Leute von der Verbundgesellschaft entgegen, daß ihre Tarife auf einem Ausgleich zwischen teurem Strom und billigem Strom aufgebaut sind. Und daß sie ihre Tarife nicht halten könnten, würde man sie in zunehmendem Maße nur als Lückenbüßer für Spitzenstunden betrachten. Es deutet manches darauf hin, daß eine derartige Entwicklung im Gange ist.

NOCH ETWAS ‘ KOMMT DAZU. Wir werfen heute, a*uf der einen Seite, Fohnsdorfer Braunkohle auf riesige Halden, auf denen sie keineswegs besser wird, und niemand weiß, wann die Kohle auf diesen Haklen verbraucht werden kann. Auf der anderen Seite sind sich auch die Fachleute durchaus nicht einig, ob es günstig wäre, die Braunkohlengrube Fohnsdorf zu schließen — wir werden uns bei anderer Gelegenheit mit diesem Kapitel befassen. Das Dampfkraftwerk Zeltweg wurde in unmittelbarer Nähe von Fohnsdorf errichtet, um den Druck dieses Kohlenangebotes zu vermindern. Dampfkraftwerke, deren Kessel mit Öl oder mit. Erdgas befeuert werden, mögen billiger und rationeller arbeiten. Wenn sie arbeiten. Anderseits will man ein relativ neues Dampfkraftwerk mit Ölfeuerung in der nächsten Zeit dem Vernehmen nach möglichst sparsam einsetzen, ebenfalls damit die Kohlen wenigstens zum Teil wegkommen.

Denn während in Deutschland der Großteil des Stromverbrauches mit thermisch erzeugtem Strom gedeckt wird, können in Österreich Dampfkraftwerke nur die Aufgabe haben, einen plötzlich auftretenden Spitzenbedarf zu decken oder für die Wasserkraftwerke einzuspringen, wenn die Flüsse zuwenig Wasser führen.

HEISST DAS, daß wir überhaupt keine neuen Dampfkraftwerke brauchen? Die Fachleute sind, wie immer, geteilter Meinung, aber es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, daß wir in 10 oder 20 Jahren über jedes einzelne thermische Kraftwerk froh sein werden, das wir haben. Ganz abgesehen davon, daß es absolut notwendig ist, die österreichischen Wasserkräfte weiterhin auszubauen.

Denn der Strombedarf steigt und steigt, zeitweise schneller, zeitweise langsamer, aber auf lange Sicht steigt er sicher, ln Österreich wurden 1918 ganze 274 Millionen Kilowattstunden verbraucht, 1928 waren es 345 Millionen, 1938 noch etwas mehr, und 1948, in der Zeit der großen Stromkrisen, hatte Österreich bereits einen Verbrauch von nicht weniger als 641 Millionen Kilowattstunden, und hätte bekanntlich noch mehr brauchen können. Im Jahre 195S wurden in Österreich bereits 1737, im Jahre 1960 nicht weniger als 1985 Millionen Kilowattstunden verbraucht. Diese Zahlen sagen mehr als Worte, und die Entwicklung bleibt wohl auch morgen und übermorgen nicht stehen. Ein größerer allgemeiner Bedarf bedeutet auch einen größeren Spitzenbedarf. Spitzenbedarf bedeutet Dampfkraftwerke. Es fragt sich nur, ob es klug ist, augenblicklich weitere Projekte zu forcieren. Es fragt sich ferner sehr, ob es klug ist, den Dampf verschiedener Dampfkraftwerke vielleicht auch gleich die Mühlen persönlichen Ehrgeizes und gewisser Sonderinteressen mitantreiben zu lassen.

HALB IM SCHERZ, HALB MIT WEHMUT meinte kürzlich, mir einem Blick auf die vorbeifließende Donau, ein bekannter österreichischer Kraftwerktechniker: „Sehen Sie sich doch diese Wassermassen an! Rechnen Sie sich die Wasserführung in tausend Jahren aus! Wieviel Kraft ist da in den letzten tausend Jahren vorbeigeschwommen, umsonst, ungenutzt — es ist ein Jammer!”

