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Jetzt nicht die Nerven verlieren!

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Den Staatsangestellten wurde seinerzeit durch Gesetz die volle Valorisierung ihrer Bezüge zugesichert. Ein fester Termin wurde zwar von der seinerzeitigen Regierung nicht genannt, doch besteht die terminisierte Zusage eines Mandatars, von der ausgehend nun die Forderung gestellt wird, das Gehaltsgesetz 1956 in seinen Bezügen noch in diesem Jahr zu aktivieren.

Was heißt nun Valorisierung? Doch nichts anderes, als daß die Staatsbeamten durch entsprechende Erhöhung ihrer Gehälter in die Lage versetzt werden sollen, heute die gleiche Menge an Gütern erwerben zu können, die sie seinerzeit (vor 193 8) mit ihren entsprechenden Bezügen erwerben konnten.

Das heißt aber weiter: davon ausgehen, daß im Durchschnitt die Preise der Güter des lebenswichtigen , Massenkonsums gegenüber der Zeit, in der die neuen Bezüge beschlossen wurden, nicht erheblich angestiegen sind. Das ist im wesentlichen auch der Fall. Bis jetzt. Jedes weitere „Anheben“ der Löhne, welches derart ist, daß die Preise unvermeidbar steigen müssen, ist dagegen Ausdruck eines frivolen Spieles mit der Leichtgläubigkeit und Unwissenheit der Lohnempfänger in den subtilen Fragen des Wirtschaftlichen und kürzt die Kaufkraft des Schillings. Auch jenes Schillings, den die Bezieher von Löhnen zusätzlich erhalten haben.

Nun will man durch Streik („geeignete gewerkschaftliche Kampfmittel“) durchsetzen, daß die zugesagten Bezüge noch 1956 flüssiggemacht werden. Die Gewerkschaft der öffentlich Bediensteten, die in ihrer „unbedingten Forderung“ vom 9. Oktober in maßvollen Worten eine Art Ultimatum stellt, handelt nicht durchweg spontan. Gerade im Bereich des öffentlichen Dienstes gibt es neben den Gewerkschaften noch Beamtenorganisationen, die, um bestehen zu können, auch fordern müssen. Wenn ein Verband weniger fordert als der andere, verliert er das Gesicht. Dazu kommt, daß der Streik der Bäcker ein „Unbehagen“ gegenüber den Gewerkschaften an sich vor allem bei den mittleren und höheren Beamten hat entstehen lassen, dem entgegengetreten werden muß. Das Geschilderte rechtfertigt irgendwie die Haltung der Gewerkschaften.

Wir sind sicher, daß sowohl die Gewerkschaftsführer als auch die Führer der Beamtenverbände die Budgetansätze 1957 geprüft haben und in der Lage sind, anzugeben, durch welche Ausgabenreduktionen die Mehraufwendungen für die Vollvalorisierung der Beamtenbezüge schon ab Jänner kompensiert werden könnten; etwa durch Reduktion der Kredite für den Wohnungs- oder den Schulbau.

Wenn sich aber in der Kalkulation der Gewerkschaftsführer oder derjenigen, welche die Beamtenforderungen zu erfüllen gewillt sind, ein Rechenfehler oder gar ein Denkfehler eingeschlichen haben sollte, dann sind die Leidtragenden nicht die „Regierung“, sondern wieder die Beamten. Das muß festgestellt werden, auch auf die Gefahr hin, daß wir der Beamtenfeindlichkeit verdächtigt werden. Ein Rechenfehler heißt: Die Mehrausgaben können durch Eingänge nicht gedeckt werden. Die Folge ist eine Reduktion des Geldwertes, ausgewiesen in einem Steigen der Preise der lebenswichtigen Güter. Kaum valorisiert, müssen die Bezüge der Staatsbeamten wieder „nachgezogen“, das heißt wieder valorisiert werden Das Mehr an Bezug ist dann lediglich ein Mehr an Banknoten und Münzen, nicht aber an Gütern.

Das sollte bedacht werden. Um des Gewerkschaftsgedankens wegen.

Sollte aber die Möglichkeit bestehen, den Forderungen der Beamten Rechnung zu tragen, dann wäre die endgültige Erfüllung des Gehaltsgesetzes ein wertvoller Beitrag zur politischen Stabilisierung.

Wie wir unterrichtet sind, kostet ein Vorverlegen der Valorisierung der Beamtengehälter auf den ersten Jänner nächsten Jahres dem Staat zirka 600 Millionen Schilling. Ob im Budget Reserven eingebaut sind, die es doch noch möglich machen, die Beamtenforderungen zu erfüllen, ist nur wenigen Kundigen bekannt und wird sich erst etwa im April, wenn die Kassenabrechnungen vorliegen, herausstellen.

Dagegen läßt der Hinweis des Finanzministers, daß ab 1958 eine Senkung der Einkommensteuer möglich ist, darauf schließen, daß der Chef des Finanzressorts der Ansicht ist, ab 1958 würden die Bundeseinnahmen eine Höhe erreichen, die eine Senkung der Abgabenforderungen des Staates möglich machen.

Diese Annahme des Finanzministers, dessen Vorsicht und wohlabgewogene Politik auch seine schärfsten Gegner anerkennen müssen, gibt Anlaß, folgendes zu überlegen:

Es ist nicht anzunehmen, daß ruckartig mit 1. Jänner 1958 die Bundeseinnahmen so steigen werden, daß die Einkommensteuer gesenkt werden kann. Es muß daher bereits für 1957 mit einem Einnahmenanstieg gerechnet werden, der über die Budgetansätze hinausgeht.

Wir wollen damit sagen: Entweder ist das Geld für die Erfüllung der Beamtenforderungen tatsächlich da oder es ist nicht da. Dann aber hielten wir es für besser, nicht zu sehr in einer Art „Nibelungentreue“ gegenüber den Wählern alle Wahlversprechungen einzuhalten oder ihre Erfüllung mit kurzen Terminen zuzusagen. Was vor den Wahlen versprochen wurde, wird wahrscheinlich im Verlauf von vier Jahren gehalten werden können, muß aber nicht mit 14. Mai pünktlich erfüllt werden. Wer Wahlversprechungen so liest, übersieht, daß Politik tatsächlich eine Kunst des Möglichen ist. Eine Wahlzusage kann auch nur unter der Voraussetzung erfüllt werden, daß die zur Zeit der Abgabe der Zusage gegebenen Bedingungen sich nicht geändert haben öder daß die erwartete Entwicklung tatsächlich eintritt. Einhalten eines Wahlversprechens heißt-zu-vorderst: Den festen Willen zeigen, das Zugesagte zu erfüllen.

Wird die Einkommensteuer ab 1958 gesenkt, so kommt diese Senkung nicht den „Massen“ zugute. Der politische Effekt einer einkommensabhängigen Steuer ist heute außerdem ein sehr geringer; eine Senkung der Einkommensteuer würde sich überwiegend als Vermehrung der effektiven Nachfrage der begünstigten Schichte nach Luxusgütern, kaum aber in einer Vermehrung der Kapitalbildung zeigen.

Wir hielten es für besser, Steuern erst dann zu senken, wenn die Kassenüberschüsse es tatsächlich erlauben, wenn also soviel Geld in den Kassen des Bundes ist, daß eine Reduktion der Steuern geradezu geboten erscheint (wie etwa in der Bundesrepublik). Jedenfalls sollte auch der Staat — wie der Private — nur das verschenken, was er bereits in Händen hat oder sicher als Eingang erwarten darf.

Die Ankündigung, daß man in einem Jahr Steuern senken wolle, läßt aber wieder darauf hoffen, daß zwischen den beiden Vertragspartnern (zwischen dem „Unternehmer“ Staat und den öffentlich Angestellten) ein Arrangement getroffen wird, das die Stabilisierung der Wirtschaft nicht hemmt und dadurch den Wohlfahrtsanstieg jener, zu deren Gunsten die Gehaltserhöhungen gewährt werden sollen, in keiner Weise behindert.

Wie immer die Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und den Beamtenvertretern sein sollten, beide Teile wollen einander nicht übervorteilen. Auch die Regierung, vertritt — das wird im hitzigen Klima von Gehaltskämpfen oft übersehen — mit ihren Versuchen, da Budgetgleichgewicht zu sichern, nicht etwa eigene Interessen (welche wären denn das?), sondern praktisch auch die Interessen der Staatsbeamten, deren Reallohn besser bei einem ausgeglichenen Budget als durch eine Inflation in Permanenz gesichert und gesteigert werden kann. Daher sind pathetische Ausbrüche und Vorwürfe wie „Wortbruch“ u. a. unglückliche Formen von an sich notwendigen Auseinandersetzungen und zeugen nicht von politischer Reife und Disziplin.

Auch Argumentationen wie „Alles oder nichts“ beweisen nur, daß manche, die auf ihre „bürgerliche“ Gesinnung sehr starken Wert legen, ungewollt nur die Politik der KP machen, deren Bosse ohne eigenes Zutun einen Teil ihrer Ziele, die sie sich für das „Arbeitsjahr“ 1956 gesteckt haben, schon erfüllt sehen. Es gab Zeiten, da konnte sich die KP des E 1 e n d s der Massen bedienen, um zum Widerstand aufzurufen. Heute ist es im Westen die Konsumhysterie, deren sich die KP zu bedienen vermag. Sind doch an der Spitze derer, die fordern, nicht immer die kleinen Leute, die Kinderreichen, die jungen Akademiker, sondern so manche, denen es um mehr Komfort, und sei es auch um den Preis einer Schillingabwertung, geht.

Wir haben in den Jahren seit 1945 der Welt ein Beispiel an Stabilität und staatspolitischer Einsicht gegeben. Viele, die interessiert waren, uns zur „Umerziehung“ in Kost zu nehmen, täten gut daran, selbst bei uns Nachhilfestunden in Demokratie und Staatsführung zu nehmen. Das Aufbauwerk haben die Beamten der Republik sowohl durch Leistung wie durch Verzicht auf eine angemessene Entlohnung mitschaffen geholfen. Es wäre widersinnig, sollte in der letzten Etappe der Anziehung der Entlohnung der öffentlich Bediensteten einer der beiden Partner, die doch aus dem Sachverhalt heraus keine Gegner sind, die Nerven verlieren und eine Entwicklung in Gang setzen, an deren Ende wir dort stehen, wo wir 1945 angefangen haben.

Das würde der KP ebenso nützlich sein, wie ei ein gewichtiges Argument der in verschiedenen über- und unparteiischen Bünden gesammelten NS-Veteranen für die mangelnde Lebensfähigkeit Oesterreichs bilden würde.

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