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Digital In Arbeit

Sieben Milliarden für eine Woche Urlaub?

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Für ein erfrischendes Lüfterl in der politischen Sommerpause hat das in der letzten FURCHE erschienene Interview mit Sozialminister Gerhard Weissenberg über Fragen der Arbeitszeitverkürzung gesorgt. So gut wie alle Tageszeitungen wie auch das Fernsehen griffen das sicher nicht widerspruchsfreie Thema auf. Diesmal sprach Alfred Grinschgl mit dem sozialpolitischen Referenten der Bundeskammer, Dr. Rupert Dollinger, über die Einwände der Wirtschaft gegenüber den Plänen Weissenbergs.

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Für ein erfrischendes Lüfterl in der politischen Sommerpause hat das in der letzten FURCHE erschienene Interview mit Sozialminister Gerhard Weissenberg über Fragen der Arbeitszeitverkürzung gesorgt. So gut wie alle Tageszeitungen wie auch das Fernsehen griffen das sicher nicht widerspruchsfreie Thema auf. Diesmal sprach Alfred Grinschgl mit dem sozialpolitischen Referenten der Bundeskammer, Dr. Rupert Dollinger, über die Einwände der Wirtschaft gegenüber den Plänen Weissenbergs.

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FURCHE: In einem Gespräch mit der „Furche“ erklärte Sozialminister Gerhard Weissenberg, die nächste Etappe in der Verkürzung der Arbeitszeit sei nach den Vorstellungen des ÖGB eine Aufstockung des Mindesturlaubs von vier auf fünf Wochen. Was sagt die Wirtschaft dazu?

DOLLINGER: Ich glaube, daß momentan der falscheste Zeitpunkt gegeben ist, überhaupt über eine Arbeitszeitverkürzung zu reden. Wir wissen, daß vor allem in der Bundesrepublik Deutschland das Thema Arbeitszeitverkürzung sehr heftig diskutiert wird, vor allem auch in Hinblick auf die großen Beschäftigungsprobleme. Es haben zwei große deutsche Gewerkschaften eine Senkung der Arbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche gefordert. Sie erhoffen sich davon positive Effekte auf dem Arbeitsmarkt.

Aus österreichischer Sicht muß man dazu folgendes sagen: Jede Art der Arbeitszeitverkürzung, ob es sich jetzt um eine Verkürzung der wö-; chentliehen Arbeitzeit oder um eine Verlängerung des Urlaubs handelt, ist mit Kosten verbunden. Und eine Kostenerhöhung ist genau das, was die österreichische Wirtschaft im gegebenen Zeitpunkt überhaupt nicht vertragen kann.

Die Kostenbelastungen aus dem Titel Personalkosten sind in den letzten Jahren erheblich gestiegen, ich verweise auf die überzogene Lohnrunde 1974/75 und auch darauf, daß die folgenden Lohnrunden nicht in dem Maße zurückhaltend ausgefallen sind, wie wir uns das vom Standpunkt der Wirtschaft gewünscht hätten. Dazu kommt in den letzten Jahren eine drastische Erhöhung der Lohnnebenkosten. Als Beispiel nur die 32. ASVG- Novelle oder das Urlaubsgesetz 1977. Diese Maßnahmen haben dazu geführt, daß wir heute eine Lohnnebenkostenbelastung von etwa 86 Prozent haben. Das bedeutet, daß alles, was zu einer neuerlichen Kostenerhöhung führen könnte, von uns rigoros abgelehnt werden muß. Also auch Arbeitszeitverkürzungen.

Außerdem wehre ich mich dagegen, einen Kausalzusammenhang herzustellen, indem man sagt, eine Arbeitszeitverkürzung um soundsoviel erbringt eine Mehrbeschäftigung in diesem und jenem Ausmaß. Ich glaube, daß es psychologisch falsch ist, daß man in einer wirtschaftspolitisch derart schwierigen Situation in der Bevölkerung den Eindruck erweckt, man könne die’Probleme dadurch lösen, daß man weniger arbeitet oder länger auf Urlaub geht.

FURCHE: Wieviel würde es die Wirtschaft konkret kosten, wenn der Mindesturlaub bereits 1979 auf fünf Wochen erhöht würde?

DOLLINGER: Es ist natürlich schwierig, hier eine konkrete Angabe zu machen, weil ja bereits nach der heutigen rechtlichen Situation Arbeitnehmer nach Vollendung des 20. Dienstjahres im selben Betrieb fünf Wochen Urlaubsanspruch haben. Man müßte also davon ausgehen, daß die Erhöhung des Mindesturlaubs nicht für alle Arbeitnehmer, sondern nur für etwa 70 Prozent der Arbeitnehmer zutrifft Das würde etwa 1,75 Prozent von der Lohnsumme ausmachen, was wiederum einem Mehrbetrag von ungefähr sieben Milliarden Schilling entspricht.

