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Die Atomgegner sind verstummt

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In Schweden wurden die Weichen ins Atomzeitalter schon gestellt In der Politik wurde Schweden oft zum Vorbild gemacht. Der Verband der E-Werke ließ bei einem Seminar auch das dortige Energiekonzept im rosigen Licht erscheinen.

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In Schweden wurden die Weichen ins Atomzeitalter schon gestellt In der Politik wurde Schweden oft zum Vorbild gemacht. Der Verband der E-Werke ließ bei einem Seminar auch das dortige Energiekonzept im rosigen Licht erscheinen.

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In Osterreich hat sich die Verbundgesellschaft mit dem Ausfall von Zwentendorf abgefunden und setzt im neuen Ausbauprogramm auf den Ausbau der Wasserkraft. Ob die darin vorgeschlagenen Projekte auch realisiert werden, ist im Augenblick noch ungewiß.

In Schweden dagegen scheint man das Problem steigenden Energiebedarfs vorläufig bis zum

Jahr 2010 gelöst zu haben, wie Max Setterwall, Präsident des schwedischen Verbandes der Elektroindustrie, bei einem Seminar für Journalisten, bekündete.

Zur Orientierung ein paar statistische Daten im Vergleich mit Österreich:

Bei etwas höherer Einwohnerzahl (acht Millionen) ist der Energieverbrauch Schwedens rund doppelt so hoch in den Bereichen Industrie und private Haushalte, im Verkehr ver(sch)wenden beide Länder gleich viel.

Gründe für den hohen Energieverbrauch bei den Haushalten sind ein um 40 Prozent höheres Bruttosozialprodukt, das den Schweden durchschnittlich mehr Wohnfläche und eine bessere Ausstattung der Haushalte mit technischen Geräten ermöglicht. Natürlich spielt auch das kältere Klima mit längeren Heizperioden eine Rolle.“

Bis 1973 entwickelte sich der Verbrauch an Brennstoffen ungleich höher als der an elektrischem Strom.

Schweden, das über keinerlei Vorkommen an Erdöl, Gas oder Kohle verfügt, war aber auf dem Brennstoffsektor hunderprozen-tig vom Ausland abhängig.

Nach den drastischen Preiserhöhungen durch die ölstaaten in den siebziger Jahren und den hohen Staatsausgaben ersetzten die Schweden die ölimporte durch verstärkten Ausbau der Wasserkraft und durch ein umfangreiches Kernenergieprogramm.

Bis 1990 rechnet man mit einer hundertprozentigen Versorgungsmöglichkeit schwedischer Haushalte mit elektrischen Heizungen.

Trotz der Umstellungskosten bleibt elektrischer Strom gegenüber dem Erdöl noch immer konkurrenzfähig. (Nach Kanada und Norwegen ist Schweden das billigste Stromerzeugerland).

Zwei Gründe ermöglichen diesen relativen Billigbezug, der im Augenblick zwischen 0,23 und 0,27 Groschen pro Kilowattstunde liegt. Einerseits der hohe Anteil an Speicherkraftwerken an den zahlreichen Seen, die keine so hohen Investitionen erfordern wie Laufkraftwerke und praktisch nur „angezapft“ werden müssen und andererseits die Nutzung der Kernenergie.

Derzeit sind zehn Reaktoren im Raum Stockholm, Malmö und Göteborg in Betrieb und erzeugen 4.300 Kilowattstunden Strom pro Einwohner jährlich. Umgerechnet auf die Pro-Kopf-Leistung ist Schweden das kernkraftintensiv-ste Land der Welt. (Zum Vergleich: Frankreich erzeugt 2.700 und die Bundesrepublik Deutschland 1.100 Kilowattstunden). Die meisten Kernkraftwerke sind Siederwasserreaktoren, die von schwedischen Technikern selbst entwickelt wurden und auch exportiert werden.

Natürlich liefen auch im kühlen Norden diese Projekte nicht ohne hitzige Debatten, Massendemonstrationen und gegenseitige Beschuldigungen ab. Der endgültige Schlußstrich erfolgte im März 1980, als die Schweden in einer Volksabstimmung mit einem „Ja“ zur Kernkraft die Weichen für die Zukunft stellten.

Weitere zwei Reaktoren gehen daher noch 1985/86 in Betrieb. Damit sind Planung und Bau vorläufig beendet, da der schwedische Reichstag den Bau vorläufig auf zwölf Werke limitierte und dafür die Leistung der Wasserkraft um sechs auf 66 Terawat (sechs Milliarden Kilowattstunden) erhöhen will. Aus ökologischen und politischen Gründen will die schwedische Regierung derzeit das vorhandene Potential (vier ausbaufähige Flüsse im Ausmaß der Donau) noch nicht ausnützen.

Das schwedische Kernenergieprogramm soll laut Regierungsbeschluß bis zum Jahr 2010 abgewickelt werden. Für diesen Zeitraum wird die Lebensdauer der Reaktoren geschätzt.

Die dazu notwendigen 32.000 Tonnen Uran werden importiert, trotz eigener Vorkommen, die

Brennelemente werden im Land selbst hergestellt. Für den Zeitraum des Kernenergie-Program-mes werden 7000 Tonnen stark radioaktiver Brennelemente und 250.000 Kubikmeter mittel- und schwachaktive Abfälle (Schutzkleider, Filtermasse) sowie Schrott und Beton erwartet.

Südlich von Stockholm wurden für die Zwischenlagerung der hoch radioaktiven Brennelemente Wasserbassins in Felsen eingelassen, wo sie vierzig Jahre lang ihre Radioaktivität weitestgehend abbauen sollen. Die gesamte Anlage wird mittels modernster Technik überwacht und gewartet.

Nach der Zwischenlagerung stehen derzeit zwei Varianten zur Weiterverarbeitung des sogenannten Atommülls zur Diskussion. Entweder eine Wiederaufbereitung des aus dem Abfall gewonnenen Uran und Plutonium zu neuen Brennstäben. Verträge dazu gibt es bereits mit Frankreich und Großbritannien.

Oder die Regierung entscheidet sich für die zweite und laut Max Setterwall, billigere Variante einer Direktdeponie im eigenen Land. Die Brennstäbe würden in Kupferkapseln eingeschlossen, mit einer Presse zu einem einheitlichen Block zusammengedrückt und mit einem Spezialstoff, der Korrosion verhindert, in Granit eingelassen.

De facto ist aber auch in Schweden das Problem der Endlagerung des Atommülls nicht endgültig gelöst, da sich auch diese Variation noch im Versuchstadium befindet und trotz einer Sicherheitsgarantie (!) der schwedischen Wissenschafter über ein bis zwei Millionen Jahre. Die Ergebnisse reichten aber für die Regierung, dieses Konzept ebenfalls als absolut sicher anzuerkennen.

Als das schwedische Fernsehen vor einigen Wochen diese Entscheidung veröffentlichte, gab es kaum mehr Proteste der Kernkraftgegner. Die Debatte scheint endgültig erloschen zu sein. Ob aus Vertrauen in das Konzept und die Sicherheitsvorkehrungen oder aus einem Gewöhnungs-effekt,ist allerdings unklar.

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