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Der Wohlfahrtsstaat will alles beherrschen

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Als unüberlegtes und verfassungswidriges Husch-Pfusch-Gesetz wurde die Werksvertragsregelung bezeichnet. Doch so unüberlegt ist dieses Gesetz nicht beschlossen worden.

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Als unüberlegtes und verfassungswidriges Husch-Pfusch-Gesetz wurde die Werksvertragsregelung bezeichnet. Doch so unüberlegt ist dieses Gesetz nicht beschlossen worden.

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Werksverträge - die unendliche Geschichte? Gleichzeitig mit der Beschlußfassung, die Werksverträge - gegen den Widerstand der Opposition und (fast) aller Experten - der Sozialversicherungspflicht zu unterwerfen, geben die Initiatoren zu verstehen, daß sie jederzeit zu einer Novellierung bereit seien; sicherlich kein Ruhmesblatt der Legislative. Zunächst geriet das erst kürzlich einstimmig von allen Koalitionsabgeordneten beschlossene Gesetz unter Beschuß: Husch-Pfusch-Gesetz, unüberlegt, verfassungswidrig, nicht administrierbar rauschte es quer durch den Blätterwald. Dann wurde das Gesetz - in seiner ideologischen Zielsetzung praktisch unverändert (mit Ausnahme einer angehobenen Mindestgrenze) - neuerlich beschlossen. Die Argumentationslinien laufen aber derart durcheinander, daß für die Betroffenen oder für die politisch Interessierten schwierig zu entscheiden ist:

■ Warum brauchen wir dieses Gesetz überhaupt?

■ Zugunsten welcher Bevölkerungsgruppen wurde es beschlossen?

■Wie hoch ist die Belastung der Wirtschaft?

■ Wie hoch ist die administrative Mehrbelastung?

■ Wie groß sind der bürokratische Aufwand und die damit verbundenen Kosten für die Sozialversicherung?

Die wahre Absicht des Gesetzgebers wird aber verschwiegen. Man will die Flucht aus der Sozialversicherung stoppen. Dies wird langfristig gesehen - schon deshalb wichtig, da deutliche Trends wie die Umwandlung von bisher unselbständiger Tätigkeit in selbständige sich abzeichnen: Teleworking (siehe dies-wöchiges Dossier, Anm. d. Red.), Out-sourcing, Ausgliederung ganzer Abteilungen, um nur einige zu nennen. Wenn schon Ausgliederung, dann sollte dies für die Arbeitgeber nicht schon dadurch attraktiv werden, weil sie sich (angeblich) damit auch die Kosten der Sozialversicherung ersparen.

Eines darf festgehalten werden: Unüberlegt ist dieses Gesetz nicht beschlossen worden, sondern wohlüberlegt als konsequenter Ausfluß der Ideologie des Wohlfahrtsstaats. Niemand darf sich dem Wohlfahrtsstaat entziehen. Er duldet keine Ausnahmen, keine Schlupflöcher; ihm ist jene Grauzone zwischen selbständiger und unselbständiger Arbeit, in die nun einmal Werksverträge einzureihen sind, im tiefsten Grunde unerträglich, da sie gegen seine ideologischen Grundsätze verstoßen. Der Wohlfahrtsstaat will allein, unbedingt und umfassend herrschen.

Vordergründig das Argument, daß man arme, schutzbedürftige Arbeitnehmer vor der Ausbeutung durch habgierige Arbeitgeber schützen müsse, die iifcien den Sozialversicherungsschutz eines Arbeitnehmers nehmen wollen.

Dem steht gegenüber, daß es sich hier (weit überwiegend) um eine - im beiderseitigen Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und -nehmer vereinbarte - Vermeidung der Kosten der Sozialversicherung handelt.

Daß Arbeitgeber aus Kostengründen Sozialversicherungsbeiträge ersparen wollen, kann man noch argumentieren, aber werden nicht die vollen Kosten dieser Beiträge dem Werksvertragsnehmer angelastet, was sich bald herausstellen wird? Denn, ist der Werksvertragsgeber wirtschaftlich so stark, dem Werksvertragsnehmer gegen seinen Willen und eventuell sogar gegen das Gesetz einen Angestelltenstatus zu verweigern, so ist er auch wirtschaftlich stark genug, die vollen Kosten dafür ihm anzulasten.

Wenn aber das Gesetz zum Schutz und damit zum Vorteil der Werksvertragsnehmer gebraucht wird, wieso dann der Widerstand der damit

Foto Winnen

„Beglückten”? Warum wollen Arbeitnehmer der Sozialversicherung ausweichen?

AVir müssen bei der Sozialversicherung unterscheiden: Krankenversicherung (KV, acht Prozent Beiträge) und Pensionsversicherung (PV, 22,8 Prozent), immer Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen. Beide heben Beiträge ein und versprechen Leistungen, jedoch nach grundverschiedenen Kriterien:

■ In der KV besteht kein Konnex zwischen Beitrag und Leistung; hier gilt das Solidaritätsprinzip: jeder nach seiner Fähigkeit, jedem nach seinen Bedürfnissen. Wer also von 5.000 Schilling Beiträge zahlt, erhält genauso viel an Gesundheitsleistungen wie der, der auf Basis 39.000 Schilling (Höchst) zahlt. Jede Doppelversicherung bringt also keine zusätzliche Leistungen; verständlich, daß sich von dieser Mehrbelastung jeder „drücken” will? Wer aber nicht doppelt versichert ist, kommt zu einer Krankenversicherung (oft sogar mit Minimalbeiträgen).

Umgekehrt aus der Sicht des Systems, kostet das keine zusätzlichen Leistungen, bringt aber trotzdem Beiträge in die finanzmaroden Kassen, getarnt als Solidarität. Dieses Schlagwort muß immer dann herhalten, wenn es darum geht, den unfi-nanzierbaren Wohlfahrtsstaat immer neue. Finanzierungsquellen zu erschließen, die aber auf lange Sicht seinen Zusammenbruch trotzdem nicht aufhalten können.

In der PV dagegen ist dieser Konnex Beitrag/Leistung sehr wohl gegeben, obwohl man als Versicherter gut daran täte, zwischen kurz- und langfristigen Aspekten zu unterscheiden. Kurzfristig erhält man für 22,8 Prozent Beiträge Pensionsleistungen -zunächst einmal nur versprochen, da die Leistungen systemgemäß weit in der Zukunft liegen - die Beiträgen von 40,1 Prozent entsprechen. So haben es die Sozialpartner ausgerechnet; das heißt, die Pensionen müssen in Zukunft abgesenkt werden. Verkürzt gilt: Für einen Schilling Beitrag erhält man (derzeitige Preisbasis) als Mann zirka 1,50 Schilling Pension, als Frau (schlechterer Deckungsquotient) zwei Schilling bis 2,50.

Diese Flucht aus der Sozialversicherung zu verhindern, wird aber nicht erreicht werden. Denn es gibt zahlreiche legale Umgehungsmöglichkeiten und illegale über den Schwarzmarkt. Professor Schneider von der Universität Linz schätzt den Zuwachs an hinterzogenen Beiträgen und Steuern durch diese Werksvertragsregelung auf zirka zehn Milliarden Schilling.

Das Grundproblem bleibt aber, warum wehren sich Arbeitnehmer gegen diese Werksvertragsregelung, die doch für sie gemacht wird und die für sie (zumindest scheinbar) vorteilhaft sein soll?

Mögliche Antworten wären: Das durchaus berechtigte Mißrauen gegen die Leistungsfähigkeit der Pen sionsversicherung. Wird der Generä-tionenvertrag halten? WieJioch wird die Pension nach 30 Jahren wirklich sein?

Das (menschlich bedingte) Unterschätzen der Zukunft, das heißt, die Sorglosigkeit gegenüber der Zukunft, was besonders für jüngere durchaus zutreffen könnte

Die latent immer vorhandene Trittbrettfahrermentalität. Warum für etwas zahlen, was man auch ohne Beitrag erhält?.

Sicher aber auch die Überlegung, daß man mit den Beiträgen zur PV sich privat eine weit höhere Eigen-Vorsorge aufbauen kann. Denn, was alle Sozialpolitiker heftig dementieren, jede Einzahlung in eine Lebensversicherung (oder in eine andere, adäquate Veranlagungsform) ist dem Umlagesystem weit überlegen.

Bleibt die Frage, warum macht die Pensionsversicherung ein (vorpro-gammiertes) Verlustgeschäft?

Zunächst naheliegend: Der Wohlfahrtsstaat denkt immer nur kurzfristig. Die Finanzierung der nächsten Jahre ist wichtig, nicht die Finanzierbarkeit in 30 Jahren. Hat man nicht 1979 den Frauen den Nachkauf von Kindererziehungszeiten gestattet? Die Frauen haben auch prompt auf dieses „Sonderangebot” reagiert: Mit zwei Milliarden Schilling haben sie Pensionsleistungen von elf Milliarden Schilling nachgekauft.

Die Flucht aus der Pensionsversicherung, die jeder Bürger, wenn er dazu die Möglichkeit hat, anstrebt, ist daher wohl begründet. Obwohl wegen der gewollten(l) Intransparenz des Systems die meisten das Kosten/Nutzenkalkül nicht exakt berechnen können, so fühlt der Wohlfahrtsbürger instinktiv, daß er zu einem schlechten Geschäft gezwungen werden soll.

Warum daher ein Gesetz, das alle Betroffenen ablehnen, das auf Dauer ein Verlustgeschäft ist? Antwort: Weil der Wohlfahrtsstaat über Effizienzüberlegungen erhaben ist, weil er nur ganz kurzfristig denkt. Die „Wohlfahrtsdiktatur” - ein berühmtes Buch von Huntford über den schwedischen Wohlfahrtsstaat - will ihre Herrschaft so lange als möglich absichern, auch um den Preis eines Zusammenbruchs in der Zukunft.

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