FURCHE: Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Zukunft Österreichs? Wird die Lage in den nächsten Jahren so angespannt sein, daß für Sozialpolitik kein Spielraum mehr bleibt?

DOLLINGER: Die wirtschaftliche Lage der nächsten Jahre wird wahr scheinlich dadurch gekennzeichnet sein, daß wir wesentlich geringere Wachstumsraten als in der Vergangenheit erreichen werden. Gleichzeitig wird zu berücksichtigen sein, daß bis 1986 etwa 400.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden müssen.

Daraus kann sich natürlich, wenn die Konjunktur nicht anzieht, ein Problem für die Vollbeschäftigung ergeben. Es gibt Untersuchungen des Instituts für Höhere Studien, die für 1979 und 1980 Arbeitslosenraten von vier und fünf Prozent prognostizieren. Die Annahmen gelten freilich unter der Voraussetzung, daß nicht gegengesteuert wird.

Die Wirtschaft hat bisher bei jeder sich bietenden Gelegenheit entsprechende Vorschläge unterbreitet, die alle in die Richtung einer Stärkung der Eigenkapitalbasis, einer Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit der Betriebe im In- und Ausland, Entwicklung neuer Produkte, neuer Produktionstechniken sowie verstärkter Forschung und Innovation gehen. Solange nicht ein positiveres Klima herrscht, wird auch die Investitionsbereitschaft nicht in dem Ausmaß zunehmen, wie das erforderlich wäre, um den Ansturm auf dem Arbeitsmarkt entsprechend aufzufangen.

FURCHE: Ist in den nächsten Jahren mit einem Sozialstopp zu rechnen?

DOLLINGER: Ich halte den Ausdruck Sozialstopp für irreführend. Wir haben in Österreich ein sehr hohes Niveau an sozialer Sicherheit erreicht. Man sollte nicht den Eindruck erwek- ken, daß sich die Sozialpolitik in der Richtung weiterentwickeln wird, daß man noch mehr Risken dem einzelnen Staatsbürger abnimmt. Von einem Sozialstopp kann aber meiner Meinung nach nicht die Rede sein. Sicher ist, daß der Ausbau der sozialen Sicherheit aus zwei Gründen in den nächsten Jahren sich verlangsamen wird: Erstens, weil das Ausgangsniveau schon ein entsprechend hohes ist und zweitens, weil auch die materielle Grundlage, nämlich eine entsprechende wirtschaftiiciie Entwicklung, für sozialpolitische Maßnahmen nicht gegeben ist.

Ich glaube, daß es in Zukunft das vorrangige Anliegen wäre, im Sinne einer qualitativen Sozialpolitik für einzelne Gruppen mehr zu tun, statt Sozialpolitik mit der Gießkanne zu betreiben; ohne Rücksicht darauf, ob die Begünstigten überhaupt soziale Leistungen benötigen oder nicht.

FURCHE: Zu welchen sozialpolitischen Maßnahmen würde auch die Wirtschaft unter Umständen ja sagen?

DOLLINGER: Auf Anhieb fallen mir keine Maßnahmen ein, wo man generell verbessernd in der Sozialpolitik eingreifen müßte. Wir stehen heute eher vor dem Problem, daß wir die breite Masse der Risken absichem, daß es aber noch immer Fälle persönlicher Not bei großen Risken gibt. Eben deswegen wird man sich mit einer mehr qualitativen Sozialpolitik befassen müssen.

Ein Problem erscheint mir hier besonders erwähnenswert: Dem Familienlastenausgleich wurden durch Neueinführungen Mittel entzogen. Der Fonds wird bereits 1979 oder vielleicht 1980 vor sehr großen finanziellen Problemen stehen. Es wird nicht mehr möglich sein, die Leistungen für die Familien weiter zu verbessern, sofern man die bisherigen überhaupt noch finanzieren kann. Da wir aber eine aktive Familienpolik für besonders wichtig halten, wäre in den nächsten Jahren vor allem in der Familienpolitik anzusetzen.

Auch möchte ich festhalten, daß man bei der Behandlung sozialpolitischer Fragen nicht, wie das häufig geschieht, in die starre Trennung Unternehmer und Arbeitnehmer verfallen soll. Es gibt heute eine Reihe von kleinen Gewerbetreibenden, die zwar selbständig sind, aber in sozialer Hinsicht zweifellos nicht jenes Niveau erreichen, das vielen Unselbständigen heute eine Selbstverständlichkeit ist. Das gilt im speziellen auch für das Thema Arbeitszeit. Die letzten Arbeitszeitverkürzungen haben deutlich gezeigt, daß damit eine Steigerung der Arbeitszeit der Selbständigen verbunden ist.

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