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Sonnenkraftwerke - eine Realutopie

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„Wir benehmen uns auf dieser Erde wie ein zweijähriges Kind, das unbeaufsichtigt in Mutters Küche geraten ist; es macht dem Kind größte Freude, an vielen Knöpfen zu drehen, ohne über die Tragweite seines Tuns Bescheid zu wissen.“ Professor Gerhart Bruckmann, aus dessen neuem Buch „Sonnenkraft statt Atomenergie“ diese Zeilen stammen, urteilt sehr hart über das heutige Verhältnis der Menschheit zur Energie. Als Mitglied des „Club of Rome“ teilt er die Ansicht von Dennis Meadows („Die Grenzen des Wachstums“), unser derzeitiges System gleiche einem Ozeandampfer, der mit hoher Geschwindigkeit auf einen Eisberg zufahre. Bruckmann fordert eine Temporeduzierung und Kurskorrektur in Sachen Energie, soll es nicht zu einer ökologischen Katastrophe kommen. Für ihn ist die Sonnenenergie „der reale Ausweg aus der Energiekrise“. Ist sie das wirklich?

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„Wir benehmen uns auf dieser Erde wie ein zweijähriges Kind, das unbeaufsichtigt in Mutters Küche geraten ist; es macht dem Kind größte Freude, an vielen Knöpfen zu drehen, ohne über die Tragweite seines Tuns Bescheid zu wissen.“ Professor Gerhart Bruckmann, aus dessen neuem Buch „Sonnenkraft statt Atomenergie“ diese Zeilen stammen, urteilt sehr hart über das heutige Verhältnis der Menschheit zur Energie. Als Mitglied des „Club of Rome“ teilt er die Ansicht von Dennis Meadows („Die Grenzen des Wachstums“), unser derzeitiges System gleiche einem Ozeandampfer, der mit hoher Geschwindigkeit auf einen Eisberg zufahre. Bruckmann fordert eine Temporeduzierung und Kurskorrektur in Sachen Energie, soll es nicht zu einer ökologischen Katastrophe kommen. Für ihn ist die Sonnenenergie „der reale Ausweg aus der Energiekrise“. Ist sie das wirklich?

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Energie wird weder „produziert“ noch „verbraucht“, sondern nur umgewandelt. Auf jeden Fall wird sie gebraucht - und zwar immer mehr davon. Darüber Bruckmann: „Zwei Drittel der Weltbevölkerung leben in Verhältnissen, die nicht als menschenwürdig bezeichnet werden können. Auch in den sogenannten reichen Ländern gibt es breite Schichten, die noch Mangel leiden. Eine - auch nur teilweise - Wiedergutmachung bereits eingetretener Umweltschäden, die Vermeidung zukünftiger Umweltschäden - das alles erfordert Energie.

Die Diskussion pro und kontra Kernenergie geht mit unverminderter Heftigkeit weiter. Die Atomkraftgegner setzen ihre ganze Hoffnung auf die sauberste Energie: die Sonnenkraft. Die Befürworter der Kernkraftwerke argumentieren, daß Sonnenwärme kaum in interessanten Größenordnungen verwendet werden kann. Prof. Bruckmann, vielseitiger Fachmann, beweist anhand zahlreicher Beispiele aus Technik und Wirtschaft, daß bereits unsere Generation die Chance haben wird, Sonnenenergie wirtschaftlich einzusetzen. Das Buch basiert auf jüngsten Forschungsergebnissen und ist für den breiten Kreis der Interessenten leicht faßlich geschrieben.

Ca. 280 S., mit 16 SW-Bildseiten und zahlreichen Zeichnungen im Text, Pb. S 218,-

Aber auch die Umstellung auf weniger energieintensive Lebensformen - bessere Wärmedämmung von Häusern, Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes - beansprucht zunächst einmal mehr Energie. Und wenn sich auch die Zuwachsrate der Weltbevölkerung in jüngster Zeit etwas verringert haben dürfte - innerhalb der nächsten 20 Jahre wird die Zahl der Menschen auf dieser Erde noch einmal mindestens um die Hälfte (von heute 4 Milliarden auf 6 Milliarden) ansteigen; jener Lebensstandard aber, der uns recht ist, sollte wohl unseren Kindern billig sein.“

Daß der Bedarf an Energie, vor allem in den Entwicklungsländern, weiter steigen wird, steht außer Zweifel. Daß dieser Bedarf mit den meisten herkömmlichen Energieträgern nur unter schwersten Umweltgefährdungen, wenn überhaupt, gedeckt werden kann, steht ebenfalls fest Bruckmann sieht nun in der Sonnenenergie gerade deshalb einen Ausweg aus dem globalen Energiedilemma, weü sie weltweit vorhanden ist, ja den ärmeren Ländern sogar meist reichlicher zur Verfügung steht als den Industrieländern.

Dazu kommt, daß die Sonnenenergie ein auf jeden Fall vorhandenes „Energieeinkommen“ ist, während sonst in der Regel (Ausnahme: Wasserkraft) gebundene Energie („Energiekapital“) freigesetzt wird.

So fällt, neben Schadstoffen aller Art, bei jedem Verbrennungsprozeß Kohlendioxid (CO ) an. Da es nicht zuletzt vom CO -Gehalt der Atmosphäre abhängt, wieviel von der Wärme die uns die Sonne schenkt, wieder in den Weltraum abgestrahlt wird, könnte eine Erhöhung der CO -Konzentration in der Luft schwerwiegende Klimaveränderungen - und unter Umständen sogar ein Abschmelzen der Eiskappen an den Polen samt Überflutung aller Küstenregionen - zur Folge haben.

Bruckmann setzt sich der Reihe nach mit allen Energieformen auseinander und findet in der Sonnenenergie die umweltfreundlichste. Daß er die Kernenergie besonders hart angreift und als „Sackgasse“ abtut, haben ihm, dem Statistiker und,.Hochrechner der Nation“, die Physiker und Techniker übelgenommen. Tatsächlich übersieht er in seiner Begeisterung für die Son-

nenenergie, daß manche ihm bei der Kernkraft negativ erscheinende Aspekte - etwa das Kühlturmproblem - auch bei Sonnenkraftwerken zu berücksichtigen sein werden.

Ist Bruckmanns Begeisterung im vollen Ausmaß gerechtfertigt? Professor Gerhard Faninger von der österreichischen Gesellschaft für Sonnenenergie und Weltraumfragen „ASSA“ (Austrian Solar and Space Agency) erklärt im Zusammenhang mit dem Beitrag, den man von einer neuen Technologie wie der Sonnenenergie erwarten kann, fünf Fragen für wesentlich:

• Ist ein ausreichendes Potential der Energiequelle vorhanden?

• Kann diese vorhandene Energie auch in die Energieformen umgewandelt werden, die wir brauchen?

• Wie ist der Stand der Technologie?

• Wie lange dauert es, bis eine ausgereifte Technologie eingeführt werden kann?

• Wie hoch ist der Bedarf an Land und Kapital?

Die ersten beiden Fragen lassen sich grundsätzlich mit Ja beantworten, die Antwort auf die vierte lautet nach bisherigen Erfahrungen: etwa 30 bis 50 Jahre. Daß es bei der Kernenergie et-

was rascher ging, hatte militärische Hintergründe.

Die Entwicklung der einschlägigen Technologien wird heute weltweit vorangetrieben - auch in Österreich. Versuche zur Verwertung der Sonnenenergie sind in mehreren Bundesländern im Gang. Insbesondere im Forschungszentrum Seibersdorf werden mit zwei (der im wesentlichen insgesamt drei) Methoden der Sonnenenergieverwertung Erfahrungen gesammelt

Am bekanntesten sind die (vorzugsweise auf Hausdächern angebrachten) Sonnenkollektoren, in denen sich durchströmendes Wasser erwärmt. In Seibersdorf testet man großflächige Sonnenkollektoren in einer aus handelsüblichen Komponenten aufgebauten Versuchsanlage, ergänzt um spezielle Meßeinrichtungen.

Die mittels Sonnenkollektoren gewonnene sogenannte „Niedertemperaturwärme“ wird bei Schwimmbadheizungen, Warmwasserbereitung im

Haushalt und Gebäudeheizungen verwendet. Für den Leiter der Seibersdorfer Sonnenenergie-Meßstation, Dr. Harald Hick, ist die Sonnenenergie bei Schwimmbadheizungen schon heute ideal, bei der Warmwasserbereitung liegt ihr Einsatz „an|der Grenze der Wirtschaftlichkeit“; die Kosten für eine solare Warmwasserbe-reitungsanlage amortisieren sich gegenwärtig in 15 bis 20 Jahren. „Die Sonnenenergie in Österreich“, erklärt Hick, „ist heute pro Quadratmeter und Jahr rund 200 Schilling wert.“ Ein guter Sonnenkollektor kostet aber pro Quadratmeter gut das Zehnfache. Hick plädiert dafür, sich nicht um geringfügige, aber teure Erhöhungen der Kollektorqualität, sondern lieber um eine Preisreduzierung zu bemühen. Bei günstiger Preisentwicklung der Anlagen (und ungünstiger Entwicklung der Energiekosten) könnten' Sonnenkollektoren bald rentabel werden.

Eine Gebäudeheizung mit Sonnenenergie hält nicht nur Hick derzeit für unrationell, auch Faninger würde vorläufig beim Bau eines neuen Hauses lediglich dazu raten, einen eventuellen späteren Einbau einer Solarheizung einzuplanen. Ein Haus nur mit Sonnenenergie zu heizen, würde heute gigantische Summen kosten, mit einer an kalten Wintertagen zusätzlich eingeschalteten Elektro-Heizung hätte die Elektrizitätswirtschaft keine Freude - begreiflicherweise, da sie ihre Kapazität an den Spitzenleistungen orientieren muß und eine derartige Lückenbüßer-Funktion zum Brachliegen großer Kapazitäten außerhalb dieser Spitzenbedarfszeiten (und damit zu einem unwirtschaftlichen Betrieb) führen würde. Der unterschiedliche Anfall von Sonnenenergie, in unseren Breiten mitunter im Verhältnis 8:1 (wärmster Sommermonatkältester Wintermonat), zeigt die Probleme deutlich auf, wenngleich es natürlich viele Gegenden auf unserem Planeten gibt, wo ein viel günstigeres Verhältnis (aber auch ein wesentlich geringerer Bedarf an einer Sonnenheizung besteht.

Ehrgeiziger ist das Projekt eines Sonnenkraftwerkes zur Stromerzeugung. In Seibersdorf läuft seit einigen Monaten ein Vorversuch mit einer Batterie von zwölf parabolischen Zylinderspiegeln, die in den nächsten Tagen mit neuen Absorberrohren ausgerüstet werden sollen. Der Bau des österreichischen 10-Kilowatt-Sonnen-kraftwerkes, das in Seibersdorf erprobt und später einem Entwicklungsland zur Verfügung gestellt werden soll, hat (unter der Leitung von Professor Kleinrath von der Technischen Universität Wien) begonnen.

Österreich war bisher bei der Entwicklung kleiner Solarkraftwerke innerhalb der Internationalen Energie-Agentur (IEA) federführend. Auf Grund dieser internationalen Bemühungen entstehen nun in Almeria in Südspanien zwei Demonstrationskraftwerke mit einer elektrischen Leistung von 590 Kilowatt Eines der Kraftwerke sieht ein Farmkonzept, das andere das Turmprinzip vor. Nach

Sonnenkollektoren (links). In den vorerst der Erde zugekehrten Reflektoren des Sonnenkraftwerkes spiegeln sich statt der Sonne noch Rohrleitungen und Ventile (rechts).

dem Farmprinzip (in der Brennlinie jedes Parabolspiegels ein Absorberrohr) soll auch das Seibersdorfer Versuchskraftwerk arbeiten, beim Turmprinzip konzentrieren viele Spiegel die einfallende Sonnenstrahlung auf einen Turm. In beiden Fällen wird eine Flüssigkeit zum Sieden gebracht und der entstehende Dampf zum Betreiben von Turbinen verwendet.

Zukunftsträchtiger, aber heute noch wesentlich teurer, ist die Direktumwandlung von Sonnenlicht in elektrische Energie (wie etwa in den Selenzellen von Belichtungsmessern, bei Satelliten oder auch schon bei Signalbojen in der Schiffahrt). Die sogenannten Sonnenzellen hatten einst astronomische Preise. Immerhin gelang es bereits, den Preis auf ein Fünfzigstel (letzter Stand: elf Dollar pro Watt Leistung) zu senken. Sollte die angekündigte weitere Reduzierung auf ein Zehntel, womöglich ein Zwanzigstel, des heutigen Preises wahr werden, würde diese Art der Stromerzeugung aus Licht auch wirtschaftlich interessant. Im Gegensatz zu den Sonnenkollektoren (deren Preis nur in engen Grenzen reduziert werden kann) könnte hier ein ähnlicher Effekt wie bei der Verbilligung der Computer-Bauteile eintreten.

Daß der Kapitalaufwand für Sonnenkraftwerke, die einen nennenswerten Beitrag zur Deckung des Energiebedarfs leisten sollen, anfangs gigantisch sein müßte, ist klar. Weniger Schwierigkeiten sieht Bruckmann im Bedarf an Landflächen. Er rechnet vor, daß für die Erzeugung von 100.000 Te-rawatt - was ungefähr dem 15fachen des heutigen Weltverbrauches an elektrischer Energie entspricht - zwar eine Fläche von einer Million Quadratkilometer nötig wäre, von der gesamten Landfläche der Erde (150 Millionen Quadratkilometer) aber immerhin 62 Millionen Quadratkilometer unbewohnbar und weitere 13 Millionen Quadratkilometer unbewohnt sind. Nun schwebt ihm aber gar nicht vor, die Stromerzeugung in bestimmten Wüstengebieten zu zentralisieren, da er gerade darin einen großen Vorteil der Sonnenenergie erblickt, daß sie dezentralisiert gewonnen werden kann. Auch in Österreich sieht er genügend Gebiete, etwa die als „Sozial-brache“ nicht mehr bewirtschafteten Agrarflächen, die sich als Standorte für Sonnenkraftwerke eignen würden. Sicher anfangs eine gewagte Investition, aber volkswirtschaftlich interessant, wenn durch die Sonnenenergie teure Energieimporte aus dem Ausland substituiert werden können.

Was den Durchbruch der Sonnenenergie-Beiträge zum Gesamtenergieaufkommen betrifft, ist Bruckmann zweifellos überoptimistisch. Die amerikanischen Untersuchungen, die er zitiert, wonach schon im Jahr 2000 in den USA der Solaranteil 30 Prozent betragen könnte, sind nach den ersten Rückschlägen für Präsident Carters Energiekonzept hinfällig geworden. Für Mitteleuropa geben realistische Prognosen der Sonnenenergie im Jahr 2000 maximal einen Anteil von zwei bis fünf Prozent. Bruckmanns Optimismus ist aber wohl insofern gerechtfertigt, als nur ein gewisser Enthusiasmus eine Sache schmackhaft machen kann, die notwendigerweise schon jetzt energisch vorangetrieben werden muß. Denn die Weichen für die Energiegewinnung von übermorgen werden bereits heute gestellt

Daß „der reale Ausweg aus der Energiekrise“ noch nicht die Probleme der achtziger und neunziger Jahre, wo das Erdöl rapid zurückgehen beziehungsweise enorm teuer werden wird, lösen kann - darüber sind sich Hick und Faninger einig. Um den heutigen Lebensstandard halbwegs zu halten, werden in den nächsten Jahrzehnten alle verfügbaren Energiequellen zu berücksichtigen sein.

Vor allem aber wird man nun ernsthaft zum Energiesparen, das auch Bruckmann sehr am Herzen liegt übergehen müssen. Es wird sich jedenfalls kaum vermeiden lassen, daß, bevor sich die Sonnenkraft durchsetzt, in den Industriestaaten noch gelegentlich die Lichter ausgehen.

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