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Digital In Arbeit

Spiel mit den Arbeitsplätzen

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Der Sozialminister hat eine sensationelle Entdeckung gemacht: Bis 1985 benötigen wir in Österreich rund 300.000 neue Arbeitsplätze, wenn wir die Vollbeschäftigung aufrechterhalten wollen. Dieser hohe Bedarf rührt daher, daß bis 1985 die starken Geburtsjahrgänge der sechziger Jahre in den Arbeitsprozeß integriert werden i müssen und daß die Abwanderung aus der Landwirtschaft zweifellos anhal- ten wird.

Die von Weissenberg genannte Zahl wurde zwar bereits vor Jahren berechnet und ist den Experten längst bekannt, sie ist auch schon des öfteren in der Tagespresse publiziert worden. Lediglich die Regierungspartei hat es bisher gewissermaßen als Landesverrat angesehen, von den Arbeitsmarktproblemen zu reden. Schließlich hat die SPÖ eine „Arbeitsplatzgarantie” abgegeben. Die unangenehmen Assoziationen mit der „Vollbeschäftigungsgarantie” des ehemaligen deutschen Kanzlers Willy Brandt, aus der die größte Arbeitslosigkeit seit zwei Jahrzehnten wurde, muß der gelernte Österreicher entschlossen unterdrük- ken.

Mit einem realen Wirtschaftswachstum von drei oder vier Prozent pro Jahr können die benötigten Arbeitsplätze angeblich einigermaßen problemlos geschaffen werden. Die nationale und internationale Entwicklung lassen es aber als wahrscheinlich erscheinen, daß die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten auf zwei Prozent und weniger absinken werden.

Sicherlich kann durch eine überlegte und solidarische Politik, die auch vor unpopulären Maßnahmen nicht zurückschreckt, eine Arbeitslosigkeit größeren Ausmaßes vermieden werden. Mit Weissenbergs Patentrezept - das im übrigen nicht neu ist und überall dort, wo es angewendet wurde, total versagt hat - kann dies aber ganz bestimmt nicht gelingen. Er schlägt närh- lich vor:

• „Restriktive Gastarbeiterpolitik” - anders ausgedrückt: Die Ausländer werden ohne viel Umstände abgeschoben.

• Arbeitszeitverkürzung.

• Vorverlegung des Pensionsalters.

Ein famoser Plan, und wie sozial noch dazu!

Wir arbeiten weniger und schon sind die Arbeitsplätze unserer Kollegen gesichert. Ein solches Opfer bringen wir gern, speziell wenn man zum Ausgleich Löhne und Pensionen massiv erhöht, damit uns die vermehrte Freizeit nicht allzu lästig wird. Auf Kosten der Gastarbeiter ist uns im übrigen ohnehin nichts zu teuer.

Und die Rechnung ist doch ganz klar: Wenn weniger gearbeitet wird, dann braucht man mehr Arbeitskräfte. So weit, so gut. Nur ist das leider eine Rechnung ohne den Wirt, nämlich die wirtschaftliche Situation Österreichs.

Pikanterweise fast gleichzeitig mit Weissenbergs Patentrezept wurde die österreichische Handelsbilanz für Mai 1977 veröffentlicht, die gegenüber dem Voijahr nicht weniger als eine Verdoppelung des Defizits mit sich gebracht hat. Nun hat aber das Passi- vum der österreichischen Handelsbilanz bereits in den letzten Jahren lawinenartig zugenommen und 1976 die stolze Höhe von 52,5 Milliarden Schilling erreicht Für dieses Jahr sagt eine „pessimistische” Prognose rund 60 Milliarden voraus. Die bisherige Entwicklung des Außenhandelsdefizits macht es aber wahrscheinlich, daß die Prognose - wie dies in den letzten Jahren schon mehrere Male der Fall war - doch noch zu optimistisch geworden ist.

Der Grund: Die Arbeitskosten sind in Österreich in den letzten Jahren viel schneller gestiegen als bei unseren wichtigen Handelspartnern, immer mehr Firmen sind im Export (und auch gegenüber der Importware) nicht mehr konkurrenzfähig. Dazu kommt noch, daß die diversen Konsumstöße, die die inländische Konjunktur ankurbeln sollten, der Hauptsache nach Importwaren zugute kamen.

Arbeitszeitverkürzung bedeutet aber neuerliche Produktionskostensteigerung und damit verschlechterte Absatzchancen für unsere Wirtschaft. Auf diese Manier können in Österreichs aktueller Situation keine Arbeitsplätze geschaffen, sondern höchstens vernichtet werden.

Die einzige Domäne, in der sich die Arbeitszeitverkürzung zur Gänze in neue Arbeitsplätze umsetzen würde, ist der öffentliche Dienst. Dies aber bedeutet nur, daß die bereits heute kaum mehr finanzierbaren Budgetdefizite des Bundes und der Gebietskörperschaften neuerlich raketenhaft an- steigen würden. Die Konsequenz daraus wären noch höhere Steuern und damit noch höhere Produktionskosten - und so gehen wir im Kreis.

Und was soll die Senkung des Pensionsalters in einer Zeit, in der die Sozialversicherung ohnehin nicht mehr weiß, wie sie die bestehenden Pensionslasten finanzieren soll? Der Sozialversicherungsexperte Weissenberg müßte es besser wissen.

Überhaupt sieht Weissenbergs Patentrezept danach aus, daß es wider besseres Wissen gemacht worden ist, um falsche, aber wählerstimmenträchtige Illusionen zu verbreiten und Probleme vor sich herzuschieben, die sich nicht von selbst lösen, sondern dadurch höchstens vergrößern. Für einen derartigen Zynismus ist aber ein solch vitales Problem das denkbar un-, geeignetste Objekt.

Hier geht es um primäre Bedürfnisse der Bevölkerung, über die sich eine Regierung nicht mit populären Scheinlösungen hinwegturnen darf. Die Gefahren einer solchen Politik sind nur allzu real, wenn es auch gegenwärtig niemand wahrhaben will. Scheinlösungen provozieren oft gerade das, was sie angeblich verhindern sollen.

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