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Energielose Energiedebatten

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„Andere mögen Energie sparen — du, glückliches Österreich, rasiere mit Schaum.” So ungefähr hat der sich allmorgendlich mit Pinsel und Messer rasierende Bundeskanzler eine altöstenreichische Devise auf modern und fortschrittlich aufpoliert: Die Lösung der Energiekrise liegt im Abschalten der elektrischen Rasierapparate.

Aber das Ganze war natürlich nur ein kleiner Scherz, ein Bonmot aus der Bonmottenkiste des Kanzlers, keineswegs ein Ausdruck von Ratlosigkeit gegenüber einem überwältigenden Problem. Wir können ja ruhig scherzen. Uns kann sowieso nix passieren.

In Amerika ist man viel weniger zu Bonmots aufgelegt. Außenminister Kissinger warnte vor einer neuen Wirtschaftskrise infolge der gestiegenen ölpreise. Die immer raschere Inflation und die Rekorddefl- zite in den Zahlungsbilanzen vieler Industriestaaten versprechen nichts Gutes. Die Besorgnis greift um sich. Die Außenminister der großen Industriestaaten trafen sich in Washington zu einer Energiedebatte. Tendenz: energielos. Resultat: nicht viel mehr als Null. Allgemeine Überzeugung: Es müßte etwas geschehen, denn wenn nicht bald etwas geschieht, dann (also sprach Hans Weigel) passiert etwas. Aber darüber, was geschehen soll, sind sich die Herren nicht einig, sondern nur darüber, was passieren könnte. Man müßte, das ist die vorherrschende Meinung, den ölproduzierenden Staaten auf die Zehen treten, aber so, daß es ihnen ja nicht weh tut. Die Herren sind schließlich so schrecklich empfindlich.

Auch Österreich leidet unter den gestiegenen Erdölpreisen, wobei eine neue Preiserhöhung ins Hau? steht: Die Mineralölgesellschaften berufen sich auf Kostensteigerungen und Verschlechterungen der Ertragssituation und meldeten dieser Tage neue Preisforderungen an.

Das allgemeine Problem: Wir müssen Engergie sparen, aber wie? Ohne Energie kein Wachstum, weder der Bevölkerung noch der Wirtschaft, noch des Wohlstands. Gewiß, man kann da und dort kleine Einsparungen machen, aber was ist das schon angesichts des Mehrerfordernisses, das sich zwangsläufig aus jedem Wachstum ergibt.

Wer die österreichische Energiebilanz der letzten Dezennien betrachtet, der sieht deutlich, in welch hohem Maß die Energie der Motor alles wirtschaftlichen Fortschritts auch bei uns ist: Seit 1955 hat sich der jährliche Energiekonsum Österreichs mehr als verdoppelt. Am stärksten ist dabei der Verbrauch von Erdöl gestiegen, nämlich auf das Sechsfache. Der Verbrauch von Naturgas hat sich nahezu verfünffacht, der Stromkonsum (einschließlich der aus Erdöl, Erdgas und Kohle produzierten Elektrizität) beinahe verdreifacht. Nur bei Kohle ist der Verbrauch um ein Drittel zurückgegangen.

Dabei sieht die Energiebilanz dank zweier Sonderfaktoren ‘noch überraschend günstig aus: Während nämlich der gesamte Energieverbrauch jährlich um durchschnittlich 5 Prozent gestiegen ist, erhöhte sich jener der Industrie — trotz eines realen Produktionsanstiegs von durchschnittlich 5,7 Prozent — bloß um 2,5 Prozenj. Dieses Faktum ist erstaunlich, hätte man doch gerade seit den sechziger Jahren — als die Arbeitskräfte knapp und immer teurer wurden — eine starke Zunahme der Energieintensität erwarten müssen.

Wenn es nicht dazu kam, so infolge des Strukturwandels der Industrie: Während bis Ende der fünfziger Jahre die Nachkriegshausse auf den internationalen Grundstoffmärkten die energieaufwendige Produktion von Grundstoffen begünstigt hatte, mußte seit dem Beginn der sechziger Jahre infolge der geänderten Marktkonditionen die weniger energieaufwendige Produktion von Konsum- und Investitionsgütern auf anspruchsvollem technischen Niveau forciert werden. Österreichs Industrie wuchs eben nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ, Hirnschmalz konnte nicht nur Arbeitskräfte, sondern vielfach auch Energie substituieren.

Noch stärker hat der relative Energiekonsum im Schienenverkehr infolge der Umstellung von Dampf- auf den Elektro- und Dieselantrieb abgenommen. Dadurch konnte 1972 mit 58 Prozent weniger Energie eine um 47 Prozent höhere Transportleistung erbracht werden als 1955. Der Energieverbrauch ging dadurch um 8 Prozent pro Jahr zurück.

Hingegen wurde der Energieverbrauch im Straßenverkehr geradezu explosiv gesteigert, nämlich um nicht weniiger als 10,3 Prozent im Jahresdurchschnitt. Sehr stark war mit 7

Prozent auch der jährliche Anstieg bei den Kleinabnehmern. Dies war vor allem auf den steigenden Verbrauch in den Haushalten und in den Dienstleistungsbetrieben zurückzuführen.

So günstige Bedingungen wie bisher werden wir allerdings in der Periode bis 1985 nicht mehr vorfln- den. Die Elektrifizierung der Bundesbahn ist so gut wie abgeschlossen und die Umstellung der Industrie auf Finalprodukte von hohem Verarbeitungsgrad im wirtschaftlich möglichen Ausmaß weitgehend vollzogen. Jedes künftige Wirtschaftswachstum muß sich daher in einer analogen Zunahme des Energiekonsums niederschlagen. Wird das auch möglich sein?

Das österreichische Institut für Wirtschaftsforschung sieht prinzipiell nach wie vor günstige Chancen für ein weiteres kräftiges Wirtschaftswachstum. Die Achillesferse wird allerdings zweifellos die Energieversorgung und werden nicht zuletzt die Energiepreise sein. Das Wirtschaftsforschungsinstitut sagt voraus, daß auch bei weitestgehender Ausnutzung der inländischen Energiequellen die Importquote bis 1985 um 75 bis 80 Prozent steigen werde.

Werden wir im Ausland die notwenige Energie erhalten? Wenn ja, zu welchen Preisen? Wieviel vom wirtschaftlichen Fortschritt wird angesichts der steigenden Energiepreise der österreichischen Bevölkerung verbleiben?

Fragen, auf die eine annähernd zuverlässige Antwort auch für den besten Prognostiker unmöglich ist, weil sie nicht im sachlichen, sondern im politischen Bereich entschieden werden. Die Zuversicht, daß uns sowieso nix passieren kann, steht auf sehr labilem Boden. Und mit Bonmots werden die Probleme bestimmt nicht zu lösen sein.

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