6864680-1977_50_04.jpg
Digital In Arbeit

Den Appetit auf materielle Güter zügeln …

Werbung
Werbung
Werbung

Es wäre falsch, alle Atomgegner in einen Topf zu werfen. Wir müssen differenzieren zwischen den ehrlichen Ökologen und denjenigen, welche aus deren Sorgen politisches Kapital zu schlagen versuchen. Ihnen ist jeder Anlaß willkommen, um das gegenwärtige Gesellschaftssystem zu ruinieren, an dessen Stelle sie aber ein System setzen wollen, welches auf die Bedenken der Ökologen bestimmt bei weitem weniger Rücksicht nehmen wird als das gegenwärtige System.

Aber auch den ehrlichen Ökologen muß zum Vorwurf gemacht werden, daß sie das Problem nicht zu Ende denken: Da wird gegen die Atomkraftwerke protestiert, da wird gegen kalorische Kraftwerke wegen der Umweltbelastung durch Abgase Einspruch erhoben und schließlich auch gegen hydraulische Kraftwerke, wegen der Störung des Öko-Systems durch Großspeicher, aber auch durch große Laufkraftwerke.

Isoliert betrachtet ist jeder dieser Proteste legitim und die meisten Menschen, speziell die direkt Betroffenen, sind bereit Reolutionen gegen diese Projekte zu unterschreiben und nötigenfalls auch auf die Straße zu gehen. Der gleiche Personenkreis fordert aber bei anderer Gelegenheit höhere Löhne, konstant steigenden Lebensstandard, Bevölkerungswachstum, kürzere Arbeitszeit, sichere Arbeitsplätze und gleichzeitig auch noch Befreiung von physischer Belastung und Routinearbeit am Arbeitsplatz.

Dafür aber ist Wirtschaftswachstum sowie die Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen notwendig, und dafür wieder brauchen wir Energie und nochmals Energie. Genau darin besteht aber unser Dilemma: Wenn wir auf den Kraftwerksausbau verzichten, müssen wir auch auf den steigenden Lebensstandard verzichten. Beides zu haben - mehr Lebensstandard und gleichzeitig keine neuen Kraftwerke - ist unmöglich. Wir müssen uns daher für eine der beiden Alternativen entscheiden - und zwar rasch, denn der Energieengpaß rückt mit Riesenschritten näher.

Dieses Dilemma kennen die „Sy- stemveränderer“ sehr genau, und deshalb haben sie den Atomtod in Zwentendorf entdeckt, welcher ihnen bezeichnenderweise im tschechischen Dukivany nahe der österreichischen Grenze so gar nicht auffällt obwohl die dort getroffenen Sicherheitsmaßnahmen viel geringer sind. Darum weinen sie jetzt Krokodilstränen um die intakte Natur, deren Bewunderung noch vor wenigen Jahren ein „bürgerliches Vorurteil“ war.

Und das sind die Fakten: Österreich hat im Jahr 1976 nicht weniger als 261 Millionen Gigakalorien (1 Gigakalorie

- 1 Milliarde Kalorien) Energie konsumiert. Dieser Gesamtverbrauch setzt sich zusammen aus 5,6 Millionen Tonnen Kohle und Koks, 11,4 Millionen Tonnen Erdöl und Erdölprodukte, 4,8 Milliarden Kubikmeter Naturgas und 33,1 Milliarden Kilowattstunden Elektrizität. Der Anteil der verschiedenen Energiearten am Gesamtaufkommen war: Erdöl und -produkte 39 Prozent, Naturgas 31 Prozent, Kohle und Koks 19 Prozent, Elektrizität 11 Prozent.

57 Prozent der Energieträger müssen importiert werden. Die Kosten im Jahr 1976: 25,2 Milliarden Schilling oder 12 Prozent des gesamten Import- volpmens, um 230 Prozent mehr als 1970, Tendenz weiter steigend. Könnten wir auf Energieimporte verzichten, dann könnte das Handelsbilanzdefizit auf die Hälfte reduziert werden.

Angesichts unserer tristen Zah- lungsbüanzsituation ist daher der Ausweg, einfach auf den Ausbau der inländischen Ressourcen zu verzichten und mehr zu importieren, nicht gangbar. Der einzige Ener gieträger, bei dem Österreich - bisher wenigstens - autark wąr, und bei dem es bei entsprechend zügigem Ausbau der Kapazität autark bleiben könnte, ist die Elektrizität. Dagegen müssen auf dem Erdölsektor 83 Prozent, bei Kohle und Koks 71 Prozent sowie bei Naturgas 55 Prozent importiert werden. Aller Mehrkonsum kann nur durch noch* mehr Import gedeckt werden.

Wir müssen also nicht nur den „normalen“ Zuwachs mit elektrischer Energie zu decken versuchen, sondern in zunehmendem Maß auch andere Energieträger durch Elektrizität substituieren. Wenn wir zugleich ein Wirtschaftswachstum haben wollen, welches die Vollbeschäftigung garan tiert und einen leichten Anstieg des Lebensstandards gestattet, so werden wir ohne eine Steigerung der Elektrizitätsproduktion um zumindest 5 Prozent pro Jahr nicht auskommen.

Sicherlich wird heutzutage Energie verschwendet, kann durch Energiesparen einiges einem besseren Gebrauch zugeführt werden. Aber wenn wir äußerstenfalls 20 Prozent einsparen, so entspricht dies einem Zuwachs von nicht einmal vier Jahren. Nicht anders sieht es mit den Alternativenergien (Solarenergie, Windkraft usw.) aus. Sofern deren Ausnutzung überhaupt praktikabel und wirtschaftlich vertretbar ist, werden sie kaum über 10 Prozent des Bedarfs decken können.

Atomprotest ist Symptomprotest: Symptomkuren können aber ein ProMem nur kurzfristig kaschieren, nicht aber eliminieren. Zu lösen ist die Angelegenheit nicht einseitig. Sicherlich wird sich ein - wenn auch gebremster - Kraftwerksausbau inklusive Atomkraft nicht vermeiden lassen. Sicherlich werden aber die Steigerungsraten beim Energieverbrauch in Zukunft fühlbar kleiner werden müssen. Dies ist aber nicht durch einen Protest gegen Kraftwerke zu erreichen, sondern nur durch Veränderung der Voraussetzungen, durch Reform unserer Lebensführung.

Das Ganze ist letzten Endes ein moralisches Problem: Wir müssen unseren Appetit auf materielle Güter zügeln lernen, wir dürfen den Sinn unseres Lebens nicht mehr in einem permanent ansteigenden Konsum sehen. Der wahre Umweltschützer muß mit seinen Bemühungen hier ansetzen, nicht beim Protest gegen den Kraftwerksbau.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung