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Das Weizen-Business

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Der Erholungsprozeß der amerikanischen Wirtschaft scheint ins Stocken zu geraten und Vom erhofften Kurs abzuweichen. Die Inflation — der wahre Krankheitsherd aller westlichen Wirtschaftskrisen — beginnt sich wieder auszubreiten und bedroht einen wirtschaftlichen Aufschwung, der seit dem ersten Quartal dieses Jahres zu berechtigten Hoffnungen Anlaßgegeben hat.

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Der Erholungsprozeß der amerikanischen Wirtschaft scheint ins Stocken zu geraten und Vom erhofften Kurs abzuweichen. Die Inflation — der wahre Krankheitsherd aller westlichen Wirtschaftskrisen — beginnt sich wieder auszubreiten und bedroht einen wirtschaftlichen Aufschwung, der seit dem ersten Quartal dieses Jahres zu berechtigten Hoffnungen Anlaßgegeben hat.

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Es ist auch nicht so, daß dieser Aulschwung steckengeblieben wäre. Alle Indikatoren moderner Wirtschaftswissenschaft zeigen ihn weiterhin an und verzeichnen einen starken Ausschlag. Selbst die hartnäckige Arbeitslosigkeit, deren Rücklauf auf ein normales Maß erst für 1977/78 erwartet wurde, fällt erheblich zurück. Einkommen steigen langsam an, Inventare lichten sich und längerfristige Investitionen werden — vorerst noch schüchtern, aber doch getätigt Aber wenn man die den Monat Juli dem Jahr zugrunde legt, so stieg das Preisniveau um über 14 Prozent und man würde wieder dort halten, wo die Krise begonnen hat. Nun scheinen diese 1,2 Prozent im Juli nicht symtoma-tisch für das ganze Jahr zu sein und folgen auf Monatsergebnisse im ersten Halbjahr,, die bloß einer fünf-bis sechsprozentigen Preissteigerung für 1970 entsprächen. Aber die Inflation besitzt leider eine. sich , selbst steigernde Kraft Wenn sie sich zu entwickeln beginnt wollen alle, die etwas zu verkaufen haben, den kommenden Trend bereits vorwegnehmen und setzen die Preise hinauf, weil sie befürchten, in relativ kurzer Zeit von der Entwicklung überrollt zu werden. Die gleiche Einstellung entwickeln auch die Lohnempfänger, die nicht nachhinken wollen, und der Konsument macht unmotivierte Einkäufe, weil er befürchtet, später mehr zahlen zu müssen. So schafft Inflation immer mehr Inflation und die einzige Möglichkeit, diesen Trend zu blockieren, läge im Kampf gegen die Inflationsmentalität. Das jedoch ist unendlich schwer nach den erst vor kurzem durchlebten traumatischen Störungen in Industrie und Handel, bei Lohnempfängern und Konsumenten.

Was den letzten Schub ausgelöst hat, sind Preissteigerungen auf dem Lebensmittelsektor und Anziehen der Energiepreise.

Wieder einmal hat die sowjetische Planwirtschaft hinsichtlich der Ernährung versagt, während die USA das einzige Land sind, das über große agrarische Überschüsse verfügt. Die Russen halten jedoch mit Informationen über ihre eigene Ernte und ihren Einfuhrbedarf aus taktischen Gründen zurück, weil sie möglichst billig kaufen und ihre eigenen Mängel verdecken wollen. Dadurch entsteht Jedoch in den USA ein Gefühl der Unsicherheit Man tappt im dunkeln und erinnert sich, daß die sowjetischen Getreidekäufe 1972/73 zu starken Preisauftrieben führten, als sie einer wider den Erwartungen zurückgebliebenen amerikanischen Ernte folgten.

Heuer hingegen soll die amerikanische Ernte weit über dem Durchschnitt hegen, so daß die Farmer am Export sehr interessiert sind. Würden sie nicht exportieren, so müßte ihnen die Regierung die Uberschüsse abkaufen oder bevorschussen — ja noch viel schlimmer —, man müßte womöglich auf das System der Subventionierung unbebauter Flächen zurückgreifen. Auch die amerikanische Handelspolitik braucht die Lebensmittelexporte, weil diese Überschüsse für die teuren Energieimporte' herhalten müssen, die aus den OPEC-Ländern kommen. Ohne die

Agrarexporte daher kein Handelsbilanzüberschuß, und ohne diesen Uberschuß kein starker Dollar.

Mächtige Empörung gegen diese Politik entwickeln jedoch gewerkschaftliche Kreise. Sie geben vor, die Konsumenteninteressen zu vertreten und verweisen auf die Preisauftriebstendenzen, die von diesen Exporten ausgehen. Nicht nur auf dem Lebensmittelsektor, sondern im Hinblick auf das allgemeine Preisniveau. ■ Über das Ausmaß dieser Steigerung gehen die Meinungen auseinander. Die Regierung gibt zu, daß die Exporte die Lebensmittelpreise um etwa 3 Prozent anheben, die Gewerkschaften warnen vor weit höheren Steigerungen. Überdies wollen die Gewerkschaften den Einsatz zusätzlicher amerikanischer Schiffe beim Getreideexport nach der Sowjetunion erzwingen, was scheinbar auch gelungen ist. Die Sowjets haben etwas höheren Frachtraten und einer Ausweitung der Transporte auf amerikanischen Schiffen über das vereinbarte Drittel hinaus zugestimmt. Die sporadischen Weigerungen von Hafenarbeitern, sowjetische Schiffe zu beladen, sind wieder eingestellt Worden, die Gewerkschaften haben sich dem Spruch der Gerichte, daß Verträge erfüllt werden müssen, nicht widersetzt.

Auch die Regierung Jiat dem Druck der Gewerkschaften nachgegeben, und die Exporte nach der Sowjetunion vorläufig, bis zur genauen Bestandsaufnahme der amerikanischen Ernte, unterbunden. Da hinter diesen Exporten jedoch nicht nur handels- und staatspolitische Raison, sondern auch die politische Macht der Farmer steht, ist mit der Wiederaufnahme der Exporte noch im September mit einiger Sicherheit zu rechnen.

Noch komplexer ist die Lage auf dem Energiesektor. Hier haben Präsident und Kongreß mit fast diametral entgegengesetzten Intentionen eine Pattstellung erreicht. Der Präsident versucht durch allmähliches Anheben des Preisniveaus den Verbrauch zu drosseln. Der Kongreß möchte möglichst niemandem weh tun und konnte sich bis jetzt auf gar kein Konzept einigen. Dabei lehnt er die Reglerungspolitik vehement ab. Am liebsten würde der Kongreß die Preise herabsetzen und den Verbrauch drosseln. Da aber dahin nur ein einziger Weg führt, nämlich der Weg über das unpopuläre Bewirtschaften, ist der parlamentarische Anlauf längst steckengeblieben.

Nun ist der gerichtliche Instanzenzug dem Kongreß zu Hilfe gekommen. Ein Spruch der zweiten Instanz erklärte Zölle auf eingeführte Energieprodukte, die der Präsident aus eigener Prärogative seit einigen Monaten einhebt, für ungesetzlich und zwingt den Präsidenten, entweder an das Höchstgericht zu appellieren oder mit dem Kongreß einen Kompromiß zu schließen. Dieser Kompromiß würde etwa folgenden Inhalt haben: Verzicht des Präsidenten auf weitere Zollauflagen und auf die Berufung an das Höchstgericht gegen Tolerierung der Aufhebung von Preiskontrollen für in Amerika produziertes öl durch den Kongreß. Im Inland produziertes öl unterliegt bekanntlich der Preiskontrolle und ist fast um die Hälfte billiger als die aus den OPEC-Staaten importierten'Produkte. Eine graduelle Aufhebung dieser Kontrollen würde den Ölgesellschaften höhere Einkünfte und damit mehr Anreiz zu neuen Explorationen geben, die von höchster Bedeutung sind, wenn man das Konzept des Präsidenten verfolgt, von Energieimporten unabhän-. gig zu werden. Da sich der Präsident in seinem Bestreben, die Preiskontrollen zu lockern, gegen den Kongreß durchsetzen dürfte, ein Appellschreiben an das Höchstgericht in der Angelegenheit Zollauflagen jedoch unsicher ist, zeichnet sich hier ein konstruktiver Kompromiß ab.

Auch dieser Kompromiß würde jedoch dem Konsumenten höhere Energiepreise auferlegen, wobei die Schätzungen über die Höhe der Verteuerung schwanken. Drei Prozent Verteuerung für Treibstoff und Heizstoffe hat die Regierung jedoch schon prognostiziert.

Ein weiterer wichtiger Faktor sind die Kreditkosten. Kredite waren nie billig in einer Periode des konjunkturellen Aufschwunges. Wenn die Nachfrage nach Krediten mit dem Wirtschaftvolumen steigt, wird das Geld teurer. Niemand will aber heute Geld zu Zinsen verborgen, die durch die Inflation in einigen Jahren absorbiert sein könnten. Dazu kommt, daß die Notenbankpolitik in einer Periode drohender Inflation restriktiv ist — vielleicht auch sein muß —, so daß aus allen diesen Faktoren ein Zinsniveau resultiert, das seit einigen Monaten erheblich angezogen hat Zinsen be-sinflussen aber wieder Schlüsselpositionen der Wirtschaft, wie den Wohnhausbau und den Automobilhandel, die erst im letzten Monat die erste leichte Erholung zeigten.

So verbreitet sich in diesem Herbst, zu einem Zeitpunkt, in dem die Wirtschaftsdynamik in vollem Schwung sein sollte, ein merkwürdiges Gefühl der Unsicherheit und der Skepsis, das für die Zukunft sehr abträglich ist. Der Index allgemeiner Zuversicht ist wieder rückläufig und in einem Land, in dem der Optimismus Berge versetzen kann, sjnd Nachdenklichkeit und Besorgnis gleichbedeutend mit einem wirtschaftlichen Rückschlag.

Die Optimisten stellen die Situation als eine unvermeidliche Verzögerung des Gesundungsprozesses dar, der den Gesamttrend nicht aufzuhalten vermag. Aber es wird vielleicht dabei doch übersehen, daß an der Wurzel der Malaise sich nicht irgendein technisches Hindernis aufbaut, sondern die wieder virulent gewordene Inflation selbst. Wenn man bei etwa 20 Prozent unausge-nützter industrieller Kapazität nicht in der Lage ist, das Preisniveau zu kontrollieren, wie wird es erst aussehen, wenn wieder Konjunktur-überhitzung, Mangel an Arbeitskräften und industrieller Kapazität eintritt?

Es ist ja wahrscheinlich, daß die Inflationsrate, in diesem Jahr vor allem bedingt durch die günstigen Ergebnisse der ersten 6 Monate, bei etwa 6 bis 7 Prozent gehalten werden kann. Aber niemand kann voraussagen, was in dem Wahljahr 1976 geschehen wird, auch wenn es jetzt populär zu sein scheint, als großer Sparmeister aufzutreten und die großen Vergeuder anzuprangern.

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