Nun, ein Teil dieser Kraft wird bereits genutzt, ein Teil ist aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht verwertbar — der Rest soll langsam, aber sicher gebändigt werden. Kaum ein fließendes Gewässer von Rang, das nicht in die große Rechnung von der zukünftigen Energieversorgung Österreichs irgendwo mit einer festen Zahl bereits eingesetzt wäre, kaum ein günstiger Platz für eine Staumauer, der den Technikern entgangen wäre. Alte Naturschönheiten werden zerstört oder sind in Gefahr — neue Schönheiten entstehen, das sei ehrlich zugegeben. Wir hatten Gelegenheit, drei große Kraftwerkbaustellen zu besichtigen.

IN DER VÖLKERMARKTER BUCHT, wo die Draubrücke augenblicklich hydraulisch um ein Stück gehoben wird, um nicht überschwemmt zu werden, bereitet sich eine Landschaft darauf vor, zu ertrinken. Die Häuser stehen bereits ohne Dächer da, was noch zu brauchen ist, wird abmontiert und sortiert zum Abtransport bereitgelegt: Dachziegel, Balken… Eigene Deiche sollen bei Rakollach und St. Lorenzen dreieinhalb Quadratkilometer Siedlungsland und guten Ackerboden vor dem Überschwemmen schützen, Pumpwerke werden dieses Gebiet, das tiefer liegt als der Stausee, trocken halten.

Nach der Indienststellung des Kraftwerkes Edling soll das Wasser der Drau zwei Kaplanturbinen antreiben, die über zwei Generatoren 360 Millionen Kilowattstunden im Jahr liefern werden.

EINE VORSTELLUNG VON DER UNERHÖRTEN GEWALT» die das sonst so harmlos aussehende Wasser eines Stromes entwickeln kann,- bekommt man, wenn man bei Braunau auf der bereits fertiggestellten Wehrbrücke des Innkraftwerkes steht und sieht, wie der Inn, vorläufig ungenutzt, in die Wehrfelder schießt und elf Meter hinunterstürzt. Ein schönes Schauspiel, von dem die Ingenieure hoffen, daß es nicht mehr allzu lange dauert. Die Turbinen werden demnächst montiert — wenn sie erst einmal begonnen haben, sich zu drehen, soll normalerweise kein Tropfen die Wehre hinunterrinnen. Ein dumpfes Brausen, das Geräusch der laufenden Generatoren und das Summen der Transformatoren wird dann das einzige äußere Zeichen der Arbeit sein, die hier geleistet wird und die der Techniker in einer nüchternen Zahl ausdrückt: 533 Millionen Kilowattstunden pro Jahr.

BEI ASCHACH AN DER DONAU wurde kürzlich die erste Schleusenkammer freigegeben, das Wasser, das hier mit jedem durchgeschleusten Schiff für die Energiegewinnung verlorengeht, spielt eine wesentlich geringere Rolle als der Aufwand beim Bau, der die Arbeiten verteuert und verlängert. In den nächsten Wochen soll der Donau ihr altes Bett endgültig verschlossen und das gesamte Wasser durch einen schmalen Kanal geleitet werden — eine dramatische Arbeit und ein wichtiger Augenblick beim Bau jedes Flußkraftwerkes. Damit kann der Bau der Wehranlage beginnen.

Im zukünftigen Stauraum werden unterdessen die Uferböschungen hergerichtet und die Gebiete, die überflutet werden sollen, geräumt. Und weitere Staustufen sind in Planung. Der mächtige Strom wird zum stehenden Gewässer.

Ob die österreichische Landschaft dadurch schöner wird? Die Schönheit, die wir bisher kannten, wird zum Teil geopfert. Doch auch die Technik hat ihre Schönheit, und auch das langsam fließende breite Wasser im Stauraum.

Nur eine Frage will uns nicht aus dem Sinn, während wir beginnen, uns mit jenen neuen Schönheiten zu befreunden: Hat nicht auch die alte Schönheit noch ihr Recht? Konkret gesprochen: Müßten nicht wenigstens einzelne, besondere Landschaftsräume geschützt werden?

Wir denken an die Wachau. Die Staustufe Rossatz, die auf Karten bereits eingezeichnet ist, darf nie Wirklichkeit werden!

Der Plan steht vorläufig nur auf dem Papier. Wir müssen, trotz allem Verständnis für wirtschaftliche Notwendigkeiten, trotz allem Sinn für die Technik, verlangen, daß der Strom dort lebendig bleibt, wie er es seit tausenden Jahren war!

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