6684015-1962_07_05.jpg
Digital In Arbeit

Unser Beamtenkorps bröckelt ab

Werbung
Werbung
Werbung

Unter den ungelösten Problemen unseres Staates dürfte das der Beamten die Zweite Republik wohl am meisten belasten. Obwohl die personelle wie auch die finanzielle Lage der Beamtenschaft weder neu noch unbekannt ist, liebt man es bei uns zu Lande, darüber hinwegzusehen. In gewissen Kreisen sieht man die Beamten sogar über die Achsel an und meint, ihre Leistungen seien nicht nur ausreichend bezahlt, sondern die Masse der Beamten belaste die Wirtschaft über Gebühr. Wie so oft im Leben mißt man auch hier mit zweierlei Maß. Was nämlich jedem Arbeiter selbstverständlich ist, ist für den Beamten noch lange nicht billig. Es sei nur beispielsweise auf die geregelte Arbeitsdienstzeit und die Überstundenentlohnung der Arbeiter hingewiesen, die für den pragmatisierten Beamten nicht gilt. Denn der Staat bezahlt Überstunden höchstens mit zusätzlicher Freizeit — sofern es der Dienst gestattet. Meistens aber gestattet es der Dienst nicht.

Kein Anreiz für Nachwuchs

Wesentlicher erscheint mir, daß wir im Begriffe stehen, unser Beamtenkorps zu verlieren, um dessen Anständigkeit, Unbestechlichkeit und Güte uns früher die Welt beneidet hat. Während alljährlich Beamte in den gesetzlich angeordneten Ruhestand treten, ist es um den Nachwuchs traurig bestellt. Bei der heutigen Hochkonjunktur und der fortschreitenden An-gleichung der privaten Dienstnehmer in sozialer Beziehung an den Beamten bietet der Staatsdienst für den jungen Menschen kaum viel Anreiz. Der Beamte ist auf jeden Fall einem politischen Druck ausgesetzt, wie er in der Privatwirtschaft doch noch nicht vorkommt. Von der Bezahlung will ich gar nicht reden, sondern nur beschämt wegsehen. Aber lassen wir Beispiele sprechen! Es ist ein offenes Geheimnis, daß gerade im Staatsdienst großer Mangel an Schreibkräften herrscht, Gar nicht so selten ist es daher, wenn sich hohe Beamte ihre Akten selbst schreiben müssen, so sie Wert darauf legen, daß eine wichtige Sache rasch erledigt werde. Der Grund? Wenn man einer verheirateten Schreibkraft nach sechs Dienstjahren und entsprechender Vordienstzeitenanrechnung monatlich brutto 1570— Schilling bezahlt und der Anfangsgehalt einer Schreibkraft in der Privatwirtschaft bereits zwischen 1800.— und 2000.- Schilling liegt, so braucht man sich nicht den Kopf zu zerbrechen, wohin sich unsere jungen Mädchen wenden.

Aber es gibt nicht nur Mangel an solchen Kräften. Da es schwer ist, junge Akademiker für den Staatsdienst zu finden, beschloß man, ihnen diesen Berufszweig schmackhaft zu machen, indem man die Anfangsgehälter erhöhte. Allerdings verabsäumte man — nicht ganz ohne Absicht! — die folgenden Gehaltsstufen ebenfalls entsprechend zu erhöhen. Dadurch ergab sich neuerlich eine Nivellierung, die nun folgendermaßen aussieht: Ein Ministerialkommissär beginnt ab 1. Jänner 1962 mit monatlich brutto 2595.— Schilling. Der Anfangsgehalt eines Ministerialrates (nach mindestens 25 Dienstjahren) beträgt 7848.- Schilling. Innerhalb von rund 5000 Schilling liegt nun das Leben des akademischen Staatsbeamten. Denn der Großteil der Akademiker geht als Ministerialrat, wohl mit ein paar Gehaltsstufen mehr, in Pension. Nur ganz wenige erreichen den Sektionschefrang überhaupt, der zu Anfang mit 11.336- Schilling dotiert ist. Den Endgehalt eines Sektionschefs in der Höhe von 14.606 Schilling samt der vorgesehenen Dienstalterszulage von monatlich 981.— Schilling können praktisch nur Beamte erlangen, die in jungen lahren rasch befördert wurden, oder Personen, die politische Karriere aufzuweisen vermögen.

Personell und finanziell im Rückstand

i Diesen Gehältern sei nun der eines Abgeordneten zum Nationalrat gegenübergestellt. Dieser bezieht 70 Prozent des Höchstgehaltes eines Sektionschefs oder 10.224— Schilling monatlich -steuerfrei! Neuerdings nun können Abgeordnete nach einer wesentlich kürzeren Aktivität als Beamte auch Pensionen beziehen Unter solchen Umständen darf man sich nicht wundern,

wenn junge Akademiker bestenfalls nur zur Ausbildung in den Staatsdienst zu bekommen sind, wobei jeder Eintretende bereits mit der Mentalreservation kommt, nach Schaffung entsprechender Verbindungen schleunigst in die Privatwirtschaft abzugehen. Was dem Staat bleibt, sind, leistungsmäßig betrachtet, der Ausschuß und die Protektionskinder politischer Parteien, deren Karriere vorgezeichnet ist. Jahr um Jahr verliert daher der Staat Beamte alter Güte, die nicht oder nur unzureichend ersetzt werden können.

Die Tatsache, daß die Angleichung der Gehälter der Staatsangestellten immer zuletzt vorgenommen wurde, dürfte wohl von niemandem geleugnet werden. Dadurch aber, daß bei den Beamten die fast groteske Situation herrscht, daß, sechzehn lahre nach

Schuld an der fast trostlosen finanziellen Lag? der österreichischen Beamtenschaft. Denn wenn auch die Bruttoentlohnung vielleicht gewisse Vorstellungen zu erwecken in der Lage ist, so lebt, leider Gottes, kein Mensch von Brutto- sondern nur von Nettolöhnen. Es wurde immer nur etwas getan, wenn mit Streik gedroht wurde. Was aber ist das für ein Dienstgeber, der sich zwar bemüht, für alle möglichen Investitionen Geld aufzutreiben und großzügigste soziale Reformen in Gang zu setzen, der aber auf seine eigenen Organe vergißt? Österreichs wirtschaftlichen Aufstieg haben nicht zuletzt die Beamten durch ihre Duldsamkeit und Arbeit erst ermöglicht. Mit einem Gehalt, das nach zähen Verhandlungen immer erst aufgewertet wurde, wenn die Preise schon wieder davongelaufen waren, haben sie, jeder einzelne, allmonatlich durch ihre Steuerleistung zum Aufstieg der österreichischen Wirtschaft beigetragen. Sie konnten sich auch nicht wehren, weil man ihnen nach einer geradezu irrsinnigen Steuerprogression ihren Obu-lus abzog. Nicht von allen Mitbürjern kann man behaupten, daß sie ihrer

tcuetpflicht so pünktlich nachgekommen sind!

>ie bravsten Steuerzahler

Unsere Besteuerung ist aus zwei iystemen zusammengesetzt, die nie zu-:inandergepaßt haben und passen wer len. Das System der Ersten Republik st mit dem des ehemaligen Groß-leutschen Reiches unentwirrbar verknüpft. Nach letzterem begann die crasse Steuerprogression bei ungefähr 1800 Währungseinheiten, sprich leichsmark, was dem damaligen Anschaffungspreis eines „Opel-Olympia“ Mitsprach. Man hat zwar versucht, liese Progression durch verschiedene Maßnahmen zu mildern, und so entband jenes Monstrum, das drückend luf jedem einzelnen Österreicher liegt. Während die Privatwirtschaft nun verschiedene Erleichterungsmöglichkeiten loch aus jener Zeit genießt, in der Deutschland unbedingt exportieren nußte, um die notwendigen Devisen :ür seine Aufrüstung zu erhalten, zum Beispiel Werbungskosten besonderer \rt, unter die auch Barbesuche fallen, ;ofern sie geschäftlichen Interessen lienen, war dies für die damals auspichend bezahlten Staatsbediensteten nicht vorgesehen und gilt daher auch beute nicht.

Dies ist nur ein Beispiel, und ich bin überzeugt, man könnte noch viele weitere anführen. Es hat daher keinen Zweck, die Bruttomonatslöhne der Beamten etwa wieder zu erhöhen, so lange das unselige Steuersystem von leute angewendet wird. Weder ein suk-eessiver Abbau der Progression noch sonstige Ergänzungen werden dieses System je erträglicher machen können. Nur eine Steuerreform a 1a Böhm-Bawerk böte die Möglichkeit, den unaufhörlich steigenden Preisen endlich einmal Einhalt zu gebieten und die Lage der Beamten zu bessern. Wir müssen wieder zur Steuergleichheit und Steuerehrlichkeit zurückkehren. Niemand hat etwas dagegen, wenn ein Mann, der 1946 einen Anzug besaß, heute durch sein Bankgeschäft steinreich geworden ist. Es ist aber viel dagegen einzuwenden, wenn ihm Steuererleichterungen einer vergangenen Zeit geboten werden, die er heute praktisch gar nicht mehr benötigt, aber natürlich in Anspruch nimmt. Der Beamte ist der heutigen Steuergesetzgebung wehrlos ausgeliefert. Er ist heute der sogenannte ..kleine Marm der Straße“.

Existieren, nicht vegetieren!

Der Staat selbst hat das bereits begriffen und bezahlt die leitenden Funktionäre in seiner verstaatlichten Industrie nach den Normen der Privatwirtschaft, seine Beamten aber nicht. Er müßte dem österreichischen Beamtenkorps endlich die Möglichkeit geben, zu existieren, nicht nur zu vegetieren. Gerade weil man saubere und tüchtige Beamte braucht, muß man sie gut bezahlen. Dann wird man nicht nur entsprechenden Nachwuchs finden, sondern auch Mehrleistungen verlangen dürfen. Wenn das Beamtenkorps verzweifelt gegen Schmutz und Korruption ankämpft, immer vor Augen, daß seine Leistungen nicht einmal gewürdigt werden, dann ist das wie ein Hauch jenes Idealismus, der Österreich aus größter Not immer wieder auferstehen ließ. Aber wie lange noch? Als die Erste Republik 1918 durch das Rückströmen altösterreichischer Beamter aus den Nachfolgestaaten deren zu viele hatte, beschloß sie ein Gesetz, wonach sich Beamte abfertigen oder frühzeitig pensionieren lassen konnten. Heute wird viel über die Zahl der Beamten geklagt, fast möchte ich sagen geraunzt. Aber keinem Menschen würde es etwa einfallen, ein solche Gesetz wieder zu erlassen, weil man weiß, daß dann noch der Rest der tüchtigen Beamten aus dem Staatsdienst ausscheiden würde, der jederzeit in der Privatwirtschaft ein viel besseres Unterkommen fände.

Damit bin ich genauso am Ende angelangt, wie wir es mit unserem bisher ausgezeichneten Beamtenkorps bald sein werden. Man hat sechzehn Jahre Zeit gehabt, etwas für die immer wieder notwendige Erneuerung unserer Beamtenschaft zu tun. Ich fürchte, man wird nicht mehr so !an<?e Zeit haben, um zu konstatieren, der Beamte ^ ferreirhischer Prägung gehört der GMchichte an! Wer will das nun wirklich?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung