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Ein Holzweg der Geschichte?

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Das Budget 1995 erfordert Weichenstellungen. Darüber sind sich alle einig. Für den Sozialversicherungsexperten Franz Kohmaier müssen die entscheidenden Veränderungen bei der Sicherung der Pensionen vorgenommen werden.

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Das Budget 1995 erfordert Weichenstellungen. Darüber sind sich alle einig. Für den Sozialversicherungsexperten Franz Kohmaier müssen die entscheidenden Veränderungen bei der Sicherung der Pensionen vorgenommen werden.

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Das Sparpaket I war bereits eine schwere Geburt, das Sparpaket II wird noch schwieriger sein. Darüber sind sich eigentlich alle Politiker und auch die meisten Österreicher einig: das Budget 1996 erfordert eine Weichenstellung. Gehen wir weiter jenen schwedischen Weg zum Wohlfahrtsstaat, oder gehen wir ernstlich daran, diesen unfinanzierba-ren Wohlfahrtsstaat in einen durchaus finanzierbaren Sozialstaat umzubauen.

Schweden ist seit 40 Jahren hochgelobtes Vorbild für die gesellschaftspolitische Entwicklung zum allumfassenden Wohlfahrtsstaat. Osterreich hat diese Entwicklung - vor allem in der Ära Bruno Kreisky - teilweise noch verstärkt vorangetrieben. Dieser sozialdemokratische, schwedische Weg mündet als Holzweg der Geschichte . (hoffentlich nicht unumkehrbar) in die soziale Katastrophe. Er ist auf gigantische Staatsverschuldung, Inflation, Arbeitslosigkeit programmiert.

Vor allem am Beginn dieser Ära es - genährt von der Euphorie einer ausgeprägten Wachstumsperiode - geradezu einen Wettlauf, immer neue Wohlfahrtsleistungen zu „erfinden”. Selbstverständlich wurden diese Geschenke des gütigen Wohlfahrtsstaates immer wahlwirksam im rechten Moment angekündigt und als Wahlversprechen dann realisiert.

Aber gelernt hat man daraus nichts. Obwohl die Unfmanzierbarkeit des Pensionsversicherungs(PV)-Systems feststeht, wurden 1993 die Anrechnung der Kindererziehungszeiten beschlossen, ebenso das zweite Karenzjahr.

Beide Maßnahmen sind aus familienpolitischen Gründen notwendig. Nur hat man „vergessen”, für eine entsprechende Finanzierung zu sorgen. Denn familienpolitische Leistungen müssen durch Umverteilung zwischen den Kindererziehenden und den Kinderlosen finanziert werden. Die Belastung der Kinderlosen ist aber politisch schwierig durchzusetzen, man ließ daher die Finanzierung offen.

Das zweite Karenzjahr wurde offensichtlich ganz einfach auf Pump finanziert Nun 1995 fällt uns das alles auf den Kopf. Das zweite Karenzjahr wurde einfach auf Pump finanziert, der Fa-milienlastenausgleichsfonds (FLAF) ist schwer verschuldet. Es ist völlig unklar, wer diese Schuld bezahlen soll. Die Anrechnung führt zu einer Explosion des Defizits der PV von 1993 48,6 Milliarden (ohne Hilflosenzu-schuß) auf 1995 eingeplante 58 Milliarden und weitere fünf Milliarden „unvorhergesehene”; man wurde an-geblir.fr-„überrascht”. Man habe sich bei den Annahmen eben „geirrt”. So einfach ist das.

Dabei sollte die Pensionsfinanzierung derzeit an und für sich keine Schwierigkeiten machen. Die Zahl der Beitragszahler hat - durch Ausländer und die nunmehr voll ins Arbeitsleben eingestiegene Babyboomgeneration - Höchstwerte erreicht. Die wahre Unfinanzierbarkeit kommt erst 2010.

Die Anrechnung der Kindererziehungszeiten sollte durch Pensionskürzungen (Nettoanpassung) finanziert werden, eine Budgetbelastung werde nicht eintreten, versprach der damalige Minister Josef Hesoun noch 1993.

Der entscheidende Fehler bei der Anrechnung war, daß man bei minimaler Erhöhung der Frauenpensionen - durch eine fiktive Beitragsgrundlage von nur 6.000 Schilling -um nur 348 beziehungsweise maximal 441 Schilling pro Monat und Kind eine volle Anrechnung für die Mindestanforderung von 35 Beitragsjahren für die Frühpension für Frauen vorsah.

Politisch - im Sinne des Wohlfahrtsstaates, der auf Stimmenmaxi-mierung programmiert ist - war die gewählte Lösung richtig, denn für die Frauen ist der frühestmögliche Pensionsbeginn wesentlich wichtiger als eine höhere Pension - wobei man sich dann noch über die „ungerechten” niedrigen Frauenpensionen aufregen kann.

Der Einfluß auf das Budget war vorauszusehen: mit einem Schlag konnten fünf Frauen Jahrgänge, die bisher wegen fehlender Versicherungszeiten nicht mit 55 in Frühpension gehen konnten, diese Voraussetzung erbringen. Das durchschnittliche Pensionsalter sank auf 57 Jahre, einsamer Negativ-Weltrekord (!).

Könnte der Wohlfahrtsstaat uns nicht auch von den Mühen des Denkens befreien?

Der Kern des Wohlfahrtsstaats ist die Pensionsversicherung (PV), nicht nur von der Größenordnung her, die fast den Umfang eines halben Budgets erreicht, sondern weil hier der Kerngedanke am deutlichsten sichtbar wird.

Das sah Alexis de TocqueVille schon 1835 (!) prophetisch voraus: „Über diesen Bürgern erhebt sich eine gewaltige Vormundschaftsgewalt, die es allein übernimmt, ihr Behagen sicherzustellen und über ihr Schicksal zu wachen. Sie ist absolut, ins einzelne gehend und milde (...), sie freut sich, wenn es den Bürgern gutgeht, vorausgesetzt, daß diese ausschließlich an ihr Wohlergehen denken. Sie arbeitet gern für ihr Glück, aber sie will allein daran arbeiten und allein darüber entscheiden (...) sie sorgt für ihre Sicherheit, führt ihre wichtigsten Geschäfte (...) regelt ihre Erbfolge (...) könnte sie ihnen nicht vollends die Sorge zu denken abnehmen und die Mühe zu leben?” '

Dieser Wohlfahrtsstaat verteilt „milde Gaben” an alle mehr oder weniger mit der Gießkanne, an alle, ob sie es mehr oder weniger dringend brauchen oder nicht. Die Mittel dazu holt er sich wieder von allen, wobei zum Schluß aber niemand mehr weiß, ob er bei dieser gigantischen Umverteilung gewinnt oder ein „Nettozahler” ist.

Der Sozialstaat dagegen beschränkt sich auf jenen relativ kleinen Teil seiner Bürger, die mehr oder weniger ohne eigenes Verschulden in eine Notlage kommen. Sie sind gegen diese Notlage abzusichern. Dazu gehört auch, daß man gewisse Grundleistungen gratis oder zu sozial gestaffelten Beiträgen anbietet.

Der Sozialstaat würde nur jenen Bürgern helfen, die wirklich in Not sind Grundsätzlich steht er aber auf dem Standpunkt, daß zunächst jeder selbst für sein Wohlbefinden, für seine Altersversorgung zuständig sei. Leistungen des Staats sind für alle grundsätzlich kostendeckend zu erstellen, Subventionen müssen ihre volkswirtschaftliche Berechtigung nachweisen. Sozialleistungen sind immer in ihrer Dauer zu beschränken und immer wieder auf ihre soziale Notwendigkeit zu überprüfen.

Diese Weichenstellung werden wir Österreicher heuer im November mit dem Budget 1996 vornehmen müssen. Die entscheidenden Veränderungen müssen in der Pensionsversicherung vorgenommen werden.

Unser staatliches Ein-Säulensystem muß auf das international übliche Drei-Säulen-System umgestellt werden, die Eigenvorsorge muß einen großen Teil der Vorsorge übernehmen. Die Frühpension muß durch einen Malus weniger attraktiv gemacht werden; darüber hinaus wäre die Voraussetzung für die Frühpension, 35 Versicherungsjahre in Etappen auf 40 Jahre anzuheben. Die Einsparung, vor allem bei den Beamten, wäre beträchtlich: 40 Milliarden pro Jahr (!). Ebenso wären die Invaliditäts(Berufs-unfähigkeits)pension auf rein medizinische Erfordernisse - und hier wiederum vor allem bei den Beamten - zu beschränken, eine Teilrente- muß bei leichter Behinderung vorgesehen werden. Damit könnte nicht nur die Unfinanzierbarkeit der PV vermieden, sondern darüber hinaus die Sozialkomponente sogar noch verstärkt werden. Die Politiker werden diese höchst unpopulären Eingriffe aber nur vornehmen, wenn die Österreicher dazu bereit sind. Eine Bewußtseinsänderung wäre der erste Schritt auf diesem Weg.

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